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Es kommt wieder
Als Eric das stickige Schulgebäude hinter sich ließ, atmete er auf. Die Sonnenstrahlen fluteten an ihm vorbei und warfen einen Schatten auf den heißen Asphalt. Ob sie da sein würde?
Trotz dass er jetzt im Prüfungsstress war und sich eigentlich auf andere Dinge konzentrieren sollte, wanderten seine Gedanken immer wieder zurück zu ihr und sein sonst so kluger Geist ließ ihn auf einmal im Stich.
Aber es war ein zu schöner Tag für traurige Gedanken.
Den Rucksack auf dem Rücken, schlenderte er gemächlich zum Marktplatz. Ihm genügte ein kurzer Blick, um sie in dem Getümmel ausfindig zu machen. Heute trug sie einen kurzen schwarzen Rock, und ihre Füße waren genauso wie ihre Beine nackt. Durch den Straßenstaub hatten sich ihre Fußsohlen grau gefärbt. Die Sonne spielte mit ihren langen blonden Strähnen und warf tanzende Schatten auf die breite Holzbank, auf der Hannah Platz genommen hatte.
Hannah – sein kleines Mädchen.
Sie hatte den Blick von ihm abgewandt. Als er seine Hand auf ihre Schulter legte, fuhr sie zusammen und wirbelte herum. „Eric“, stieß sie hervor und atmete erleichtert aus. Ihre glitzernden Augen zogen ihn sofort wieder in den Bann. „Du hast mich vielleicht erschreckt.“ Es tat ihm gut, ihre warme weiche Haut unter seiner Hand zu spüren. Deswegen ließ er sie noch einen Moment länger auf ihrer Schulter liegen.
Ein strahlendes Lächeln breitete sich auf seinem von Traurigkeit geprägtem Gesicht aus, als er ihren verwirrten Blick sah. Er ließ sich neben ihr auf der Bank nieder und nahm seinen Rucksack vom Rücken. Seine zarte Statur ließ die beiden nebeneinander wie Gleichaltrige aussehen, obwohl Eric um einiges älter war.
Eric ruckte ungeduldig auf seinem Platz hin und her. Er spürte die Leidenschaft, die zwischen ihnen in der Luft hing und es erfüllte ihn mit der altbekannten Unruhe.
„Und, wie war deine Arbeit in Chemie?“, fragte er fast schon nebenbei und tastete nach ihrer Hand. Gekonnt zog Hannah ihre Finger zurück in ihren Schoß und spielte mit ihrem Ring, um seiner Berührung zu entgehen. Eric bemerkte die Geste, ließ es aber wortlos geschehen. Anfangs hatten ihn solche Dinge noch verletzt, aber mittlerweile hatte er sich daran gewöhnen müssen.
Sein durchdringender Blick unterzog ihrem Gesicht eine Musterung. „Du trägst schon wieder diesen dunklen Lidschatten“, stellte er mit einem belustigten Unterton fest, ohne eine Antwort auf seine Frage abzuwarten.
„Was denn, wenn es dir nicht gefällt …“, setzte Hannah spitz an, aber er unterbrach sie, indem er ihre Hand von ihrem Schoß zog und seine Finger mit ihren verhakte. Ihre schlanke Hand vibrierte leicht und übertrug die Spannung auch auf seine Finger. Für einen Moment verharrten sie still und atmeten ihre gegenseitige Erregung ein. Ein Seufzer entfuhr ihren blassen Lippen, dann entzog sie ihre Finger mit Gewalt den seinen.
„Eric, du weißt doch …“
„Psst“, machte er nur und strich noch einmal kurz über ihre Hand, bevor er sie in Ruhe ließ. Er nahm sich vor, sich nicht immer von seiner riesigen Liebe zu ihr blenden zu lassen. Doch schon bevor er den Gedanken zu Ende gedacht hatte, wusste er, dass er ihn in den nächsten Minuten schon wieder brechen würde. Resignierend griff er nach seinem Rucksack und wollte aufstehen, doch ihre zupfende Hand an seinem Shirt ließ ihn innehalten.
„Eric, es war doch nicht so gemeint.“
Mit einem seelenruhigen Lächeln wandte er sich wieder ihrem engelsgleichen Gesicht zu. Ihr treuherziger Blick entschädigte ihn für alles, was sie ihm je zugefügt hatte und so ließ er sich wieder auf die Bank zurückfallen.
„Ich weiß doch, dass du es nie so meinst wie du es sagst. Aber wenn du nicht mit mir reden magst … heute hast du wohl wieder einen schlechten Tag, hm?“ Verständnisvoll strich er ihr kurz über ihr nacktes Bein. Es schien ihm, als würden elektrische Blitze zwischen ihrer und seiner Haut zucken.
Hannah vergrub ihr Gesicht in ihren Händen. Der rote Fingernagellack schimmerte im Sonnenlicht. „Ach Eric, was soll ich dazu nur noch sagen.“, flüsterte sie leise. Dann hob sie wieder ihr Gesicht und ihr Blick schien von Dramatik getränkt. „Mittlerweile ist jeder Tag ein schlechter Tag. Wie soll ich das nur Mike klarmachen, ich meine … er liebt mich doch ... “
Eric unterbrach sie, indem er seine Arme um ihren kleinen zerbrechlichen Körper legte. Er sog den Duft ihres Haares ein und spürte, wie sie sich enger an seine Brust schmiegte. Dass dieser Moment nicht von langer Dauer sein konnte, wusste er. Schon bald würde ihr schlechtes Gewissen sie wieder zurückreißen. Doch es tat so unendlich gut, ihren Körper wieder einmal näher zu spüren.
Wie vorausgeahnt löste sie sich nach einer kurzen Zeit aus seiner engen Umarmung und stand auf. Hastig kramte sie in ihrem Rucksack, doch Eric war schneller. „Suchst du vielleicht so was?“
Dankbar griff Hannah nach der angebotenen Zigarette und steckte sie sich eilig mit ihrem Feuerzeug an. Kopfschüttelnd betrachtete er sie. „Rauchen macht die ganze Sache auch nicht besser.“, sagte er. „Das ist Gift für dich.“
„Machst du dich lustig über mich?“, fuhr sie ihn an, dann zog sie wieder tief an der Zigarette und betrachtete ihn abfällig. Doch auch diese Geste änderte seinen vertrauensseligen Blick nicht, was sie noch nervöser zu machen schien. Sie trat von einem Fuß auf den anderen, während sie zu Ende rauchte. Er deutete lachend auf ihre nackten Füße und meinte: „Vielleicht soll ich dir Geld spenden für ein paar neue Treter. Dir scheint kalt zu sein.“
Mit wutentbranntem Blick ließ sie die Zigarette zu Boden fallen und trat sie mit ihrem nackten Fuß aus. Zum Beweis ihrer gespielten Überlegenheit verzog sie nicht mal das Gesicht, als sie die heiße Asche an ihrer Fußsohle spürte. Dann ließ sie sich zurück auf die Bank niedersinken und blickte ihn gereizt an.
„Meine Güte, Hannah, heute bist du aber wirklich gar nicht gut drauf.“
In ihren Augen stand Verzweiflung, als sie ihre Hände um seinen Hals legte und ihn zu sich zog. In diesem Moment versank die Welt um ihn herum im Nichts, es gab nur sie und ihn. „Verdammt, das bin ich auch nicht. Wie auch? Wie soll man so jemanden wie dich nicht lieben können?“, flüsterte sie leise.
Dann berührten sich ihre trockenen Lippen kurz.
Eric schmeckte die Zigarette von vorhin, blickte in die tränengefüllten Augen, bevor er die eigenen verschloss. Er zog sie wieder zu sich, um noch einmal diesen Geschmack zu bekommen. Das Gefühl der Sehnsucht hatte so lange an ihm gezehrt. Und jetzt, hier, inmitten der Menschenmassen, küsste sie ihn öffentlich vor den Augen aller. Wie konnte sie das mit ihrem Gewissen vereinbaren? Wenn sie doch nicht einmal mit ihm kurz Händchen halten konnte, ohne das sie am Rande der Verzweiflung stand? Doch es war ihm egal. Er wollte es so lange genießen, bis sie sich wieder ruckartig von ihm lösen würde. Um ihm wieder zu sagen, dass sie das nicht konnte. Dann würde er wieder bis zum nächsten Mal warten müssen.
Aber das war es wert.