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Ein verwandelter Weihnachtsabend

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02.09.2006
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Ein verwandelter Weihnachtsabend

Ein verwandelter Weihnachtsabend


Ein Raunen ging durch die Klasse als Martins Englischlehrer Herr Friedrich die Klassenarbeitshefte aus seiner Aktentasche nahm. Bei dem einen oder anderen Schüler kam ein ungutes Gefühl auf, so auch bei Martin.

Schwer war diese Englischarbeit in der letzten Woche gewesen. Nicht nur die Tatsache, dass so kurz vor den Weihnachtsferien allen Lehrern mit einem Mal einfiel, noch schnell alle Arbeiten schreiben zu müssen, sondern auch das Handballturnier, welches über die Platzierung in der Jungendregionalliga entschied, hatten dazu beigetragen, dass Martin und auch jede Menge andere Klassenkameraden nicht die gewohnte Zeit mit dem Üben für diese Englischarbeit verbracht hatten. Dabei machte sich Martin ganz gut in der nun sechsten Klasse des städtischen Gymnasiums. Nach einer anfänglichen Umgewöhnungsphase von der Grundschule auf die Weiterführende erreichte er durchaus sehenswerte Leistungen und seine Lehrerinnen und Lehrer waren sehr zufrieden.

Der Englischlehrer hatte die Angewohnheit, die Hefte so anzuordnen, dass die mit den guten Noten oben lagen und je schlechter die Note, desto weiter unten im Stapel waren sie. „Die Englischarbeit lässt sehr zu wünschen übrig, wir haben dieses Mal zehn Fünfer und sogar zwei Sechser, hingegen ist die Eins nur einmal vertreten und der Zweierbereich ist auch nicht reich bestückt.“

Martin musste schlucken, der eine oder andere der Jungen und Mädchen schienen ebenfalls gar nicht erbaut von den Worten des Lehrers.

Schon begann Herr Friedrich die ersten Schüler und Schülerinnen aufzurufen. Marlene hatte wieder einmal die Eins. Die wenigen Zweier waren schnell ausgegeben, im Dreibereich bemerkte Martin leicht beginnende Bauchschmerzen. Die Vieren waren viel zu schnell verteilt. Der Lehrer hatte bestimmt zwischendurch die Hefte nicht richtig sortiert, so hoffte Martin, denn eine Fünf hatte er noch nie bekommen. Aber das nun Unausweichliche und für ihn Unfassbare geschah, er wurde aufgerufen. Mit klopfendem Herzen ging er nach vorne zum Pult und nahm sein Heft entgegen, dabei schielte er auf seinen Lehrer, der einen leicht enttäuschten Gesichtsausdruck hatte.

Zurück an seinem Platz angekommen schlug er nervös das Heft auf, nach einigem Hin- und Herblättern fand er die richtige Seite und sah seine schlimmsten Befürchtungen bestätigt. „Mangelhaft! Du hast wesentliche Teile der Grammatik offensichtlich nicht verstanden und leider sehr viele Rechtschreibefehler gemacht!“ stand unter seinen letzten Zeilen. Martin war unendlich traurig und auch zornig, denn er hätte bestimmt mehr üben können, wenn er sich nur die Zeit dafür genommen hätte. Hinzu kam die aufkommende Bestürzung darüber, dass er absolut nicht wusste, wie er dieses Resultat seinen Eltern beibringen sollte. Die soo wahnsinnig enttäuscht von ihm sein würden. Noch gestern hatte sein Vater gesagt: „Ich bin so froh, mein lieber Martin, dass du dich so gut in der Schule machst und so selbständig arbeitest!“ Konnte er sie so eine Woche vor Weihnachten so sehr enttäuschen mit der Tatsache, dass er diesmal völlig versagt hatte?

Unendlich lang schien der Rest dieses Schulvormittages. Aber endlich saß er im Schulbus und hatte sogar einen Sitzplatz ergattert. Er nahm noch einmal sein Arbeitsheft aus dem Tornister und schaute lange auf die handgeschriebene Note des Lehrers. Aber egal wie lange er darauf starrte, sie verschwand nicht. Im Gegenteil, sie wurde immer größer und dicker, je länger er sie ansah.

Zuhause angekommen wartete seine Mutter schon mit dem Essen. Vater kam immer erst am Abend. Er war Buchhalter, gerne wäre er etwas Größeres geworden, aber aufgrund seiner mittelmäßigen Schulbildung hatte es nur dafür gereicht. „Die Zeiten waren damals schwerer als heute. Aber du Martin hast alle Möglichkeiten mal den Beruf zu erlernen, der dir am Herzen liegt.“

Bei diesen Gedanken und der Befürchtung den Hoffnungen seines Vaters nicht entsprechen zu können, konnte er das Essen gar nicht so richtig genießen, obwohl es heute Sauerbraten gab, sein Lieblingsgericht.

Von der Fünf erzählte er seiner Mutter noch kein einziges Wort.

Bei den Hausaufgaben kam ihm ein erlösender Gedanke: Er hatte in zwei Tagen Ferien. Laut Stundenplan war heute die letzte Englischstunde gewesen. So war es ja nicht dramatisch, die Arbeit erst nach den Ferien zu beichten und somit den Eltern nicht die Festtagslaune zu verderben. „Manchmal habe ich doch ganz gute Einfälle!“, dachte er bei sich. Er nahm das besagte Heft und legte es unter einen Haufen von Jugendbüchern in sein Bücherregal. Somit wollte er die Sache über die freien Tage einfach aus seinem Gedächtnis streichen. Aus und Basta!

Der Weihnachtabend kam. Die Eltern hatten den ganzen Tag über allerbeste Laune gehabt und der Baum war festlich geschmückt. Überall in der Wohnung duftete es nach Weihnachtsgebäck, Zimt und Tannengrün. An diesem besonderen Tage hatte es sich die Familie angewöhnt, gegen Mittag ein Schläfchen zu halten, denn dieser Abend wurde immer sehr lang.

Martin hatte sich in seine dicke Winterdecke eingekuschelt und war auch schnell eingeschlafen. Dann träumte er:

Ein Gezappel und Gewuschel im Bücherregal war zu hören. Martin ging darauf zu. Das Englischarbeitsheft hatte Leben bekommen. Böse Augen neben seinen Namen starrten ihn an, wild fuchtelte es mit Papierarmen und Beinen um sich. „Böser Martin, du! Eine Fünf in Englisch! Und du sagst es nicht deinen Eltern. Du hast mich so verschandelt, mit dieser hässlichen Note in mir kann ich mich nirgends mehr sehen lassen. Du bist so böse!“ Es sprang auf den Teppichboden herunter und ließ seine Seiten wild flattern. „Du bist so böse!“ Voller Angst entgegnete Martin: „Es tut mir so leid, ich wollte doch eine bessere Note schreiben, aber nun ist es eben passiert!“ Panisch sah er, dass das lebendige Heft zur Zimmertüre hinaus wollte. „Wo willst Du denn hin?“ „Ich flattere zu deinen Eltern und werde ihnen mal erzählen, was du aus mir gemacht hast. Du böser Junge!“

„Nein, mache das nicht, mache das nicht!“ Hektisch versuchte Martin das Heft auszuhalten, aber ……….

„Martin?“ Martins Mutter stupste ihn sachte an der Schulter und flüsterte, „Martin, du hast geredet im Schlaf. Hast wohl was Schlechtes geträumt, oder?“
Erleichtert stellte Martin fest, dass alles wirklich nur ein Traum gewesen war. Noch etwas schlaftrunken stand er auf und bemerkte, dass sein Hemd durchnässt von Schweiß war.

Der Höhepunkt des Weihnachtsabends stand nun kurz bevor. Sie hatten gemütlich zusammen gegessen, Gänsebraten, wie in jedem Jahr. Dann begab Martin sich in sein Zimmer und wartete auf den Bescheid seiner Eltern, dass er in die Weihnachtstube durfte, die schon den ganzen Tag hermetisch abgeriegelt worden war.

Endlich war es soweit! Aufgeregt schritt er in die Stube und besah sich entzückt den wunderschön geschmückten Weihnachtsbaum. Alles war wieder so schön gemacht worden von seinen Eltern. Er konnte es kaum fassen, die Worte fehlten ihm.
Nachdem sie alle ein festliches Weihnachtslied gesungen hatten, sollte Martin nun seine Geschenke auspacken.

Das ließ er sich natürlich nicht zweimal sagen und fing eifrig an, die liebevoll verpackten Pakete zu öffnen. Ein Mikroskop, das hatte er sich doch so sehr gewünscht. Ausreichend Zubehör war in den anderen Päckchen verborgen. Dabei hatte er einmal bei einem
Einkaufsbummel mit seiner Mutter gesehen, dass diese Geräte fast unerschwinglich teuer waren und somit als Weihnachtsgeschenk bestimmt nicht infrage kamen, denn besonders wohlhabend waren seine Eltern nicht gerade.

Vor lauter Rührung wurde ihm mit einem Mal bewusst, wie lieb seine Eltern ihn haben mussten. Ein großes Scharmgefühl und ein schlechtes Gewissen beschlichen ihn. Ohne es verhindern zu können, kullerten ihm plötzlich dicke Tränen aus den Augen.

„Schau nur Liebling, unser Sohn weint vor Freude!“ bemerkte Martins Vater. Nun konnte sich Martin nicht mehr halten. Laut schluchzend sprudelte es aus ihm heraus. Er fing an, alles zu erzählen. Das mit der Fünf, mit den Gedanken, die Feiertage verstreichen zu lassen, eben alles. Auch den Alptraum ließ er nicht aus.

Bestürzt schauten die Eltern sich an und dann nahm Martins Mutter ihn ganz feste in den Arm und sagte: „Mensch Junge, aber du kannst doch mit uns über alles sprechen, und du brauchst auch keine Angst zu haben. Jeder kann mal eine schlechte Note in einer Klassenarbeit haben. Jeder!“ Auch der Vater meinte: „Meinst du nicht, auch wir haben mal schlechte Noten gehabt? Wichtig aber ist doch, dass wir uns alles erzählen, die guten und schlechten Dinge, oder?“ Martin nickte verhalten. Mit so viel Verständnis hatte er nicht gerechnet. Er hatte die allerliebsten Eltern der Welt!

Martin holte sein Arbeitsheft aus dem Zimmer und zeigte die Arbeit. Vater und Mutter meinten, dass jetzt nicht die Zeit war, solche Dinge im Detail zu besprechen, denn schließlich war ja Weihnachtsabend. Morgen wollten sie in aller Ruhe schauen und Martin bei der Berichtigung helfen.

Er klingelte das Telefon. Fragend schauten sich alle drei an. Wer rief wohl an Weihnachten bei ihnen an?
Martins Vater ging an den Apparat, nahm den Hörer ab und lauschte. „Guten Abend, hier Herr Bäumchen! – Ja! – Ach so! Gut, ich sage es ihm! - Ihnen auch ein friedliches Fest! – Bis demnächst!“ Er legte würdevoll den Hörer auf die Gabel und sah mit geheimnisvollem Blick in Richtung Martins. „Wer war das?“, fragte Mutter neugierig. Vater lächelte verstohlen und erzählte: „Es war Herr Friedrich, Martins Englischlehrer! Er hat hin und her überlegt und ist nach Rücksprache mit dem Schuldirektor zu der Erkenntnis gekommen, dass die Klassenarbeit aufgrund der vielen vorweihnachtlichen Verpflichtungen nicht gewertet werden sollte. Er will die Arbeit nach den Ferien erneut schreiben lassen. Da Weihnachten war, wollte er es unbedingt noch an alle Schüler weitergeben, ein kleines Weihnachtsgeschenk eben, und liebe Grüße an dich, Martin!“

Wahnsinn! Das war wohl das schönste Geschenk! „Ab morgen werde ich üben wie ein Stier!“, dachte Martin voller Erleichterung und Freude.
Diesen Tag sollte Martin in seinem Leben nie mehr vergessen.

 

Hallo putzteufelchen

Ich bins mal wieder. Nicht das du dich noch von mir verfolgt fühlst. :)
Stilistisch sagt mir diese Geschichte weit mehr zu, als die letzte die ich von dir gelesen habe ("ein Lächeln"). Aber Inhaltlich stehen mir die Nackenhaare zu Berge. Bis zu dem Traum find ich es gar nicht mal so übel, du beschreibst eine Situation die wir wohl alle kennen, in recht realistischer Weise. Doch dann das: Ab Martins Traum wird es der ultimative Kitsch und völlig Klischee überladen. Das Heft, dass durch die Gegend flattert und immer "böser Martin" schreit find ich echt zu billig. Seine Gewissensbisse und Ängste kann man erheblich differenzierter ausdrücken. Am Ende klingt dann alles in der gemütlichen Atmosphäre einer drittklassigen Kaffeewerbung aus. Also echt, bei der tränenreichen Beichte hat es mir eigentlich schon gereicht, aber als dann auch noch der Englischlehrer angerufen hat und sich alles in wohlgefälliges Kollektiv-Wir-haben-uns-alle-so-lieb-Gekuschel auflöste, war mein persönliches Limit an Kitsch weit überschritten.
Vielleicht sehen das andere Leser ganz anders, aber mein Geschmack ist das wirklich nicht und ich find es echt schade, da du, wie gesagt, bis zum Ende hin eigentlich alles ganz richtig machst. Am Schluss drückst du dich einfach vor einer differenzierteren Konfliktlösung und löst alles nach dem Walt-Disney-Prinzip auf.
Einfach nicht mein Fall.

Gruß, Skalde.

 

Hallo Skalde,

danke für Deine Kritik. Findest Du nicht, daß es ab und zu auch mal ein bisschen zauberhaft und schön zugehen sollte. Wenn nicht auf dieser Welt, in er es schon genug Schlechtes gibt, dann aber in der einen oder anderen Geschichte. Ein Happy-End wünschen wir uns doch manches Mal alle, insgeheim, oder? Kann man nicht in seinen Geschichten ein bißchen träumen?

Vielleicht betrachtest Du es mal von dieser Seite!

Gruß, Sandra
P.S. Jungendliche und Kinder sind gerne mal in Phantasia

 

Hallo putzteufelchen,


ansich gefällt mir Deine Geschichte gut. Was für eine Erleichterung, an Weihnachten. Und was für ein schönes Gefühl, wenn die Eltern so hinter einem stehen! Das bringst Du auch gut rüber. Ein bisschen träumen schadet sicher manchmal nicht, und ab und zu würde ich einigen von uns ein bisschen mehr davon wünschen. Mein Vorkritiker hat recht: ein bisschen sehr überladen und kitschig wirken manchen Stellen schon. So sehr hat es mich allerdings nicht gestört.

Ein Raunen ging durch die Klasse als Martins Englischlehrer Herr Friedrich die Klassenarbeitshefte aus seiner Aktentasche nahm.
dieses Bild von den Heften, die der Lehrer nach der Arbeit wieder austeilt, ist mir natürlich bekannt. Ich frag mich immer, warum das bei uns nie einer gemacht hat. Normalerweise werden Arbeiten auf Leerblättern oder Arbeitsblättern geschrieben, nicht ins Heft, zumindest in der heutigen Generation ...
Du versuchst, Spannung aufkommen zu lassen durch die Anordnung der Hefte, aber es mag nicht recht gelingen. Ich habe mir von Anfang an gedacht, dass Martin vermutlich Pech haben wird - keine Überraschung hier, man wird nur ein paar Zeilen weiter "hingehalten". Das ist allerdings nicht so schlimm. Großteils schreibst Du flüssig, die Geschichte ist recht angenehm zu lesen. Es ist kein Knaller, aber sie hat mir dennoch recht gut gefallen. Etwas ruhigeres, mit einem Happy End - für zwischendurch: :)

schöne Grüße
Anne

 

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