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Engelswelt (überarbeitet)

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10.11.2009
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Engelswelt (überarbeitet)

Joleen erwachte, als eisige Tropfen ihr Gesicht benetzten. Sie öffnete die Augen und fand sich auf einem Waldweg wieder. Hohe Tannen säumten den verschneiten Pfad, der eine fest getretene, weiße Fläche bildete. Der frisch fallende Schnee jedoch hinterließ allmählich eine weiche Decke. Von Angst und Panik getrieben versuchte Joleen sich aufzurichten, als ihr bewusst wurde, dass sie bald unter dem Schnee begraben sein würde. So sehr sie sich auch abmühte, es wollte ihr nicht gelingen. Zu groß waren die Schmerzen, die ihren Körper heimsuchten.
Nach einer Weile spürte sie wie die Kälte langsam in ihr hoch kroch. Joleen schloss die Augen und versuchte sich einen warmen Ort vorzustellen um sich nicht vollends der Kälte hinzugeben. Es half nicht. Die Wunschvorstellung blieb aus, stattdessen blitzten bruchstückhafte Erinnerungen vor ihr auf.
Ein flackerndes Licht, ein ohrenbetäubendes, schrilles Geräusch, ein durchdringender Schrei. Angestrengt versuchte Joleen all diese Eindrücke zu einem Ganzen zusammenzufügen. Krampfhaft klammerte sie sich an diese Beschäftigung um ihre Notlage für einen kurzen Moment auszublenden.
Das Wiehern eines Pferdes unterbrach die Gedankengänge des Mädchens. Hoffnungsvoll sammelte sie die verbliebene Kraft und rief um Hilfe. Nach einem erneuten Wiehern des Pferdes hallten fremd klingende Worte zu ihr herüber. Das Tier ging in Galopp über. Es näherte sich rasend schnell. Wenig später vernahm Joleen ein Schnauben in ihrer unmittelbaren Nähe. Neugierig öffnete sie die Augen. Der Reiter war in einen schwarzen Umhang gehüllt. Er sprang von dem Rücken des Pferdes und näherte sich dem Mädchen. Das aschfahle Gesicht eines jungen Mannes kam über ihr zum Vorschein, dessen ozeanblaue Augen ein Gefühl von Mitleid ausstrahlten.
Er lächelte beruhigend. Dann beugte er sich herab und legte seine Hand auf Joleens Stirn. Eine wohlige Wärme stieg in ihr auf. Müdigkeit übermannte sie, bis sie seelenruhig einschlief.

Dunkelheit umgab Joleen. Stimmen drangen an ihr Ohr. Stimmen, die sie noch nie zuvor vernommen hatte.
„Kannst du ihr helfen?“
„Ich weiß es nicht.“
Stille.
„Daroen kaltae al Karopa.“
Stille.
„Meine Arznei wirkt nicht.“
„Gib nicht auf.“
„Ich habe so vieles versucht.“
„Vieles ist nicht alles.“
Stille.
„Ich verliere die Hoffnung. Zwei Tage sind vergangen.“
„Die Hoffnung ist erst verloren, wenn ihre Seele aufsteigt.“
Stille.

Als Joleen erwachte lag sie in einem abgedunkelten Raum. Um sie herum tanzten Schatten an den Wänden. Eine flackernde Kerze erweckte sie zum Leben. Joleen begutachtete das Zimmer in dem sich nur wenige Möbel befanden.
Ein Lager aus Strohballen diente als Schlafstätte. Neben dem Ruhelager stand ein kleines Nachtschränkchen. Am Fußende befand sich ein Stuhl auf dem ihre Kleidungsstücke fein säuberlich aufgetürmt waren. Ansonsten war der Raum leer. Joleen betrachtete die tanzenden Schatten. Gespannt wartete sie darauf, dass jemand den Raum betrat. Als nichts dergleichen geschah rief sie:
„Hallo? Ist hier jemand?“
Kein Laut war zu hören.
„Hallo? “
Keine Reaktion, kein Geräusch.
Joleen empfand die Stille als unerträglich.
Es verging einige Zeit, bis sich Schritte näherten. Die Tür öffnete sich und eine Frau trat ein. Ihre Erscheinung beeindruckte Joleen zutiefst. Noch nie zuvor hatte sie ein schöneres Wesen erblickt.
Ihre langen, glatten Haare hatten die Farben des Regenbogens. Die Haut war aschfahl und makellos. Der schlanke Körper war in ein himmelblaues, seidenes Gewand gehüllt. An den Füßen trug sie weiße Sandalen.
„Du bist wach“, sagte sie freudig, „wir waren sehr beunruhigt.“
„Ich verstehe nicht.“
Die Frau hob ihren Zeigefinger an die Lippen.
„Alles nach seiner Zeit. Erst einmal musst du zu Kräften kommen.“
Mit diesen Worten schob sie Decke bei Seite und legte ihre Hände auf Joleens Beine.
„Geven Lesy ol Beriobo.“
Ein gleißendes Licht erfüllte für einen kurzen Moment den Raum. Einige Male wiederholte die Frau ihr Worte, dann schob sie die Decke wieder zurück und legte die Hände auf Joleens Stirn.
„Lèita al blado-hèade.“
Ein blauer Lichtstrahl entsprang ihren Händen. Nachdem sie geendet hatte, wandte sie sich zum Gehen. Joleen ergriff ihren Arm.
„Sag mir was hier vorgeht.“
„Ich werde dir jemanden schicken.“
Dann verließ sie den Raum.
Es kam Joleen wie eine Ewigkeit vor bis sich die Tür erneut öffnete. Ein junger Mann betrat das Zimmer, welchen sie als denjenigen erkannte der sie auf dem Waldweg gefunden hatte. Auch seine Haare besaßen die Farben des Regenbogens. Jedoch waren sie kurz und wellig.
„Versuche deine Beine zu bewegen.“
Erleichtert stellte Joleen fest, dass es ihr mühelos gelang. Der junge Mann schien zufrieden.
„Mein Name ist Tarok, Wächter des Pfades. Nun da du dich wieder rühren kannst, bitte ich dich mich zu begleiten.“
Geduldig wartete er bis Joleen auf den Beinen stand. Noch etwas wackelig wagte sie ein paar Schritte. Einige Male ging sie auf und ab und war erstaunt wie leichtfüßig sie sich bewegen konnte. Nichts deutete darauf hin, dass sie noch vor drei Tagen starke Schmerzen hatte.
Sie nickte, dann verließ sie gemeinsam mit Tarok den Raum. Ein lang gestreckter Flur mit vielen geschlossenen Türen umgab sie nun. Sie stellte fest, dass dieser Ort ganz und gar nicht magisch wirkte. Sie befand sich in einem mittelalterlichen Haus.
Der Boden war mit Holzbohlen versehen, die bei jedem Schritt knarrten. Mit der Hand berührte Joleen die Wand, die unter ihren Fingerkuppen zerbröselte. Die Wände waren aus Sandstein. Fackeln spendeten ein schummriges Licht.
„Folge mir.“
Tarok betrat eines der vielen Zimmer. Joleen zögerte einen Augenblick. Sie atmete tief durch und folgte. Das Zimmer war abgedunkelt und auch hier spendete eine Kerze Licht. Ihr bot sich ein erschreckendes Bild. Ein kleiner Junge lag auf einem Strohlager. Seine Brust senkte sich schnell auf und ab. Hin und wieder röchelte er. Sein Gesicht und seine Arme waren entstellt.
„Wir wissen nicht was geschehen ist“, Tarok fasste auf die Stirn des Jungen, „nie zuvor fühlten wir uns so machtlos.“
Joleen trat näher heran.
„Wie heißt er?“
„Russel.“
„Seine Haut ist verbrannt.“ stellte sie betroffen fest.
Tief berührt ergriff sie die Hand des Jungen.
„Was kann ich tun?“ fragte sie.
„Deine Berührung und dein Mitgefühl sind Hilfe genug.“ erwiderte Tarok.
Nach einer Weile atmete der Junge ruhiger. Joleen bemerkte dass das Atemgeräusch schwächer wurde.
„Nein!“ rief Joleen.
Ein weißer Lichtstrahl tauchte das Zimmer in einen erhabenen Glanz. Die Hand des Jungen entglitt ihr.
„Was passiert hier?“
Der Körper wurde langsam unsichtbar und löste sich auf. Schließlich blieb ein kleiner sternenförmiger Kristall von dem geschundenen Körper übrig. Er schwirrte rastlos über die Köpfe von Tarok und Joleen hinweg.
„Öffne das Fenster.“ sagte Tarok.
„Nein. Vielleicht verwandelt er sich wieder zurück.“
„Gib ihn frei.“
Joleen begriff und tat wie ihr geheißen. Der Kristall wurde auf dem Licht hinaus in die Welt getragen. Sie sah ihm verwirrt nach.
„Ich… ich… muss… mich… se… setzen.“
Tarok bedeutete ihr auf den Strohballen Platz zu nehmen. Beide ließen sich nieder.
Joleen rieb sich die Augen. Sie war bemüht ihre Fassung zu bewahren. Doch dann gab sie ihrer Trauer nach. Tränen rannen ihr über die Wangen.
„Was war das? Was ist geschehen?“
Tarok ergriff die Hand des aufgelösten Mädchens. Er wartete bis die letzte Träne verebbte, dann begann er zu erzählen.
„Man nennt uns Masèiyo und die Welt dort draußen heißt Draín, in eurer Sprache bedeutet das Hoffnung der Seelen. Draín ist ein Zwischenwelt. Eine Welt zwischen Himmel und Erde. Jene die auf deiner Welt Qualen erleiden, werden zu uns gesandt. Die Seelen verlassen den Körper und wandeln sich hier wieder in ein Abbild des Körpers.“
„Und was geschieht dann?“ fragte Joleen wissbegierig.
„Wir versuchen die geschundenen Körper und Seelen mit Magie zu heilen. Gelingt es uns nicht, so stirbt der Mensch auf der Erde und die Seele wird fort getragen und gelangt zu dem Ort den ihr Himmel nennt, bei uns heißt er „Werol fèim Raínyo“, Ort wo der Regenbogen entsteht.“
„Und wenn es euch gelingt?“
„So gelangt die Seele zurück auf die Erde in den Körper.“
„Und der Mensch lebt weiter.“
„So ist es.“ Tarok nickte zustimmend.
Plötzlich wurde Joleen bewusst, dass sie gerade eine Seele in den Himmel begleitet hatte. Erneut füllten ihre Augen sich mit Tränen. Tarok umarmte sie. Als sie sich beruhigt hatte, geleitete Tarok sie zurück auf ihr Zimmer.
„Was geschieht nun mit mir?“
Der Masèiyo musterte Joleen eindringlich.
„Ich weiß es nicht.“
Dann ließ er das Mädchen allein.
Joleen legte sich hin. Sie starrte regungslos an die Decke. Nie hatte sie sich so hilflos und ausgeliefert gefühlt. Es waren Momente der Angst die sie in den nächsten Stunden durchlitt, bis die Masèiyo-Frau zu ihr kam.
„Mein Name ist Tarina“, sagte sie, „hat Tarok mit dir gesprochen?“
Joleen nickte.
„Ich habe noch Fragen.“
„Nur zu.“
„Gibt es solch einen Ort nur für Kinder?“
„Aber nein, auch für Erwachsene existiert solch ein Ort.“
„Was bedeutet eigentlich geven Lesy… ich weiß nicht mehr weiter.“
„Geven Lesy ol Beriobo. Gib den Beinen Kraft.“
„Also war dies und alles andere was du gesagt hast magische Heilformeln?“
„Ja.“
Joleen atmete tief durch, nun wollte sie noch eine letzte Frage beantwortet haben.
„Was geschieht eigentlich mit Menschen die einen natürlichen Tod sterben?“
Tarina lächelte.
„Das ist eine kluge Frage. Es gibt keinen Grund diese Menschen bei uns aufzunehmen. Ihre Seelen werden sofort in den Werol fèim Raínyo aufgenommen.“
Auf einmal wurde das Zimmer in ein helles Licht getaucht. Joleen schrie laut auf und starrte Tarina schockiert an.
„Nimm meine Hand“, sagte diese, „hab keine Angst. Vertrau mir.“
Joleen nickte und schloss ihre Augen. Sie verspürte ein leichtes Kribbeln. Kräfte versuchten sie nach unten zu zerren.
„Gewährt ihr den Weg zurück auf die Welt der Menschen.“ rief Tarina aus. Die Kräfte ließen von ihr ab.
„Nun öffne deine Augen… folge dem Glanz der Sterne. Viel Glück“ Tarina begann fröhlich zu lachen. Sie öffnete eilends das Fenster.
Joleen blickte an sich herab und konnte mit ansehen, wie sich ihr Körper langsam auflöste. Als ihr Körper vollkommen verschwunden war, schwirrte sie einige Male freudig um Tarina herum, dann flog sie hinaus in die kühle, klare Luft.
Die Sterne glänzten silbrig und nahmen die Form eines Erdballs an. Joleen hielt darauf zu. Als sie den glänzenden Erdball erreicht hatte und hindurch flog, schillerte alles um sie herum in den schönsten Farben. Sie befand sich nun in einer Art Tunnel. Am anderen Ende war die Abendröte zu sehen. Als sie das Ende des Tunnels erreicht hatte, lächelte sie zufrieden. Weit unten entdeckte sie das Lichtermeer der Stadt. Allmählich verlor sie an Höhe. Sie hatte keine Möglichkeit mehr sich zu rühren, es schien als würde sie durch eine unsichtbare Hand gelenkt und sie wusste, dass es Tarina war, die sie leitete. Sie schwebte über vereinzelte Häuser hinweg, an der Kirche vorbei und dann kam das Krankenhaus in Sicht. Manche Fenster waren bereits hell erleuchtet.
Tarina geleitete Joleen an einigen Fenstern vorbei. Als sie ihres entdeckt hatte sagte sie: „Ich danke dir.“
Die unsichtbare Hand ließ von ihr ab und streifte zum Abschied liebevoll ihren Geist. Joleen verabschiedete sich ebenfalls und schwebte dann durch das geöffnete Fenster hinein.
„Mom.“ Ihre Mutter schluchzte leise und hatte die Hände vor das Gesicht geschlagen.
Joleen erhaschte einen Blick auf ihren Körper. Der Kopf war mit einem Verband versehen. Ihre Stirn glänzte vor Feuchtigkeit im Licht Der Brustkorb hob und senkte sich hektisch. Einen kurzen Moment zögerte sie noch, bis sie sich schließlich in ihren Körper hinabsinken ließ. Das erste was sie spürte war die harte Matratze des Krankenhausbettes. Dann spürte sie ihren brummenden Kopf und die schmerzenden Beine. Das linke Bein wirkte schwerer als üblich, sicherlich war es eingegipst worden. Innerlich atmete Joleen erleichtert auf. Es war ein beruhigendes Gefühl wieder einen Körper zu besitzen.
Vorsichtig öffnete sie ihre Augen und griff nach der Hand ihrer Mutter.
„Es wird alles wieder gut, Mom.“ sagte sie.
Mrs. Carrigan blickte überrascht auf. Einen Augenblick lang wusste sie nicht wie ihr geschah. Als sie wusste dass sie sich die Worte und die Geste von Joleen nicht eingebildet hatte, verebbten ihre Tränen. Freudig schloss sie ihre Tochter in die Arme. Dabei blickte sie gen Himmel und flüsterte leise: „Danke.“
Joleen lächelte glücklich.
Vor ihrem inneren Auge sah sie die Masèiyo winken.
„Pass auf dich auf.“ sagte Tarina.
Dann verschwanden sie. Joleen wusste, dass sie viel zu tun hatten und sie schwor sich von nun an für all die Seelen zu beten, die Draín noch betreten würden.

 

Hi
unspektakulär und undramatisch eine nette Idee umgesetzt.
Auch solche Geschichten muss es geben. Mir hat sie gefallen.
Hab zwar nicht besonders auf die Gebrüder Ortho und Gramm geachtet aber der Stil ist nirgendwo holprig und grobe Schnitzer habe ich keine gesehen.
Gruß Naso

 

Hallo Elfaron, deine Geschichte war doch recht gut geschrieben.

Dunkelheit umgab Joleen. Stimmen drangen an ihr Ohr. Stimmen, die sie noch nie zuvor vernommen hatte.
„Kannst du ihr helfen?“
„Ich weiß es nicht.“
Stille.
„Daroen kaltae al Karopa.“
Stille.
„Meine Arznei wirkt nicht.“
„Gib nicht auf.“
„Ich habe so vieles versucht.“
„Vieles ist nicht alles.“
Stille.
„Ich verliere die Hoffnung. Zwei Tage sind vergangen.“
„Die Hoffnung ist erst verloren, wenn ihre Seele aufsteigt.“
Stille./QUOTE] Nur diese eine Stelle hat mir persönlich nicht so gut gefallen. Es ist mir etwas zu "monoton". Ansonsten ist es eine gelungene Geschichte.
Gruß Baumschatten

 

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