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Es ist spät

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24.04.2003
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Es ist spät

Das hektische Blinken des Automatens erinnerte mich an die Kneipen, die es zu Hause gab.
Zweifellos kann man nicht übersehen, was auf sich aufmerksam macht.
Ich hielt einen fünfzig Pesosschein an den Schlitz, der von der Maschine gierig aufgesogen wurde. Dann reichte ich einen zweiten nach, was mich zum Besitzer einer mit kitschigen Motiven bedruckten Telefonkarte machte, die ich gleich verwendete.
Das Freizeichen tönte langgezogen und war weit weg, als ahnte es um die Entfernung die zwischen mir und der gekannten Welt lag.
Beim ersten Versuch vergaß ich nach der Landesvorwahl die null wegzulassen und wurde mit einem schrillen Laut konfrontiert.
Dann funktionierte es.
Mit einem Nachhall meldete sich mein Vater gleich doppelt. Seine Stimme klang müde.
Ich musste an die Zeitverzögerung denken. In Deutschland war es bereits später Abend, während mir hier die heiße Mittagssonne auf den Schädel brannte.
Es ginge ihm und Mama gut, und wie denn das Wetter sei.
Wir tauschten das standardmäßige Geplänkel aus, auf das sich eine Unterhaltung reduziert, wenn man weiß, das sie teuer zu bezahlen ist und keinen Tiefgang erreichen kann.
Ich erwiderte einige positive Dinge und fragte mich, ob ich gerade durch die Zeit telefonierte, oder lediglich vergessen hatte, dass es Zeit gab.
Nach dem Auflegen holte mich die Realität ein.
Das Treiben am Strand, die Hitze, freundlich blickende Kellner.

Wenn irgendwo auf der Welt etwas medientaugliches passiert, dann läuft es auf allen Fernsehbildschirmen gleichzeitig. Ganz egal, auf welchem Kontinent man sich befindet.
So dringt die Synchronizität in das Leben, ohne dabei auf die Zeigerbewegung über Ziffernblättern zu achten.
Wenn alles gleichzeitig ist, kann es dann hier Tag und woanders Nacht sein?

Diese schäbige Rolex, die wie eine edle Schlange um meinen Arm gebunden war; nichts anderes zeigte als sich wiederholende Stellungen, die ohne Bedeutung sind.

Ich fixierte das teure Ding und schimpfte es einen Lügner.

Wenn nicht jetzt, wann dann?
Was irgendwo passiert, mag jetzt sein.

Zeit ist der blinkende Schauspieler, denn zweifellos kann man nicht übersehen, was auf sich aufmerksam macht.

 

Lieber Cerberus!

Ich rätsle noch etwas, was genau Du mit Deiner Geschichte ausdrücken willst.
Klar ist es irgendwie eine seltsame Vorstellung, daß für die Bewohner der anderen Seite der Erde zur selben Zeit Tag ist, wenn bei uns Nacht ist, und umgekehrt; aber warum das so ist, wissen wir ja und damit wird es zumindest verständlich, sodaß die Frage »Wenn alles gleichzeitig ist, kann es dann hier Tag und woanders Nacht sein?« eigentlich überflüssig ist. – Aber vielleicht stellst Du diese Frage ja auch nur, um das Natürliche sichtbar zu machen. Denn die eigentliche Irritation ist doch, daß die Technik (Telefon, Fernseher, Internet, …) in der Lage ist, die ganze Welt gleichzeitig und ohne Rücksicht auf die Zeit zu verbinden und somit Tag und Nacht aufzuheben.

Was ich nicht ganz damit zusammenführen kann ist zum Beispiel das Blinken des Automaten: Er verbindet ja nicht, sondern macht eben, auf unangenehme Weise, damit man es nicht ignorieren kann, auf sich aufmerksam. Du verbindest es zwar gedanklich mit den Kneipen, aber es hebt nicht Tag und Nacht oder Entfernungen auf.

Dann diese beiden Stellen:

Nach dem Auflegen holte mich die Realität ein.
Das Treiben am Strand, die Hitze, freundlich blickende Kellner.
sich wiederholende Stellungen, die ohne Bedeutung sind.
Ich fixierte das teure Ding und schimpfte es einen Lügner.
Bei »holte mich die Realität ein« dachte ich, Du wolltest zeigen, daß für jeden die Realität trotzdem an dem Ort ist, wo er sich befindet – dann wäre aber die Uhr kein Lügner, denn sie spricht ja von der Realität an dem Ort, für den sie eingestellt ist.

Zeit ist der blinkende Schauspieler, denn zweifellos kann man nicht übersehen, was auf sich aufmerksam macht.
Ich meine, daß es eben nicht die Zeit selbst ist, die sich aufhebt. Vielleicht der Zeitgeist? Oder bin ich völlig am Holzweg?

Ein paar Kleinigkeiten noch:

»Das hektische Blinken des Automatens«
– des Automaten

»Ich hielt einen fünfzig Pesosschein an den Schlitz,«
– einen Fünfzig-Pesos-Schein
– Ich finde, es muß »in den Schlitz« heißen, wenn ich den Schein nur »an« den Schlitz halte, zieht es ihn noch nicht hinein.

»als ahnte es um die Entfernung die zwischen mir und der gekannten Welt lag.«
– ohne »um«
– Entfernung, die

»vergaß ich nach der Landesvorwahl die null wegzulassen«
– die Null

»In Deutschland war es bereits später Abend,«
– würde das ohne »es« schreiben

»während mir hier die heiße Mittagssonne auf den Schädel brannte.«
– »heiße« wäre ein Adjektiv zum Einsparen, denn wenn die Mittagssonne auf den Schädel brennt, ist sie wohl nicht kalt. ;)

»wenn man weiß, das sie teuer zu bezahlen ist«
– dass

»Ich erwiderte einige positive Dinge«
– »erwidern« tut man eigentlich, wenn man etwas gegen das zuvor Gesagte einwendet, das ist aber nicht der Fall. Vorschlag: »Ich zählte einige positive Dinge auf.« – Wobei es natürlich schöner wäre, wenn Du diese positiven Dinge tatsächlich aufzählen würdest.

»Wenn irgendwo auf der Welt etwas medientaugliches passiert,«
– etwas Medientaugliches

»So dringt die Synchronizität in das Leben, ohne dabei auf die Zeigerbewegung über Ziffernblättern zu achten.«
– der Synchronismus
– entweder beide Einzahl oder beide Mehrzahl, würde hier die Einzahl vorziehen: über dem Zifferblatt
– jedenfalls (egal, ob EZ oder MZ) Zifferblatt ohne n


Liebe Grüße,
Susi :)

 

Lieber Cerberus,
ein kleiner Tipp: Die Erde ist rund! :idee:
Und tatsächlich existieren viele, viele kleine Welten zur gleichen Zeit nebeneinander her - aber das weiß man spätestens, seit Einstein sich über Raum und Zeit den Kopf zerbrochen hat?

Liebe Grüße, Vizande

 

Hallo,

also ich versteh das mal so, dass für die globale Gesellschaft Zeit keinen Unterschied macht, den Einzelnen aber dennoch betrifft, obwohl die Gesellschaft ja eigentlich aus lauter Einzelnen besteht.

Wenn nicht jetzt, wann dann?
Was irgendwo passiert, mag jetzt sein.
^^ Das verstehe ich aber nicht so ganz.

Am meisten hat mir folgender Satz gefallen. Irgendwie gefällt mir die Ironie darin.

Wir tauschten das standardmäßige Geplänkel aus, auf das sich eine Unterhaltung reduziert, wenn man weiß, das sie teuer zu bezahlen ist und keinen Tiefgang erreichen kann.

Die alles verbindende Idee fehlt mir aber noch.

Gruß
EinMensch

 

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