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Ein ungewöhnlicher Selbstmord

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29.12.2001
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Ein ungewöhnlicher Selbstmord

Ich war, gerade als der Herbst zu Ende ging, sehr traurig, weil ich oft Streit mit meinem Vater hatte. Als sensibles Mädchen geht es einem sehr nahe, wenn andere deine Traurigkeit oft ignorieren und sich keinen Meter dafür interessieren. "Wird schon wieder!", "Kopf hoch!" und "Mach dir da mal keine Gedanken drum..." waren die Sätze, die ich am meisten zu hören bekam. Es war sicher nett gemeint, aber sowas machte mich nur noch deprimierter. Du erzählst deine Probleme, sie sagen irgendwas, damit du aufhörst, sie weiter zu nerven (sie wissen ja nicht, was sie da noch zu sagen sollen, weil sie dir ja angeblich eh nicht helfen können) und dann ist die Sache erledigt.

Es ist nicht ungewöhnlich, sich in solchen Momenten mit dem eigenen Suizid zu befassen: "Was wäre, wenn...". Hinzu kommt, dass du sehr naiv bist - den Selbstmord siehst du deshalb als eine Erlösung, als den letzten Ausweg, Absprung aus dem Leben.

Ich hatte großes Glück, diese Gedanken teilen zu können. Aus dem Internet lernte ich einen sehr netten Jungen kennen, und gegenseitig hielten wir uns davon ab, uns selbst umzubringen. Da die Geschichte hier in der Vergangenheit anfängt und in der Zukunft aufhört (und somit auch nicht wahr sein kann), nicht wundern, dass es kein "Jetzt" gibt.

Depressionen waren für uns beide kleine Episoden, die mal auftraten, wieder gingen, und irgendwann kamen sie wieder. Mal waren sie sehr stark und intensiv, ein anderes Mal oberflächlich und als Lustlosigkeit getarnt.
Als wir unsere ziemlich starken Depressionen zur gleichen Zeit hatten und uns gegenseitig mit Selbstmordgedanken nervten, beschlossen wir, uns zusammen umzubringen. Erst war es nur ein Gedanke, über den wir eher gelächelt haben, aber jetzt wurde die Sache ernster. Wir wollten uns erschießen.

Es dauerte nicht lange, bis wir uns zum ersten Mal trafen. Es ging alles sehr schnell, weil Depressionen ganz plötzlich auftreten und ebenso plötzlich wieder abhaun. Er trug schwarze Kleidung und ich muss ehrlich sagen, meine Depressionen waren wie weggeflogen, als ich sein süßes Lächeln sah. Merkwürdigerweise waren wir sehr fröhlich und "verbrachten einen netten Tag zusammen", wenn man das so sagen kann. Ich dachte garnicht mehr daran, dass wir uns umbringen wollten. Anfangs habe ich überlegt, wann es passieren würde, aber ich traute mich nicht, ihn zu fragen.

Als es um 18 Uhr schon stockdunkel war (wir saßen gerade in einem Cafe), sagte er "Komm" und ging zur Tür hinaus. Schnell schnappte ich mir meine Jacke und folgte ihm. "Wohin gehen wir?" fragte ich ihn. Aber er sagte nichts, sah mich nur an und schon war wieder das süße Lächeln da. Ich hätte mir gewünscht, so einen wie ihn schon länger zu kennen, er unterhielt sich so wunderbar mit mir... An einem Parkplatz schloß er sein Auto auf - irgendein rotes kleines Auto. Wir setzten uns rein und er fuhr gute 20 Minuten, bis wir an einem Feld ankamen. "Zieh deine Jacke an, ist sehr kalt draussen", sagte er und schaute mir dabei tief in die Augen. Dann stieg er aus dem Auto.

Er machte den Kofferraum auf und als ich reinschaute, sah ich zwei Pistolen...
Er schaute mich mit vielsagendem Blick an. Daran hatte ich garnicht mehr gedacht! Wir wollten uns ja umbringen... dabei war der Tag so schön, ich hatte längst nicht mehr vor, mich umzubringen. Aber ich sagte ihm das nicht. 'Du darfst jetzt keinen Rückzieher mehr machen' sagte ich zu mir und sanft drückte er mir eine von diesen schweren Waffen in meine Hand. Die andere hatte er. Er knallte den Kofferraum wieder zu, schloß das Auto ab, liess die Schlüssel in seine Jackentasche fallen, aus der er auch Tabletten rausholte, und lief auf's Feld. Während wir über die festgefrorene Erde liefen, gab er mir die Pillen - ich weiß nicht mehr genau, wieviele es waren, 3, 4. Aber ich habe sie geschluckt. Er auch. Als ich ihn fragte, was das für Zeugs war, sagte er "Drogen". Ob er sowas wohl öfters nahm? Ich weiß nicht mal, was ich da nahm! Na toll, "Drogen". Aber jetzt konnte es mir ja eh egal sein.

Mitten auf dem Feld gab es einen Strommasten. Wir setzten uns hin und lehnten uns an das Teil.. "Die Dinger hab ich sogar schon geladen - ...Pause... - extra für uns...". Wieder dieses Lächeln. Hätte ich nur gewusst, dass sich hinter diesem Lächeln eine ganz andere Person verbirgt - ich erkannte ihn garnicht wieder. Er war so kühl. Ich atmete tief ein. Die Jacke hielt mich längst nicht mehr warm. "Aha" sagte ich. Ich war nicht so glücklich über den Gedanken darüber, dass wir gleich tot wären, aber ich lächelte trotzdem.
Er sah, dass ich mich nicht so wirklich darüber freute, aber anscheinend interpretierte er mein gespieltes Lächeln falsch: "Hey... bald haben wir alles hinter uns... ich hätte mir, wenn ich's könnte, auch ein anderes Leben ausgewählt, aber, that's life, oder?!". Ich nickte.

Dann stand er auf. Ich hatte gehofft, dass wir wieder gehen würden, aber er kam auf mich zu. Erst zögerlich, dann nahm er mich in den Arm. Von der einen auf die andere Sekunde konnte ich die Wärme, nach der ich mich so gesehnt hatte, in mir spüren. Sein warmer Atem an meinem Hals verschaffte mir eine Gänsehaut. Ich genoß die 4, 5 Sekunden, dann löste er sich und stand ein einhalb Meter vor mir: "Wir bringen uns gegenseitig um, ok? Dann können wir sichergehen, dass wir beide sterben. Und keiner von uns feige ist...". Ich kann nicht sagen, wie verrückt mein Herz schlug! Ich hörte in meinem Kopf das endlos laute Klopfen und konnte nicht mehr regelmäßig atmen. Ich war so furchtbar aufgeregt...! 'Das kommt davon, wenn du nicht "Nein" sagen kannst', sagte ich zu mir. 'Scheiße!' ...

Mit ausgestreckten Armen hielt er die Pistole ungefähr 50 cm vor meinen Kopf. Der Finger lag am Abzug. "Mach jetzt...", drängte er mich. Also machte ich ihm nach und hielt auch die Pistole nach vorne, den Zeigefinger am Abzug liegend. "Auf drei...".
Tränen stießen mir in die Augen. Kein Rückzug mehr. Gleich bist du erlöst... "Eins..." ...ich atmete sehr laut. "Zwei..." ...noch einmal seine Stimme... für einen kleinen Augenblick sah ich meinen Vater vor mir... ich versuchte nicht, an ihn zu denken, mein Schicksal, dass dieser Junge langsam fertig zählte, schien bestimmt... "Drei!". Ich kniff die Augen zusammen, drückte den Abzug nach hinten und hörte den Knall... dann konnte ich ein leises Plumpsen hören, ein Zusammensacken... meine Augen waren immernoch zu. Langsam öffnete ich sie und schrie! Seine Pistole war nicht geladen! Ich habe ihn umgebacht...

 

Und die Moral von der Geschicht: Selbstmördern traut man nicht!
Ich hatte von Anfang an ein sehr ungutes Gefühl beim Lesen dieser Geschichte, nicht nur, weil das Thema Selbstmord mittlerweile in jeder dritten Geschichte auftaucht - was du natürlich nicht wissen konntest - sondern vor allem deshalb, weil bei mir in der Nähe ein Mädchen sich tatsächlich übers Internet mit einem Typen verabredete, um in Norwegen von den Klippen zu springen. Was sie dann auch taten.

Okay, soweit meine persönlichen Emotionen dazu.
Was die Geschichte nun betrifft: Von einem "neutralen" Standpunkt aus gelesen birgt sie für meinen Geschmack zu wenige Gefühle, was ein wenig paradox klingen mag.
Immerhin geht es hier um Menschen, die sich umbringen wollen!
Aber genau in diesem Punkt enttäuscht die Story - sie bringt mir nämlich keinen der beiden Protagonisten näher, im Gegenteil: Der Typ ist mir so was von wurscht, dass sein Tod mich absolut null berührt!
Ich finde, du solltest die Geschichte nochmal überarbeiten und die Einsamkeit und Leere in den Herzen der beiden eingehender schildern. Im ersten Absatz ist dir das ganz gut gelungen. :)

Übrigens: Warum wollte der Typ sich von ihr erschießen lassen?!?

 

Hui, ein überraschendes Ende :eek: ...
Die Idee hinter der Story ist wirklich gut, aber (wie mein Vorredner schon sagte) etwas mehr Gefühl könnte nicht schaden. Vor allem im letzten Absatz könntest du noch viel besser beschreiben, was in der Protagonistin vorgeht. Sie hat doch immerhin eine Scheiß-Angst (oder nicht?). Das solltest du noch deutlicher machen.

Tschö mit ö,
das deprikind

 

@ Jan

Was die Sache mit den Gefühlen angeht, finde ich gar nicht, dass sie zu schwach beschrieben wurden. Bei depressiven Menschen sind die Gefühle immer etwas gedämpft, dass ist ein Merkmal ihrer Krankheit.

Dem möchte ich aber widersprechen! Als "Betroffener" quelle ich vor Gefühlen über - kann sie nur nicht heraus lassen oder auch nur über sie schreiben.

Gerade die Absenz der Gefühle bricht der Geschichte das Genick, denke ich mal.

 

Als Betroffener kann ich dir sagen, dass man nicht vor Gefühlen überquellt, wenn man an Depressionen leidet. Das einzige was man fühlt ist Leere, Tod.

Bestreite ich vehement ... Jedenfalls bei mir ist das anders! Es überkommen mich so viele Gefühle, dass ich nur noch heulen und zittern kann.

Somit liegen auch die Gefühle brach. Sobald man Gefühle zulassen kann(innerlich nicht nur nach aussen), wird die Depression "schwächer".

Mir geht es immer dann halbwegs erträglich, wenn ich KEINE Gefühle in mir trage!
Na ja, aber Namen sind Schall und Rauch, auch bei Krankheiten...

Was sollen immer solche harten setze wie "Gerade die Absenz der Gefühle bricht der Geschichte das Genick". MAn kann doch wohl auch sensibler kritisieren oder nicht?

Ja, sicher! Man kann auch lauter Smilies reinsetzen oder einfach schreiben "Super Geschichte, tschüss".
Meine Einstellung ist die: Ich kritisiere so hart, wie auch ich kritisiert werden möchte. Áber auch ich möchte jetzt keine Diskussion starten, die wir schon tausendmal hatten.

Ich habs ja schon am eigenen Leib erfahren bzgl. "Tonio und die Grautöne")

Wenn du ehrlich bist, hast du bei dieser Geschichte einige fiese Sätze gegen andere Kritiker abgelassen! Lies sie nochmal unter einem "neutralen" Standpunkt durch.

 

Was ist denn mit Euch los, Rainer und Jan?

Schon mal gehört, daß es verschiedene Arten von Depressionen gibt, sich diese verschieden äußern und man ganz sicher nicht darüber streiten kann, wer jetzt die "Richtigen" Depressionen hat????

Zitat Rainer:
"weil bei mir in der Nähe ein Mädchen sich tatsächlich übers Internet mit einem Typen verabredete, um in Norwegen von den Klippen zu springen. Was sie dann auch taten."

- Das kann ich bestätigen, das stand in der Zeitung.

Ich habe die Geschichte noch nicht gelesen, mache das, wenn mein Sohn schläft.
Aber noch eins vorweg -
@Jan:
Wenn zwei von zwei Menschen, die diese Geschichte gelesen haben, finden, es sei zu wenig Gefühl drin, um mit dem Protagonisten mitfühlen zu können, dann kann man dem irgendwie nicht widersprechen, denn das Gefühl, das Du vermeinst zu spüren, ist bei den anderen nicht angekommen. Und das sollte ganz einfach sein. Du mischt glaube ich zusehr Deine eigenen Gefühle dazu, da reicht Dir ein kleiner Hinweis und sie sind da.
Aber wie Du siehst, kommt es nicht bei jedem so an.
Und daß Rainer kein gefühlloser Mensch ist, dafür leg ich meine Hand ins Feuer.

Alles liebe
Susi

PS.: Und jetzt holt noch ein bisschen alten Mist dazu, fein.

[Beitrag editiert von: Häferl am 08.01.2002 um 19:02]

 

Hast ja recht! Ich mache mich schon wieder viel zu wichtig ... Liegt halt daran, dass ich stets MEINEN Standpunkt verteidigen möchte.
Ich hoffe, Jan versteht ihn nun doch ein bisschen, so wie ich seine "Leere" durchaus akzeptiere.

Nur: Egal ob ich die Story als teilweise "Betroffener" lese oder einfach als "normaler" Leser - ich kann, bis auf den ersten Absatz, keine Gefühle darin entdecken.
Für mich ist das so, als würde ich eine romantische Geschichte lesen, wo keine Gefühle beschrieben werden.

 

Liebe Violeta!

Erst einmal bin ich geschockt, daß jemand, der jünger als meine Tochter ist, solche Gedanken hat.
Ich nehme mal an, die Gedanken kommen aus Dir – woher sonst.

Daß Du die Ursache für Deine Depressionen im Umgang Deiner Eltern mit Dir suchst, ist vollkommen der richtige Weg.
Mach genau da weiter.
Nicht an Dir ist was nicht richtig, sondern Du wurdest falsch behandelt. Sie interessieren sich kein bisschen für Dich und nehmen Dich überhaupt nicht ernst, werfen Dir Floskeln vor die Füße – friß.

Selbstmord als Weg der Erlösung zu sehen, ist unlogisch, denn dann ist man ja nicht nur von den Qualen, sondern auch von seinem Leben erlöst – und das ist ja auf jeden Fall trotzdem lebenswert. Verliebtsein ist schön und wenn Du das spüren kannst, ist es das Leben doch wert! Zitat: „meine Depressionen waren wie weggeflogen, als ich sein süßes Lächeln sah.“


Ich habe das Gefühl, Du hast diese Geschichte während des Schreibens geistig absolut erlebt – wie sonst könntest Du vorher „warnen“, daß wir uns nicht wundern sollen, weil der zweite Teil in der Zukunft sei, er es aber dann nicht ist. - Kein Zeitwechsel.

Aus der weiteren Handlung schließe ich, daß Du gewohnt bist, zu tun, was Dir angeschafft wird.
Zitat: „Ich war nicht so glücklich über den Gedanken darüber, dass wir gleich tot wären, aber ich lächelte trotzdem.“
Brav – müßte Dein Vater sagen – stimmts? Denn Deine Gefühle zählen ja nicht......

Es wäre wichtig für Dich, Dir anderswo Selbstvertrauen herzuholen und vor allem zu sagen, was Du denkst. Zum Beispiel hier, denn ich finde, Du schreibst ganz gut.


Den männlichen Protagonisten kann man aber wirklich nicht fühlen, in Deiner Geschichte. Aber das bestätigt mir nur meine Vermutung, daß Du Deine eigenen Gefühle hier verpackt hast.
Trotzdem wäre es für´s Geschichtenschreiben wichtig, denn man hat das Gefühl, es wird eine Plastikpuppe erschossen, so leer ist dessen Charakter.

Du scheibst ja, ihr habt Euch den ganzen Tag gut unterhalten – worüber? Ihr seid in einem Cafe gesessen - hier könntest Du vielleicht ein wenig von ihm einbringen. Was redet ihr?
Ihr trefft Euch, um Euch umzubringen, da hattet ihr sicherlich emotionale Themen, die für den Leser interessant wären.
Wenn Du diese im Mittelteil einfügen würdest, könnte man auch mit dem Schluß in der knappen Form mehr anfangen. So hatte ich jedenfalls wirklich das Gefühl, Du hast eine Plastikpuppe vor Dir, schießt, die Luft geht aus, er sackt zusammen.

Der letzte Satz hat mich dann wieder mitgenommen, weil Du – die Protagonistin – wiederum die Schuld auf Dich nimmst, ohne sie wirklich zu haben.

Alles in allem: Überarbeiten zahlt sich aus!!!!


Falls Du mal mit Leuten über Deine Kindheit reden willst, hier einLink
Sollte der nicht funktionieren, nimm den.

Alles liebe für Dich!


Lieber Jan!

Es gibt auch hier Leute, die einiges in der Geschichte vielleicht persönlich trifft –..... (usw.-Du weißt, wie´s weitergeht, ja?) :confused:

Lieber Rainer!

Du machst Dich überhaupt nicht zu wichtig – Du weißt doch, daß Du wichtig bist.

Aber die Diskussion, wer denn nun Depressionen hat, wäre Schwachsinn gewesen, oder ist jemand anderer Meinung? Ihr könnt natürlich auch weitermachen, wollte nur meine Gedanken einwerfen. :)

Alles liebe
Susi

 

Erstens: ich habe die Geschichte gerne und zügig gelesen, egal was euch dabei an Gefühlsdarstellungen fehlen sollte. Das mag ja sein. Mir hat sie Raum gegeben, über den Autor Vermutungen anzustellen.

Zweitens: gut, dass ihr noch die Kurve wegen der unterschiedlichen Einschätzung der Depression gefunden habt. Ich kann aus eigenem Erleben dazu beisteuern, dass es beides gibt, dieses ewig und drei Tage wegen jedem nur erdenklichem Scheiß in Tränen, tiefster Rührung und Betroffenheit ausbrechen und dieses Leeregefühl, dass einem alles egal ist und man neben sich steht und gar nicht so recht weiß, was überhaupt im Leben noch Sinn macht. Allerdings ist dieses letzere Gefühl bei mir das schlimmere gewesen, weil ALLES aussichtslos erschien, auch das Dagegenankämpfen.

 

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