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Eine wahre Geschichte

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12.12.2001
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Eine wahre Geschichte

“Hör' auf zu träumen!” hatte ich ihm gesagt. “Lebe in der Realität, nicht in deiner Phantasie!”
Ich war es so satt! Ständig mußte ich auf ihn aufpassen und mich darum kümmern, daß er seine Sachen beisammen hatte. Sonst würde er vor lauter Träumerei noch mal seinen Kopf verlegen. Ich mochte diese Art Mensch noch nie. Diese Träumer, den ganzen Tag geistig abwesend, dachten sie sich in irgendwelche Phantasiewelten - Hirngespinste möchte ich sagen -, anstatt sich um reale Probleme zu kümmern. Denn von denen war die Welt wahrlich voll - von vorne bis hinten! Wie konnte man so wenig Ehrgeiz haben, dies zu übersehen, besser gesagt, es einfach zu übergehen? “Träumen löst deine Probleme nicht!” hatte ich immer gesagt. “Du mußt handeln um Erfolg zu haben. Du mußt die Realität bewegen, damit sie dich bewegt! Damit sie dir die wege zu deinen Wünschen und Zielen frei gibt!” hatte ich gemahnt. Schon immer. Und das war die Wahrheit! So war nun mal die Realität!
Na egal, ich war jetzt fast zu Hause. Ich sollte wohl etwas entspannen anstatt mir den Kopf über ihn zu zerbrechen. Es half ja doch nichts. Mansche Menschen erkannten die Wirklichkeit eben selbst dann nicht, wenn sie grausamst in ihr Leben stürmte.
Ich betrat meine Wohnung und folgte dem Flur schnurstracks in Richtung Küche, um mir einen wohltuend warmen Tee zu machen. Das war nötig bei den Temperaturen.
Endlich ließ ich mich in den Sessel sinken und kuschelte mich in meine Wolldecke.

“Hey, aufwachen!”
Ich öffnete die Augen. Vor mir saß ein Hase. Lange Ohren, Knopfaugen, braunes Fell, buschiges Schwänzchen - ein Hase! Ein ganz gewöhnlicher Hase.
“Steh auf, Faulpelz!” sagte der Hase. Ein ganz gewöhnlicher Hase, der sprechen konnte.
“Du kannst...sprechen...” stammelte ich.
“Ich kann nicht sprechen.” sprach da der Hase.
“Aber ich höre dich doch! Ich höre deine Worte...” stotterte ich weiter.
“Das beweist nicht, daß ich sprechen kann.” entgegnete der Hase.
Nun war ich endgültig verwirrt.
“Du bist ein sprechender Hase, der nicht sprechen kann?” fragte ich verwundert und rieb mir die Augen, was den Hasen aber auch nicht bannen konnte.
Der Hase hoppelte in Richtung Tür, drehte sich wieder um und funkelte mich an.
“Oder ein nicht-sprechender Hase, der sprechen kann!” meinte er gelassen. “Mal abgesehen davon bin ich kein Hase.”
Ich betrachtete ihn genauer. Ich sah ihn doch vor mir!
“Lange Ohren, Knopfaugen, braunes Fell, buschiges Schwänzchen - du bist ein Hase! Sagte ich zu dem Hasen.
“Ich bin kein Hase!” meinte der Hase.
“Sondern?” wollte ich von ihm wissen. Es stand außer Frage. Ohne Zweifel hatte ich einen Hasen vor mir. Aber, dachte ich, vielleicht hieß “Hase” in der Hasensprache ja nicht “Hase”.
“Ich bin ein Fuchs!” antwortete der Hase.
“Füchse sehen anders aus.” entgegnete ich bestimmt. “Füchse sind größer. Füchse haben kurze Ohren.”
“Das Füchse größer sind als Hasen weiß ich,” begann der Hase, “deswegen habe ich auch noch nie einen Hasen gesehen, der mich überragte. Außerdem sind meine Ohren kurz.”
“Deine Ohren sind lang!” Ich hatte keine Lust auf solch infantile Streitereien, weshalb ich einen Spiegel aus dem Bad holte und ihn dem, offensichtlich schizophrenen, Hasen vor die Nase hielt.
“Was siehst du?” fragte ich.
Der Hase besah sich sein Spiegelbild; musterte es genau und wiegte seinen Kopf forschend hin und her.
“Nun, was siehst du?” wiederholte ich meine Frage.
Schließlich setzte er zur Antwort an. “Ich weiß nicht genau. Einen Elefanten?”
Er blickte mich erwartungsvoll an. Ich brauchte einige Zeit, mich zu fassen.
“Was?” Mehr brachte ich nicht hervor.
Der Hase sah wieder in den Spiegel. “Ich glaube, ich sehe einen Elefanten.” Meinte er jetzt mit voller Überzeugung.
“Aber das bist du dort im Spiegel! Ein Elefant ist riesengroß!” sagte ich.
Der Hase schüttelte den Kopf. “Nein, ich bin ein Fuchs und kein Elefant!” sagte er. “Außerdem bin ich doch hier, dann kann ich nicht im Spiegel sein.”
“Das ist dein Spiegelbild dort im Spiegel.” antwortete ich.
“Unsinn!” lachte da der Hase. “Wenn ich ein Fuchs bin und der dort im Spiegel ein Elefant ist, dann kann es sich dabei ja kaum um mein Spiegelbild handeln, oder!?”
Jetzt war ich an der Reihe, den Kopf zu schütteln. “Aber im Spiegel ist gar kein Elefant zu sehen!” sagte ich zu dem Hasen, überzeugt davon, ihn jetzt überzeugt zu haben, weil er mir natürlich nicht beweisen konnte, einen Elefanten zu sehen - schließlich war ja gar keiner da! “Da ist kein Elefant!” wiederholte ich.
“Sondern?” fragte der Hase und warf seinen Blick ganz fasziniert wieder auf den Spiegel.
“Na, ein Hase!” antwortete ich triumphierend.
“Siehst du!?” entgegnete da der Hase. “Dann habe ich ja trotzdem recht! Wenn dort ein Hase ist, kann es nicht mein Spiegelbild sein, weil ich ein Fuchs bin!”
Daraufhin zuckte er mit den Achseln - das heißt, es schien als täte er das, aber schließlich hatte er keine Achseln, mit denen er hätte zucken können - und hoppelte fort.

“Konnte denn ein Fuchs mit den Achseln zucken?” überlegte ich.

Der Hase jedenfalls wollte, daß ich ihm folgte, was ich auch tat - aus reiner neugierde. Auf den Flur, aus dem Haus, um das Haus und in den Garten. Endlich blieb er vor einem Mauseloch stehen.
“Rein da!” befahl er in einem Ton, der keine Widersprache erlaubte.
“Nein!” widersprach ich. “Das ist ein Mauseloch! Da passe ich nie und nimmer rein!”
“Das ist kein Mauseloch!” sagte der Hase mit strenger Miene.
“Und ob das ein Mauseloch ist! Selbst ein Kaninchenbau ist größer.” versuchte ich ihm die Wahrheit beizubringen. Scheinbar hatten sprechende Hasen, die sich für Füchse hielten, keinen großen Sinn für die Wahrheit. Ich hatte selten einen sprechenden Hasen gesehen, der die Realität so verkannte.
“Das ist ein Fuchsbau.” sagte er. “Mein Fuchsbau!”
Ungläubig blickte ich auf das Mauseloch.
“Fuchsbau, Mauseloch, du bist verrückt! Die Öffnung ist so der so zu klein für mich!” entgegnete ich entgeistert.
Da begann der Hase wieder. “Du sagtest doch vorhin, daß Elefanten riesig groß seien, oder?”
“Äh...ja!” stotterte ich. “Elefanten sind riesig groß!”
“Größer als du?” wollte er wissen.
“Nun...äh...natürlich. Klar sind Elefanten größer als ich.” was hätte ich sonst antworten sollen? Ich mußte stark an dem geistigen Zustand des Hasen zweifeln, stellte er mir doch solch unsinnige Fragen; noch dazu tat das ganze überhaupt nichts zur Sache.
“Wenn ein Elefant in diesen Fuchsbau passen würde,” hakte Freund Hase nach, “dann würdest du doch auch hinein passen, oder!?”
“Was?” Was für ein Unfug war denn das nun wieder?
Der Hase jedenfalls hoppelte ins nächste Gebüsch und ließ mich fragend zurück. Doch nur ein paar Sekunden später war er wieder da, und zwar nicht alleine, sondern eine kleine Maus vor sich her jagend. Seit wann jagten Hasen Mäuse? Die Maus, von offensichtlicher Todesangst erfüllt, verschwand ohne Hallo zu sagen in ihrem Mauseloch. Sehr vernünftig.
“Siehst du,” sagte der Hase, als er vor der Öffnung stehen blieb, “der Elefant, den ich eben jagte, paßte ohne Probleme in den Fuchsbau. Und da du ja, deinen Worten zufolge, kleiner bist als der Elefant, paßt du ganz bestimmt auch hinein.”
Der Hase hatte eine verblüffend einfache Logik.
“Folge mir!” sagte er.
Ich folgte ihm.

Wir liefen durch endlos lange Gänge, stockdüster, so daß ich versuchen mußte, blind dem Gehoppel des Hasen zu folgen. Irgendwie erreichten wir jedenfalls bald einen größeren raum, kreisrund mit roten Wänden, schwach beleuchtet durch...ähm...keine Ahnung wodurch, jedenfalls war Licht im Raum.
“Woher kommt das Licht?” fragte ich daher.
“Welches Licht?” war seine Gegenfrage. Hätte ich mir ja denken können.
“Nun, das Licht in diesem Raum! Ich sehe es. Es ist da.”
“Ich sehe es nicht. Ich sehe dich und mich, aber ich sehe kein Licht.” stellte der Hase fest. “Vielleicht hätte ich dich ausschlafen lassen sollen. Du scheinst mir noch nicht richtig wach zu sein. Naja, jetzt bist aber hier - setze dich in die Ecke da!
Da war keine Ecke. Der Raum war rund. Keine Ecke.
“Der Raum ist rund.” sagte ich.
“Natürlich ist der Raum rund, aber setze dich nun erst mal in die Ecke!” war seine Reaktion.
“Ein runder Raum hat keine Ecken.” meinte ich.
“Und wie willst du dich dann in eine setzen?” fragte der Hase.
Er blickte mich aus erschrockenen Augen an, hatte sich aber kurz darauf wieder gefaßt. “Hmm, dann mußt du wohl stehen, wenn das so ist.”
Ich stand. Einige Minuten lang. Der Hase machte keine Anstalten, mit mir zu sprechen. Statt dessen saß er nur da und starrte voller Begeisterung - oder so schien es jedenfalls - auf den Boden.
“Nun?” brach ich mein Schweigen.
Der Hase sah fragend auf. “Was nun?” brach er das seine.
“Was soll ich hier?” war ich nun wiederum mit dem Fragen an der Reihe. “Willst du mir nicht etwas sagen? Willst du nicht...ähm...mit mir sprechen?”
“Ich bin ein Fuchs, wie sollte ich mit dir sprechen können?” sagte der Hase kalt.
Jetzt war ich wirklich wütend.
“Bitte?” entfuhr es mir. “Ich lasse mich von dir wecken und folge dir in die tiefsten Tiefen eines Mauselochs, nur um mich in einem kreisrunden, roten Raum in die nicht vorhandene Ecke setzen zu müssen?”
“Wieso rot?” wollte der Hase wissen.
“Was? Äh...” er hatte mich unvorbereitet getroffen und aus dem Konzept gebracht. “Nun, die Wände sind rot, ich...”
“Die Wände sind blau!” unterbrach er mich ruhig.
“Die Wände sind verdammt noch mal rot, so wahr ich existiere!” fuhr ich den Hasen an.
Der Hase hoppelte einige Hopser auf mich zu und sah mir in die Augen.
“Erstens,” begann er, “sind die Wände blau und lediglich rot gestrichen!”
Was für ein Unsinn! Wenn man blaue Wände rot streicht, dann sind sie rot und nicht blau!
“Zweitens,” fuhr der Hase fort, “Wer sagt dir bitteschön, daß du existierst?”
“Wie bitte?”
“Du sagtest, die Wände seien rot, so wahr du existierst. Aber woher willst du wissen, daß du bist?”
Langsam wurde die Sache lächerlich.
“Ich sehe mich; du siehst mich doch! Also bin ich! Und außerdem denke ich! Ich denke, also bin ich!”

Der Hase läuft an das andere Ende des Raumes.
“Du dachtest, also warst du?” fragt er.
“Wieso sprachst du in der Vergangenheit?” frage ich. “Hey, ich sprach auch in der Vergangenheit!”
Ich verstehe gar nichts mehr.
“Taten wir das?” will der Hase wissen.
“Hey Erzähler!” schreie ich, “Wieso schriebst du im Präsens? Was sollte der Unsinn?”

Darauf der Erzähler: “Um dir zu bedeuten, daß du dich irrst! Du sagtest 'Ich denke, also bin ich' - doch wer sagt dir, daß du denkst, dachtest, gedacht hast oder je denken wirst?”
Ich sah mich gehetzt um. Irgend etwas stimmte nicht. Der Erzähler fuhr ungerührt fort.
“Vielleicht denkst du nur, daß du denkst!” rief er.
“Genug, Erzähler!” rief ich zurück und kauerte mich weinen in eine Ecke. “Genug!”

Da meinte der Hase: “Wieso Erzähler? Du bist doch nicht in einer Erzählung! Wach auf, du Träumer! Das ist die Realität! Hör' auf zu träumen!”

Seitdem wußte unser Held nichts mehr. Das rettete ihn vor dem unbedeutenden Tod, den Menschen ohne Träume sterben mußten. Denn wer weiß, der träumt nicht. Und wer nicht träumt, der lebt nicht. Und wer nicht lebt, der ist ohne Bedeutung!

 

Hallo erstmal,

(kurzfristig fällt mir folgende Kritik ein)
die Geschichte ist ja soweit eigentlich in Ordnung, bloß eine Frage hätte ich als Leser schon: Ist es richtig dass nach der Rinleitung der "Held" einschläft und sich dann in einem Traum befindet?
Wenn ja, dann wäre es vielleicht nützlich zu wissen in welcher Umgebung sich der Traum abspielt. Ob auch in der Wohnung des
Protagonisten, oder woanders. es wäre sinnvoll vielleicht ein bis zwei Sätze zur
Umgebung - in der sich der Traum abspielt - zu sagen, bzw. diese zu beschreiben.

Have a nice day (or evening!),

David.

* * *
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[Beitrag editiert von: internet.news am 12.12.2001 um 22:25]

 

Eben diese Frage bleibt von mir unbeantwortet, denn gerade die ist es, die behandelt wird...ich weiß nicht, ob der Charakter träumt, keine Ahnung, um ehrlich zu sein...nein, vielleicht ist er wach. Vielleicht nicht.

Stelle du dir die Frage: Träumst du? Wachst du? Weißt du?

;-) Aber danke für deine Anmerkung und vor allen Dingen für's Lesen!

 

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