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Einsamkeit
Der Junge schluckte. Die Gedanken schossen ihm derart hartnäckig durch den Kopf, dass man meinen könnte, sie hätten eine boshafte Selbstständigkeit entwickelt, mit dem einzigen Ziel, ihm seine Situation immer und immer wieder vor Augen zu führen. Er wanderte langsam den schmalen Waldpfad entlang, immer darauf bedacht, seine weißen Schuhe ja nicht mit Dreck zu beschmutzen, was allerdings, in Anbetracht der Tatsache, dass es vor nicht all zu langer Zeit geregntet hatte, ein hoffnungsloses Unterfangen war. Ein ihm vertraut gewordenes Gefühl der Angst legte sich über den Jungen, und es war ihm, als hätten deren eiskalte Ketten sein junges Herz einmal, zu einem für ihn unbestimmbaren Zeitpunkt gefangen, und seitdem nicht mehr losgelassen. Dabei war diese Angst nicht an etwas bestimmtes gebunden. Er hatte nicht etwa Angst vor einer bestimmten Person, oder vielleicht sogar Angst in Form eines Wahns, der ihm in jeder Ecke Monstrositäten und andere Geistesgespinnste vorgegaukelt hätte. Es war etwas anderes, etwas, das er in seinem jugendlichen Mangel an Reife nicht wirklich begreifen, geschweige denn sich selber eingestehen konnte. Wütend wehrte er sich innerlich gegen jeden aufs neue aufkommenden Zweifel. Was für eine armselige Kreatur er doch war. Welches Recht hatte er, im Angesicht des Leids anderer so zu fühlen, wie er es tat ? Und dennoch fand er kein wirksames Mittel, den sich in seinem Kopf eingenisteten Dämon endgültig zu verbannen. Der Junge blieb stehen und legte den Kopf in den Nacken. Zwischen den vereinzelnd grün und braun herab hängenden, Blättern und Ästen, erkannte er über den Baumkronen die vorüberziehenden Wolken, welche in den unwahrscheinlichsten Formen und Gebilden über ihn hinweg schwebten. Er schloss die Augen und atmete den Geruch nach nasser Erde und feuchtem Holz. Langsam gelang es ihm, das bleiernde, ihn stetig quälende Wirrwarr aus seinem Kopf zu vertreiben und glücklichere Gedanken bemächtigten sich seiner. Die Sonne kitzelte seine Augenlieder und wie aus dem Nichts hörte er plötzlich das vertraute Zwitschern eines Vogels, während der Wind sanft um seines Ohren strich. Dieses unbeschreibliche Zusammenspiel der Klänge, traf ihn in deren Schönheit vollkommen unvorbereitet und er konnte nicht anders. Ein einzelnes, ungezwungenes Lächeln enstprang seinen sonst so angespannten Zügen. Die Augen erstrahlten zum ersten Mal seit langem, in einem warmen, freundlichen braun, statt wie sonst in einer Mischung aus Zweifeln und Melancholie. Wie lange es doch her war, dass er das letzte Mal etwas so schönes und doch so natürliches gehört hatte. Oder hatte er vielleicht einfach zu lange nicht mehr richtig hingehört ?