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Eine kurze Geschichte (2011-2018)

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27.05.2018
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Eine kurze Geschichte (2011-2018)

Ich sah die beiden schon, als ich an der Station wartete. Es regnete, er hielt ihr den Schirm und stand selbst im Regen. Sie stiegen eine Tür weiter vorne ein als ich – schweigend. Er – groß, nicht schlank, Kurzhaarfrisur, Lederjacke – ließ ihr den Vortritt. Sie – klein, weibliche Figur, mittellanges Haar – ließ sich mit einer Mischung aus Genervtheit und Müdigkeit auf einen Platz sinken. Er setzte sich schweigend neben sie. Dann fuhr die Straßenbahn an und sie schwiegen ein bisschen. Ich saß hinter ihnen. Er starrte sie ein wenig von der Seite an. Seine Gefühle schienen gemischt zu sein, eine Melange: Ärger, Zorn, Unverständnis, ein Hauch Liebe. Ich konnte die Unterhaltung der beiden nicht hören, aber ich sah seine sich bewegenden Lippen. Verschlafen blickte sie ihn an und antwortete einsilbig.

Die Straßenbahn blieb stehen. Menschen steigen aus, steigen ein, niemand schenkt den beiden Beachtung.

Er spricht sie wieder an. Sie sehen aus wie ein altes Ehepaar, aber da ist etwas Anderes. Sie sind kein Paar. Mehr.

Ihre eine Gesichtshälfte, die ich sehen konnte, zeigte Züge von Müdigkeit. Sie war ihn müde. Und er wusste es, aber er wollte es nicht wahrhaben.

Die nächste Haltestelle. Ich beobachte die beiden weiter. Menschen steigen aus und andere steigen ein. Niemand schenkt ihnen Beachtung, niemand achtet auf mich. Es geht weiter.

Wir fuhren dahin. Die beiden schwiegen. Es schien, als hätten sie einander nichts zu sagen. Aber offensichtlich war etwas unausgesprochen zwischen ihnen. Die nächste Station war in Sicht, er startete erneut einen Versuch, eine Konversation aufzubauen. Sie antwortete lebendiger. Offensichtlich stand ihr eine Befreiung von ihren Qualen unmittelbar bevor. Während die beiden sprachen, schien sich etwas verändert zu haben. Ich konnte es nicht bewusst wahrnehmen, es dauerte nur den Bruchteil einer Sekunde. Nicht lange genug, um es zu verstehen, aber lange genug, um es zu fühlen.

Er sagt etwas zu ihr. Die Hälfte seines Gesichts, die ich sehe, sieht traurig aus. Seine Mundwinkel sind nach unten gezogen. Für den Bruchteil einer Sekunde zuckten sie. Sie sieht ihn kurz an, dann wieder geradeaus. Er sagt etwas zu ihr, gibt ihr einen Kuss auf die Stirn und steigt aus. Sie sieht ihm nicht hinterher, dreht sich demonstrativ zum Fenster. Ich sehe eine Träne in ihrem linken Augenwinkel, aber ihr Gesicht ist wie versteinert. Wir stehen an der Ampel, die Fenster sind offen. Ober uns dröhnt die Bahn. Plötzlich ein ohrenbetäubendes metallisches Quietschen, so als würde ein kilometerlanger Güterzug innerhalb einer Sekunde zum Stehen kommen. Es verstummt. Für eine Sekunde ist alles still. Jemand schreit auf. Die Türen schließen sich, war fahren weiter.

Sie heißt Stefanie. Er hieß Martin.

 

Hallo StefanSchuhbruecke,

Willkommen bei den Wortkriegern. Meinen hundertsten Beitrag sollst du haben.

Sie stiegen eine Tür weiter vorne ein als ich – schweigend. Er – groß, nicht schlank, Kurzhaarfrisur, Lederjacke – ließ ihr den Vortritt. Sie – klein, weibliche Figur, mittellanges Haar – ließ sich mit einer Mischung aus Genervtheit und Müdigkeit auf einen Platz sinken.

Das mit den Gedankenstrichen kann man natürlich machen, finde ich hier aber überreizt. Wenn du schreibst "er - ... und sie - ..." dann hat das System, das ist gut. Aber schreibe den Satz doch so um, dass du den Bindestreichen bei "schweigen" wegbekommst.

Sie stiegen eine Tür weiter vorne ein als ich – schweigend. Er – groß, nicht schlank, Kurzhaarfrisur, Lederjacke – ließ ihr den Vortritt. Sie – klein, weibliche Figur, mittellanges Haar – ließ sich mit einer Mischung aus Genervtheit und Müdigkeit auf einen Platz sinken. Er setzte sich schweigend neben sie. Dann fuhr die Straßenbahn an und sie schwiegen ein bisschen.

Wortwiederholung. Das musst du umschreiben, oder besser noch, streichen. Vom ersten markierten Satz an weiß ich, dass sie schweigen, das musst du nicht so oft wiederholen. Die Wortwiederholung ist natülrich gerechtfertigt, wenn das Schweigen das große Thema der Geschichte wird.

zeigte Züge von Müdigkeit.

Das hast du im ersten Absatz schon gesagt.

Sie war ihn müde.

ihn kursiv?

Wir stehen an der Ampel, die Fenster sind offen. Ober uns dröhnt die Bahn. Plötzlich ein ohrenbetäubendes metallisches Quietschen, so als würde ein kilometerlanger Güterzug innerhalb einer Sekunde zum Stehen kommen. Es verstummt. Für eine Sekunde ist alles still. Jemand schreit auf. Die Türen schließen sich, war fahren weiter.

Hier komme ich nicht mit, lieber Stefan.
1) "Wir stehen an der Ampel". Wer ist wir? Die Straßenbahn, oder? Das musst du sagen.
2) Ober uns --> Über uns? Aber wo?? Ist da eine Brücke?
3) Also dauert das ohrenbetäubende Quietschen nur eine Sekunde? Das geht doch ewig, wenn ein Zug eine Vollbremsung hinlegt.
4) "Die Türen schließen sich, wir fahren weiter", du schreibst "war fahren weiter"

Für mich entsteht hier einfach kein Bild, ich verstehe das nicht. Da steht eine Straßenbahn. Wo ist jetzt plötzlich die Bahn? Wie kommt Martin so schnell dahin, wenn sie über uns ist? Und was haben die Namen damit zu tun, und woher weiß der Erzähler plötzlich die Namen von zwei wildfremden Menschen? Martin hat sich umgebracht, das habe ich richtig verstanden? Und sein letzter Versuch, Stefanie zurückzugewinnen, besteht größtenteils aus Schweigen? Innerhalb von drei Stationen gibt er auf? Nicht nur sie, sondern sein Leben? Wenn Martin "normal" ist (so normal, wie man in dieser Situation eben sein kann), dann würde er doch nochmal alles daran setzen, sie zurückzubekommen, das sehe ich hier nicht.

Mir bleiben hier einfach zu viele Fragen offen. Die entscheidene Szene kann ich mir räumlich nicht vorstellen. Auch Stefans verhalten erscheint mir teils nicht authentisch.

Außerdem, ganz ganz wichtig: Einige dich auf eine Zeit in deiner Geschichte! Du wechselst zwischen Präsens und Präteritum.

Das war mein Leseeindruck. Viel Erfolg beim überarbeiten und viel Spaß hier im Forum!

Viele Grüße, Salomon

Edit: Achja, der Titel der Geschichte ist unglaublich langweilig, und was hat (2011-2018) zu bedeuten?

 

Schon der Titel

Eine kurze Geschichte (2011-2018)

Salomon hat schon einiges gesagt, schon der Titel also birgt ein Gheimnis und ich vermute mal, 2018 bezeichnet das Ende einer Beziehung, die - vielleicht - wer weiß das schon außer den Betroffenen und dem Autor - 2011 begann. Die von Dir beobachtete Bahnfahrt wäre also in diesem Jahr, was vielleicht Deine Verwirrung der Zeiten verursacht
Die Straßenbahn blieb stehen. Menschen steigen aus, steigen ein, niemand schenkt den beiden Beachtung.
was öfters vorkommt.

Zudem könnte es auch "eine kurze Geschichte des Schweigens" heißen, dass der Satz

... und sie schwiegen ein bisschen
tiefstapelt.

Aber hier irstu

Sie war ihn müde.
Beide können müde sein, aber sie kann bestenfalls "seiner müde sein" (und im Umkehrschluss "er wäre ihrer müde".

Aber dass Du nach so wenigen Zeilen die Konzentration verlierst, gibt mir zu denken

Ober uns dröhnt die Bahn.
Über!

Die Türen schließen sich, war fahren weiter.
Hört sich zwar lustig an, Du meinst aber "wir" fahren weiter.

Und zum Schluss noch ein Mysterium, das wohl mehr bedeuten soll als einen Gezeitenwechsel:

Sie heißt Stefanie. Er hieß Martin.

Lieber StefanSchuhbruecke,

sieh es als eine Fingerübung an, eine Geschichte wollen die Notizen noch werden.

Wie dem auch sei, herzlich willkommen hierorts!

Friedel

 

Hej StefanSchuhbruecke,

wie paradox und ungewöhnlich dein Titel ist, so geht es im tatsächlich kurzen Text weiter. Paradox, weil sieben Jahre nicht kurz sind, aber angekündigt wird und die Geschichte von einem heimlichen Beobachter aus zu erzählen finde ich reizvoll und eben ungewöhnlich.

So richtig dufte gemacht ist sie dann leider nicht, weil sie für die Kürze zu viel offen lässt und einige Beobachtungen zu vage sind für mein Empfinden.

Dann fuhr die Straßenbahn an und sie schwiegen ein bisschen.

Ein bisschen schweigen ist süß, so als wäre das eine liebevolle Gemeinsamkeit.

Seine Gefühle schienen gemischt zu sein, eine Melange: Ärger, Zorn, Unverständnis, ein Hauch Liebe.

Das hätte ich gerne selbst anhand seiner Gesichtszüge festgestellt oder seiner Handlung, so wie du mir eingangs einen Mann zeigtest, der fürsorglich und uneigenützig schien, als er ihr den Schirm hielt und selbst nass wurde. Irgendetwas hätte ich gerne wieder gesehen, eine hilflose Geste vielleicht.

Die Straßenbahn blieb stehen. Menschen steigen aus, steigen ein, niemand schenkt den beiden Beachtung.

Die Zeitveränderung verstehe ich nicht. Ein Versehen?

Sie sehen aus wie ein altes Ehepaar, aber da ist etwas Anderes. Sie sind kein Paar. Mehr.

Ach, an alte Leute hatte ich jetzt nicht gedacht. :hmm: Und woran macht der Beobachter es fest, dass sie kein Paar mehr sind? Ach hier hätte ich einen Hinweis bekommen. Ich will genauso viel wissen, wie der Beobachter. Ich bin ja auf ihn angewiesen.

Sie war ihn müde. Und er wusste es, aber er wollte es nicht wahrhaben.

So langsam habe ich den Verdacht, der Beobachter schliesst von sich auf die beiden. Das würde mir gefallen. :shy: Du müsstest mir nur einen Hinweis darauf geben, dass er vor kurzem verlassen worden ist, oder er dieses Verhalten der beiden selbst gut kennt. So ...

Seine Mundwinkel sind nach unten gezogen.

Genau genommen sieht er ja nur einen Mundwinkel.

Er sagt etwas zu ihr, gibt ihr einen Kuss auf die Stirn und steigt aus.

Das ist richtig aufreibend, dass du keinen einzigen Satz preisgibst, den die beiden miteinander reden, ich bin komplett auf die Gefühle des Erzählers angewiesen.

Sie heißt Stefanie. Er hieß Martin.

Ach. Wie kommt er darauf?

Du nutzt die einzelnen Stationen der Straßenbahn als Metapher der Stationen einer Beziehung, bilde ich mir ein. ;)

Das ist eine sehr traurige Geschichte, die der Beobachter da am frühen Morgen miterlebt hat. na und erst Stefanie und Martin (doch kein altes Ehepaar, denke ich)

Lieber StefanSchuhbruecke, du hast ja herausgehört, dass mir deine Idee gut gefällt, einzig die Ausführung ist mir nicht genau genug. Auf solch einer kurzen Distanz sollte mehr transportiert werden können. Dennoch die Stimmung passt gut für mich und ich bin berührt.

Ein Leseeindruck und freundlicher Gruß, Kanji

 

Hallo StefanSchuhbruecke
und herzlich Willkommen!

Ich hab mich von der Stimmung auch tragen lassen, so ein bisschen wie durch ein melancholisches Musikstück, die kurzen Sätze, der Beobachter, die Trostlosigkeit. Das hast du für mich gut eingefangen, auch seine Interpretation.

Aber mit dem Schluss kam ich auch nicht klar. Das ging mir alles zu schnell und war sehr ungenau. Zudem noch der Tippfehler am Schluss. Das las sich für mich, als wolltest du die Geschichte schnell zu Ende bringen. Ich hab ja gedacht, er hätte sie vor die Bahn geschubst. Oder sie ihn. Oder jeder freiwillig. Das hätte für mich dramatischer aufgezogen werden müssen. Das war so unspektakulär, so als ob die Bahn nur über einen Hubbel fährt.

Das mit den Namen braucht es nicht mMn, das hat mich irritiert, weil hier so abrupt die Perspektive vom Erzähler zum allwissenden Erzähler wechselt. Es kann natürlich sein, dass der Erzähler die Namen später in der Zeitung gelesen hat, aber ich finde das überflüssig.

Mir fehlt hier eine grundsätzliche Auflösung. Vielleicht irgendetwas, womit man gar nicht rechnet? Was war mit dem Paar? ( Ich hab mir die übrigens auch jung vorgestellt, vielleicht deshalb, weil Genervtheit bei alten Ehepaaren oft von beiden Seiten ausgeht.)

Ich finde, du könntest mehr aus der Geschichte machen, mir das Paar ein wenig näher bringen und vor allem das Ende nochmal überdenken.

Viele Grüße,
Chai

 

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