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Erkenntnis
Sie starrte mich mit weit aufgerissenen Augen an, in denen mehr Überraschung als Furcht erkennbar war.
Meine Frau und ich saßen auf einer Tagesdecke und beäugten die Natur. Ich schenkte mehr Aufmerksamkeit der Tierwelt, sie den Bäumen und dem Himmel.
Unsere zwei Jungs rannten hintereinander her, lachten und fielen bereitwillig in das weiche Gras.
Mehrmals wurden wir von ihnen aufgefordert mitzumachen, doch unsere Interessen lagen mehr darin, sie beim Spielen zu beobachten und ihrem glücklichen Lachen zu lauschen.
Ihre zittrige Hand legte sich auf meinen Unterarm. Ich warf einen unverständlichen Blick auf diese Geste.
„Machst du ein Foto von mir?“ Meine Frau schaute mich an.
„Gleich hier?“ Ich nahm die Digitalkamera und richtete sie auf die Mutter meiner Kinder.
„Schlägst du etwas anderes vor?“
„Du siehst überall wunderschön aus!“
„Spinner!“ Sie wurde ein wenig rot und lächelte verlegen. Diesen Augenblick verewigte ich auf der Kamera.
Was ich an ihr so liebte war, dass sie immer noch rot wurde, wenn ich ihr ein Kompliment machte. Es war toll, sie als junges Mädchen zu sehen, voller Lebensfreunde und Unbeschwertheit, die sich an kleinen Dingen der Welt erfreuen konnte und sich niemals beschwerte.
Sie lächelte mich plötzlich an. Es war ein sonderbares Lächeln, welches ich an ihr noch nie gesehen habe. Ihre Hand rutschte dabei von meinem Unterarm und hinterließ eine rote Spur der Wahrheit.
Die Jungs saßen jetzt mit uns, um etwas Eßbares zu sich zu nehmen.
Zwei Kühlboxen haben wir mitgenommen. In der einen lagen Sandwiches, Obst, Gemüse; in der anderen etwas zu trinken, für jeden Geschmack.
Der jüngere Sohn biss ein Stück vom Sandwich ab und sagte laut: „Habt ihr gesehen, wie ich einen Flickflack gemacht habe?“
„Du hast es drauf, Mann!“ Ich zwinkerte ihm zu.
„Klar doch!“ Er lachte.
Sein Bruder war mehr der ruhige Typ, hing wahrscheinlich daran, dass er der ältere war und sich für seinen Blutsverwandten verantwortlich fühlte, was jedoch nicht immer der Fall war. Manchmal waren die beiden richtige Rivalen, wenn es zum Beispiel um das letzte Eis ging…
Sie saß jetzt mit dem Rücken an die Beifahrertür gepresst. Ihr Blick war auf den Boden gerichtet. Ich sah mir den Rücksitz an. Die Jungs waren nicht dieselben. Es war ungewöhnlich.
Die Sonne verlor noch immer nicht an Kraft, als wir uns entschlossen haben diesen schönen Platz zu verlassen und zum Auto zurückzugehen.
Sie war guter Laune, die Jungs bisschen müde von der ständigen Rennerei, dennoch begutachteten sie alles um sie herum mit Begeisterung, und ich… ich war stolz auf mich. Ich betrachtete es als meinen Verdienst, dass der heutige Tag etwas anderes wurde, etwas, das sich vom gestressten Alltag eindeutig unterschied. Und wenn ich so meine Frau anblickte, hatte ich höchstwahrscheinlich einen Preis gewonnen – ich fieberte schon der gemeinsamen Nacht entgegen.
Der Jüngere weinte leise vor sich hin und versteckte seine Augen vor mir. Der Ältere sah mich voller Gram an.
Als wir endlich den Parkplatz erreichten, stockte mir der Atem: Überall Polizeifahrzeuge, Krankenwägen und einfache Passanten. Es war laut und chaotisch. Wir blieben zunächst unsicher stehen und schauten uns um.
Die Frau und die Jungs gingen dann näher an die Absperrung ran. Ich stattdessen rührte mich nicht vom Fleck und verlor die drei bald aus den Augen.
„Weine nicht“, beruhigte der ältere seinen jüngeren Bruder, „nicht weinen!“ Er sah mich an und sagte emotionslos: „Es wird bald vorbei sein…“
Ich überlegte mir eine Strategie, wie ich unser Auto erreichen konnte und suchte gleichzeitig nach einem Polizisten, der so viel Verständnis aufbringen würde mir bei diesem Problem zu helfen.
Ein Polizeibeamter erschien von selbst. Er musterte mich stumm mit einem scharfen Blick, in dem keinerlei Argwohn zu erkennen war, und sagte schließlich: „Wollen Sie zu Ihrem Auto?!“
Ich lächelte erleichtert. „Sieht man mir das sofort an?“
Er ging darauf nicht ein. „Kommen Sie mit! Ihre Familie wartet schon auf Sie!“
Er drehte sich abrupt um und ging los. Ich folgte ihm.
Er umarmte seinen leise weinenden Bruder. Eine unnatürliche Stille trat ein. Es tat irgendwo weh. Die Luft war auf einmal unnatürlich schwer geworden.
Ein Schuß zerbrach die Stille...
Die drei standen vor unserem Auto und starrten hinein. Sie sprachen nicht miteinander, was seltsam war.
„Fahren Sie vorsichtig!“, sagte der Polizeibeamte und verschwand in der bunten Menge.
Er gab mir keine Zeit mich bei ihm zu bedanken und ich ließ es dabei bleiben.
Ich näherte mich den drei wichtigsten Menschen im meinem Leben, und sagte: „Etwas Interessantes da drin?!“
Sie blieben stumm.
„Ist was passiert?!“
„Lass uns einfach nur fahren“, sagte meine Frau nur und alle drei stiegen ein.
Meine Frau… Meine Kinder…
Blut und Schmauch in der Luft…
Meine Hand legte sich auf den Türgriff und da sah ich mich, auf dem Fahrersitz. Das Gesicht bleich an die Fensterscheibe gepresst. Die Augen starrten leblos in die Leere, hinter denen sich die einzige Wahrheit verbarg…
Revolver in meiner Hand.
Blutspur auf meinem Unterarm.
Die Erkenntnis.
Tränen um Verzeihung.
Die Wärme der Mündung unter meinem Kinn.
Und die Ewigkeit.
Meine Augen waren geschlossen und ich zitterte an ganzem Körper. In meinem Kopf spulte ich immer und immer wieder dieselben Worte ab – Träume ich!
„Was machst du da?“ Die Stimme meiner Frau hinter mir. Realität oder Fiktion?
Eine Hand berührte meine Schulter und ich öffnete die Augen.
Ich drehte mich um und… Es war keiner da.
Wo bin ich?!
Der Parkplatz war leer und so ruhig, dass es für meine Ohren wiederum zu laut war.
Die Bäume standen still da, sowie die Wolken am Himmel, die wie aufgemalt aussahen.
Obwohl die Sonne kräftig strahlte, empfand ich keine Wärme.