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Erdachte Realität
Erdachte Realität
Die Blumen durften heute Morgen besonders intensiv, dachte Sybille, als sie stolz ihr Beet betrachtete. Ihr Mann hatte einen gut bezahlten Job und dieses kleine Einfamilienhaus im Grünen gekauft. Sybille war mit dem, was sie hatte mehr als zufrieden. Der Rasen war perfekt geschnitten und so grün und makellos wie der kleine Smaragd in dem Ring an ihrem Fingern. Im Blumenbeet entlang der Mauer strahlten die tiefroten Rosenblüten um die Wette. Das kleine Glockenspiel, das über der Terrasse hing, störte die Stille. Nur der quietschgelbe Liegestuhl auf der Wiese zerstörte die Harmonie.
Darauf saß Sybille und genoss die ersten Sonnenstrahlen des Frühlings. Endlich hatte sie die Zeit und Ruhe, den Krimi in der Tageszeitung zu lesen.
Er geht, seine Angelweste bis zum letzten Knopf verschlossen, zügig den schmalen Pfad entlang. Schweißperlen haben sich auf seiner Stirn gebildet. In seinem Kopf schwirrt seit Wochen nur dieser eine Satz herum. Wie konnte er das nur tun?
Es ist ein kühler Sonntagmorgen. Er tut, was er immer an diesem Tag tat. Nur dieser Tag ist anders, als die Angelausflüge zuvor. [Edit]
Er läuft den kurzen Bootssteg entlang. Seine Angel in der einen Hand, die Tasche mit den Ködern und den Butterbroten in der anderen. So steigt er in das Boot, wie er es seit Jahren tut. Es ist alles wie immer. Er paddelt zur Mitte des kleinen Sees, wirft seine Angel aus und genießt die Stille. Schlagartig fiel ihm das ein, was er vor einigen Tagen getan hatte und was er solange Zeit hatte verdrängen können. [Edit]
Den Mann, den er seit Jahrzehnten kannte, hat das getan, was er nie von ihm gedacht hatte. Sein bester und langjährigster Freund hatte während eines Saufgelages vor drei Monaten schamlos über seine Frau gesprochen. Was für ein „heißer Feger“ sie ist. Und irgendwann, einige Bier und Korn später, erzählte ihm sein Freund auch noch, wie sehr sie abgeht, wenn er mit ihr fickt.
Immer wenn er auf Arbeit war, bekam seine Frau von seinem besten Freund Besuch. Und das schon seit ein paar Jahren. Bei dem Gedanken, dass seine Frau sich auf ihn einlassen würde, stiegen Wut und Eifersucht in ihm auf. Er ließ sich nichts anmerken und behielt dieses Geständnis für sich.
Dort, wo er jetzt in seinem Bötchen seelenruhig angelt, liegt in fünf Metern Tiefe sein ehemals bester Freund in seinem feuchten Grab. Kein Mensch würde es merken oder auch nur erahnen, dass unter ihnen ein Toter liegt. Für Taucher war dieser See völlig uninteressant und viel zu klein. Ein paar Barsche und Hechte schwimmen in dem See, sonst gibt es dort unten nur Algen.
Mit einem Köder hat er noch nie geangelt. Ihm ging es um die Stille. Den Haken hatte er schon vor Jahren durch eine Unterlegscheibe aus dem Baumarkt ersetzt.
Er hatte alles geplant. Er wollte seinen besten Freund zu einem „Angelausflug“, wie er es nannte, einladen. Als sein Freund dann nichtsahnend in das Boot stieg, drosch er mit einem Eisenrohr von hinten auf ihn ein. Immer und immer wieder, bis er sich nicht mehr bewegte. Zuvor hatte er mit ihm noch ein paar Gasbetonsteine im Baumarkt gekauft. Seinem Freund sagte er, er wolle damit im Garten einen Grill bauen. Seiner Frau würde er sagen, sein Freund hätte sie gebraucht. Sie würde ihm glauben, wenn sie den Staub im Kofferraum des Wagens sehen würde.
Er hatte die Steine in Müllsäcke gepackt und an den Körper seines Freundes gebunden, damit er untergeht und auch unten bleibt. Das Eisenrohr würde er noch brauchen. Er wischte es ab und warf den Lappen in den See. An der Leiche seines Freundes. würden irgendwann die Fische knabbern.
Ob und wann sich seine Frau, die Nachbarn oder das Dorf sich über sein Verschwinden wundern würden, war eine Frage der Zeit. Seitdem erinnert nur das langsam verkrustende Blut seines ehemals besten Freundes an die Tat. [Edit] Und das wird er nächste Woche abkratzen und mit Farbe übermalen.
Sie hatte gar nicht bemerkt, dass ihr Mann hinter ihr stand. „Was liest du denn Schönes?“, fragte er mit ruhiger Stimme. „Ach, nur den Krimi hier in der Zeitung.“ – „Ahja, weißt du, er beruht auf einem wahren Ereignis.“ Sybille schluckte. „Wirklich?“ In ihrer kurzen Frage lag Angst. Ihr schlechtes Gewissen machte sich bemerkbar. „Willst du wissen, wie sie weiter geht?“, fragte ihr Mann. Diese Kälte und Gleichgültigkeit kannte sie nicht von ihm. „Nein“, antwortete sie zögerlich. „Wie geht es denn weiter?“ Sie versuchte zu schlucken, aber ihr schlechtes Gewissen machte es unmöglich. Es blockierte ihren Hals wie ein Kloß, der sich nicht herunterschlucken ließ. Er schnürte ihr die Kehle ab.
„So geht’s weiter!“ Seine Eifersucht und Rachgier ließ seine Stimme beben. Mit einem Eisenrohr knüppelte er seiner Frau den Schädel ein. Soll sie doch bei ihrem Lover im See glücklich sein, dachte er.