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Ewiger Loser
Ewiger Loser
"Alter Verwalter, guck Dir ma´ dat scharfe Moped an!", stieß Martin seinen Kumpel Felix an und wies mit dem Kinn auf die Blondine, die gerade mit ihrem viel zu kurzen Rock in ein viel zu tief gelegtes BMW-Cabrio stieg. "Leck mich fett, wat´n Schnittchen! Da wär´ ich gern ma´ der Fahrersitz.", lachte Felix und nickte Martin zu. Beide grinsten über beide Ohren und schauten der offensichtlich künstlich gebräunten Mitzwanzigerin noch mit langen Hälsen nach, bis Sie mit Ihrem Wagen nicht mehr zu sehen war.
Martin setzte noch mal sein eigentlich schon leeres Weizenbierglas an und ließ sich noch die Schaumreste in den Mund gleiten: "Mann, dat Zeug verdunstet mir hier unter´m Arsch wech". "Is´ ja auch kein Wunder bei den Temperaturen!" Felix wischte sich den Schweiß von der Stirn. Die Hitzewelle dauerte nun schon knapp drei Wochen. Hier in der Duisburger Innenstadt war es mit knapp 35 Grad besonders unerträglich und man konnte es nur noch im Freibad oder in einem Biergarten aushalten. "Ich hätt´ gern noch so ´ne Vase", winkte er dem Kellner zu, der gestresst und mit einer starren "hoffentlich-spricht-mich-niemand-an"-Attitüde an den beiden vorbeihuschte. "Ich auch!" Felix trank seinen Rest auch noch aus, hob eine Hand und schwenkte sein leeres Glas demonstrativ hin und her. Der Kellner nickte den beiden flüchtig zu, kritzelte etwas auf seinen Block und war auch schon wieder verschwunden. "Hier lässtet sich aushalten!" Martin lehnte sich zurück und rülpste so laut, dass die Gäste an den Nachbartischen sich kurz umdrehten. Einige lächelten nur während ein älteres Ehepaar verständnislos den Kopf schüttelte. Martin wippte gelangweilt mit dem billigen weißen Plastik-Gartenstuhl, dessen dünne Beine sich unter seinem Gewicht von knapp hundertzwanzig Kilo bereits bedrohlich verdrehten. Dann passierte, was passieren musste. Eines der Stuhlbeine ergab sich schließlich und knickte ganz langsam ab. In Zeitlupentempo sank der Plastik-Stuhl in sich zusammen, Martin schaute überrascht um sich, sein Gesichtsausdruck spiegelte die Intelligenz eines Stuten wider. Nach etwa drei Sekunden lag er dann auf dem Rücken. Felix konnte sich nicht mehr halten vor Lachen. "Nee, nee…So was kann auch nur dem passieren - er ist und bleibt ein ewiger Loser", dachte er insgeheim. Dann ging er dem Kellner zur Hand, der sein Tablett abgestellt hatte und Martin wieder hoch half. Alleine wäre Martin vermutlich niemals hoch gekommen - er erinnerte in seiner Pose an einen Käfer, der hilflos auf dem Rücken lag und strampelte. Martin bedankte sich mit hochrotem Gesicht. Der Kellner stellte die beiden Biergläser auf den Tisch, machte schnell zwei Striche auf die Bierdeckel, murmelte etwas und kam nach einigen Sekunden mit einem stabileren Holzstuhl aus dem Kneipeninnenraum wieder. Felix nickte dankend. "Wir möchten dann auch am besten schon mal zahlen". Martin ließ für seine Rettungsaktion ein nettes Trinkgeld springen.
"Hatte ich eigentlich schon erzählt, dass ich nächste Woche mit Britta nach Malle fliege?", grinste Felix. "Du Sau!", späßelte Martin, "Nee, hasse nich´! Wie mach ´se dat nur immer? Du has´ irgendwie ständig neue Frauen am Start und mich lässt keine ran." In der Tat war Martin trotz seiner Anfang dreißig noch Jungfrau. Bis auf eine knapp einwöchige Beziehung, was aber auch schon etwa zehn Jahre her war, lief bei ihm frauentechnisch rein gar nichts. Damals hatte er aber auch gut vierzig Kilo weniger gewogen. In den letzten Jahren hatte er sich stark gehen lassen, gab nicht viel auf sein Äußeres, trieb keinen Sport mehr und hing in seiner Freizeit nur noch mit seinen Kollegen in Kneipen herum. "Willse ´ne ehrliche Antwort?", fragte Felix und fuhr fort "guck Dich doch ma´ an, Mr. Fastfood! Glaubst Du im Ernst, dass die Schnecken auf so´n Vogel wie Dich abfahren? Du versuchset ja auch immer direkt bei den heißesten Granaten - die haben in der Regel andere Ansprüche." Martin starrte mit ziellosem Blick in sich gekehrt in die Ferne. "Mhh… Ich bin nich´ gerade der Schlankste, dat stimmt schon."
"Du solltest Dein Äußeres einfach mal generalüberholen lassen. Lass Dir mal ´ne ordentliche Frisur verpassen und kauf Dir mal´n paar nette Klamotten - vielleicht´n Anzug! Schön auf dicke Hose machen, dat zieht bei den Miezen!"
"Naja, kommt sicherlich richtig geil, wenn ich auf dicke Hose mach´ und dann in meinem alten aufgemotzten Golf daherkomme", gab Martin zu bedenken.
"Weisse wat?! Ich bin doch nächste Woche auf Malle - dann leih Dir in der Zeit mein TT-chen, wär´ dat wat?! Und Du machst Dich ma´ lecker zurecht mit allem Zipp und Zapp!" Felix fuhr ein silbernes Audi TT-Cabrio - sein "Juppie-Rollschuh", wie er es immer nannte. Das Gefährt war eigentlich sein Ein und Alles, aber zu Martin hatte er so viel Vertrauen, dass er ihm den Wagen leihen würde. Schließlich kannten sich die beiden schon seit dem Kindergarten. Und so trottelig sich Martin auch anstellen konnte - mit Autos kannte er sich aus, schließlich war er KFZ-Mechaniker und wenn er etwas konnte, dann war es Auto fahren.
"Dat würdesse echt tun?" Martin hob erfreut die Augenbrauen und grinste im Kreis.
"Ja sichi!" Felix hob die rechte Hand hoch und Martin schlug ein.
"Geilomatrix!" Martin trank die letzte Hälfte seines Bieres in einem Zug aus, knallte das leere Glas auf den Tisch und rülpste laut und zufrieden.
** eine Woche später **
Martin kam mit einem Handtuch um die Hüften aus dem dampfenden Bad. Aus der billigen Stereoanlage dröhnte eine Achtzigerjahre-Poser-Heavymetal-Band, deren Name heutzutage zurecht niemand mehr kannte. Er stand vor dem Spiegel und schrie schrill in seine Bürste, die er wie ein Mikro vor seinen Mund hielt. Dann warf er sein "Mikro" hoch, um es elegant wieder aufzufangen. Dies misslang ihm jedoch und die Bürste landete auf dem Boden. Bei dem Versuch sie aufzuheben, rutsche Martin das Handtuch von den Hüften und er stieß mit seinem Hintern an einen Berg von CDs, der krachend in sich zusammenfiel. Das konnte seine gute Laune nicht trüben. Er stand nackt vor dem Spiegel, blinzelte sich selbst zu und kam sich wie Brad Pitt persönlich vor. Gestern war er extra noch beim Frisör gewesen und hatte sich seine Dauerwelle auffrischen lassen. Er fand sich unwiderstehlich. Dann musste er unweigerlich an eine Filmszene aus "Das Schweigen der Lämmer denken" - er klemmte sich sein zu klein geratenes bestes Stück zurück zwischen die Beine, imitierte eine Frauenstimme und zitierte "Ich würd´ mich ficken".
Eine halbe Stunde später war er startklar. Er checkte noch einmal den Sitz seiner Krawatte im Spiegel. Das letzte Mal hatte er zur Kommunion eine getragen und das merkte man auch an der Art, wie er sie nun gebunden hatte. Den Knoten schien er selbst erfunden zu haben. Der obendrein noch äußerst geschmacklose grüne Schlips saß krumm und schief, aber er fand ihn perfekt so. Den schwarzen Anzug hatte er sich von seinem Bruder geliehen, der eine ähnliche Statur hatte. Das Sakko bekam er nicht zugeknöpft, aber das wollte er auch nicht. Die Hose war ihm ein Stückchen zu kurz, aber auch das fiel ihm nicht negativ auf. Er sah aus wie eine Karikatur, wie ein Stand-Up-Comedian, doch er fand sich unendlich elegant. Zur Krönung setzte er sich auch noch eine Sonnenbrille auf, die wie die Musik im Hintergrund ein Relikt aus den Achtzigerjahren gewesen sein musste. Er nahm seine Lieblings-CD aus der Stereoanlage, steckte sie in seine Sakko-Tasche und schaltete die Anlage aus. Martin stolperte fast noch über den Stapel CDs, den er vorhin umgestoßen hatte, verließ seine Wohnung und quetschte sich in das TT-Cabrio, das Felix ihm für eine Woche geliehen hatte.
Er hatte den Sitz bereits so weit nach hinten gestellt wie es ging, aber Martin hatte in dem Fahrzeug trotzdem nicht den Platz, den er eigentlich benötigte, um bequem sitzen zu können. Mit stark angewinkelten Knien, die neben dem Lenkrad hervorragten, fuhr er mit quietschenden Reifen los. Es war bereits einundzwanzig Uhr, aber immer noch über 30 Grad heiß. Das Auto-Dach stand offen, er schaltete dennoch die Klima-Anlage an, um sich kühle Luft um die Ohren wehen zu lassen. Da die Sonne ihn nicht mehr blenden konnte, schob er die Sonnenbrille hoch in die Haare, was, wie er meinte, sogar noch cooler aussah. "Scheiß die Wand an - is´ dat geil. Jetzt noch schön Mucke…" Er nahm die CD aus der Sakko-Tasche, warf sie in den CD-Player des Wagens und drehte auf. "Yeah, Yeah, Yeah… Queen of the Daaaaaaaaark" schrie er inbrünstig mit hoher Kopfstimme, übersah fast die rote Ampel und stieg voll auf die Bremse. An der Ampel stand bereits ein schwarzes Cabrio mit zwei äußerst attraktiven Frauen, schätzungsweise Anfang zwanzig. Sie nutzten die Rot-Phase, um sich noch ein wenig nachzuschminken und wurden unterbrochen, als Martin abrupt neben ihnen zum stehen kam. Sie schauten ihn zuerst mit einem entsetzten Gesichtsausdruck an, lächelten dann und mussten schließlich herzlich lachen. Martin lächelte zurück und war sich bereits eines ersten Erfolges sicher "Alter, wie geil is´ das denn bitte?!", dachte er, "die beiden Schnecken haben mich angelächelt wie sonst noch wat! Sonst hat mich nich´ ma´ eine mit´m Arsch angeguckt."
Er wollte gerade zu einem flotten Spruch ausholen, da wurde die Ampel auch schon grün und eher er sich versah, waren die beiden Schönheiten auf und davon. "Die kriege ich an der nächsten Ampel wieder", sagte er sich noch und soff den Wagen ab.
Wenig später kam er im "Ice-Palast" an - eine Mischung aus großem Open-Air-Eis-Café und Disco. Martin war in der Vergangenheit erst ein einziges Mal hier gewesen, er fühlte sich damals in diesem Schicki-Micki-Laden nicht besonders wohl, obwohl die Frauen es ihm dort sehr angetan hatten. Hier zeigte man, was man hatte und wer man war. Das fing schon auf dem Parkplatz an, wo sich bereits viele Gäste tummelten und ihre Autos vorführten. Dieses Mal war sich Martin sicher, dass er nicht alleine nach Hause fahren würde. Heute Nacht musste es einfach geschehen. Er wusste gar nicht, wo er zuerst hinschauen sollte, eine Frau hübscher als die andere - eine sommerlicher und aufreizender gekleidet als die andere. Die meisten Männer waren - wie er - im Anzug gekleidet, die Sakkos hatten sie wegen der Hitze in der Regel jedoch abgelegt. Martin parkte den Wagen neben einer Gruppe anderer Audis, befreite sich aus dem Sitz, zog sein Sakko aus und warf es sich elegant über die Schulter - so elegant, dass er es aus Versehen losließ und es ihm herunterfiel.
Er wurde bereits von den umherstehenden Menschen gemustert, als er in Richtung Eingang ging. Er genoss es, an der Gruppe junger Frauen vorbeizulaufen, die ihn anstarrten, als käme er von einem fremden Planeten. Wie in Slow-Motion stolzierte er mit erhobener Brust an ihnen vorbei und zwinkerte ihnen zu. Sie steckten ihre Köpfe zusammen, tuschelten und mussten dann lachen. In Martin tobte ein Feuerwerk noch nie da gewesener Gefühle der Selbstsicherheit. "Jawollski, Ihr Leckerchen - dat alles könnt´ Euch gehören", fuhr es ihm durch die Hirnwindungen. Ein paar Meter weiter ging er an einem jungen Paar vorbei, das sich unterhielt. Als er auf ihrer Höhe war, hielten sie inne und begutachteten ihn ebenfalls von oben bis unten. Martin drehte dem Mädchen im Vorbeigehen langsam den Kopf zu und grinste breit, woraufhin Sie wie die Gruppe zuvor lachen musste.
Im Eis-Café angekommen suchte er einen freien Tisch, der möglichst in Single-Frauen-Nähe sein sollte. In der rechten hinteren Ecke fand er schließlich den perfekten Platz. Ihm gegenüber saßen 3 Frauen, die - soweit er es beurteilen konnte - keine Männer dabei hatten. Zwei von ihnen schienen ihm nicht besonders attraktiv, die Mittlere, Schwarzhaarige jedoch war genau sein Ding. "Scheiß die Wand an", dachte er noch so bei sich, "wat für´n Luder", da hatte sie auch schon von ihm Notiz genommen und lächelte verschmitzt. Auch die beiden anderen lächelten ihm zu. Jetzt fingen sie an zu tuscheln und lachten. Immer wieder trafen sich ihre Blicke und Martin konnte kaum begreifen, dass eine frische Frisur, ein Anzug und ein fetter Schlitten unter dem Hintern so viel ausmachen können. "Hätt´ ich dat eher gewusst, ich Vollfurz! Mhh… soll ich jetz´ einfach mal zu der Zuckerschnitte rübergehen und die ansprechen? Halt… Wat macht die denn jetzt…?" Die schwarzhaarige Schönheit kramte in ihrer Handtasche herum und fand schließlich den Kugelschreiber, den sie gesucht hatte. Dann nahm sie sich einen Bierdeckel vom Stapel, der auf dem Tisch lag, und kritzelte etwas darauf.
"Wat macht ´se denn jetz´? Sach bloß, die schreibt mir ihre Telefonnummer auf?!"
Dann stand das Objekt der Begierde auf, nahm den beschriebenen Bierdeckel und kam langsam zu Martin herüber. Mit jedem Schritt, den sie auf ihn zukam, klopfte sein Herz schneller. Er konnte seinen Puls bis in die Schläfen spüren. Wie gelähmt saß er da und konnte es einfach nicht fassen. Diese wunderschöne Frau mit ihrem makellosen Körper schrieb ihm, Martin Bolleke, ihre Telefonnummer auf - er hatte ein Date, eine echte Chance seine Jungfräulichkeit abzuwerfen. Sie lächelte weiter, als sie näher auf ihn zukam, bis sie schließlich an seinem Tisch stand und sich langsam zu ihm herunterbeugte - so tief, dass er unweigerlich in ihren Ausschnitt schauen musste, der den Blick auf ihre perfekt geformten Brüste freigab. Martin schluckte und brachte kein Wort heraus. Ebenso wortlos legte ihm die Traumfrau den Bierdeckel mit der beschriebenen Seite nach unten auf den Tisch, ging zu ihrem Platz zurück und setzte sich wieder.
Alle drei lächelten weiter, während Martin fassungslos langsam den Bierdeckel umdrehte. Es traf ihn wie ein Blitz, denn schlagartig wurde ihm klar, warum ihn alle Welt plötzlich anlächelte. Ganz langsam zog er sich die Sonnebrille wieder zurück ins Gesicht, konnte aber kaum mehr hindurchschauen. Irgendwann während der Fahrt muss ihm ein mächtig großer Vogel einen mächtig großen Haufen auf dem Kopf und vor allem auf der Sonnenbrille hinterlassen haben - so groß, dass er eigentlich von zwei bis drei Vögeln hätte stammen müssen.
Martin behielt die Sonnenbrille auf der Nase, stand auf, und verlies wortlos das Lokal - nicht ohne sich noch einmal kräftig das Bein an einem der Tische zu stoßen. Er ließ den Wagen stehen, lief nach Hause und ist seitdem nie wieder in ein Cabrio gestiegen.