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Fliegen lernen

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26.03.2006
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Fliegen lernen

Fliegen lernen

Neulich, bei einem Glas Wein, vertraute mir ein trauriger Freund an, sein Leben sei langweilig; es bestehe hauptsächlich daraus, andere zu beobachten und sie um ihre interessanten Erlebnisse zu beneiden.
"Ich lebe ganz allein - wie eine Gans auf einem kleinen, umzäunten Stückchen Land", sagte er.
"Hm", sagte ich interessiert, "erzähl mir doch ein bisschen mehr über diese Gans!"
Er nahm noch einen Schluck, blickte versonnen an mir vorbei, und ich sah sofort, dass die Fantasie ihn nicht im Stich ließ. Dann holte er tief Luft und erzählte:

"Es war einmal eine Gans, die lebte auf einem kleinen, umzäunten Stückchen Land ganz allein, steckte in alle Angelegenheiten ihren Schnabel hinein und schnatterte alles, was sie an Gerüchten aufschnappen konnte, fröhlich weiter an andere Gänse, die vorbeikamen. Was sie hörte und weitersagte, regte sie so auf, dass sie immerzu mit den Flügeln schlug. Sie besaß zwei ordentliche und funktionstüchtige weiße Flügel, zwei wahre Prachtsexemplare. Nur wusste sie sie leider nicht anzuwenden. Sie wünschte sich sehnlichst fliegen zu können wie andere Gänse auch. Gleichzeitig hatte sie davor so große Angst, dass ihr schon schwindelig wurde beim Gedanken daran. Sie gab sich alle Mühe zu fliegen, schlug aber so nervös mit den Flügeln, dass jeder Versuch fehlschlug. Für den wohldosierten ruhigen Flügelschlag, den eine Gans zum Fliegen braucht, fehlten ihr Mut und Gelassenheit. Je mehr sie fliegen wollte, desto weniger ging es..."

Mein Freund machte eine Pause. Einen Moment lang sah er aus, als wüsste er nicht, ob er lachen oder weinen sollte.
Wir schwiegen ein Weilchen. Dann fragte ich:
"Aber was wurde denn aus der Gans?"
Ein Lachen drang aus seiner Kehle. Es klang heiser und bitter. Als er sich beruhigt hatte, antwortete er:
"Was wohl? Sie lebte davon, Neuigkeiten aufzuschnappen, und lernte die Welt selber nie kennen. Zuletzt landete sie in einer Bratpfanne."

Mein Freund sah mich an. Da war plötzlich etwas Neues in seinem Blick, und das Lachen, das jetzt kam, klang so neu und frei, dass ich mitlachen musste.
"Ich will nicht in die Bratpfanne!", sagte er trotzig wie ein Dreijähriger, der nicht gewaschen werden will. Und wir beschlossen, zusammen das Fliegen zu üben.

 

sorry, pmaktiub,

das ist eine der Geschichten, bei denen ich mich frage, ob der Autor das wirklich ernst meint. Wer also seiner Bestimmung nicht folgen kann, muss zu einem Tratschweib werden? Wo steckt da die Philosophie?
Selbst als Kindermoral wäre es doch ein Rückschritt um ein halbes Jahrhundert.
Es ist noch nicht einmal witzig, außer vielleicht für dich, wenn sich alle darüber aufregen, welchen Schwachsinn du uns hier vorsetzt.
Vielleicht hast du ja gerade das gewollt.
*gähn, ein Witzbold*

sim

 

Der letzte Satz - die Moral, vorgebracht mit deutlich erhobenem Zeigefinger - sollte eigentlich überflüssig sein. Es ist schließlich an der Geschichte, die Moral zu zeigen und zu beweisen.
Statt des letzen Satzes sollte es einen oder zwei weitere Absätze geben, die das weitere Schicksal der schnatternden Gans so beschreiben, daß ihre Fehler dem Leser von ganz alleine klar werden.

 

Hallo sim,
als ich las, dass Du Lebensberater bist, war mir sofort klar, dass Du so reagieren musstest, und ich danke Dir für Deine Reaktion, obwohl sie mich natürlich arg trifft.
Sag, was würdest Du meiner armen Gans geraten haben?
Die Geschichte soll weniger witzig als zynisch sein und spiegelt ein reelles Menschenschicksal wider. Jemand erzählte mir, so sei sein Leben und so werde es sicher enden. (Die Erlaubnis, diese Fabel zu schreiben, erhielt ich von ihm!) Wir lachten dabei herzlich, und ich sah an seinen Augen, dass er dabei Hoffnung schöpfte.
Wirfst Du mir immer noch Schwachsinn vor?
Meinst Du, ich könnte das, was ich Dir hier jetzt schreibe, als Rahmenhandlung drum herumerzählen, damit die Geschichte klarer wird?
Ich wäre auch bereit, sie einfach wieder zu vernichten, wenn sie den Leser beleidigt.
pmaktiub

 

Hallo pmaktiub,

die Fabel als solches stört mich nicht. Nur die Moral und die Unentschlossenheit in der Aufmachung. Wahrscheinlich solltest du sie in eine ähnlicher Situation erzählen, wie du sie erlebt hast, denn von dem, was dein Freund dabei gefühlt haben mag oder von dem Zynismus kommt halt nichts an.
Eher fragt man sich, warum die Gans so einen kindischen Namen hat. Das erscheint mir halt nicht stimmig.
Wenn er Mensch sagt, er fühle sich nicht so, stehen sehr unangenehme Gefühle dahinter, die aus der Fabel allein nicht inbedingt transportiert werden.

Lieben Gruß, sim

 

Hallo Golio,
na, das baut mich ja enorm auf, dass meine Veränderung der Geschichte wohl in die richtige Richtung geht. Danke!

 

Ups, ich dachte, das hätte ich dir auch schon lange geschrieben. Dann hole ich das hiermit nach. Durch den Rahmen wird es schon viel nachvollziehbarer.

Lieben Gruß, sim

 

Hallo pmaktiub,

ich kenne die Geschichte nur mit Rahmenhandlung, eine Begegnung wird mit einer Fabel gekoppelt, diese soll den Zustand des Protagonisten veranschaulichen. Die Geschichte vermittelt eine einfache Botschaft, nicht ungewöhnlich für eine Fabel. Die Fabel geht aber nicht groß über die Einleitung hinaus:

„vertraute mir ein trauriger Freund an, sein Leben sei langweilig; es bestehe hauptsächlich daraus, andere zu beobachten und sie um ihre interessanten Erlebnisse zu beneiden.
"Ich lebe ganz allein - wie eine Gans auf einem kleinen, umzäunten Stückchen Land", sagte er.“

- Das ist eigentlich – bis auf das Vorhandensein der Flügel, was man aber voraussetzt - auch der Inhalt der Fabel.

Was will der Protagonist? Seine `Flügel´ richtig einsetzen, um eigene Erfahrungen zu machen. Das erscheint mir, vor allem vor dem Hintergrund der „interessanten Erlebnisse“ und der aufgeschnappten „Neuigkeiten“ kein philosophisches Problem (wie z.B. Erkenntnistheorie) sondern eine Frage der psychischen Reife.


Der Schluss, dieser Stimmungsumschwung von der Bitterkeit zum befreienden Lachen ist gut gelungen, man wünscht den Beiden, dass sie nicht in der Pfanne der Selbstbeschränktheit landen.

L G,

tschüß Woltochinon

 

Hallo pmaktiub,

mich hat Deine Geschichte in den Bann gezogen, vielleicht, weil ich das Gleichnis in eigene Erfahrungen übertragen kann. Wollen, aber keinen Mut zu haben ist ein Thema, das mir persönlich und im Erleben begegnet. Und Geschichten, insb. Märchen und Fabeln haben für solche Themen eine Magie, da sie dem Leser immer die Chance geben sich zu finden, ohne dieses direkt zu implizieren.

Sprachlich missfiel mir nur dieser eine Satz, doch diese Detailfrickelei ist Geschmackssache :

Ein Lachen drang aus seiner Kehle. Es klang heiser und bitter. Als er sich beruhigt hatte, antwortete er:

Ich würd' den rauslassen, die Läuterung und Moral kommt ohnehin im richtigen Moment (am Ende), sie vorab in diesem Einschub zu formulieren fand ich ein wenig sperrig. Doch wie gesagt, auch mit diesem Satz mag ich die Geschichte, oder auf den Punkt gereimt :

als Fabel sehr passabel (scusi, der fiel mir beim schreiben ein und wollte unbedingt auf die Tasten :))

Grüße,
C. Seltsem

 
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Hallo pmaktiub,

Neulich, bei einem Glas Wein, vertraute mir ein trauriger Freund an, sein Leben sei langweilig; es bestehe hauptsächlich daraus, andere zu beobachten und sie um ihre interessanten Erlebnisse zu beneiden.
Ich würde an dieser Stelle die indirekte Rede in dirkete Rede umwandeln. Also keine Einleitung, sondern unvermittelt in den Dialog und somit in die Geschichte einsteigen.
Dass ihr bei dem Gespräch Wein getrunken habt, kannst du auch dieser Stelle mit verarbeiten. Z.B.: "blablabla", sagte er und schenkte uns Wein nach.
Zudem ist es mE besser zu zeigen, dass er traurig ist, statt es zu erzählen. Beschreib wie seine Körperhaltung und seine Mimik ausgesehen hat.
Mit dem Adverb "neulich" gibst du einen undefinierten Zeitpunkt an, zu welchem das Gespräch stattfand. Durch die erzählte Zeitform wird die Tatsache, dass das Gespräch bereits stattgefunden hat deutlich. Somit kannst du dir die Zeitangabe "neulich" sparen.
Allerdings solltest du bei deinen nächsten Geschichten über einen Zeitformenwechsel nachdenken. Auch wenn die Geschichte, die du erzählst, komplett in der Vergangenheit geschehen ist und abgeschlossen wurde (so wie diese). Wenn du in der Gegenwart schreibst, ist der Leser näher am Geschehen und den handelnden Personen. So kannst du auch mehr Spannung erzeugen.
Und wir beschlossen, zusammen das Fliegen zu üben.
Auch das würde in der wörtlichen Rede mehr Wirkung haben.

Ciao

MiK

 

Danke für alle Anregungen! Ich freue mich sehr, dass die "passable Fabel" auf wache Ohren und Augen stößt!
Wenn ich mal wieder Muße finde, werde ich mich der Geschichte noch einmal zuwenden...; im Moment kommt es mir vor, als wäre es eine halbe Ewigkeit her, dass ich sie geschrieben habe. Aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben!
lieben gruß
pmaktiub

 

hallo pmaktiob,
"Fliegen lernen" ist eine wunderbare und warmherzig erzählte Geschichte...
Vielleicht bin ich zu unkritisch, aber ich finde sie gut so, wie sie ist und nicht änderungsbedürftig-
mir hat sie jedenfalls gerade ein Lächeln gezaubert :-)
liebe Grüße
manyana

 

Hallo pmaktiub,

jetzt habe ich deine Geschichte gelesen und musste schmunzeln, weil du bei meiner Geschichte "Fliegen" geschrieben hattest, ob es die Fortsetzung deiner Geschichte sei. Ich finds witzig, dass es tatsächlich passt und meine Geschichte wie eine Fortsetzung von deiner Story aussehen könnte. Hätt ich nicht gedacht. Ich habe zwar die Philosophie in deiner Story nicht erkennen können, aber besonders interessant fand ich den Teil "Es war einmal eine Gans (...) desto weniger ging es".

Gruß, Artista

 

Hallo pmaktiub,

man merkt, dass Du die ersten Reaktionen beherzigt hast. Die Geschichte ist etwas dünn. Jetzt hat sie so etwas wie eine Moral, aber die ist nicht richtig ausgearbeitet. Auch geht es zu einfach, um eine gute Geschichte zu sein: Er bedient sich einer Metapher, um sein Leben zu beschreiben und ändert es einfach. Das geht viel zu schnell! Eine gute Geschichte könnte es sein, wenn Du lebensnah beschreiben würdest, wie das wirklich geschehen könnte, dass ein Mensch sein Leben ändert. Auch finde ich es nebulös, nur anzudeuten, dass es da etwas gibt, was sein Leben einschränkt. Was ist es? Und wieso bringt es Erleichterung, über andere zu reden? Das machen doch sonst eher Frauen, oder? Überarbeite die Geschichte noch ein- oder zweimal. Es wird sich lohnen!

Fritz

 

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