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- 27.08.2001
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Einen Augenblick lang
Es gibt für einen Schriftsteller nichts schlimmeres als vor seinem Computer zu sitzen, den Kopf voller Ideen zu haben und dann stundenlang nach einem roten Faden zu suchen um die Einfälle in einer interessanten Art und Weise aufs Papier bzw. auf eine Diskette zu bringen. Wie schon an vielen Nachmittagen zuvor plagte mich auch an jenem Tag dieses entmutigende Zerwürfnis, so daß ich geradezu erleichtert war, als es an der Tür klingelte und mich eine alte Freundin mit ihrem Besuch aus meiner hoffnungslosen Lage befreite. Sie war eine wunderschöne Frau mit kurzen braunen Haaren, die auf eine faszinierende Art in der Farbe eines Sonnenuntergangs schimmerten. Ihre hypnotischen Augen waren so klar wie ein Gebirgsbach, und, ich sage euch, ihre bezaubernde weiche Stimme brachte mich seit je her fast um den Verstand.
Da stand sie also, in ihren Jeans und ihrer weißen Bluse, und es verschlug mir gewissermaßen die Sprache.
"Hallo Jeremias! Wie geht es Dir? Wir haben uns ja schon ewig nicht mehr gesehen!" sagte sie mit einem strahlenden Lächeln, daß meine Knie weich werden ließ.
Es war in jenem Sommer sehr warm und die Luft roch nach gemähtem Gras. Auf der Straße spielten ein paar Kinder mit einem bunten Gummiball und riefen sich dabei etwas zu.
"Hallo Christine, was für eine Überraschung!" Ich kam mir plötzlich ziemlich dumm vor mit meinen Hausschuhen und dem zerknitterten, aus der Hose heraushängenden Oberhemd, und das Beste was ich in dieser Lage tun konnte war, sie hereinzubitten. Ich führte sie in mein modern eingerichtetes Wohnzimmer und nachdem sie sich das Aquarium und die riesigen Picassoimmitate, die meine Wände schmückten, angesehen hatte ließ sie sich auf der Couch nieder. Mein Herz begann zu rasen. Ich konnte es nicht fassen, daß sie plötzlich wieder da war.
Nachdem ich uns beiden Kaffe gekocht hatte, (es war mir sogar gelungen nicht die halbe Küche unter Wasser zu setzen, wie beim letzten mal) saßen wir zusammen am Tisch und erzählten uns Geschichten aus früheren Zeiten.
Als wir mehrere Stunden miteinander geredet und gelacht hatten, kam sie auf den Grund ihres Besuches zu sprechen. Ihre Miene wurde plötzlich ernst und sie erzählte mir, daß sie sich von ihrem Mann getrennt hätte, mit dem sie sich schon lange nicht mehr verstand. Sie wohne jetzt bei einer Freundin nur ein paar Straßen weiter. Und glaubt mir meine Freunde, ich werde nie begreifen wie jemand, der mit einer so wunderbaren Frau zusammen ist, so versagen kann, und ihr die Tür weist.
Ich habe Christine noch am gleichen Abend zum Essen eingeladen. Wir aßen zusammen bei Kerzenschein, und ich hatte auf einmal das Gefühl, daß es einen Gott geben mußte und daß dieser es besonders gut mit mir meinte.
Der Abend war wundervoll und als ich sie dann Zuhause absetzte, gab sie mir einen Kuß auf die Wange bevor sie hinter ihrer Wohnungstür verschwand.
Ich gebe zu, daß ich in dieser Nacht kein Auge zu gemacht habe. Mir spukten zu viele Gedanken im Kopf herum. Ich träumte von einer Geschichte, die ich schrieb, von Hoffnungen, Erwartungen und da war immer wieder ihr Gesicht, mit den schönsten Augen, die ich je gesehen hatte.
Als ich am nächsten Morgen verschlafen die Tür öffnete um die Zeitung hereinzuholen, fand ich einen Zettel, der mit einem Klebestreifen an meine Tür geheftet war. Ich löste den Klebestreifen und spürte wie sich mein Hals zusammenzog. Der Zettel war von Christine. Sie schrieb, daß sie noch mit ihrem Mann telefoniert hat nachdem ich sie nach Hause gebracht hatte. Sie haben beschlossen es noch einmal miteinander zu versuchen. Sie bedankte sich für den schönen Abend und wünschte mir weiterhin alles Gute.
Ja, Freunde! Solche Dinge passieren im Leben. Und während ich jetzt hier sitze und die letzten Worte einer Geschichte schreibe
für die sich nie jemand interessieren wird, frage ich mich, ob es sich lohnt zu hoffen,
ob es sich lohnt zu warten, oder ob jeder weitere Gedanke darüber reine Zeitverschwendung ist.
Und ich spüre, wie sich meine Augen mit Tränen füllen.
ENDE