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Ein Regenbogen für Tina und Benjamin

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14.09.2001
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Ein Regenbogen für Tina und Benjamin

"Mama, da draußen ist ein Regenbogen!", jubelte die kleine Tina, während sie zu ihrer Mutter gelaufen kam. Ihr Bruder Benjamin rannte hinterher.
"Das ist ja toll", antwortete die Mutter. Sie backte gerade Plätzchen. Der Vater kam in die Küche und fragte: "Wollen wir den Regenbogen einfangen?"
"Ach, mein Lieber", sagte die Mutter, "das ist doch eine verrückte Idee. Das geht nicht."
Tina und Benjamin aber klatschten in die Hände. Sie fanden, dass es eine sehr gute Idee war. Der Vater nahm eine Dose Puderzucker. "Damit können wir den Regenbogen fangen", sagte er. "Kinder, holt drei kleine Spiegel. Die brauchen wir auch."
Tina und Benjamin holten drei Handspiegel. Danach gingen sie mit ihrem Vater auf die Wiese vor dem Haus. Weit hinten, über dem Wald, stand der Regenbogen. Er war hell und hatte prächtige Farben. Der Vater sagte: "Der Regenbogen rennt vor uns weg, wenn wir ihn ansehen. Wir müssen rückwärts zu ihm gehen und dürfen ihn nur in unseren Spiegeln sehen."
Sie stellten sich nebeneinander in eine Reihe und gingen langsam rückwärts zum Regenbogen. Sie hielten ihre Spiegel so, dass sie den Regenbogen darin sehen konnten. Der Regenbogen rannte nicht weg. Er blieb über dem Wald stehen. Vorsichtig setzte Tina abwechselnd einen Fuß hinter den anderen. Es war nicht einfach, rückwärts zu gehen, während man in einen Spiegel sah. Auch Benjamin strengte sich an. So liefen sie durch die Wiese, während Bienen und Schmetterlinge über den Blumen kreisten. Schließlich erreichten sie den Wald und gingen hinein.
"Wir müssen nun nicht mehr rückwärts laufen", sagte der Vater. "Der Regenbogen kann uns nicht mehr sehen, er hat seine Augen ganz oben. Er sieht uns nicht mehr, weil wir unter den Bäumen sind."
Der Vater nahm alle drei Spiegel in seine große Hand. Dann gingen sie weiter. Bald schon sahen sie ein Bein des Regenbogens zwischen den Bäumen stehen. Es leuchtete in allen Farben. "Wir müssen ganz leise sein", sagte der Vater. Er gab jedem seiner Kinder etwas Puderzucker in die Hand. "Ihr müsst das auf den Regenbogen streuen", erklärte er. "Dann kann man ihn anfassen."
Tina und Benjamin schlichen sich leise von zwei verschiedenen Seiten an. Sie versteckten sich manchmal kurz hinter Baumstämmen, weil sie Angst hatten, der Regenbogen könnte sie doch noch sehen. Tina wollte den Regenbogen unbedingt fangen. Sie war eine Jägerin. Sie umklammerte den Puderzucker fest, weil sie kein Körnchen verlieren wollte. Dann kam sie hinter einem Baumstamm hervor und warf den Puderzucker auf das Bein des Regenbogens. Er jaulte auf. Der Vater rief ihnen zu: "Ihr müsst ihn festhalten!"
Tina packte zu. Dann kam auch Benjamin hinter einem Baum hervor gesprungen und hielt den Regenbogen fest. Fast wäre der Regenbogen entkommen, doch dann kam der Vater dazu und griff ihn ebenfalls. Nach ein paar Minuten wurde der Regenbogen schwächer. Der Vater kniete sich auf ihn und nahm einen dornigen Ast vom Waldboden. Er wickelte den Regenbogen straff um den Ast. Der Regenbogen schrie. Benjamin hüpfte und klatschte in die Hände. "Wir haben ihn gefangen!", freute er sich. Der Vater lachte und wedelte mit dem Ast. Ein kleines Stück vom Regenbogen war nicht aufgewickelt und flatterte lustig wie eine Fahne. Während sie über die Wiese zurück gingen, heulte der Regenbogen. "Wollen wir ihn töten?", fragte Tina. Sie hatte einen großen Stein in der Hand. Der Vater sagte: "Ja, warum nicht? Schlag fest mit dem Stein drauf."
Während ihr Vater den Ast auf dem Boden festhielt, hieb Tina mit dem Stein auf den Regenbogen. Bei jedem Schlag quiekte er wie ein Ferkel. Doch Tina hatte nicht genug Kraft.
"Lass mich das machen!", rief Benjamin. Er nahm den Stein in beide Hände und schmetterte ihn auf den aufgewickelten Regenbogen. Als der Stein den Regenbogen traf, spritzte etwas Wasser in ihre Gesichter. Alle lachten. Doch der Regenbogen wimmerte noch. Da nahm der Vater den Stein in seine behaarte Hand und schlug damit so fest zu, dass der Ast zerbrach. Wieder spritzte Wasser. Nun machte der Regenbogen kein Geräusch mehr. Sie gingen im Sonnenschein zurück zum Haus, von wo der Geruch frisch gebackener Plätzchen kam. Die Mutter begrüßte sie: "Oh, da seid ihr ja endlich. Und ihr habt wirklich den Regenbogen!"
"Ich habe ihn zuerst gefangen!", rief Tina. "Kriege ich dafür ein Plätzchen?"
"Aber natürlich", sagte die Mutter und gab Tina ein Plätzchen. "Aber die anderen kriegen auch eines."
So aßen sie fröhlich die Plätzchen und erzählten dabei von ihrem Abenteuer.
"Aber was machen wir jetzt mit dem Regenbogen?", fragte Benjamin.
"Ich könnte einen Schal daraus machen", schlug die Mutter vor.
"Ich könnte ein Sprungseil daraus drehen", schlug Tina vor.
"Wir könnten ihn in die Mikrowelle tun", schlug Benjamin vor.
So beratschlagten sie, doch sie kamen zu keiner Entscheidung. Irgendwann wurden sie müde und legten sich schlafen.
Der nächste Tag brachte neue Abenteuer, und so vergaßen sie den Regenbogen.
Einige Tage später fand Tina ihn in einer Schublade. Er war grau geworden. "Papa, Papa, der Regenbogen hat keine Farbe mehr", sagte sie aufgeregt.
"Ach, der Regenbogen. Ich kümmere mich darum", sagte der Vater.
Später, als Tina und Benjamin draußen spielten, nahm der Vater den Regenbogen und warf ihn in die Mülltonne.

 

Halle Leif,

Die Geschichte ist ziemlich originell
.

Einige Tage später fand Tina ihn in einer Schublade. Er war grau geworden.
Der arme Regenbogen!

Interessante Prämisse, das wir für etwas Spaß unsere Umwelt zerstören.

LG,
alexei

 
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Hola Leif,
na, das ist ja eine Pleite: Ein Moderator (seit 2001!!!) schreibt so einen Kinderquatsch!

Als ich zu Ende gelesen hatte, war mir richtig schlecht.
Menschenskind – der Blick in den Spiegel! Auf diese Weise x-fach intensiver als dramatische Worte, durch Gewöhnung meist beim Lesen schon vergessen.

Geschickt gebündelt, toll gemacht, Kompliment! Auch für Kleinigkeiten:

Vorsichtig setzte Tina abwechselnd einen Fuß hinter den anderen.
Hat mir sehr gefallen. Großartig!

José

PS: Die Bio-Tonne gab mir den totalen Rest, Bestätigung dessen, was ich immer schon befürchtet hatte: Wir sind alle bekloppt und werden weiterhin alles ordentlich sortiert in die Tonnen stopfen, um neu kaufen zu können. (Allerdings muss ich sagen, die neuen Regenbogen bei amazon sind noch schöner als die herkömmlichen:D).
Nur bei der Wahl der tags kann ich Dir nicht folgen, denn dieses Thema betrifft doch Erwachsene und nicht die Kinder?

 
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Während sie über die Wiese zurück gingen, heulte der Regenbogen. "Wollen wir ihn töten?", fragte Tina. Sie hatte einen großen Stein in der Hand. Der Vater sagte: "Ja, warum nicht? Schlag fest mit dem Stein drauf."
Während ihr Vater den Ast auf dem Boden festhielt, hieb Tina mit dem Stein auf den Regenbogen. Bei jedem Schlag quiekte er wie ein Ferkel.

:eek:

Zuallererst hab ich mich gestern Abend einfach gefreut, dass hier wieder einmal eine Kindergeschichte auftaucht, die sich so gnadenlos dem betulichen „Süße-kleine-sprechende-Tierchen-erleben-Abenteuer-Schema“ widersetzt. Fragte mich allerdings auch bald, ob - und wenn ja - was für eine Intention eventuell hinter deinem Text steckt, ob - und wenn ja - was Kinderchen da herauslesen sollen. Auch wenn ich die häufig so penetrant moralisierenden Botschaften in Kindergeschichten überhaupt nicht mag, halte ich es nicht grundsätzlich für falsch, wenn Kinder aus Lektüre so etwas wie einen Erkenntnisgewinn ziehen können. Was also, hab ich mich gefragt, will deine Geschichte?

Will sie Kinder zu so etwas wie Ehrfurcht vor den Wundern der Welt anstiften?
Sollen die Kinder Empathie für eine Lichterscheinung, ein unbelebtes, quasi immaterielles Ding empfinden? (Wobei man natürlich, weil man die Photonen ja auch als Teilchen begreifen kann, auch einen Regenbogen im weitesten Sinn als Materie bezeichnen kann. :D)
Sollen sie den Regenbogen als Symbol begreifen für all das, was der Mensch mit seinem so unbedacht egozentrischen Verhalten kaputtmacht?
(Bzw., wie klein muss ein Kind sein, dass es dem Vorleser nicht die Unmöglichkeit des Geschehens um die Ohren haut? („Du spinnst ja, Onkel Leif, einen Regenbogen kann man doch nicht angreifen!“)
So viele Fragen.
Wie auch immer, Leif, für mich war’s gestern Abend vorwiegend ein echter Lesespaß.


Na ja, und heute Morgen höre ich in den Nachrichten, dass vorgestern Gilbert Baker gestorben ist, jener amerikanische Künstler, der 1978 die Regenbogenfahne kreiert hat, im weitesten Sinn als Symbol für mehr Toleranz allem und jedem gegenüber. Und dieses zeitliche Zusammentreffen halte ich für keinen Zufall.
Hab dann ein bisschen im www nachgelesen, was es so alles auf sich hat mit dem Regenbogen und seiner Rolle in diversen Religionen und Mythologien und Kulturen (von den Inkas und Aborigines über die alten Griechen und Germanen bis zu den Babyloniern usw.), und wie und warum er so vielfältigen Eingang in die Symbolik gefunden hat. (Friedensbewegung, Grün-Alternative, Neue Linke, Greenpeace, usw. - sie alle führen ja den Regenbogen in ihren Logos.)

Und jetzt sehe ich den Text ein bisschen anders. Ich lese ihn jetzt weniger als Kindergeschichte, sondern einfach als ein ganz persönliches gesellschaftskritisches Statement von dir. Als eine Art resignative Zustandsbeschreibung unserer Welt, bzw. der Rolle, die der dumme, rücksichtslose Mensch in ihr spielt. Der das Wunder der Welt für kurzfristigen und obendrein äußerst fragwürdigen Lustgewinn zerstört, anstatt sich offenen Auges und wachen Geistes daran zu erfreuen. Und weil gerade in letzter Zeit viele Standards, die wir in unserer eigenen Lebenszeit als allgemeingültig und entsprechend dauerhaft wahrgenommen und schätzen gelernt haben, sich in rasantem Tempo und weltweit zu verabschieden beginnen, war es wohl der Tod jener Symbolfigur, die dich zu deinem Text angestoßen hat. Nehm ich jetzt einfach mal an.
Aber vielleicht ist es wirklich nur Zufall.


Ob das jetzt eine Kindergeschichte*) ist oder nicht, Leif, ein toller, nachdenklich machender Text ist es auf jeden Fall.

offshore

*)Wobei ich mit meinem „Ernst Stoppelbart“-Märchen (7 Milliarden Tote, keine Verletzten) ja auch nicht unbedingt was Kindgerechtes für die Wk-Kinderrubrik geschrieben habe. :D

 
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Hallo Leif

Dann kam sie hinter einem Baumstamm hervor und warf den Puderzucker auf das Bein des Regenbogens. Er jaulte auf.

An dieser Stelle findet der Übergang von Kindergeschichte zu Gesellschaftskritik statt, dachte ich mir nach der ersten Lektüre und habe mir dann die Frage gestellt, was der Text eigentlich ist und ob der Tag „Kinder“ zurecht gesetzt ist.

Mittlerweile finde ich den nicht nur zurecht gesetzt, sondern würde das sogar als zusätzliches Stilmittel bezeichnen. Aus meiner Sicht ist es weniger relevant, ob der Text für Kinder geeignet ist, sondern es ist wichtig, dass der Erwachsene zunächst denkt, er lese gerade eine Kindergeschichte, was den Effekt, den du mit dem Text erzielst, potenziert. Das finde ich sehr raffiniert gemacht.

"Wollen wir ihn töten?", fragte Tina.

Für mich der Kulminationspunkt des Textes. Die kindlich-naive Grausamkeit, ja nicht einmal Grausamkeit, sondern eher Selbstverständlichkeit, mit der wir Wesen, die nicht unserer Spezies angehören, das Leben nehmen, finde ich hier wunderbar auf den Punkt gebracht.

Überhaupt halte ich es für eine grosse Stärke des Textes, den kindlich-lakonischen Ton konsequent beizubehalten, das Leiden des Regenbogens z.B. nur zu benennen, nicht auszuschmücken. Erst dadurch kann sich die Abgründigkeit des Textes so richtig entfalten. Sehr gut gemacht!

Leider gibt es eine Ausnahme:

Später, als Tina und Benjamin draußen spielten, nahm der Vater den Regenbogen und warf ihn in die Biotonne.

Beim letzten Abschnitt angelangt dachte ich mir, sehr gut, Leif verzichtet vollständig auf eine Ausdeutung der Geschichte. Keine Begriffe wie „Umwelt“ etc. Und dann das letzte Wort. Das passt überhaupt nicht zum Duktus des Textes. Ich hab mich über diesen Fingerzeig richtiggehend geärgert.
Es ist ja auch so, dass dieser Begriff den Interpretationsspielraum verengt. Ich finde, die Biotonne schadet dem Text massiv, aber vielleicht geht es nur mir so.

"Ach, mein Lieber", sagte die Mutter, "das ist aber ein verrückte Idee. Das geht nicht."
Tina und Benjamin aber klatschten in die Hände.

eine. Und das erste „aber“ liesse sich streichen.

Hab ich sehr gerne gelesen, Leif. Für mich ein exemplarischer Text, der zeigt, dass man auch mit kurzen Geschichten in einfacher Sprache sehr viel erreichen kann.

Lieber Gruss
Peeperkorn

 
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"VND Gott sprach / Das ist das Zeichen des Bunds / den ich gemacht habe zwischen mir vnd euch / vnd allem lebendigen Thier bey euch hin furt ewiglich. Meinen Bogen hab ich gesetzt in die wolcken / der sol das Zeichen sein des Bunds / zwischen Mir vnd der Erden. Vnd wenn es kompt / das ich wolcken vber die Erden füre / So sol man meinen Bogen sehen / in den wolcken / Als denn wil ich gedencken an meinen Bund / zwischen Mir vnd euch /vnd allem lebendigen Thier / in allerley Fleisch / Das nicht mehr hin furt eine Sindflut kome / die alles Fleisch verderbe. Darumb sol mein Bogen in den wolcken sein / das ich jn ansehe / vnd gedencke an den ewigen Bund zwischen Gott vnd allem lebendigen Thier in allem Fleisch / das auff Erden ist.Daselb saget Gott auch zu Noah / Dis sey das Zeichen des Bunds / den ich auffgerichtet habe zwischen Mir vnd allem Fleisch auff Erden." Lutherbibel von 1545, Genesis 9, 12 - 18 (vollständig unter zeno.org eingestellt)

"Es war nicht einfach, rückwärts zu gehen, während man in einen Spiegel sah."

Hallo Leif,

grüß dich ernst offshore,

der Regenbogen lieferte in den 1970-er Jahren die Farben der "Bunten", wenn man so will, Vorläufern der Grünen, die sich rückwärtsgewandt

Vorsichtig setzte Tina abwechselnd einen Fuß hinter den anderen
wo man einen Fuß vor dem anderen erwartet, um in die Zukunft zu schreiten. Kapitalismus in grüner Verpackung hat ja auch was. Will ja nicht im anarchischen Haufen der Bunten enden.

Wie das Mündel Vormund werden will und das Kind auf alle Fälle Erwachsen schrumpft die Aussicht auf Zukunft in dem Maße, wie im eigenen Rücken die Vergangenheit wächst. Das Mündel/Kind will Vormund/Älter(n) werden, um zu bemündeln.

Dass, wenn schon nicht der Schöpfer, so doch der Erzeuger und soziale Vater buchstäblich in die Steinzeit zurückfällt - nun ja. Es soll ja auch eine "nachhaltige" erfolgreiche Jagd werden.

Kündigen wir das Bündnis des zwoten Adam mit seinem Schöpfer auf und ersäufen uns in der Konsumidiotie und der Freiheit, unter 250 Joghurts wählen zu können, indem wir uns vollmüllen, was ja schon bis in die Sprache reicht. Ich werd die leicht verständliche Bibel ("gerechtere" Sprache, was soll das sein?) nicht mal mit der Kneifzange anfassen.

Wir haben schon unsern Schatten verkauft ...

Gruß & schönes Wochenende vom

Friedel

Nachtrag: Den ollen Luther zu lesen müsste eigentlich jedem Feind der Kommasetzung gefallen. Der kennt noch gar keines! Zudem klingt manches Starckdeutsch - ein Projekt der 1980-er Jahre

 

Hi Leute,

da gibt es anscheinend einiges zu besprechen, danke schonmal! Ich werde mich heute Abend dazu melden. Eines aber vorweg, das mich gerade echt baff macht:

Ich finde, die Biotonne schadet dem Text massiv, aber vielleicht geht es nur mir so.

Denn genau das habe ich mir auch die ganze Zeit gedacht und noch vor der Veröffentlichung sehr mit mir gerungen! Dann wiederum fand ich "Mülltonne" etwas zu unspezifisch. "Biotonne" kommt aber schon fast komisch rüber, aber das soll es auf keinen Fall. Ich ändere es also gerade mal auf "Mülltonne", weil eigentlich der Vorgang des gedankenlosen Wegwerfens so wichtig ist, nicht die korrekte Einsortierung. Und ja, "Biotonne" passt nicht zum Duktus! Ich kann es kaum fassen, dass hier jemand bei so einem Detail so denkt wie ich. :D

 

Peeperkorn:

Hallo Leif
An dieser Stelle findet der Übergang von Kindergeschichte zu Gesellschaftskritik statt, dachte ich mir nach der ersten Lektüre
Genau so ist es gedacht. Der Leser rechnet nicht mit dem Schmerz.

und habe mir dann die Frage gestellt, was der Text eigentlich ist und ob der Tag „Kinder“ zurecht gesetzt ist.
Mittlerweile finde ich den nicht nur zurecht gesetzt, sondern würde das sogar als zusätzliches Stilmittel bezeichnen. Aus meiner Sicht ist es weniger relevant, ob der Text für Kinder geeignet ist, sondern es ist wichtig, dass der Erwachsene zunächst denkt, er lese gerade eine Kindergeschichte, was den Effekt, den du mit dem Text erzielst, potenziert. Das finde ich sehr raffiniert gemacht.
Ja, ich muss gestehen, dass dies so beabsichtigt ist. Auch wenn man darüber streiten kann, ob der Text nun besonders geeignet für Kinder ist: Das muss er ja nicht. Es gibt hier bessere und schlechtere Texte, aber inhaltlich größtenteils und sprachlich völlig kann man ihn in diesem Genre verorten. Das zusätzliche Tag "Gesellschaft" wird einem vielleicht später klar.

Für mich der Kulminationspunkt des Textes. Die kindlich-naive Grausamkeit, ja nicht einmal Grausamkeit, sondern eher Selbstverständlichkeit, mit der wir Wesen, die nicht unserer Spezies angehören, das Leben nehmen, finde ich hier wunderbar auf den Punkt gebracht.
Danke. Ich würde es eher als Wendepunkt bezeichnen, aber eine der Schlüsselstellen der Geschichte ist das auf jeden Fall. Die Aussage, die du darin erkennst, wollte ich auch so vermitteln.

Überhaupt halte ich es für eine grosse Stärke des Textes, den kindlich-lakonischen Ton konsequent beizubehalten, das Leiden des Regenbogens z.B. nur zu benennen, nicht auszuschmücken. Erst dadurch kann sich die Abgründigkeit des Textes so richtig entfalten. Sehr gut gemacht!
Danke! Ich war am Ende sogar selbst von dem Text schockiert, war aber nicht sicher, ob andere das ebenso empfinden.

Beim letzten Abschnitt angelangt dachte ich mir, sehr gut, Leif verzichtet vollständig auf eine Ausdeutung der Geschichte. Keine Begriffe wie „Umwelt“ etc. Und dann das letzte Wort. Das passt überhaupt nicht zum Duktus des Textes. Ich hab mich über diesen Fingerzeig richtiggehend geärgert.
Es ist ja auch so, dass dieser Begriff den Interpretationsspielraum verengt. Ich finde, die Biotonne schadet dem Text massiv, aber vielleicht geht es nur mir so.
Wie ich bereits schrieb, war dieses Wort auch für mich störend, habe es bereits geändert. Ich hatte übrigens auch gedacht, dass es vielleicht nur mir so ginge.

Hab ich sehr gerne gelesen, Leif. Für mich ein exemplarischer Text, der zeigt, dass man auch mit kurzen Geschichten in einfacher Sprache sehr viel erreichen kann.
An dieser Stelle nochmal abschließend ein Danke von mir. Natürlich erfreut es, wenn die Geschichten gern gelesen werden.


ernst offshore:

:D

Was also, hab ich mich gefragt, will deine Geschichte?

Will sie Kinder zu so etwas wie Ehrfurcht vor den Wundern der Welt anstiften?
Sollen die Kinder Empathie für eine Lichterscheinung, ein unbelebtes, quasi immaterielles Ding empfinden? (Wobei man natürlich, weil man die Photonen ja auch als Teilchen begreifen kann, auch einen Regenbogen im weitesten Sinn als Materie bezeichnen kann. :D)
Sollen sie den Regenbogen als Symbol begreifen für all das, was der Mensch mit seinem so unbedacht egozentrischen Verhalten kaputtmacht?
(Bzw., wie klein muss ein Kind sein, dass es dem Vorleser nicht die Unmöglichkeit des Geschehens um die Ohren haut? („Du spinnst ja, Onkel Leif, einen Regenbogen kann man doch nicht angreifen!“)
So viele Fragen.
Wie auch immer, Leif, für mich war’s gestern Abend vorwiegend ein echter Lesespaß.

Was kann man mit einer Geschichte schon erreichen? Ich habe keine Macht darüber, wer sie liest und will sie niemandem aufzwingen. Ob Kinder diese Geschichte hören, entscheidet ein Elter. Und dieser wird dies mit einer bestimmten Intention tun, denn über die Geschichte muss man reden. Ich habe die Verfilmung von "Die Brücke nach Terabithia" gesehen und war am Boden zerstört und tieftraurig. Das ist ein Beispiel für eine Geschichte, die erst durch die Gedanken zu ihr wertvoll wird. Eine unmittelbare Intention konnte ich dem Film nicht entnehmen, denn er zeigt nur, bewertet aber nicht.
Allerdings spreche ich mit der Geschichte bewusst einige Punkte an, über die man sich eben Gedanken machen sollte. Das von dir erwähnte unbedacht egozentrische Verhalten ist einer davon. Wenn man es ganz grob sagen will, soll meine Geschichte zum Nachdenken über uns Menschen anregen.

Na ja, und heute Morgen höre ich in den Nachrichten, dass vorgestern Gilbert Baker gestorben ist, jener amerikanische Künstler, der 1978 die Regenbogenfahne kreiert hat, im weitesten Sinn als Symbol für mehr Toleranz allem und jedem gegenüber. Und dieses zeitliche Zusammentreffen halte ich für keinen Zufall.
Hab dann ein bisschen im www nachgelesen, was es so alles auf sich hat mit dem Regenbogen und seiner Rolle in diversen Religionen und Mythologien und Kulturen (von den Inkas und Aborigines über die alten Griechen und Germanen bis zu den Babyloniern usw.), und wie und warum er so vielfältigen Eingang in die Symbolik gefunden hat. (Friedensbewegung, Grün-Alternative, Neue Linke, Greenpeace, usw. - sie alle führen ja den Regenbogen in ihren Logos.)

Und jetzt sehe ich den Text ein bisschen anders. Ich lese ihn jetzt weniger als Kindergeschichte, sondern einfach als ein ganz persönliches gesellschaftskritisches Statement von dir. Als eine Art resignative Zustandsbeschreibung unserer Welt, bzw. der Rolle, die der dumme, rücksichtslose Mensch in ihr spielt. Der das Wunder der Welt für kurzfristigen und obendrein äußerst fragwürdigen Lustgewinn zerstört, anstatt sich offenen Auges und wachen Geistes daran zu erfreuen. Und weil gerade in letzter Zeit viele Standards, die wir in unserer eigenen Lebenszeit als allgemeingültig und entsprechend dauerhaft wahrgenommen und schätzen gelernt haben, sich in rasantem Tempo und weltweit zu verabschieden beginnen, war es wohl der Tod jener Symbolfigur, die dich zu deinem Text angestoßen hat. Nehm ich jetzt einfach mal an.
Aber vielleicht ist es wirklich nur Zufall.

Ich würde gerne sagen, dass es kein Zufall war, aber es war einer. Also sage ich auch nicht, dass es keiner gewesen wäre. Allerdings teile ich deine Meinung, dass die Geschichte sehr gut als Antwort auf diesen Todesfall und die allgemeine Entwicklung der Gesellschaft passt.

Ob das jetzt eine Kindergeschichte*) ist oder nicht, Leif, ein toller, nachdenklich machender Text ist es auf jeden Fall.
An dieser Stelle bleibt mir nur noch der Dank. Ich danke auch für deinen interessanten Beitrag. :)

*)Wobei ich mit meinem „Ernst Stoppelbart“-Märchen (7 Milliarden Tote, keine Verletzten) ja auch nicht unbedingt was Kindgerechtes für die Wk-Kinderrubrik geschrieben habe. :D
:eek:

Friedrichard:
Auch dir vielen Dank für diesen Beitrag, der sicher auch Mühe gekostet hat. Wie so oft ist er interessant in Sprache und Inhalt, aber diesmal kann ich nur Weniges darin finden, auf das ich im Rahmen der Geschichte antworten könnte. :)

josefelipe:
Es freut mich, dich schockiert haben zu können. Deine Kritik musste ich mehrfach lesen, natürlich ist sie zum Teil ironisch. Warum dir nun diese eine Stelle so gefällt, werde ich vielleicht später erkennen.
Die Biotonne habe ich durch eine Mülltonne ersetzt, um dem Text am Ende die Komik zu nehmen. Was Gedanken zu dem Tag "Kinder" angeht, siehe diesen und Peeperkorns Beitrag.

alexei:
Danke für den Beitrag und weiterhin viel Spaß beim Lesen. :)


Ggf. werde ich später mal meine weiteren Gedanken zu dieser Geschichte niederschreiben.

 
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Hola Leif, ich bin’s (nur) noch mal. Weil – das mit der Bio-Tonne betrachte ich aus einem anderen Winkel, obschon ich sehe, dass ich wohl auf der falschen Schiene bin:

Peperkorn: schrieb:
Es ist ja auch so, dass dieser Begriff den Interpretationsspielraum verengt. Ich finde, die Biotonne schadet dem Text massiv, ...

Ich hab mich über diesen Fingerzeig richtiggehend geärgert.

Leif: schrieb:
Ich ändere es also gerade mal auf "Mülltonne", weil eigentlich der Vorgang des gedankenlosen Wegwerfens so wichtig ist, nicht die korrekte Einsortierung.

Ich finde, dass gerade die Biotonne das allgemeine Wegwerfen so schön pikant macht, weil es doch um dieses gute Gefühl geht, das sich einstellt, wenn man die Joghurtbecher sorgfältig gespült hat vor dem Wurf in die entsprechende Tonne, und das abgelöste Etikett des Marmeladenglases in den Papiercontainer steckt, statt es schlamperterweise am Glas zu lassen, wie das früher üblich war. Vielleicht gibt es noch einen Blockwart, der das alles kontrolliert, und dann bekäme man auch von dem gute Noten – noch ein gutes Gefühl.

Die Crux ist doch, dass unsere Müllberge immer höher werden und wir unser schlechtes Gewissen durch akribische Trennung zu beruhigen versuchen. Ein Zirkus für die Doofen.
Wir schlagen ja viel mehr tot als nur den Regenbogen. Und das stellt die Biotonne allein durch ihre Anwesenheit fest, wie ein Mahnmal aus buntem Plastik.
Wenn wir so weitermachen, bringen wir auch uns um. Gerade das zeigt, als der Vater sein Hirn anstrengt, wie der umgebrachte Regenbogen korrekt entsorgt werden soll – nämlich nicht in eine x-beliebige, sondern in die Biotonne:D – dass über unser Benehmen auf diesem einmaligen Planeten nicht genug nachgedacht wird.
Die Biotonne als Augenwischerei – besser könnte mMn der Text sein Anliegen nicht ausdrücken.
Aber nu isse weg:(.

Die Biotonne habe ich durch eine Mülltonne ersetzt, um dem Text am Ende die Komik zu nehmen.
Das fand ich ganz und gar nicht komisch. Jeder Sehende sieht doch, dass wir unsere Hausaufgaben nicht machen.

José
Bea Milana: Was ist ein Guli? Hab ich noch nie gehört. Und wie wird der verwendet?

 

Hola zum Dritten,
aber ich komme mit dem geänderten Text nicht zurecht. Und mit dieser Auslegung auch nicht:

Bea Milana: schrieb:
Zu der Diskussion Mülltonne / Biotonne: Wenn der Vater die grauen Überreste in die Biotonne schmeißen würde, signalisiert das für mich Erziehung.

Der Vater erzieht? Ich hingegen lese:

"Wollen wir ihn töten?", fragte Tina. Sie hatte einen großen Stein in der Hand. Der Vater sagte: "Ja, warum nicht? Schlag fest mit dem Stein drauf."

Da nahm der Vater den Stein in seine behaarte Hand und schlug damit so fest zu, dass der Ast zerbrach. Wieder spritzte Wasser. Nun machte der Regenbogen kein Geräusch mehr.

Für mich ist der Vater der Haupttäter. Als schlechtes Vorbild kommt er als Erziehungsperson nicht in Frage – ganz im Gegenteil!

José

 

Hallo Leif,

mein Leseeindruck: ein echtes Märchen und wie es sich für ein echtes Märchen gehört, voller Gewalt und Grausamkeiten. Mir kam sofort "Hänsel und Gretel" in den Sinn, eines der grausamsten Märchen überhaupt.
Zum großen Teil gut gelungen ist Dir der Spagat zwischen kindgerechter und Erwachsenen-Erzählung. Nur am Anfang stören mich die häufigen Wortwiederholungen etwas, das bessert sich aber in den nächsten Abschnitten.
Drei Dinge brachten mich zum Stolpern.
Zum Einen:

"Ach, mein Lieber", sagte die Mutter, "das ist doch eine verrückte Idee. Das geht nicht."
Ich kann nicht einordnen, wozu diese Bemerkung gut sein soll. Einfach nur Füllstoff, unnötig?
Zum Zweiten:
Der Puderzucker. Das funktioniert für mich nicht. Puderzucker in krampfhaft geschlossenen, schwitzigen Kinderfäusten? Da bleibt nichts zum Streuen und Körnchen hat der sowieso nicht. Er ist, wie der Name schon sagt, pudrig, staubig. Und nach kurzem Aufenthalt in Kinderfäusten nur noch klebriger Schleim. Auch Kinder dürften über diesen technischen Aspekt stolpern, die haben meist viel Erfahrung mit umklammerten Süßigkeiten :D.
Zum Dritten:
Die optische Darstellung des Vaters. "seine große Hand", "seine behaarte Hand" – das macht ihn in meiner Vorstellung zum Oger und zieht ihn etwas ins Lächerliche. Vermutlich macht diese Beschreibung für Kinder die Geschichte erträglicher, nimmt einiges von der Unheimlichkeit. Von einem Oger erwartet man schließlich (trotz Shrek) gewalttätige Aktionen, von einem normalen Vater eher nicht. Für mich schwächt es die Aussage.
Abschließend: tja, ich gehöre auch zu den Befürwortern der Biotonne als Regenbogenendlager. Für mich hat es der Geschichte noch einen draufgesetzt. Ich kenne so viele Leute, die Mülltrennung nicht aus Überzeugung, sondern aus Obrigkeitshörigkeit betreiben. Es steht schließlich so in der Müllfibel, also muss man das auch so machen. Deshalb schien mir das sehr passend für diesen Text. Nur sollte es vielleicht nicht das letzte Wort sein, dann würde es womöglich für mehr Leser funktionieren. Vielleicht so: "Ach, den hast du noch", sagte der Vater, nahm den Regenbogen (in seine große, behaarte Hand :D) und warf ihn achtlos in die Biotonne. "Wir können uns einen neuen fangen, es gibt doch genug", sagte er und ging mit seinen Kindern zum Spielen.
So weit mein Leseeindruck. Falls nicht hilfreich, einfach ignorieren :lol:.

Gruß vom Blaustrumpf

 

Hallo Leif!

Auch mir gefällt die "Biotonne" besser und meine Begründung hat josefelipe zum guten Teil schon vorweggenommen:

Ich finde, dass gerade die Biotonne das allgemeine Wegwerfen so schön pikant macht, weil es doch um dieses gute Gefühl geht, das sich einstellt, wenn man die Joghurtbecher sorgfältig gespült hat vor dem Wurf in die entsprechende Tonne ... Vielleicht gibt es noch einen Blockwart, der das alles kontrolliert, und dann bekäme man auch von dem gute Noten – noch ein gutes Gefühl.

Die Crux ist doch, dass unsere Müllberge immer höher werden und wir unser schlechtes Gewissen durch akribische Trennung zu beruhigen versuchen. Ein Zirkus für die Doofen.
Wir schlagen ja viel mehr tot als nur den Regenbogen.


Ja, es geht um das schlechte Gewissen. Den westlichen Menschen quält ein Schuldgefühl, weil er sich die Natur unterworfen hat und sie ausbeutet und sie dadurch korrumpiert und sogar zerstört. Sein aufgebrachtes Gewissen versucht er zu beschwichtigen, indem er wenigstens punktuell im Einklang mit der Natur bleibt, zum Beispiel seinen Biomüll dem natürlichen Kreislauf überlässt, Mutter Natur zurückgibt - dann hat er etwas weniger Schuldgefühle, dann fühlt er sich besser. Dass der Vater den Regenbogen zum Biomüll tut, zeigt ja gerade, dass er im Unterbewusstsein weiß, dass er da ein Stück der Natur in seine Macht gebracht und zugrunde gerichtet hat. Dieses Schuldgefühl des westlichen Menschen, das aus der Schändung der Natur fließt, ist das eigentliche Thema deiner Erzählung, glänzt jedoch durch Abwesenheit. Ich habe beim Lesen erwartet, dass es sich wenigstens am Schluss meldet, wurde aber enttäuscht - deine Strahle-Familie aus Vater, Mutter, Sohn und Tochter, die ideale deutsche Familie, wie man sie aus der Werbung für Bausparverträge oder Ikea-Möbel kennt, ist gänzlich schuldgefühlfrei - keine Spur von Gewissensbissen überschattet das Strahle-Idyll. Und gerade dieses dröhnende Schweigen des Gewissens ist vielsagend. Denn Gewissensbisse sind unangenehm, sie schmeicheln dem Selbstwertgefühl nicht, deshalb verdrängen wir sie gerne. Doch Verdrängtes ist nicht weg, sondern wirkt aus dem Unterbewusstsein. Unbewusst beschwichtigt der Vater sein schlechtes Gewissen, indem er den von ihm zerstörten Regenbogen wenigstens auf natürliche Weise zu Mutter Natur zurückkehren lässt. Wie Kartoffelschalen. Im letzten Wort der Erzählung, in der "Biotonne" zeigt sich das schlechte Gewissen doch noch.

Deine Geschichte ist wertvoll, weil sie zum Nachdenken anregt.
Grüße
gerthans

 

Hallo Leif,

was für eine beeindruckende Geschichte! Sie ist so raffiniert gemacht, dass sie für mich schockierener ist, als so mancher Splatterhorror. Übrigens auch schockierender als die alten Märchen, wo letztlich ja das Gute gewinnt, während hier aus Spaß und "Experimentierfreude" ein fühlendes Wesen gequält und für immer zerstört wird. Hier bleibt wirklich keine Hoffnung, es gibt keine Auferstehung. Deshalb würde ich die Geschichte auch nie, nie, nie einem Kind vorlesen, selbst wenn man sie bespricht. Das käme mir grausam vor. Beinahe hätte ich schon Sorge, einem Kind die Freude an einem Regenbogen zu nehmen. Ich hätte jedenfalls danach immer an die Geschichte denken müssen.
Für Jugendliche und natürlich Erwachsene halte ich sie für sehr geeignet. Letztlich passieren die meisten Grausamkeiten dieser Welt ja tatsächlich nicht aus einer Not heraus, sondern z.B. aus einem Konsumverhalten, das ähnlich ignorant gegenüber den Folgen für Schwächere ist, wie in deiner Geschichte beschrieben.

Diese Geschichte hat einen geradezu abgründigen Tiefgang.

Liebe Grüße von Chutney

 
Zuletzt bearbeitet:

Ha, erwischt, Leif.
Klasse gemacht, der Text kommt sehr subtil daher, als Wolf im Schafspelz quasi.
Nur peu à peu offenbaren die brutal gesetzten Adjektive die gesellschaftskritische Haltung des Textes.
Anfangs hat mich die Wende von der niedlichen Kindergeschichte zur boshaft realen Ignoranz auf dem falschen Fuss erwischt.
Anders als Peeperkorn hat mir bereits diese Stelle

Der Vater kniete sich auf ihn und nahm einen dornigen Ast vom Waldboden.
eine scharfe Furche auf meine Stirn gezeichnet.
Was denkt sich Leif dabei? Ha, eben ganz viel! Und so wirkt das Verhalten der Familienmitglieder auf mich verstörend und ernüchternd zugleich.

Denn auch ich muss mich hinterfragen: Warum löst erst der dornige Ast bei mir ambivalente Gefühle aus, und nicht schon das Einfangen dieses zarten Lichtwesens, dessen Schönheit sich vor allem aus der Distanz voll entfaltet.

Danke für diese kluge, zum Weiterdenken anregende Geschichte.

Bei der Biotonnen-Frage bin ich klar auf Linie Bea Milana/Peeperkorn. Mülltrennung wäre ein falsches Signal und würde den Schluss versauen.
Zwar nicht vor den Kindern, aber einfach ab in den Müll damit, ohne nachzudenken, passt. :D

 
Zuletzt bearbeitet:

Hej Leif,

ich kann wirklich nicht behaupten, deine Geschichte, deren gesellschaftskritischen Hintergund ich durchaus erkenne und schätze, zum einen selbstverständlich die ökologische und zum anderen die der Rollenverhältnisse innerhalb der Familie, gerne gelesen zu haben.
Mir behagt der Ton nicht.

Während die kleine Tina jubelt, kommt der Benjamin angerannt, auf die Mutter zu, die selbstverständlich Plätzchen backt, während der Vater vorschlägt, wilde Abenteuer zu erleben.
Man muss nicht mal sonderlich feministisch sein, die Nackenhaare stellen sich von selbst auf.
Nachdem die Kinder artig den Anweisungen des Papa folgeleisten, indem sie die Spiegel organisieren und rückwärts gehen, tun sie es wieder.

Der Regenbogen rannte nicht weg.

Ich verstehe nicht, wieso er rennen sollte. Könnte er sich nicht einfach auflösen? Das klingt merkwürdig. Es sträubt sich wieder in mir.

Der Regenbogen schrie.

Hier geht es mir ähnlich. Wieso zeichnest du den Regenbogen lebendig?

Wären die drei fischen gegangen, wäre der Verlauf ähnlich, aber durch diese Abstraktion wirkt er unnötig brutal.

Ich fürchte, ich habe keinen Zugang zu den Bildern und der unterkühlten Sprache und Sicht. :shy:
Ich kann mich nirgends festhalten und alles nur schlucken. Das ist unbehaglich.
Aber vielleicht ist auch das eine Intention.

Das ist zumindest ein Leseeindruck und ein freundlicher Gruß, Kanji

 

Uiuiui, das sind aber viele Antworten in so kurzer Zeit, jetzt artet das hier in Arbeit aus. :)
Heute schaffe ich nicht alle.
josefelipe:

Die Crux ist doch, dass unsere Müllberge immer höher werden und wir unser schlechtes Gewissen durch akribische Trennung zu beruhigen versuchen. Ein Zirkus für die Doofen.
Wir schlagen ja viel mehr tot als nur den Regenbogen. Und das stellt die Biotonne allein durch ihre Anwesenheit fest, wie ein Mahnmal aus buntem Plastik.
Wenn wir so weitermachen, bringen wir auch uns um.
Das ist der Teil deiner Argumentation "pro Biotonne", dem ich halbwegs zustimmen kann. Der Zerstörungsaspekt. Aber der funktioniert besser mit der Mülltonne.
Dieser akribische Einsortierungsaspekt hingegen gehört für mich nicht in den Betrachtungsbereich (ich nenne es https://de.wikipedia.org/wiki/Scope) der Geschichte.

Bea Milana:
Danke für deine sehr netten Worte.

Zur Frage nach dem Grund zu der Gewalt: Ein zentrales Thema ist eben diese Grundlosigkeit der Gewalt gegen das Schöne, auch und besonders von Kindern ausgehend. Was macht man als Kind, wenn man auf der sonnigen Terrasse sitzt, eine Lupe hat, und dann eine Ameise vorbeikrabbelt? Wie du schon sagst, wird eben diese Gewalt auch von Erwachsenen gelebt. Es geht um Spaß, nichts sonst.

Es freut mich, dass auch du in die Diskussion Biotonne vs. Mülltonne einsteigst und dich auf meine Seite schlägst.
Blaustrumpf:

ein echtes Märchen und wie es sich für ein echtes Märchen gehört, voller Gewalt und Grausamkeiten. Mir kam sofort "Hänsel und Gretel" in den Sinn, eines der grausamsten Märchen überhaupt.
Für mich ist es auch immer wieder ein Faszinosum, welch brutale Geschichten den Kleinsten serviert werden. Andererseits ist fraglich, wie oft den Kindern heute wirklich noch klassische Märchen vorgelesen werden. Viele der 18-jährigen Eltern mit Kindern im entsprechenden Alter haben zudem eine niedrige Lesekompetenz.

Zum Einen:
"Ach, mein Lieber", sagte die Mutter, "das ist doch eine verrückte Idee. Das geht nicht."
Ich kann nicht einordnen, wozu diese Bemerkung gut sein soll. Einfach nur Füllstoff, unnötig?
Mitnichten. Ich finde sie wichtig, um das sprichwörtliche Kind im Manne im Gegensatz zur vernünftigen Frau aufzuzeigen.

Zum Zweiten:
Der Puderzucker. Das funktioniert für mich nicht. Puderzucker in krampfhaft geschlossenen, schwitzigen Kinderfäusten? Da bleibt nichts zum Streuen und Körnchen hat der sowieso nicht. Er ist, wie der Name schon sagt, pudrig, staubig. Und nach kurzem Aufenthalt in Kinderfäusten nur noch klebriger Schleim.
Du hast absolut recht, das ist scharf beobachtet! Vielen Dank dafür. Ich werde mir ein anderes Reagens einfallen lassen.

Zum Dritten:
Die optische Darstellung des Vaters. "seine große Hand", "seine behaarte Hand" – das macht ihn in meiner Vorstellung zum Oger und zieht ihn etwas ins Lächerliche.
:lol: Während des Schreibens hatte ich milde Bedenken in diese Richtung. Aber ich wollte die Brutalität hervorheben. Eine Überarbeitung werde ich prüfen.

Abschließend: tja, ich gehöre auch zu den Befürwortern der Biotonne als Regenbogenendlager. Für mich hat es der Geschichte noch einen draufgesetzt.
Zweifellos. Gehört aber nicht zum Scope (s. o.), da die Geschichte kein gesellschaftskritischer Rundumschlag sein soll.

Danke für deine wertvollen Gedanken!

 

gerthans:

Dieses Schuldgefühl des westlichen Menschen, das aus der Schändung der Natur fließt, ist das eigentliche Thema deiner Erzählung, glänzt jedoch durch Abwesenheit.
Danke, dass du mich darauf hinweist. Bisher dachte ich, dass es gar nicht das Thema wäre, weswegen ich es eben mit keinem Wort erwähnt habe. :D
Ein anderes, fast ebenso wichtiges Thema der Geschichte ist übrigens der Beweis der Poincaré-Vermutung - natürlich wird auch dieses durch seine Abwesenheit verraten. ;)
Scherz. Es ist faszinierend, wie stark die Interpretation eines Lesers hineinspielt.

Ich habe beim Lesen erwartet, dass es sich wenigstens am Schluss meldet, wurde aber enttäuscht - deine Strahle-Familie aus Vater, Mutter, Sohn und Tochter, die ideale deutsche Familie, wie man sie aus der Werbung für Bausparverträge oder Ikea-Möbel kennt, ist gänzlich schuldgefühlfrei - keine Spur von Gewissensbissen überschattet das Strahle-Idyll.
Das klingt nach einer sehr viel spezifischeren Beschreibung als ich sie vorgenommen habe. Es kann aber gut sein, dass so ein Bild im Kopf des Lesers entsteht.

Und gerade dieses dröhnende Schweigen des Gewissens ist vielsagend. Denn Gewissensbisse sind unangenehm, sie schmeicheln dem Selbstwertgefühl nicht, deshalb verdrängen wir sie gerne. Doch Verdrängtes ist nicht weg, sondern wirkt aus dem Unterbewusstsein. Unbewusst beschwichtigt der Vater sein schlechtes Gewissen, indem er den von ihm zerstörten Regenbogen wenigstens auf natürliche Weise zu Mutter Natur zurückkehren lässt. Wie Kartoffelschalen. Im letzten Wort der Erzählung, in der "Biotonne" zeigt sich das schlechte Gewissen doch noch.
Du argumentierst mit deinem erwähnten Schuldgefühl, aber dieses habe ich wirklich nie vermitteln wollen, daher ist auch die Argumentation pro Biotonne hinfällig. Allerdings darf man sich gerne vorstellen, dass der Vater ein schlechtes Gewissen hat. Es wird zwar nicht beschrieben, aber der Leser schließt da vielleicht von sich auf die Figur.

Deine Geschichte ist wertvoll, weil sie zum Nachdenken anregt.
Das ist ein erklärtes Ziel. Danke! Natürlich auch für deine durchaus interessanten Gedanken.
Maxi:
Was sehen Kinder, wenn sie diese Geschichte lesen? Natur und Umwelt dürfen ungestraft umgebracht werden? Der eigene Spaß ist wichtiger als alles andere? Mord ist in Ordnung und gesellschaftsfähig und zur Belohnung gibt es Kekse?
Obwohl mir der Gedanke gefällt, nehme ich eher an, dass viele stark mitfühlend reagieren würden. Das liegt vielleicht an der Darreichungsform als Geschichte. In der realen Welt sind Kinder oft grausam, aber vielleicht reflektieren sie nach der Geschichte ihr Handeln besser.
Möglicherweise ist die Geschichte aber geeignet, eine ganze Generation zu traumatisieren.

In deinen Text könnte ich jetzt noch jede Menge hineininterpretieren. Mindestens zwei Themen fallen mir sofort ein. Die Frage ist, ob Eltern sich so einen Text kaufen würden? Hübsch illustriert selbstverständlich, glaube ich schon, wenn auch vermutlich nur, weil sie das Ende nicht vorher gelesen haben.
Liebevoll illustriert wäre die Geschichte garantiert eine Pracht. :)
Ich stelle es mir übrigens lustig vor, wenn die Eltern erst während des Vorlesens der Geschichte merken, wohin die Reise geht.

Danke für deinen Beitrag!

 

Hallo Leif,

Danke für deine Geschichte.

Die beste Kindergeschichte, die ich je gelesen habe. Leo Tolstoj wäre sehr neidisch auf sie.

Nur bei Tinas Frage, nach Töten des Regenbogen werde ich gezwungenerweise stutzig und frage mich, ob es sich hier dabei doch nicht um eine Monsterfamilie handelt. Und an dieser Stelle würde ich sagen: Ja, es ist eine Monsterfamilie - also, keine echten Menschen.

Mir ist schon klar, was deine Geschichte vermittelt: dass wir selbst zu Vernichtern unserer Umwelt/Umgebung, zu Mördern unseres Glücks werden - bewusst und zielstrebig. Meines Erachtens sind wir es aber nicht. Ich tendiere mehr dazu zu sagen, dass wir es mehr aus "Unwissenheit", Verdrängung der Tatsachen, Kurzsichtigkeit, wegen dem inneren Faulenhund machen. Also, Tinas gezielte bewusste Frage mit dem implementierten Wunsch, den Regenbogen zu töten, muss meiner Meinung nach gegen Unterbewusste/Versehentliche ausgetauscht werden. Wie es oft bei den Kindern der Fall ist, wenn Haustiere versehentlich gequällt oder aus Versehen umgebracht werden: Danach wundert sich man, warum das Kätzchen nicht mehr aufsteht und mitspielt.

Wenn es so bleibt, wie es ist (Wunsch nach Töten), dann entsteht bei mir gleich die Frage, ob der Regenbogen etwas GEfährlicheres darstellt, eine Plage zum Beispiel. Wie Kaninchen in Australien, die man wahllos tötet, auch zum Spaß. Oder, ob es sich bei dieser FAmilie um eine homophobe Untergrundsbewegung handelt, die alles totschlägt, was mit perversen sexuellen Orientierung zu tun hat... Oder eine Familie, die den Vertrag mit dem allmächtlichen Gott, seit Noahs Zeit, um jeden Preis kündigen möchte.

Also, ich denke, es wäre besser, dass die Tötung des Regenbogens aus "Versehen" erfolgen muss, wie ein "Unfall".

Wenn Du mehr Freude seitens der Kinder im Vorfeld der (für den LEser unmöglich erscheinenden) Begegnung mit dem Regenbogen plazierst, dies mehr als ein Fangspiel darstellst, mehr als sinnliches Märchen, wäre es eine Spitzenleistung: z.B. Tina: "Ach ich freue mich so! Ich liebe Regenbogen über alles in der Welt!" Oder dass der REgenbogen im Streit zwischen den Kindern "versehentlich" verletzt wird...

Die Geschichte ist auf jeden Fall äußerst sehr gut. Jeder kann seine eigene Schlüsse daraus ziehen.

(Ansonsten) äußerst gerne gesehen!

Herr Schuster

 

Hi Kanji,

du schriebst:

ich kann wirklich nicht behaupten, deine Geschichte, deren gesellschaftskritischen Hintergund ich durchaus erkenne und schätze, zum einen selbstverständlich die ökologische und zum anderen die der Rollenverhältnisse innerhalb der Familie, gerne gelesen zu haben.
Mir behagt der Ton nicht.

Während die kleine Tina jubelt, kommt der Benjamin angerannt, auf die Mutter zu, die selbstverständlich Plätzchen backt, während der Vater vorschlägt, wilde Abenteuer zu erleben.
Man muss nicht mal sonderlich feministisch sein, die Nackenhaare stellen sich von selbst auf.


Ich finde es total interessant, dass du so sensibel auf die Klischeehaftigkeit reagierst und sogar das Jubeln von Tina und das Rennen von Benjamin in dem Kontext hervorhebst.

Ich verstehe nicht, wieso er rennen sollte. Könnte er sich nicht einfach auflösen? Das klingt merkwürdig. Es sträubt sich wieder in mir.
Ich finde, dass es gerade im richtigen Maße verstört.

Hier geht es mir ähnlich. Wieso zeichnest du den Regenbogen lebendig?

Wären die drei fischen gegangen, wäre der Verlauf ähnlich, aber durch diese Abstraktion wirkt er unnötig brutal.


Ein lebendiger Regenbogen wirkt ebenfalls verstörend. Außerdem wird dadurch Mitgefühl geweckt. Wären sie Fischen gegangen, wäre für den Leser schon vorhersehbar gewesen, dass es zum Töten kommt. Diese überraschende Wendung hätte es dort so nicht geben können.

Ich fürchte, ich habe keinen Zugang zu den Bildern und der unterkühlten Sprache und Sicht. :shy:
Ich kann mich nirgends festhalten und alles nur schlucken. Das ist unbehaglich.
Aber vielleicht ist auch das eine Intention.
Das ist eine Intention. Die Geschichte soll ab der Wendung keinesfalls behaglich sein. :D

Danke für deine Kritik.

 

Hej Leif,

weil deine Intention und meine Reaktion so gut harmonieren und mich aber ziemlich irritiert, muss ich nochmal nachhaken. :shy:

Ich finde es total interessant, dass du so sensibel auf die Klischeehaftigkeit reagierst und sogar das Jubeln von Tina und das Rennen von Benjamin in dem Kontext hervorhebst.

Ist es nicht üblich, vor allem bei Kurzgeschichten, alles und jedes genau zu erwägen und wirken zu lassen?

Ein lebendiger Regenbogen wirkt ebenfalls verstörend. Außerdem wird dadurch Mitgefühl geweckt.

Es ist jetzt auch mir klar, dass diese Geschichte nicht nur zeigen, sondern verstören will. Aber Mitleid erregt der gefangene, misshandelte Regenbogen bei mir eben ganz und gar nicht, weil es eben derart abstrakt ist, dass es völlig verfremdet und ich eine extreme Distanz aufgebaut habe. Zu allen Protagonasten und dem ... Regenbogen.

Das ist eine Intention. Die Geschichte soll ab der Wendung keinesfalls behaglich sein.

Na gut. Aber ich würde diese Geschichte weder kaufen, noch vorlesen. Auch nicht hübsch illustriert. :D

Freundlicher Gruß, Kanji

 

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