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Eine Neujahrgeschichte

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25.01.2016
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Eine Neujahrgeschichte

Der Himmel ist geprägt von einem Wechselspiel verschiedener Farben.
Begleitet wird dieses Schauspiel von einer lauten Geräuschkulisse.
Mal ist es ein lauter Knall, dann wieder mehrere kurze hintereinander.
Dieses Klangspiel wird häufig komplettiert von einem langgezogenen Pfeifen, welches sich in der kalten, klaren Nacht verteilt und mit einem Echo verabschiedet.
Das Beiwerk ist ein langsam und immer dichter werdender aufsteigender Nebel, der einen süßlich-verbrannten Geruch sein eigen nennt.
Das Feuerwerk des Animismus. Dieses ist nur ein Aspekt der Stammesreligion und bezeichnet damit die allgemeine Beseeltheit aller Naturerscheinungen des Naturvolkes, sowie dessen spirituelle, teils religiöse Vorstellungen um böse Geister zu vertreiben und auch die Freude über das neue Jahr auszudrücken.
Böse Geister vertreiben?
"Gar keine schlechte Idee", denkt sich Nick und setzt sich auf eine Banklehne.
Die Füße hat er auf die Sitzfläche gestellt und beobachtet das bunte und laute Treiben.
Die Bank steht auf einem größeren Hügel und deswegen hat Nick eine sehr gute Aussicht auf das gesamte Lichterspektakel.
In der rechten Hand hält er eine Zigarette und in der linken eine ungeöffnete Flasche Sekt.
Nick zittert.
Die Nacht ist sternenklar und die Temperaturen unter null.
Er ist nicht ganz so warm angezogen und die Kälte hat schon lange von seinem Mark und Bein Besitz genommen.
Die Jacke ist keine Winterjacke und konnte die Kälte auch nicht lange fernhalten.
Aber er hat ohnehin nicht vor, lange hier zu verweilen.
Jedes Jahr, um etwa die gleiche Uhrzeit, gehen er und sein Bruder Phillip zu dieser Bank und lassen das vergangene Jahr Revue passieren und erzählen sich ihre Vorsätze fürs neue Jahr.
Da das Elternhaus nicht weit von dieser Bank entfernt ist, haben sie keinen langen Weg dorthin.
Es ist zur Tradition der beiden Brüder geworden.
Nick zieht an seiner Zigarette.
Er atmet tief ein, lässt das Gemisch aus Benzol, Nitrosamine, Formaldehyd und Blausäure lange in seiner Lunge, ehe er es wieder ausatmet.
Nick starrt nach vorne und spricht zu seinem Bruder:
"Ach Phillip. Das war ein Jahr zum vergessen."
Er schaut nach links und rechts, sieht sein Bruder aber nicht.
Nick lacht.
"Alter, hast du eine Mädchenblase, oder warum bist Du schon wieder pinkeln?"
Wieder zieht er an seiner Zigarette, inhaliert genussvoll das ungesunde Chemiegemisch und bläst den Rauch in die Nacht.
"Weißt du, es hat mich echt umgehauen, als Jule unsere Beziehung beendet hat. Ich war mir dessen nicht so bewusst, dass Jule so unglücklich mit mir ist."
Nick wirkt nachdenklich und fängt an zu nicken, als ob er sich gerade selber eine Antwort gegeben hätte.
"Ok, wir hatten unsere Probleme gehabt und auch ich war nicht immer zufrieden, aber wie kann jemand eine siebenjährige Beziehung einfach so beenden? Verbindet eine so lange Zeit nicht?"
Nick zieht noch zweimal hastig und in kurzen abständen an seiner Zigarette, verkeilt den kurzen Stummel zwischen Daumen, sowie dem Mittelfinger und schnippt diesen nach vorne weg.
Die dunkelrote Glut, die sich vorne an der Zigarette befindet, ist wie ein kleines leuchtendes Lebewesen, welches sich in der Nacht bewegt und zu Boden fällt.
Die Glut ist noch etwas auf dem Boden zu erkennen, bevor diese immer dunkler wird und schließlich erlischt.
Nick beobachtet gedankenverloren wieder das Feuerwerk und fängt an, an dem Kopf der Sektflasche zu schrauben, um den Verschluss zu öffnen.
"Und Phillip, die Arbeit zieht mich echt runter. Ohne scheiß, die lässt meine Psyche zerbrechen. Dieser ständige Machtkampf zwischen den Arbeitskollegen, die sich einen Rotz über dein Wohlbefinden interessieren. Sie lassen keine Gelegenheiten aus, um dir beim Vorgesetzten eins reinzuwürgen, nur damit du schlecht dastehst und sie gut."
Während Nick von seiner Arbeit erzählt, steigt die Wut in ihm hoch und er dreht energischer an dem Hals der Sektflasche.
Seine Tonlage wird lauter und besitzt einen aggressiven Unterton.
"Und dieser ständige Dauerdruck. Ich meine, ich mache meine Arbeit jeden Tag, so gut es geht. Mal gibt es gute Tage und mal schlechte. Was soll denn diese ständige Dauerkontrolle und wieso kann denn mein Chef nicht einmal mit mir Zufrieden sein und mich loben? Phillip, ich bin seit fünf Jahren in dieser Firma, wenn ich wirklich so ein schlechter Arbeiter wäre, warum bin ich dann schon so lange dort? Das ist alles übertrieben und hausgemacht! Ach Alter, Arbeit soll doch Spaß machen!"
Nick hat sich in Rage geredet.
Mit einem lauten Plopp-Geräusch signalisiert die Sektflasche, dass sie geöffnet ist.
Er hält sie von seinem Körper weg, weil etwas vom Inhalt überläuft.
Während das Überlaufen langsam, aber stetig abnimmt, spricht Nick nun mit ruhiger Tonlage weiter.
"Weißt du Phillip. Das Ganze geht mir echt an die Psyche. Und nachdem dieses Jahr noch unsere Mutter verstorben ist, kann ich dir sagen, ich bin echt froh, dich an meiner Seite zu haben. Ich meine, wir haben doch nur noch uns... Ehrlich gesagt, ich habe nur noch dich."
Nick holt eine Zigarette aus der verknitterten Schachtel und zündet diese mit zitternder Hand an.
Ob er wegen der Kälte, oder wegen seiner Psyche am zittern ist, dass weiß er nicht.
"Phillip, bevor du dein Resümee ziehst, lass mich noch etwas sagen:
Als unser Vater vor Jahren durch den Krebs innerlich aufgefressen wurde, warst du mir eine Stütze. Und als Jule dieses Jahr ausgezogen ist, wir unsere Mutter zu Grabe getragen haben und mich das gesamte Arbeitsklima echt fertig macht, bist du mein letzter fester Halt im Leben. Wir haben nicht viele Verwandte und ich habe nicht viele Freunde, ich war von uns beiden immer der Verlierertyp und sage nichts gegenteiliges, denn du weißt, dass dieses stimmt."
Nick lacht kurz auf, zieht wieder an seiner Zigarette und wird traurig.
"Phillip, ich kann dir echt nicht sagen, ob ich in dieser trostlosen Welt ohne Dich überleben könnte."
Er beobachtet den Himmel, raucht die letzten zwei Züge seiner Zigarette, wirft sie ungeachtet weg und sagt:
"Phillip, lass uns trinken. Wir trinken auf das neue Jahr...unser Jahr! Wir Brüder trotzen dem Alltag! Wir gegen den Rest der Welt!"
Nick nimmt einen kräftigen Schluck aus der Sektpulle und will sie an seinem Bruder weiterreichen.
Er blickt nach links und nach rechts.
"Mensch, bist du schon wieder pinkeln? Phillip, du solltest...", Nick ist von der Bank aufgestanden und dreht sich zu seinem Bruder um.
Nick unterbricht jedoch seinen Satz, denn hinter ihm befindet sich niemand...
oder neben ihm...
Er ist allein...
und zwar die ganze Zeit über.
Nick hält kurz inne und verharrt ein paar Augenblicke.
Sein Bewusstsein kehrt in die Realität zurück und entzieht sich dem Monolog.
Er beißt sich auf die Unterlippe und sein Unterkiefer fängt an zu zittern.
Tränen füllen seine Augen, suchen sich einen Weg über die Wangen und tropfen zu Boden.
Mit dem rechten Arm wischt er über seine Augen, die Sektflasche gleitet aus seiner Hand und fällt zu Boden.
Nick geht auf die Knie und weint.
Phillip ist vor vier Wochen bei einem Autounfall ums Leben gekommen.
Er wollte auf einer Landstraße einen langsam fahrenden LKW überholen, kam ins Schleudern und prallte gegen einen Baum.
Nick wird bewusst, dass er mit seinen ganzen Schmerz allein ist...für immer und er weiß, dass er niemanden hat, der ihm Trost spendet.
Doch Nick weiß zu diesem Zeitpunkt nicht, dass dieses das letzte Silvesterfeuerwerk sein wird, welches er erleben sollte.

ENDE

 

So, da bin ich wieder!

Wow - die Stimmung wird im Vergleich zu deiner Weihnachtsgeschichte leider nicht fröhlicher. Du beschreibst hier einen sehr trostlosen, hoffnungslosen und niedergeschlagenen Plot und bürdest deiner Hauptfigur ja eine ganze Menge Leid und Kummer auf.
Vielleicht ein kleiner Verbesserungsvorschlag - du musst gar nicht so viel erklären. Der Leser kann sich schon früh von allein denken, dass der Bruder auch verstorben ist. Zuviel Telling ist gar nicht nötig.

Viele Grüße vom Eisenmann

 

Hallöchen!

Ein liebes Dankeschön für das Lesen dieser Geschichte und den verfassten Kommentar!

Ja, die Hauptfigur hat es nicht so leicht gehabt.
Leider war die Inspiration dazu ein privates Erlebnis gewesen.
Ob diese Geschichte nun Trauerbewältigung für mich gewesen war, kann ich nicht so genau sagen.
Sonst gibt es dazu nicht so viel zu erklären.

Lg MyStoryWorld

 

Hallo,

Die Stimmung deiner Geschichte kommt sehr stark zur Geltung und bleibt sich bis am Ende treu. Mir gefällt vor allem deine Detailtreue wenn es ums Rauchen geht:


Nick zieht noch zweimal hastig und in kurzen abständen an seiner Zigarette, verkeilt den kurzen Stummel zwischen Daumen, sowie dem Mittelfinger und schnippt diesen nach vorne weg.

Auch, dass du den süsslich-verbrannten Geruch ansprichst, versetzt mich an Neujahr oder den Nationalfeiertag. Als ob der Leser direkt neben Nick sitzt und ihm zuhört, aber so wie Philip nicht zu ihm sprechen kann.

Er ist nicht ganz so warm angezogen und die Kälte hat schon lange von seinem Mark und Bein Besitz genommen.

ergriffen würde mir hier persönlich besser gefallen, aber ich glaube das ist Geschmacksache.

Die Geschichte hat mich gepackt und berührt indem sie mich in die Szenerie eintauchen liess. Du hast weder zu viel noch zu wenig Adjektive benutzt.

Lg,

theM00nKing

 

Hallo M00nKing,

Dankeschön für das Lesen meiner Geschichte und den verfassten Kommentar.

Da ich selber mal im Club der Raucher gewesen war, konnte ich diese Szene gut beschreiben und mich hineinversetzen.
Auch wenn mich das nicht unbedingt mit Stolz erfüllt, aber (Gott sei dank) bin ich ja davon ab!

Dein Vorschlag / Einwand hätte sich auch gut angehört.

Lg
MyStoryWorld

 

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