Was ist neu

Fenster

Seniors
Beitritt
12.10.2005
Beiträge
586
Zuletzt bearbeitet:

Fenster

"Mach endlich das Fenster zu", schreit Timm von vorne. Durch den Schimmer sehe ich ihn vorm Lenkrad sitzen und lache, will irgendwas antworten, aber versinke in der Rückbank. Das Leder fühlt sich wie Baumrinde an. Kratzig und hart. Der Tacho zeigt einhundert km/h an, aber wenn ich nach draußen schaue, kommt es mir vor, als würde das Auto still stehen und es wäre die Welt, die sich langsam bewegt.
Die Jungs nennen es "eine Reise machen". Eben die Grenze passieren, in Eindhoven den Mittelsmann treffen, ein paar Kilogramm Haschisch entgegen nehmen und mit der Ware wieder nach Deutschland fahren. Zwei, drei Stunden dauert das Unterfangen. Noch leichter an Geld kommen ist schwer und für jeden von uns sind stets ein paar Päckchen Grass als Belohnung dabei. Ich brauche das Zeug, schon alleine, um den Schimmer zu erhalten. Die Welt soll sich bewegen, während ich stehe; soll für mich weinen, soll für mich lachen.
Ich halte den Kopf aus dem Fenster und der Fahrtwind weht so heftig in mein Gesicht, dass mir das Atmen schwer fällt und ich kräftig husten muss. Timm stöhnt. Er ist nervös; weit kann es nicht mehr sein, bis wir Holland verlassen. Dreimal hab ich die Reise gemacht, aber nie war es so entspannt wie heute. Der Kerl, der uns den Stoff verkauft hat, lud uns mit spanischen Akzent auf einen Joint ein. An sein Zwinkern erinnere ich mich mehr als an das ganze Geschäft. Danach versank die Welt in grellen Farben und ich im Stillstand.
"Scheiße, eh", sagt Timm leise und sieht entsetzt zu mir. Ich schaue nach, was ihn so aufregt. Mehrere Streifenwagen des Bundesgrenzschutzes und der Polizei stehen am Seitenstreifen und winken vereinzelt Autos aus dem Verkehr.
Meine Lippen sind so trocken. Ich atme den Luftzug vom Fahrtwind ein. Es beruhigt mich und meine Gedanken werden klarer. Wenn der Polizist uns mit der Kelle herauswinkt, werden wir auffliegen. Unter mir, im Sitzfutter sind sieben Kilogramm Haschisch versteckt; genug Stoff, um eine Weile ins Gefängnis zu wandern. Sie werden nicht mal einen Spürhund brauchen, um es zu finden.
Irgendwie komme ich in diesem Moment auf die Idee, mich anzuschnallen. Timm flüstert wieder, ich solle das Fenster zumachen, aber ich kicher nur vor mich hin. Ein paar Monate im Gefängnis, vielleicht würde es reichen, dass der Schimmer von meinen Augen verschwindet? Es wäre wie eine Ausfahrt von dieser Autobahn, auf der ich seit Jahren fahre, und nicht einmal mehr die Bremse oder das Gaspedal bediene. Mein Blick wandert auf die Polizisten. Der mit der Kelle hebt die Hand und winkt ein Auto heraus. Wir fahren im Schritttempo an ihnen vorbei.
Ich lasse mich fallen. Es ist vorbei, die Straßenkontrolle wird immer kleiner im Seitenspiegel. Timm atmet erleichtert aus und ich greife mit den Fingern in das Sitzleder. Vorbei, vorbei, wir sind vorbei. Ich lalle und lache, lasse meinen Kopf nach hinten fallen. Die Reise geht weiter; ihre Endstation ist noch längst nicht in Sicht. Bevor Timm wieder zu Schreien anfängt, greife ich nach links und kurble das Fenster hoch.

Aachen, 26.12.2006

 

Moin Ike.

Seicht, sehr seicht.
Ich glaube, der Text möchte etwas bewirken, was er (aufgrund seiner Kürze) nicht schafft.

Die Reise geht weiter, die Endstation noch längst nicht in Sicht.
Ein sehr tiefgreifender Satz. Der gefällt mir wirklich gut.
Der Rest dümpelt so vor sich hin, es passiert nicht viel, die Figuren bleiben blass.

Vielleicht habe ich das Ganze auch nicht verstanden :confused:
Tut mir leid.

Guten Rutsch! Salem

 

Hallo Sternensegler
Mir hat die Geschichte sehr gut gefallen, obwohl weder viel Hintergrund, noch die Personen näher beschrieben sind. Das ist hier aber auch nicht unbedingt nötig, weil die Atmosphäre einfach zur Handlung passt.

Dreimal hab ich die Reise nun schon gemacht, nie war es so entspannt wie heute.
Warum war es so entspannend?
An sein Zwinkern erinnere ich mich mehr als an das ganze Geschäft.
...mehr, als an...
Es wäre wie eine Ausfahrt von dieser Autobahn, auf der ich seit Jahren fahre,
Ein schöner Bezug, den du ruhig noch hättest ausweiten können.

Du schreibst erst, dass deine Protagonistin zum dritten mal fährt, und zum Ende hin fährt sie schon seit Jahren?^^

Hab ich gern gelesen
bay bay
DaDiLa

 

Hey ihr beiden,
nun ja. Eine sehr kurze Geschichte. Gerade fasst sie genau 500 Wörter, mehr wollte ich halt auch nicht schreiben.
"Seicht" klingt natürlich nicht gut. Ich habe versucht sie gerade noch ein wenig intensiver zu machen und werde das auch weiterhin versuchen. Mindestens ein Knüllersatz soll da noch rein.^^

dass deine Protagonistin
Ich finds gut, dass du den Ich-Erzähler für weiblich hälst, obwohl ich natürlich an einen Jungen gedacht habe. Also konntest du dich in die Person hineindenken. :)

Eike

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom