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Ein Stück Erdbeerkuchen hat 269 kcal

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08.01.2018
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Ein Stück Erdbeerkuchen hat 269 kcal

„Ist dir das auch genug? Ich meine, es gibt noch Erdbeerkuchen im Angebot, wenn du willst“, sagt er.
Ich schaue angewidert in die leere Suppenschüssel vor mir. Die Reste von Linsen und Erbsen erinnern an getrocknetes Erbrochenes. Ohne Kommentar verlasse ich den Tisch mit meiner Tasche und gehe den beleuchteten Gang hinunter zu den Waschräumen. Jeder Schritt ist schwerer als der andere, der rote Teppichboden sinkt ein. Das Bad ist leer, nur weiße, grelle Fliesen und ich. Und die Toiletten. Ich nehme den ersten Stall, setzte mich auf den sauberen Deckel.
Zehn.
Einatmen. Ausatmen. Nicht darüber nachdenken. In meinen Augen verschwimmt der Edelstahl der Türe. Es treibt weck und alles ist dunkel.
Neun.
Auf dem frisch gewischten Boden kniend bereue ich meine Entscheidung zu diesem Abend. Mein Magen zieht sich vor Schmerzen und Leere zusammen.
Acht.
Ruhig streiche ich mein Haar hinter die Ohren und lege den goldenen Anhänger meiner Kette auf den Rücken. Alles bleibt rein.
Sieben.
Meine schwarz lackierten Fingernägel bohren sich wie Schrauben in meine Handflächen bis Blut über die Lebenslinien läuft. Ich sehe aus, als hätte ich enthusiastisch in Scherben gefasst.
Sechs.
Der Deckel klappt nach oben und meine roten Hände halten sich am Sitz fest. Nachher muss ich alles wieder sauber machen. Toll.
Fünf.
Ich versuche mich zu beruhigen, doch mein Herz pocht. Mein Sichtfeld bildet blaue Sprenkel. Auf dem Boden der benachbarten Kabine hat jemand eine Cosmopolitan liegen lassen.
Vier.
Ich will es so. Ich kann es kontrollieren. Ich will das.
Drei.
Das ist so klischeehaft, denke ich, während mein Finger seinen Weg in den Mund findet. Ich ramme ihn in den Rachen und lehne mich nach vorn. Schließe die Augen.
Zwei.
Magensäure und die Suppe brennen sich meine Speiseröhre hinauf. Jemand betritt den Waschraum, aber viel bekomme ich nicht mit.
Eins.
Ich bin leer und es geht mir gut. Als sich meine Tür öffnet, steht er mir besorgt gegenüber.
„Ich dachte wir hätten das hinter uns.“
Was er wohl meint? Sicherlich das Kotzen. Er will meine blutigen Hände ergreifen, aber das Mitleid brauche ich nicht. Besiegt verlässt er den kalten Raum wieder. Ich greife die Zeitschrift am Boden und setzte mich. Der Einband färbt sich rot und die Überschrift wirbt für die perfekte Figur.


Null.

 

Hej Giugno und herzlich willkommen,

wie gut, dass Maria deine Geschichte noch einmal hochgeholt hat. Eine andere Methode wäre auch, selbst Kommentare zu Geschichten zu schreiben, die dich ansprechen.

Selbst wenn das nicht die erste Geschichte über Bulimie ist, die hier eingestellt ist (es gibt by the way hunderte Geschichten über sich wiederholende Themen ;)), steht deine für mich ganz für sich.
Zum einen durch ihre stilistisch auffällige Art. Mir gefällt das Herunterzählen während der Handlung deiner Protagonistin. Es suggeriert mir Gleichmütigkeit, Abgestumpftheit, eine immer wiederkehrendes Procedere, in der sie sich befindet und berührt mich.

Nummer sieben fällt da allerdings aus der Rolle.

Meine schwarz lackierten Fingernägel bohren sich wie Schrauben in meine Handflächen bis Blut über die Lebenslinien läuft. Ich sehe aus, als hätte ich enthusiastisch in Scherben gefasst.
Sechs.

Denn sie wird wohl nicht jedes Mal ihre Hände dabei malträtieren (hoffe ich zumindest).

Der Deckel klappt nach oben und meine roten Hände halten sich am Sitz fest. Nachher muss ich alles wieder sauber machen. Toll.

An dieser Stelle untermauert meine Behauptung das letzte Wort. Denn ich vermutete eher, dass sie das eben schon kennt und als Kollateralschaden hinnimmt.

Ich versuche mich zu beruhigen, doch mein Herz pocht. Mein Sichtfeld bildet blaue Sprenkel. Auf dem Boden der benachbarten Kabine hat jemand eine Cosmopolitan liegen lassen.

An dieser Stelle funktioniert es wiederum. Sie ist gar nicht bei der Sache, bemerkt eine liegengeiassene Zeitschrift während sie den Vomitus einleitet.

Er will meine blutigen Hände ergreifen, aber das Mitleid brauche ich nicht. Besiegt verlässt er den kalten Raum wieder. Ich greife die Zeitschrift am Boden und setzte mich. Der Einband färbt sich rot und die Überschrift wirbt für die perfekte Figur.

Das ist ein gut gelungener Bezug. Ich erfahre, aus welchem Grund sie unter Bulimie leidet. Zum einen um sich abzugrenzen, möglicherweise Oberhand zu halten, zum anderen aus vermeintlich ästhetischen Gründen.

Für mein Empfinden ist dir diese Szene einer bulimiekranken Frau gut gelungen. Ich habe Einiges über sie erfahren (sie lackiert die Nägel schwarz = differiert sich von den rotlackierten Nägeln) und sie ist in Begleitung eines Mann (vielleicht der Freund oder der Bruder), eventuell fühl sie sich dominiert.

Das ist natürlich rein spekulativ, aber du hast mich dazu angeregt nachzudenken. Das ist schon viel.

Vielen Dank für deinen Text und freundlicher Gruß, Kanji

 

Hallo Giugno,

das war eine kurze, aber wirkungsvolle Geschichte. Nach kurzer "Einleitung" steigt man sofort ein und wird mit dem Thema konfrontiert.

Das Herunterzählen finde ich eine gelungene Methode um dem Ganzen nicht nur einen roten Faden zu geben, sondern es funktioniert auch als tolles Element der Geschichte, welches wie schon genannt abgestumpft und gleichgültig wirkt.

Ich denke die "Null" brauchst du am Schluss gar nicht mehr. Die hat mich ehr gestört, da der Vorgang für mich schon abgeschlossen war. Aber das ist vielleicht auch nur meine persönliche Meinung.

Der Einband färbt sich rot und die Überschrift wirbt für die perfekte Figur.

Ich finde das "Und" hier unpassend. Es klingt so als ob die Überschrift nur in diesem Moment für die Figur wirbt. Gerade finde ich selbst keine andere Formulierung, die es trotzdem so einfach hält, wie du es beschrieben hattest, aber vielleicht setzt du dich mit dem Satz noch einmal auseinander.

Zwei.
Magensäure und die Suppe brennen sich meine Speiseröhre hinauf. Jemand betritt den Waschraum, aber viel bekomme ich nicht mit.
Eins.
Ich bin leer und es geht mir gut.

Zudem finde ich den Schritt zwischen 2 und 1 noch etwas zu schnell. Im einen Augenblick bekommt die Protagonistin nichts mit, da es ihr so schlecht geht und in der nächsten Sekunde fühlt sie sich bereits gut. Da fehlt mir ein Zwischenschritt. Oder du könntest den letzen Satz etwas umschreiben. "... es geht mir endlich wieder gut/ es wird langsam besser / ich merke wie es mir langsam wieder gut geht..."

Vielen Dank, dass du deinen Text mit uns geteilt hast.

Liebe Grüße

 

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