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Es weihnachtet sehr
Roy wachte auf, und fühlte, dass er Durst hatte. Er griff nach dem Glas Wasser, das seine Mutter jeden Abend sorgfältig auf seinen Nachttisch stellte. Roy machte Licht, und trank. Als sich seine Augen ans Licht gewöhnten, sah er seinen Kalender an der Wand gegenüber seinem kleinen Kinderbett. Es war ein gewöhnlicher Kalender mit jeweils einem Monat pro Seite, und einem Marker, der das Aktuelle Datum markierte. Als Roy den Kalender sah, sprang er aus dem Bett. Es war nämlich Dienstag, aber kein gewöhnlicher Dienstag. Es war Dienstag den 26. Dezember, und Roy wusste, dass es an diesem Tag Geschenke gibt, dafür war er alt genug. Roy machte lautlos seine Tür auf, und versuchte vorsichtig die alte Holztreppe herunterzugehen, um seine Eltern nicht zu wecken. Er wollte als erster bei den Geschenken sein. Roy hielt sich gespannt am Geländer fest, und glitt leicht die abgefärbten Stufen herunter, die früher mal braun gewesen sein müssen. Aufgeregt von der Idee, dass er es fast geschafft hat, wurde Roy immer schneller und schneller, so dass er die drittletzte Stufe vergass. Ein lauter ohrenquälender Quietschlaut ertönte durchs Haus. Voller Schrecken rannte Roy zurück in sein Zimmer, sprang in sein Bett, und versuchte Schlaf zu imitieren. Er dachte etwas im Haus gehört zu haben, und nahm an, dass seine Eltern, oder zumindest seine Mutter aufgewacht ist. So lag er einige Zeit still, und wartete ab. Aber niemand kam, und Roy hörte auch niemanden im Haus gehen. Er nahm sich diesmal zusammen, und blieb auf dem ganzen Weg vorsichtig, und angespannt. So meisterte er die berüchtigte Stufe, und kam ins Wohnzimmer. Er sah den Tannenbaum rechts in der Ecke, er war wundervoll geschmückt, und machte einen erfreulichen Anblick. Roy kam näher. Er beachtete die Umgebung kaum, jetzt waren alle seine Sinne auf die Geschenke gerichtet. Er näherte sich langsam, fasziniert von dem farbigen Geschenkpapier. Er fragte sich schon, was sich unter diesem Papier wohl alles vergibt. Doch sein Schicksaal schlug andere Wege.
Er spürte kaum etwas, es ging sehr schnell. Etwas scharfes bohrte sich in seinen Rücken, wie ein Wespenstich. Er gab ein leises kurzes Krächzen von sich, seine Augen schlossen sich, und er viel schlapp mit dem Gesicht nach unten zu Boden. Für einen kurzen Augenblick sah er sein ganzes Leben vor sich, seinen fliegenden Staubsauger Ronny, seinen Sprechenden Elefanten Norbert, mit seinen grünlichen Exkrementen, die immer so komisch geschmeckt haben.
Wenn Roy sich umgedreht hätte, bevor er sich den Geschenken widmete, hätte er in der gegenüberliegenden Ecke seines Zimmers etwas gesehen, was ihn zunächst erfreut hätte. Es war eine Gestalt in rotem Mantel, mit weißem Bart, und einem Sack vor sich auf dem Boden. Roy würde auch dann nicht darauf kommen, dass die rote Farbe des Mantels durch Blut zustande kam. Der Sack war randvoll mit Herzen, die mit einem Widerhaken, den man erst tief in die Brust, oder Rücken stoßen muss, herausgezogen worden sind.
[ 04.07.2002, 10:34: Beitrag editiert von: Pandora ]