Fahrt mit der Bahn
Fahrt mit der Bahn
Grochs weiße Limousine war so lang, wenn die Front in das Berliner Parkhaus einbog, stand das Heck noch in der heimischen Garage. Die blaue Flanke der Limousine war mit unzähligen Werbebotschaften und politischen Parolen übersät. Groch hatte für das Fahrzeug ein spezielles Kennzeichen einführen lassen, das zwischen den kleinen Doppelscheinwerfern montiert war. "ROADTRAIN", prahlte es. Scharlachrot auf giftgrün.
Hogs zahnloser Mund war vom Unglauben geweitet. Er wirkte sehr schwarz in Mitten des strähnigen weißen Bartes. Allmählich überkam ihn die Erkenntnis. Er nickte ehrfürchtig und murmelte etwas.
"Das ist eure neue Straßenbahn", eröffnete Groch. "Das Besondere: Sie ist überall auf der Strecke zugleich." Groch untermalte jedes Wort mit einem Stampfen auf dem Podium, das gefährlich zu schwanken begann.
"Leute, diese Bahn ist ein menschgemachtes Wurmloch.", kreischte er in den orangefarbenen Lautsprecher. "Leute, fahrt mit der Bahn!" Grochs stimme überschlug sich. Er gab alles für seine Partei. Denn die Meinungsforscher hatten herausgefunden, dass die Politiker ihre Thesen in der Vergangenheit nur zu leise verkündet hatten. Groch wollte es ändern. Groch wollte alles ändern. Vor Aufregung biß er in seine rosafarbene Krawatte.
Die Partei wollte alles, was die Leute wollten. Im Namen der Demokratie. Der siegbringende Slogan "So einfach ist das", hatte, wie man dank Analysen wußte, im Verbund mit dem revolutionären demokratischen "Ballonkonzept", die gesegnete Wählergunst gebracht.
Das Ballonkonzept sah den regelmäßige "Overkill" marktwirtschaftlicher Elemente vor, die durch zwei neue ersetzt wurden. Dieses Prinzip der grenzenlose Expansion hatte die Wirtschaft in einen unendlichen Aufschwung geschleudert, der in drei Monaten die Landung einer bemannten DeSA -Raumfähre auf dem Mars möglich machen würde.
Jeder Wunsch konnte in Erfüllung gehen; mit etwas Glück. Auf dem Alexanderplatz in Berlin hatte man eine riesige Lotterieanlage aufgebaut. Die Bürger hüllten ihre Wunschbriefe in Lottokugeln und warfen diese nach der sonntäglichen Ziehung ein. Jede Woche wurden zwei ausgelost und deren Inhalt umgesetzt. Während der Woche war eine Hundertschaft von ihrerseits ausgelosten Bürgern dazu abkommandiert die Trommel in Bewegung zu halten. Sie rollten diese auf der Strecke in Form einer liegenden acht über den Platz. Bewegt durch deutsche Muskelkraft. Mit diesem Instrument der höheren Gewalt konnte erstmals objektive Politik betrieben werden.
Wenn ein Arbeiter unter der unmenschlichen Anstrengung tot zusammenbrach, das schmutzige Gesicht von Freudentränen reingewaschen, griff ein ausgeklügeltes Nachrückverfahren, das dabei die jeweils ältesten Bürger aus dem ausgefallenen Bundesland heranzog. Man war des Generationskonflikts schließlich doch Herr geworden.
Allerdings konnte der Staat auf eine beträchtliche Anzahl jüngerer Freiwilliger setzten. In den "golden Teenies" gab es keinen Grund mehr Politikern zu mißtrauen.
Die Trommel näherte sich dem Mittelpunkt der Acht. Dort fand die Auslosung statt.
Hogs schnellte aus der Menschenmenge und küßte den transparenten Leib der Kugel. Dann rissen ihn die Polizisten weg. Da man seine offensichtliche Harmlosigkeit erkannte, entließ man ihn jedoch gleich wieder in die Menge.
Dort hielt es ihn nicht. Nachdem er sich durch die Massen gedrängt hatte, stolperte er der Statue von Gerhard Schröder am anderen Ende des Platzes entgegen. Er sank auf die Knie und blickte zum steinernen Schröder hinauf.
"Das ich so etwas noch erleben darf", sagte Hogs und schlug auf das Pflaster. Er starb im Alter von neunundneunzig Jahren am Schauplatz der Kundgebung. Der Hirnschlag raffte ihn endlich dahin. Niemand bemerkte es sofort. Bundeskanzler Groch hatte eine neue Billardkugel eröffnet und kreischte ekstatisch ihren Inhalt.