- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 4
Februarsonne
Ich betrat das „Lumen“ und sah nur dich. Vor dir auf dem Tisch standen eine schlanke weiße Espressotasse und ein Kelchglas mit Leitungswasser – das billigste auf der Speisekarte des „Lumen“, wie ich heute weiß. Ich setzte mich dir gegenüber, bestellte einen Fruchtcocktail. Du schienst nervös, hattest dich aber gut im Griff. Deine Worte wirkten so neutral wie dein anthrazitfarbener Businessanzug. Ruhig blicktest du mich an, dabei spieltest du mit meinen Fingern.
„Zusammen?“, fragte die Kellnerin. - „Selbstverständlich."
Beim Aufstehen berührtest du meine Schulter – eine Besitz ergreifende Geste, die mir nicht unangenehm war. Auf dem Weg zur Bushaltestelle reichtest du mir deinen Arm.
Danach schicktest du mir jeden Morgen eine SMS. Zuerst lächelte ich, dann wartete ich, eines Tages vermisste ich. Nach zweieinhalb Wochen ohne jede Nachricht hielt ich es nicht mehr aus und rief dich an, wollte nach dem Grund für deinen Rückzug fragen. Dazu kam es nicht, denn du schienst über meinen Anruf durchaus erfreut und kamst noch am gleichen Tag zu mir.
Nach dieser Begegnung meldetest du dich zweieinhalb Monate nicht. Meine Versuche, mit dir Kontakt aufzunehmen, blieben unbeantwortet. Während dieser Zeit lernte ich Markus kennen, gut aussehend, smart, weltläufig. Er holte mich im Cabrio ab und nahm mich mit auf seine Yacht. Ich durfte seinen Jaguar fahren, und er führte mich zum Essen aus. Wir verstanden uns blendend. Eines Nachmittags, während ich auf der Terrasse saß und seinen Besuch erwartete, kam eine Nachricht von dir. Ich sagte ihm ab.
„Wir haben uns lange nicht gesehen“, sagtest du, „viel zu lange“. Die Stunden mit dir sind wie Knoten in einer langen Schnur.
Du möchtest einmal ein Wochenende mit mir verbringen, sagtest du bei unserer letzten Begegnung. Nur dass es ein solches Wochenende für einen, der sieben mal sieben Stunden in der Woche arbeiten muss, nicht gibt. Ich rufe nicht an, schreibe nicht, binde nicht deine Zeit. Wie kann ich dir sagen, dass ich dich liebe? Ich kann es nur zeigen, indem ich es dir nicht sage.
Wenn ich jetzt eine Verabredung im „Lumen“ habe, sitzt du mit an unserem Tisch. Meinem Begleiter antworte ich konventionell und vergesse ihn, während er noch spricht. Seine Küsse erscheinen mir so blass wie die Februarsonne in einer Pfütze. Ich werde ihn nicht wiedersehen.
Manchmal tanze ich den langsamen Walzer mit dir. „Eben hast Du aber schön getanzt“, sagt dann mein Tanzpartner, der mich nur zum Training sieht und nichts Privates von mir weiß, mit leuchtenden Augen. Liebevoll zieht er mich an sich und hält dabei nichts als eine schlenkernde Puppe im Arm.
Licht über dem Schnee
Es war an dem Tag, an dem du angerufen hattest, als der Winter zurückkehrte.
Zufällig fiel mein Blick aus dem Fenster, und ich sah, wie es draußen in dicken Flocken schneite. Ich erschrak, dachte sofort an den Termin, den ich am nächsten Morgen haben würde. Es war ein ungeliebtes Treffen mit einem fremden Architekten frühmorgens auf einer zugig-kalten Baustelle, an sich schon unerfreulich. Bei Schneefall würde ich noch früher aus dem Haus müssen, an der Bushaltestelle in der finsteren Kälte stehen, darauf hoffen, dass ein Bus käme, der mich in die Stadt brächte, nach Möglichkeit pünktlich. Käme er dann, würde ich zwischen übernächtigten Schülern sitzen, ständig auf die Uhr schauen, ohne Gelegenheit, jemandem über Handy telefonisch Bescheid sagen zu können, der Bus stände im Stau, ich sei unterwegs, käme noch, aber etwas später, wegen dieses grauenvollen Wetters.
Der Schnee war so weiß vor der einbrechenden Dämmerung. Vor meinem Fenster schimmerte er in kühlem Perlmutt. Im Licht der Straßenlaterne sah ich, wie es schneite; es waren viele dicke, schwebende weiße Flocken. Während ich ihnen zuschaute, war es, als flösse jede Anspannung aus mir heraus. Ich hatte kein Licht eingeschaltet. Die dicke Kerze in dem Kugelglas hinter meinem Fenster, die ich jeden Abend anzünde, sobald ich nach Hause komme, erhellte den Räum mit einem warmen, goldenen Licht. Die Blumenkübel vor dem Fenster, die Sträucher, die Autos am Straßenrand, die Bäume des Nachbarn waren weich, dick und silberweiß. Ich konnte den Blick nicht lösen.
Später, als ich zu Bett ging, ließ ich die Rollläden offen. Mitten in der Nacht erwachte ich und lag in magischem Licht. Der Schnee machte die Nacht so hell, so weiß, leuchtend nach dem Tag, an dem du angerufen hattest.
Am frühen Morgen, noch in der Dunkelheit, sang eine Nachtigall.