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Elvis
Elvis
Ich legte meine Einkäufe auf das Band und stutzte. Irgendetwas an dem Mann vor mir war seltsam. Ich hatte das untrügliche Gefühl, dass ich ihn schon einmal irgendwo anders gesehen hatte. „Entschuldigen Sie,“ hörte ich mich plötzlich sagen und berührte den Mann leicht am Arm, „sind Sie nicht Elvis Presley?“ Was für eine selten blöde Frage. Der Mann drehte sich um, lächelte mich an und nickte. „Oh, ich dachte Sie seien tot!?“, sagte ich erstaunt und wäre am liebsten sofort im Erdboden versunken. „Kommt ganz darauf an, wen Sie fragen“, lachte er und deutete dann auf meinen Wagen. „Vergessen Sie nicht Ihre Sachen!“ Das Band war inzwischen ein gutes Stück weiter gelaufen und hinter mir standen noch einige andere Kunden. Ich griff hektisch nach den Milchtüten und sah aus den Augenwinkeln, wie Elvis seinen Einkauf bezahlte und umständlich in eine große Papiertüte packte.
Am Ausgang des Supermarktes schloss ich zu ihm auf und sprach ihn erneut an: „Jetzt mal im Ernst, Sie sind doch seit mindestens 30 Jahren tot oder nicht?“ fragte ich ihn. Er stoppte, sah mich an und sagte ernst:“Ja, aber selbstverständlich, was denken Sie denn, wo Sie hier sind?“ Den Tod hatte ich mir anders vorgestellt. Als eine Art langsames Hinüberdämmern in eine Art Nichts oder als einen großen weißen Blitz mit anschließender Stille. Stattdessen war es, als ginge man einfach von einem Zimmer ins andere. Eben noch hatte ich in meinem Auto gesessen, nun stand ich hier im Eingangsbereich eines Wal-Marts und unterhielt mich mit Elvis Presley, dem jungen übrigens. Hätte nicht eigentlich der alte Elvis...? „Entschuldigen Sie, ich glaube, ich bin gerade etwas verwirrt“, murmelte ich und wollte weitergehen. „Das geht allen am ersten Tag so, glauben Sie mir“, sagte er.
„Also bin ich jetzt tot?“, fragte ich. Elvis nickte und sagte freundlich. „Daran werden Sie sich schon gewöhnen“. Er lachte. Dann wandte er sich zum Gehen. „Einen Moment noch!“, bat ich. Er hielt inne. „Wo muss ich denn jetzt hin?“ Er wies mit dem Kopf Richtung Ausgang. „Da raus, links um die Ecke und dann fragen Sie einfach nochmal.“ Ich starrte ihn ungläubig an und deutete schließlich auf seine Papiertüte. „Was haben Sie denn da eigentlich gerade gekauft?“
„Ach, nur ein bisschen Bier und ein paar Käsecracker für heute abend“, sagte er und ging lächelnd davon.
Totsein ist – anders als erwartet – ziemlich anstrengend und mit einer Menge Papierkram verbunden. Totenschein, Anmeldebescheinigung (2-fach), Versicherungskarte. Sogar Daueraufträge und Lastschriften gab es hier und ich hatte erstmal jede Menge zu tun. Nach einigen Tagen ging ich wieder in den Wal-Mart. Hunger und Durst hatte man nämlich seltsamerweise auch weiterhin. Seltsam war auch, dass ich an der Kasse wieder hinter Elvis stand. Er erkannte mich und nickte mir freundlich zu. „Wie geht‘s?“, fragte ich und lud meine Einkäufe aufs Band. Elvis kam gerade vom Arzt. Die Bandscheibe! Er verfluchte lautstark seinen Tanzstil und ich konnte mir ein Grinsen – das erste seit ich tot war – nicht verkneifen.
Im Eingangsbereich unterhielten wir uns weiter. „Wie lange muss man denn hier so bleiben?“ erkundigte ich mich. Die überall ausliegenden Broschüren hatten sich als nur wenig informativ erwiesen und bestanden zur Hälfte aus Werbung. „Die einen ein paar Jahre mehr, die anderen ein paar weniger, einige ewig“ sagte er und seufzte traurig. Anscheinend gehörte er zu den Ewigen. Das machte mir doch ein wenig Angst. „Was kann ich denn tun, um hier wieder weg zu kommen?“, fragte ich ihn daher. Auf Totsein – womöglich auch noch ewig – hatte ich eigentlich keine große Lust. Elvis wusste Rat. Ein Profi. „Wenn Sie da lang gehen“, er wies mit dem Kopf in Richtung der Highways, „kommen Sie irgendwann zu einem großen Gebäude mit einem Teich davor. Da wird man Ihnen sicherlich mehr sagen können.“
Nervös saß ich auf einer unbequemen, schäbigen Bank, die in einem scheinbar endlos langen Flur der Wiedereingliederungsbehörde stand. Ich schaute abermals auf den kleinen Abschnitt, den ich an der Information bekommen hatte: 576. Irgendwie war hier alles wie draußen, oder unten, oder wie auch immer man die Welt aus der ich kam hier nannte. Einen wirklichen Vorteil des Totseins hatte ich noch nicht entdeckt und irgendwie brachte es mich auch nicht weiter. Der Beamte kramte umständlich in einem großen Aktenschrank herum. Plötzlich sagte er „Aha!“ und zog meine Akte, die erschreckend dick war, hervor. Er kehrte an seinen Schreibtisch zurück und begann mit dem Aktenstudium. „Sie wollen also wieder eingegliedert werden? Gefällt es Ihnen hier etwa nicht?“, fragte er beiläufig nach ganzen Weile. „Ach, wissen Sie“, ich wollte nicht unhöflich sein, „eigentlich ist es ganz schön hier, aber ich denke, dass ich mich auf Dauer langweilen werde. Vermutlich werde ich ja noch eine ganze Weile tot sein“. Er nickte ohne von meiner Akte aufzusehen. „Davon können Sie ausgehen“.
Er stand wieder auf, ging zum Schrank und holte eine weitere, noch dickere Akte heraus: Band II. „Das Schlimmste ist der ganze Papierkram hier“, sagte er, „der bringt mich noch ins Grab.“ Er lachte schallend über seinen Witz.
Schließlich überreichte er mit den Worten „Reisende soll man nicht aufhalten“ einen Wiedereingliederungsantrag.
“Wie lange muss ich denn warten, was meinen Sie?“, fragte ich ihn und begann das 22-seitige Formular auszufüllen.
Er schien kurz zu überlegen. „Also, wenn Sie vorher nicht besonders berühmt waren...stellen sie sich mal das Chaos vor, wenn wir Elvis zurückschicken würden! Oder Michael Jackson!“ Er holte einen Taschenrechner aus der Schublade und tippte einige Zahlen in das Gerät. Er blickte auf. „Wie lange sind Sie jetzt genau tot?“ Ich antwortete pflichtgemäß. „Oh, nur eine Woche? Das ist ziemlich kurz“, er zog die Stirn in Falten, tippte aber weiter. Ich entschuldigte mich und betonte, dass ich diesen Umstand nicht zu vertreten hätte. „Was hatten Sie denn für einen Beruf?“, fragte er. Ich sagte es ihm.
„Das ist gut, das ist sehr gut“, er tippte etwas schneller und hielt mir das Ergebnis, eine siebenstellige Zahl, unter die Nase. „Was heißt das für mich? Wann kann ich wieder zurück?“, fragte ich und gab ihm das ausgefüllte Antragsformular. Im Prinzip..., er überlegte einen Moment. „Wissen Sie was? Ich rufe Sie dann an. Haben Sie schon ein Handy?“
Ein paar Wochen später – ich war gerade bei Pizza Hut – klingelte mein Mobiltelefon. Ich bekam ein Menge Anrufe. Vertreter, Meinungsforscher, Hellseher, die Rundfunkgebührenzentrale – alle wollten etwas von mir. Es war fast nicht zum Aushalten.
Genervt klopfte ich meine Jackentaschen ab und zog das wie wild bimmelnde Gerät hervor. Auf dem Display des Gerätes stand eine Nummer, die ich sehr wohl kannte.
„Hallo, Mama!“
Aus dem Lautsprecher quoll sogleich der übliche Wortschwall. Ich war ein wenig genervt. „Ich kann jetzt nicht! Nein, wirklich nicht! Mama, ich bin...tot!“, triumphierte ich schließlich und stopfte das Gerät in meinen Rucksack. Ich biss zufrieden in ein Stück Pizza und sah aus dem Fenster. Ganz so schlecht war es hier vielleicht doch nicht. Abgesehen davon, dass man eben tot war. Manche hier kamen gut damit klar, aber ich fand das irgendwie blöd und das ganze Drumherum nervte mich. Für mich stand daher fest, dass ich nicht hier bleiben wollte.
Leider ließ die Entscheidung der Behörde auf sich warten. Ein ums andere Mal musste ich meine Mutter vertrösten. Auch meine Freunde wurde langsam ungeduldig, aber ich konnte nichts machen.
Die Wiedereingliederung selbst habe ich dann gar nicht mitbekommen.
Ich war im Supermarkt und wollte ein paar Sachen für das Abendessen besorgen. Auf dem Weg zur Kasse klingelte mein Handy. Ich murmelte eine genervte Begrüßung. Am anderen Ende der Leitung knackte es kurz, dann wurde aufgelegt. Ärgerlich stopfte ich das Gerät zurück in die Hosentasche.
Ich legte meine Einkäufe auf das Band und stutzte. Der Mann vor mir. Ich hatte das untrügliche Gefühl, dass ich ihn schon einmal irgendwo anders gesehen hatte. „Entschuldigen Sie,“ hörte ich mich plötzlich sagen und berührte den Mann am Arm, „sind Sie nicht Elvis Presley?“ Was für eine selten blöde Frage. Der Mann drehte sich um, lächelte mich an und nickte.
„Oh, ich dachte Sie seien tot!?“, sagte ich erstaunt und wäre am liebsten im Erdboden versunken.
„Kommt ganz darauf an, wen Sie fragen“ Er lachte.
„Jetzt mal im Ernst, Sie sind doch vor über 30 Jahren gestorben oder nicht?“ fragte ich ihn.
Er sah mich an und sagte ernst:“Ja, aber manchmal brauche ich einfach auch mal Urlaub.“