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- 01.11.2001
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Er
13.12.01
Er
Unser Leben hatte sich verändert, seit er bei uns eingezogen war, doch keiner von uns wußte warum. War es die Ruhe, die er ausstrahlte oder seine unergründliche Art?
Oft saß ich lange da und betrachtete ihn nur in seiner Meditation. Die Beine angewinkelt, die Augen geschlossen, schien er kaum mehr anwesend, er konnte stundenlang so verharren. Ich hätte gerne gewußt, woran er dabei dachte, ob er überhaupt an etwas dachte, doch ich nie kam ich dazu, mit ihm darüber zu sprechen.
Eigentlich unterhielten wir uns überhaupt nicht. Ich erzählte ihm zwar oft von den Dingen, die mich beschäftigten, aber ich erhielt keine Antwort. Kein einziges Mal. Dies war aber nicht weiter schlimm, war er doch der Einzige, den ich auch ohne große Worte verstand.
Er war eine Persönlichkeit, wie sie alle großen Religionen propagierten, immer gelassen, immer gerecht, bereit ohne zu zögern sein Leben für uns zu opfern. Er fluchte nie, war nie ungehalten oder launisch und trotzdem war er immer ehrlich.
Das Erstaunlichste war seine Fähigkeit Gedanken zu lesen. Er schien immer zu wissen, was der andere dachte, er wußte es genau.
Ich bewunderte seine Art, wie er Menschen, die ihn nicht mochten, aus dem Weg ging. Er nahm einfach seinen Ball oder seinen Knochen zwischen die Zähne und verließ das Zimmer.
Claudia Lichtenwald