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Ein Museumsbesuch

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11.08.2004
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Ein Museumsbesuch

Ein Museumsbesuch

Abseits der großen Ringstraße liegt es noch, das kleine Kellerlokal. Es hat bessere Tage gesehen, das steht fest. So wie der ganze Stadtteil drum herum, der mit den Jahren verarmt ist. Hier stehen wir also und sehen auf den vergilbten Aufkleber an der Tür, der den Eintritt auf eigene Gefahr anmahnt. Kurze Diskussion, ob uns das von unserem Vorhaben abhalten soll, ausgerechnet in dieser Umgebung, wo so etwas schnell auch mal auffällt (und niemals angenehm, soviel steht fest). Es soll hier auf dem Dulsberg Leute geben, die ihr Leben mit 200 Worten gut im Griff haben, also Hand an denselben gelegt und schwungvoll die Tür aufgezogen. Silja hielt uns für verrückt, als wir ihr von unserem Vorhaben erzählten. Vielleicht ist es das auch. Wir werden es gleich erfahren. Ein kleiner Schritt nur für einen Menschen...hast Du Dich auch so gefühlt, Kasper, als Du auf Zwackelmanns Zauberschloß gefangen warst?
Ein erster Blick ins Innere dieses legendären Lokals, dass einen Gutteil seines Ruhmes den späten siebziger Jahren verdankt, als anderswo der deutsche Herbst seine lähmende Kraft über das ganze Land legte. Die beiden Männer am Tresen dürften es wissen. Gleich Denkmälern sitzen sie da, sehen nicht mal auf, in ihrem Dunst aus Schweigen und Rauch. Und da ist auch Bruno, wackerer Wirtsmann. Er ist weniger geworden an allem, heißt es, aber da steht er und zapft noch immer diese stattliche Blume auf sein Pils, die es den Jungs einst unmöglich machte, mehr als eines davon in ihren Schulpausen hinunter zu stürzen. Er sieht zu uns auf.
„Rein oder raus, aber macht die Tür zu! Es zieht.“ Da, hat er gerade wirklich die Lippen bewegt? Uns kommt es vor, als habe er direkt in unsere Köpfe hinein gesprochen, ich meine, das gibt es, keine Frage, aber auch keine Zeit, Fragen danach zu stellen, denn der Tonfall klang unmissverständlich, genau wie früher. Wir treten also ein, unser Mantra hoch über Bruno plazierend.
NICHT AUFFALLEN !
...das heißt, auffallen sollen wir schon, aber eben so, dass sich niemand davon provoziert fühlt, obwohl gerade das viel leichter gedacht ist als getan. Schon bei dem Gedanken ist uns übel geworden. John Wayne unser, der Du herab siehst auf Deine Kinder aus den Tiefen ewiger Saloons...Wir sehen uns um. Die Kneipe ist völlig leer.
„Gute Blume...“ meine wir anerkennend, nachdem wir unseren Platz gefunden haben. Bruno nickt. Weiß er Bescheid? Ernst hat angedeutet, dass er ihm unser Kommen ankündigen würde, aber gerade Ernst ist in der Therapeutenszene berüchtigt dafür, dass er einen in solchen Situationen einfach mal hängen läßt. Vielleicht sollten wir Bruno danach fragen. Aber der legt schon von selbst los.
„Ham schon viele versucht, dass Ex zu trinken, aber seit meine Frau weg ist, müssen’s die Gäste selbst aufwischen, wenn sie mir den Boden voll kotzen.“
„Recht so.“ Der Wirt hat immer Recht. Das ist das erste, was man in einem solchen Laden wissen muß.
„Wo ist denn ihre Frau hin..?“
Bruno wirft uns einen dieser Blicke zu, wo Du sofort weißt, dass jedes weitere Wort genau eines zu viel sein könnte. Dass wir nicht von der Polizei sind, dürfte einem Fuchs wie Bruno auch ohne Anruf von Ernst schnell klar geworden sein. Und ansonsten ist es der Wirt, der die Fragen stellt.
„Was wollt’n Ihr trinken?“
„Könnten wir einen Kaffee haben?“
Einen der Tresen – Denkmäler scheint das geweckt zu haben, denn er wendet sich uns zu.
„BissuBürgermeisteroderwas?“
ALARM !
Wir wollen instinktiv zurück rutschen, aber die Wand verhindert es. Jeder, der einen ganzen Satz in ein einziges Wort hinein quetschen kann, tut dies am Ende auch mit Menschen, das weiß man doch. Warum sind wir bloß hier her gekommen? Unsere Achtung vor den Jungs steigt ins Unermeßliche, denn sie kamen freiwillig wieder, jahrelang. Wir hatten andere Pausenplätze.
„Halt Dein Maul, Piko!“ kommt uns Bruno da zur Hilfe. „Du bist noch nicht so betrunken...“ Er sieht zu rüber. „Bürgermeister, tsss...“
Genau Bruno, sag, wie es ist. Die kommen und gehen, wenn auch kaum je auf den Dulsberg, wo Du als politisch korrekt giltst, wenn Du Dein Bier bar bezahlen kannst. Sagt man... Wir nicht. Nicht hier. Piko hat sich derweil wieder in seinen katatonen Stupor zurück gezogen. Sein Nebenmann sieht mit zusammen gekniffenen Augen zu uns rüber und deutet dann ein verächtliches Kopfschütteln an, bis auch er wieder zur Gänze erstarrt. Bruno könnte also fortfahren, aber der weist jetzt in Richtung des Hinterzimmers.
„Warum geht ihr nicht’ne Runde Billard spielen? Ich muss den Kaffee erst aufsetzen.“
Piko zuckt kurz, beläßt es aber dabei. Wir nicken. Guter Vorschlag. Da wollten wir ja ohnehin rein.. Jetzt brauchen wir keine Ausflüchte mehr. Und aus welcher verstaubten Schublade Bruno hier Kaffee hervor holt, wollen wir auch lieber gar nicht erst wissen. So geräuschlos wie möglich lassen wir uns von den Hockern herunter und gehen an diesen Typen vorbei, eine Armlänge abstand, sicher ist sicher. Das Hinterzimmer ist vom Schankraum durch einen schweren Vorhang aus Leder getrennt, den anzufassen uns einige Überwindung kostet, auch wenn wir uns das natürlich nicht anmerken lassen. Ein Blick zurück auf Bruno, der ein weiteres Pils zapft, das niemand bestellt hat. Ist schon merkwürdig hier.

Die Luft im Hinterzimmer ist noch schlechter als die vorn, so als ob hier Leute übernachtet hätten und das schon seit Monaten. Das Billard ist in einem erbärmlichen Zustand. Der Filz kommt wie eine vom Krieg zerstampfte Wiese daher, weggeätzt von Schnaps und anderen scharfen Säften, die hier so reichlich geflossen sind. Der Flipper in der Ecke ist nicht mal mehr angeschaltet. An die Wand vor uns geheftet, alte, entwertete Eintrittskarten zu HSV Spielen, für deren Besuch man sich noch nicht zu schämen brauchte, damals. Daneben Postkarten, ein paar Urlaubsgrüsse und noch mehr solche, die aus dem Knast geschickt wurden. „Hallo, Ihr alten Bagaluten. Schöne Grüße aus der alten Mutter Fu, auch von Paul und André...“ schreibt da ein Küken, 24 Monate wegen Verletzung seiner Bewährungsauflagen. Daneben ein Lombard (3 ½ Jahre für Raub, Nötigung und Unzucht): „Mir ist hier zu Ohren gekommen, dass Wanze seit Neuem immer daheim bei meiner Frau rum hängen soll...“ Und Jörn, Totschläger im Affekt: „Richtet der Sau doch einen schönen Gruß von mir aus. Man sieht sich immer zweimal.“ Hui, den muss man im Auge behalten. Hängt von dem noch was da, vielleicht weiter oben, wo die Lebenslänglichen einen Ehrenplatz halten? Der schlechte Geruch drängt sich wieder auf. Stammt der am Ende von diesem Wanze, von unter dem Billardtisch?
Wir gelangen an ein einsames Portrait, gerahmt. Ein Jungengesicht. ‚Andi, 3.8.1979.‘ steht da. Andi.., natürlich! Ist das schon so lange her? Was wohl aus Dir geworden wäre, auch so ein Kartengruß aus Foolsbüttel oder ein weiteres Tresen – Denkmal?
„Kennst’e den?“
„Den kennt hier jeder. Über den haben sie sogar ein Musical geschrieben.“ Das stimmt. Heinz Schubert hat da den Tabakhändler gegeben, dem der Andi mit seiner Truppe, alle hackebreit an jenem Abend, wie eine riesige Laus über die Leber läuft. Er greift zum Gewehr und PÄNG! ist der Andi tot, das heißt, vielleicht singt er auch erst noch ein Lied, keine Ahnung. Wer würde sich so etwas schon anschauen wollen? Aber Heinz Schubert war eine gute Wahl für die Besetzung des rächenden Volkszorns. Pech für Dich, Andi, dass Du es nicht mit einem Deutsch – Ungarischen Phrasenbuch versucht hast, wie John Cleese in diesem Sketch, der ihn unsterblich gemacht hat.
Weiter hinten beim Flipper beginnt die Fotoecke.
„Au weia...“ Ein Polaroid von einem zerschlagenen Gesicht, aber der Blick daraus ist purer Trotz. ‚Nach dem großen Kampf‘ hat jemand daneben gekritzelt.
„Wollt ihr Euern Kaffee hier trinken?“ Bruno steht da und sieht von uns zum verwaisten Billardtisch hinüber. Dann nickt er, was uns befremdet, denn wir haben gar nichts gefragt.
„Wir spielen noch... Wollten erst mal gucken.“ Fingerzeig auf das Foto. „War der hier der Verlierer des großen Kampfes?“
„Das ist Holger.“ erwidert Bruno, so als hätte er damit die Frage für uns hinreichend beantwortet, fügt dann aber hinzu. „Die Verlierer ham wir nich auf’m Bild. Sind zu schnell weg...“
Donnerlüttchen, die Verlierer. Das könnten gut Leute wie wir gewesen sein, wenn es hier ein paar mehr von uns gäbe.
„Die sind extra vom Kiez hoch gekommen,“ dreht Bruno noch weiter an dieser Schraube, „aber das ist ne lange Geschichte. Kann ich Euch drüben erzählen, wenn Ihr hier fertig seid..“
„Danke, wir kommen denn gleich...“
„Na, laßt Euch ruhig Zeit. Wollt Ihr vielleicht was zum Essen? Ich hab noch Buletten, ganz frisch und hausgemacht.“
„Mh.., mal sehen...“ dass wir das später noch ab bügeln. Hausgemacht, wem fällt da nicht sofort der Kannibale von Rotenburg ein?
„Ist gut. Ich stell Euch den Kaffee auf den Tresen.“ Er verschwindet wieder. Durchatmen.
„Komm!“ flüstert es. „Laß uns lieber hier abhauen.“
Nein, da sind noch die Fotos. Schnappschüsse von all den Feiern, die hier im Laufe der Jahre gegeben worden sind. Weihnachtsfeiern, Sylvesterpartys, Fasching (jeder der als Polizist kam, hatte freien Eintritt), ein paar fast nackte Osterhäschen, dazwischen wird auch irgendwann die Getränkesteuer eingeführt (durstige Kehlen mit heraus hängender Zunge auf dem Tresen) und dann von einem neuen Senat (großer Jubel) wieder abgeschafft. Da ist auch ein Ausflug des Sparclubs zum Fernsehturm dabei, wie sie da oben am Panorama Fenster stehen und Dulsberg zu erkennen meinen. Dazwischen zahlreiche Einzelportraits von Stammgästen, deren Lebern inzwischen wohl Medizinstudenten vorgeführt werden. Sogar eine Hochzeit hat hier mal statt gefunden. Ein Bild zeigt die Brautleute, er ein Pils in der Hand, sie ein Sektglas. Ein anderes zeigt einen Gast, könnte dieser Holger sein, der bei der Braut kniet und ihr Auge zu kühlen scheint. Geschichten...
„Wo ist es bloß...“ dieses besondere Bild, von dem Gurke erzählt hat, dass es immer noch hier hängt. Die wilde Horde, wie sie auf dicke Hose macht.., nein, das da sind alles echte Schläger. Komisch. Vielleicht weiß Bruno etwas?
Wir gehen wieder rüber.

„Na, war interessant?“
„Ja...“
Wir setzen uns zu unserem Kaffee, dessen Duft vor uns aufsteigt. Riecht gut, aber die Tresen Hocker scheinen jetzt aus ihrer Erstarrung zurück gekehrt zu sein, denn sie sehen uns mit gespannter Erwartung an. Ob da was mit dem Kaffee...mein eigener Opa hatte einen Ruf darin, Gästen ins Bier zu pinkeln, wenn die den Schankraum kurz verließen. Mag ich gar nicht dran denken...
„Milch und Zucker?“
„Gern, beides.“
Bruno stellt eine geöffnete Dose Bärenmarke und einen Zuckerstreuer zu den Tassen. Der Inhalt des Streuers sieht merkwürdig gelb aus, wie von einem Spülstein herunter gekratzt...ne, behalt jetzt bloß die Nerven.
„Willst Du...?“
„Ja, ja...“ Lasse es rieseln.., sehe auf. Da, hat nicht der eine dem anderen gerade unauffällig in die Rippen gepufft? Bruno gibt sich unschuldig. Er zapft schon wieder ein Pils....trinkt er die am Ende alle selber oder hält sich hier noch jemand auf...einer, den wir noch nicht sehen sollen, warum auch immer...lasse es weiter rieseln...dann Milch dazu...jetzt umrühren...doch, doch, die gucken...da ist was im Busch.
„Entschuldigung, aber da im Nebenraum, hing da nicht mal ein Foto, auf dem ein paar Halbstarke mit Lederjacken und Westen posieren? Es muss irgendwo im Freien aufgenommen worden sein, in der Nähe einer Autobahn auf dem Weg nach Holland.“
„Ach, das...“ Bruno nickt. „Da hat sich neulich schon jemand für interessiert. Ne, erinnert ihr Euch an den dicken Spinner mit dem Vollbart, der uns die ganzen Buletten weg gefressen hat?“
Wir erstarren. Ernst? Kann das sein?
„Aber sein Kaffee hat nich angerührt...,“ erinnert sich Pikos Nebenmann. Immerhin, der kann in ganzen Sätzen sprechen.
„Dafür hat Euch aber auch’n Bier ausgegeben.“ sagt Bruno. „Der wußte, wie man sich inner fremden Gegend benimmt.“
„Aber genützt hat es ihm doch nichts..“
„ScheißGestank !“ lallt Piko.
Diese Beklemmung, wenn einem der Atem stockt.Blick zur Tür hin...und wenn die jetzt zu ist -Gott, ich halte das nicht aus...
„Halt mal kurz die Stellung!“runter vom Hocker und langsam zur Tür hin -schwankt der Boden? ...zusammen reißen...zusammen reißen... und über die Schulter hinweg „bin gleich wieder da.“an den Griff ran -Gott, sie ist offen! Nichts wie raus! Luft, durchatmen, das Handy heraus.
Ein Blick in die Runde, dämmert langsam. Wir sollten nicht hier sein, wenn es dunkel wird. Hier passieren schlimme Dinge bei Nacht. Ernst‘ Nummer wählen, warten...Ich lande bei seinem Auftrag Dienst.
„Hallo, wissen Sie, wo ich Ernst erreichen kann. Es ist sehr dringend.“
„Tut mir leid“, tönt es. „Er hat sich seit Tagen nicht mehr gemeldet.“
Seit Tagen-Gott, und wenn es nun wahr ist..?
„Wollen Sie trotzdem eine Nachricht für ihn hinterlassen?“
Nein, will ich nicht. Aber was jetzt? Vielleicht weiß Meike, wo man Ernst erreichen kann, wenn er nicht erreicht werden will. Ich wähle sie an.
„Hallo Meike, oh, toll dass Du zu Hause bist...“
„Ich bin immer zu Hause, Du Idiot!“
„Weiß ich doch, aber Ernst sagt...“ immer gut, mit Ernst zu wuchern „dass wir jetzt endlich mal damit anfangen sollen, unsere Ängste in ihrem positiven Aspekt zu sehen, da fällt mir ein, weißt Du vielleicht, wo er sein könnte? Mir geht’s grad nicht so gut.“
Stille
„Ist das alles?“
„Wie, mir geht es Scheiße. Reicht das nicht?“
„Du rufst doch immer nur an, wenn’s Dir Scheiße geht. Fragst Du Dich auch mal, wie es mir damit geht?“
„Das kannst Du mir doch erzählen, wenn Du mich anrufst.“
„Wie denn, wenn Du nie mehr zu Hause bist und lieber bei diese Schnepfe da rum hängst.“
„Komm, laß Silja da raus. Das hat überhaupt nichts mit uns zu tun.“
„Nichts hat mit uns zu tun. Am wenigsten wir.“
Aufgelegt.
Gott oh Gott. „Keine Beziehungen innerhalb der Therapiegruppe!“ hat uns Ernst immer wieder gepredigt. Hört die überhaupt mal zu? Das muss ich jetzt aber endlich mal klären, wenn ich noch dazu komme...ob ich Silja schnell anrufe –wie lange wird sie wohl brauchen mit dem Wagen? Und in der Zwischenzeit?
„Ey, haste mal ne Kippe?“
Wo kommen die beiden Türken her? Stehen plötzlich da, aus dem Nichts aufgetaucht. Alte Dulsberger Schule, über Generationen verfeinert. Mein Handy kann ich wohl abschreiben, mindestens.Noch haben sie keine Messer gezogen, Gott, und ich hab nicht mal Zigaretten dabei, seit 6 Wochen schon nicht mehr. „Weiter so!“ hat Ernst gesagt -waren die letzten Worte, die er zu mir gesagt hat.“Weiter so!“ Davon krieg ich jetzt wieder große Lust zu Rauchen. Die Jungs sehen mich an, haben irgendwas verstörtes an sich -ist nicht leicht, hier aufzuwachsen, aber wem sag ich das...
„Ich hab meine Kippen in der Kneipe. Mußte mal dringend telefonieren. Habt ihr vielleicht eine Kippe?“
Die beiden sehen sich an. Der Größere greift in seine Jackentasche.Was wird das jetzt, Messer ? Schlagstock ? Pistole ? Nein, eine Schachtel Marlboro. Er öffnet sie und reicht mir eine.
„Danke, die kann ich jetzt gut gebrauchen.“
So schnell, wie die beiden aufgetaucht sind, verschwinden sie auch wieder in ihre Schatten. Mir bleibt nicht mal Zeit, sie um Feuer zu bitten. Und nun? Ollie!
Oh, Gott, er sitzt da ganz allein mit seinem Über – Ich. Ich muß ihn da raus holen - oder vielleicht gleich die Polizei rufen..? Reiß Dich jetzt zusammen, Alter, Du willst Dich doch nicht auf die Bullen verlassen, nach Brokdorf und Gorleben und MACE my Day, nee, lieber geh ich hier heute drauf. Ich stecke das Handy weg und kehre in den Laden zurück. Die Musikbox spielt Kriminaltango. Schön, das hätte ich jetzt auch gedrückt.
Wo ist Ollie?
Sein Platz ist verwaist. Seine Kaffeetasse ist leer, bis auf den Rest Zucker, der sich auf ihrem Boden abgesetzt hat- und wohin hat Ollie sich abgesetzt? Der Hocker fühlt sich noch warm an. Die beiden Tresen – Figuren starren wieder vor sich hin, als sei nichts geschehen. Bruno wischt ein paar Gläser aus. Er wirft mir einen beiläufigen Blick zu, als ich mich wieder gesetzt habe.
„..n’Abend.“
„Dito...“ gleich wird er mich noch fragen, was es sein darf, also dann nehme ich ein Pils. Mein Kaffee dürfte längst kalt geworden sein - und Ollie, wo der nur bleibt; vielleicht mal Bruno danach fragen, mh, diese Zigarette riecht gut, lasse sie langsam unter meiner Nase hin und her gleiten, betörend...
„..geeeht nie vorbeiiiiii.“ klingen die letzten Takte herüber.
Stille.
Die Box legt eine neue Single ein - sind das überhaupt noch Platten, klingt jedenfalls so. Vielleicht hat man das Geräusch mit eingebaut, eingesperrt. Hauptsache, Single. Hamburg ist ja die Hauptstadt der Singles, mal sehen, was da jetzt kommt...
„Und sie tanzen einen Tango. Jackie Brown und Baby Miller...“
Da, geht schon wieder los, Psychoterror, soll mir recht sein.´Piko dreht sich zu mir hin.
„Kannstenichmalwasanderesdrücken,eh?“
Was soll das denn jetzt? Wollen die mir weiß machen, dass ich? Ach, einfach ignorieren, das Gerede. Ollie wird gleich kommen und dann hauen wir hier ab.
„HeIchredmitDir!“
Wenn der jetzt Anstalten macht, aufzustehen, kriegt er meinen Kaffee in die Fresse, wer weiß, vielleicht läßt ihn dieses Zaubergetränk unter gräßlichen Qualen zusammen schrumpfen, das gibt es, hab ich selbst mal gesehen -Ollie, verdammt, so lange kann ein einzelner Mensch doch nicht pissen...
„Brauchst Du Feuer?“ Bruno legt mir eine Schachte Hölzer auf den Tresen.
„...Danke!“ kriege ich das Wort noch zusammen, greife nach der Schachtel, öffne sie. Scheiße, die fallen ja alle raus...da, das hab ich - FLASH - will ich wirklich? Ja, verdammt, ja! Saaaaug.
„Der raucht, als wenn’s morgen verboten wird.“
Was wissen die denn? Ihr habt doch längst aufgehört was zu merken!
„Entschudligen Sie bitte...“ sammle ich mich nach dem ersten Kick. „Was hat’n mein Kumpel gesagt, wo er hin ist?“
Bruno sieht mich an, als sei ich noch geistesgestörter als die beiden Spinner da drüben, deren Flaschen seit Stunden leer vor ihnen auf dem Tresen stehen, Stunden? Es können auch Jahre sein. Nee, Bruno, so brauchst Du mir jetzt nicht zu kommen.
„Ah, versteh schon. Ihr Blick soll wohl andeuten, dass da niemand vorhin mit mir rein gekommen ist? Tsss, als wenn ich mich allein in eine solche Spelunke hinein wagen würde, wo die Gäste unter Denkmalschutz gestellt gehören... und diese zwei Tassen hier, die zweite geht immer noch auf’s Haus, wie eh und je, ja? Und was ist mit meinen Buletten, frisch und hausgemacht? Ich hab doch vorhin 5 Stück davon bestellt, mit viel Ketchup und ohne Senf und draußen wird es schon dunkel, Abendbrot Zeit und ich hab Hunger, also was ist jetzt..?“ Und dann stürze ich den Inhalt meiner Kaffeetasse hinunter, Scheiß doch der Hund drauf, ob der Zucker wirklich mit Haldol versetzt gewesen ist. Ernst hatte recht. Wenn Du da draußen verloren zu gehen drohst, kannst Du dabei immer noch Dich selber finden!

Ich sehe auf. Piko und Klaus – Peter sehen betreten zu Boden. Bruno schüttelt den gesenkten Kopf und wischt an seinem Auge. Und dann greift er in die Innentasche seiner Weste und zieht etwas daraus hervor, etwas, dass er vor mir auf den Tresen legt.
„Ist doch schon gut, mein Junge. Hier ist Dein Foto.“
Ich nehme es auf, nehme noch einen langen, tiefen Zug aus der Zigarette, einen letzten und während der Rauch durch meine Lungen wabert, betrachte ich das Foto. Ja, dass sind wir, die ganze, alte Truppe... unsere Wilde Horde!
Ich wusste es. Das verschwimmt nie. Das bleibt für immer.
Ich drücke die Kippe aus und erhebe mich vom Hocker, ganz ruhig, lege den Blauen wie nebenbei auf den Tresen und gehe dann lächelnd zur Tür.
„He, Ollie...“
Ich drehe mich zu Bruno um.
„Das nächste mal gibst Du den Beiden aber mal ein Bier dafür aus.“
„Das fände ich aber auch angebracht.“ beschwert sich Piko.

Sicher, Bruno, das geht schon klar. Immer ein Schritt vor dem anderen

 

Hallo Weinberg


Wirklich schade, dass sich zu deiner Geschichte noch niemand gemeldet hat.
Ich kann nur sagen: gelesen und für ziemlich gut befunden :thumbsup:

Eine packende und eindringliche Millieu-Studie hast du da mMn abgeliefert. Gleichzeitig fängst du sehr gut die aufkeimenden Ängste im Kopf deines Protagonisten ein, und fesseltst den Leser immer stärker an den Text. Man ertappt sich dabei, wie man immer abstrusere Mutmaßungen über den Werdegang der Wilden Horde aufstellt. :)

Bis zum (Ende des vorletzten und ) letzten Abschnitt, wo die Handlung plötzlich eine absolute Kehrtwende macht, und zumindest mein Maß an Logik übersteigt.
Ich muss sagen: ich habs nicht wirklich gerafft :confused:
Ist Ollie auf irgendeinem Vergangenheitsaufarbeitungstripp? Oder psychisch instabil (schizophren)? War das alles nur ein großes Schauspiel?

Um Aufklärung bittet ein verwirrter Leser.


mfg Hagen

 

Hallo Hagen!

Ein über das Ende verwirrter Leser?
Also, mich hat das Ende auch verwirrt...
Meinen PC scheinbar auch. Er hat diese Zeilenformatierung des von
Dir benannten Abschnittes ohne Eingabe dazu geändert, so dass es
beim Ausdruck ebenso merkwürdig daher kommt, wie die Wandlung
des Protagonisten, der sich scheinbar selbst dupliziert hat, bevor
er in das Lokal gekommen ist, was dort ebenso scheinbar schon
bekannt ist und weil er halt ein alter Bekannter ist und alte Bekannte
dort einen hohen Stellenwert besitzen, wie sich an den Wänden des
Hinterzimmers zeigt, läßt man ihn gewähren und spielt sein Spielchen
mit.
Der Historische Background einzelner, erwähnter Personen ist authentisch.
Auch das Foto existiert. Es wird demnächst auf meiner noch zu schaffenden
Homepage zu sehen sein.

Grüße aus dem Norden (jenseits von Dulsberg)
Weinberg

 

Hallo Blackwood!
Danke für Deine Anmerkungen. Hast Du eine Idee, wie man ZUSAMMENZUCK anders
als beschreibend (wir zucken zusammen) verwenden könnte? Es geschieht so abrupt,
dass mir ein '..wir zucken zusammen! ' einfach zu lang erscheint.
Das gegen Ende die Punkte zwischen den Gedanken zunehmen, sollte eigentlich die
nervliche Anspannung des Protagonisten optisch heraus stellen. Wenn das nervt,
dann lieber auf Punkte verzichten und Lücken lassen, mh?
Grüße von 'Weinberg' (in Memoriam meiner geliebten Großmutter, die mit diesem Namen zur Welt kam, daher..)

 

Hi Blackwoooooood (schallt es tief genug hinein?) !

Danke, dass von Dir verbesserte Beispiel finde ich in der Art einfach...mh..toll
(Wir beide ergäben einen recht fähigen Autor, glaube ich)
Genau so sollte es zu lesen sein.
Noch mal, Danke!
Weinberg

 

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