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Flucht mit der S-Bahn

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04.01.2004
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Flucht mit der S-Bahn

Oswald konnte es kaum noch erwarten, seiner Frau den Schatz zu zeigen, den er gerade von seinem Bruder bekommen hatte. Ein wichtiges Hilfsmittel, um ihren gewagten Plan in die Tat umzusetzen. Er sprang über die bis zu einem halben Meter tiefen Löcher im Asphalt. Etliche Sträucher und Bäume hatten den Irrsinn der so genannten Zivilisation erobert und überwucherten die Trümmer mit duftenden Frühlingsboten. Doch er achtete ebenso wenig darauf wie auf die vielen Einschusslöcher in den mit Ruß überzogenen Mietskasernen. Dreizehn Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges waren die Wunden noch lange nicht geschlossen; weder an den Häusern, den Straßen noch in den Menschen. "Rokitnica" stand seit 1945 am Eingang zu dem Ort im südöstlichen Oberschlesien, der vorher Martinau hieß und in dem sich nicht nur der Name geändert hatte. Ein riesiger Flüchtlingsstrom war kurz vor Kriegsende nach Westen gezogen. Dafür waren später andere Menschen aus dem Osten eingewandert. Und jene, die wie Oswald hier geboren waren, wurden jetzt als Besiegte bezeichnet. Verlierer in dem endlosen Spiel von Unrecht und Rache, das Erwachsene gespielt hatten, als er selbst noch ein Kind war. Aber auch er musste den Preis dafür zahlen. Und als wäre es nicht genug, was die Menschen sich gegenseitig antaten, senkte sich die Erde wie unter Schmerzen ächzend immer wieder, hinterließ Risse an den noch intakten Häusern und gähnende Löcher in den Straßen. Wie die meisten hier hatte auch Oswalds Vater im Kohlebergbau gearbeitet. Bis eines Tages zu viel von dem feinen Staub die Bläschen seiner Lunge verstopft hatte. Er war nur vierundfünfzig Jahren alt geworden. Oswald hatte schon als Kind von einem besseren Leben geträumt. Deshalb hatte er nach seiner Schlosserlehre in einer Abendschule für das Ingenieurdiplom gebüffelt. Aber nachdem sein Ingenieursgehalt vor ein paar Monaten halbiert worden war, arbeitete er doch unter Tage. Schließlich hatte er bald eine Familie zu versorgen. Seit 1953 hatte es in der DDR, in Ungarn und auch in polnischen Städten wie Posen nach der Erhöhung der Normen Unruhen gegeben. In Oberschlesien beschränkten sich die Menschen darauf Witze über die schlechte Versorgung zu machen: "Ein Glück, dass die Straßenbahn so langsam fährt, da fällt uns wenigstens nicht der Zucker vom Brot!" Wie die meisten politischen Witze, war das natürlich übertrieben. Zwei Stufen auf einmal nehmend hastete er die vier Etagen zu seiner kleinen Dachgeschosswohnung hoch. Sein Herz klopfte ihm bis zum Halse. Nicht nur wegen der Anstrengung.

Sie hörte ihn schon rufen, bevor er die Wohnungstüre hinter sich geschlossen hatte: "Margarethe, hier schau nur, Gotthard hat meinem Bruder tatsächlich den Stadtplan von Berlin geliehen."
Ihr Herz machte einen Sprung.
"Wirklich? Oh, wunderbar!"
Sie schaltete schnell den Herd aus, wischte sich die Hände an ihrer Schürze ab und lief ihrem Mann entgegen.
"Wie hat Rudolf ihm die Karte denn bloß abgeluchst?", fragte sie.
"Er hat einfach behauptet, er wolle sich ansehen, wie jetzt die Grenze mitten durch Berlin läuft."
Er setzte sich eilig, schob mit einer Handbewegung die sauberen Teller und das Besteck beiseite und breitete den Plan auf dem kleinen Küchentisch aus. Den würzigen Duft von Zur, dem oberschlesischen Eintopf aus gesäuertem Roggenschrot, Stampfkartoffeln und Speck, nahm er gar nicht wahr. An Essen war jetzt nicht zu denken.
"Dass sie ausgerechnet Gotthard nach Berlin geschickt haben!" Margarethe setzte sich eng neben ihren Mann. Ihre Beine fühlten sich an wie Pudding.
"Na ja, er und Rudolf waren damals Klassenbeste, sie haben während des Krieges ihre Ausbildung in Berlin gemacht. Beim Kauf einer Werkzeugmaschine sind seine Sprachkenntnisse natürlich ein Vorteil. Außerdem ist er sehr parteitreu und seine Frau ist natürlich hier geblieben." Endlich hatte Oswald gefunden, was er suchte und redete immer schneller.
"Aber, schau nur, er hat es mir erklärt, da sind die S-Bahnlinien. Jeden Tag pendeln Tausende von Ost nach West und etliche flüchten. Das hört man ja immer wieder im Deutschlandfunk."
Margarethe dachte an die dreißig Meter lange Radioantenne, die er vom Dach aus quer durch den Garten gespannt hatte um 'Lange Welle' empfangen zu können und sie musste lächeln.
"Da werden wir nicht auffallen. Hier, ich zeige dir, welche S-Bahn wir nehmen." Er fuhr mit dem Finger über die bunten Kästchen und Linien als wäre er schon da. "Die Nummer eins fährt vom Berliner Ostbahnhof nach Potsdam und hält zwischendurch in Westberlin. Diese Strecke könnten wir nehmen ohne Verdacht zu erregen und dann im Westen einfach irgendwo..."
Einfach! Als wäre das ein Spaziergang. Dachte er gar nicht an die Gefahren? Sie könnten für Jahre ins Gefängnis kommen. Was würde dann aus dem Kind werden? Für ihn schien immer alles ganz einfach zu sein. Aber genau diese Zielstrebigkeit, die alles andere ausblendete, bewunderte sie auch an ihm. Und er sah fast so gut aus wie einer der modernen Schauspieler. Als er sie vor vier Jahren gebeten hatte, einen Fahrschein für ihn zu kaufen, war sie ausnahmsweise richtig glücklich darüber gewesen, dass man sich in der überfüllten Straßenbahn nur so viel bewegen konnte um das Kleingeld zum Schaffner weiter zu reichen. Was hatte er da gerade gesagt?

"... zum Beispiel in Charlottenburg aussteigen."
"Charlottenburg! Charlotte! Du Oswald, das wäre doch ein schöner Name, falls es ein Mädchen wird!", rief sie und legte unwillkürlich eine Hand auf ihren Bauch, der bald runder werden würde.
Nur langsam löste er seinen Blick von dem Plan und schaute sie an. Obwohl sie schon zwanzig war, flocht sie jeden Morgen ihr langes, dunkelblondes Haar zu den dicken Zöpfen, die so gut zu ihren grünen Augen und ihren breiten Gesichtszügen passten. Nur traurig sah sie immer aus. Zwischen ihrem fünften und siebten Lebensjahr hatte sie oft im Luftschutzkeller gehockt. Danach waren der Hunger gekommen - und die Russen. Jedes Mal, wenn einer dieser Soldaten in der fremdländischen Uniform eine Wohnung betreten hatte und "Fräulein" gerufen hatte, waren alle Kinder des Sechsfamilienhauses schreiend ins Schlafzimmer gelaufen und aufs Bett gesprungen. Die junge Frau unter den Federbetten wäre manchmal fast erstickt. Aber der Mann ging wieder. Viele Kinder waren für die Russen ein Indiz für Armut, also waren dies nicht die verhassten Kapitalisten, an denen sie das vermeintliche Recht des Siegers auskosten wollten. Warum sie es taten, hatten die Kinder damals nicht verstanden; genauso wenig wie dieses Flackern in den Augen der Russen. Sie erfuhren auch nie, was deutsche Soldaten der Familie dieses Fremden angetan hatten. Aber selbst Margarethes jüngster Bruder, gerade ein halbes Jahr alt, hatte jedes Mal sofort angefangen zu weinen. Ein weiteres halbes Jahr später lag sein ausgemergelter, kleiner Körper leblos in der Wiege. Das alles würde sie nie vergessen. In den Jahren danach hatte sie neben der Schule für ihre drei jüngeren Schwestern gekocht und den halben Haushalt gemacht. Ihre Mutter musste in der Fabrik arbeiten und ihr Vater war in Kriegsgefangenschaft gewesen.
"Ja, Charlotte! Schön. Das ist doch ein französischer Name! Na, dagegen können die polnischen Behörden sicherlich nichts sagen. Polen und Frankreich sind schließlich Verbündete." Er versuchte, sich nicht wieder darüber zu ärgern, dass man bei der Musterung versucht hatte ihn zu zwingen, seinen deutschen Vornamen aufzugeben. Damals hatte er einfach erklärt, der Name Oswald sei skandinavisch. Sein Bekannter Gotthard Zug hatte sogar behauptet, dass sich sein Name auf zwei Schweizer Berge bezieht. Diese Dreistigkeit hatte sich gelohnt.
"Wo ist mein Fotoapparat?" Oswald eilte ins Schlafzimmer und kam kurz danach mit seiner Kamera wieder.
"Was, willst du mich etwa ausgerechnet jetzt fotografieren?", fragte sie.
"Nein, heute nicht dich, Schatz", er lächelte sie flüchtig an und hantierte dann wieder mit dem Belichtungsmesser herum. "Den Plan. Ich muss ihn morgen zurückgeben. Ich werde heute Abend noch die Bilder entwickeln, wir werden uns dann daran orientieren."
"Aber wir dürfen die Fotos nicht mitnehmen!"
Vor Schreck hielt sie eine Hand vor den Mund. "Am besten lernen wir alles Wichtige auswendig und verbrennen die Bilder, bevor wir fahren!"
Er blickte von seinem Apparat auf.
"Mensch Grete, du bist ja ausgefuchst wie ein Geheimdienstagent!"
Vor Erstaunen hielt sie die Luft an, sie war es nicht gewohnt, gelobt zu werden. Viel zu früh hatte das Leben viel zu viel von ihr verlangt. Und Oswald erwartete von jedem den gleichen Ehrgeiz und Fleiß, der für ihn selbstverständlich war. Nachdem sie sich kennen gelernt hatten, hatte er seiner Schwester von ihr vorgeschwärmt: 'Endlich habe ich ein Mädchen getroffen, das so ordentlich ist und so schöne Handarbeiten machen kann, wie du!' Das hatte Margarethe von ihrer Schwägerin während der Hochzeitsfeier erfahren. Um ihm bei seiner Diplomarbeit zu helfen, hatte sie wochenlang jeden Abend eine Schreibmaschine vom Büro nach Hause geschleppt und bis in die Nacht hinein getippt. Bis ihr Chef es gemerkt hatte. Der hatte Mitleid mit seiner zuverlässigsten Sekretärin und lieh ihr eine Schreibmaschine. Oswald und sie passten gut zusammen, gemeinsam würden sie alles schaffen, was sie sich vornahmen. Doch das, was sie jetzt vorhatten, hing nicht nur von ihnen ab.
"Wenn bloß alles so klappt, wie wir es uns überlegt haben! Wenn bloß die Reisegenehmigung bald kommt! Ich will das Kind schließlich nicht im Zug bekommen. Wenn die rauskriegen, dass Tante Martha gar nicht meine Schwester ist....", gab sie zu bedenken.
"Ach, kannst du dir vorstellen, wie viele Anträge für einen Besuch in die DDR sich da jeden Tag stapeln? Die können doch unmöglich jedes Verwandtschaftsverhältnis überprüfen! Diese aufgeblasene Organisation richtet sich ja selbst zugrunde." Seine Stimme wurde unwillkürlich lauter.
"Pst! Die Wände haben Ohren!", flüsterte Margarethe. Direkt hinter der dünnen Wand wohnte ausgerechnet ein Busfahrer, von dem es hieß, dass er für die Staatssicherheit spioniere. Kein Mensch durfte etwas erfahren. Ihr Plan stand auf so vielen wackeligen Beinen. Am schwierigsten würde es werden, von Ost- nach Westberlin zu kommen. Sie schluckte heftig und schwieg. Es nützte nichts, sich verrückt zu machen. Sie mussten sich gegenseitig Mut zusprechen. Endlich war der Fotoapparat richtig eingestellt und Oswald suchte einen günstigen Kartenausschnitt. Seine Hände zitterten.


**
Nach einem harten Arbeitstag in der Hitze und dem Staub unter Tage schmerzten Oswald ohnehin schon alle Knochen und dann war die Straßenbahn mal wieder entgleist, so dass er die letzten drei Kilometer nach Hause laufen musste. Die Bäume hatten sich schon längst von den meisten Blättern getrennt, als wären sie ihnen lästig, doch die ersehnte Reiseerlaubnis war immer noch nicht da. Dafür war Charlotte vor zwei Wochen geboren worden. Seine Tochter. Er konnte es immer noch nicht fassen, fühlte sich hilfloser als dieses zarte Wesen. Und war unglaublich stolz. Doch der Glückstaumel wurde schnell von seinen Bedenken überschattet. Würde die Reiseerlaubnis überhaupt noch kommen? Sie warteten jetzt schon ein halbes Jahr darauf und hatten angefangen zu überlegen, wie ihr Leben aussehen würde, wenn sie für immer in Polen bleiben müssten. Und selbst wenn das heiß ersehnte Papier bald kommen würde, er wusste, wie dieses Formular aussah. Es gab ein Feld mit der Überschrift "Kinder". Wenn an dieser Stelle nur ein Strich wäre, könnten sie alles vergessen. Er hatte den Antrag gestellt, seine schwangere Frau zu ihrer Schwester zu begleiten. Reisen in die DDR wurden höchstens Familienangehörigen ersten Grades gestattet, Reisen in die BRD natürlich überhaupt nicht. Charlotte hatte ihm die Reisegenehmigung nur ermöglichen können, solange sie noch nicht auf der Welt war.

Diese Sorgen hatte er für sich behalten, damit wollte er seine Frau lieber nicht belasten. Würde sich jemals noch so eine Gelegenheit bieten? Im westdeutschen Radio wurde darüber spekuliert, ob Ostdeutschland den bislang freien Grenzübergang schließen würde. Seine S-Bahnstation wäre vielleicht schon sehr bald kein Weg in die Freiheit sondern eine Geisterstation. Er war diese Diskriminierung so Leid, konnte sich noch zu gut daran erinnern, wie in der Schule alle, die "von da sind" aufstehen mussten, wie er als Klassenbester in Mathematik eine vier bekam, nur weil er bei der Frage nach Stalins Geburtstag passen musste. Als er auch Hitlers Geburtstag nicht kannte, war dies mit Hohn abgetan worden. Das und vieles andere hatte er gelassen ertragen, er lernte schließlich fürs Leben und nicht für die polnischen Lehrer. Aber als er für die Zulassung zum Studium eine Bescheinigung erbringen sollte, dass er Pole sei, war er wirklich wütend geworden. Schließlich hatte er doch die polnische Staatsangehörigkeit. Am Amtsgericht war er auf einen Rechtspfleger gestoßen, der ihm nicht nur ein entsprechendes Papier ausstellte, sondern ihm auch bestätigte, dass in seinen Akten ein N vermerkt war für 'Niemec'. Das bezog sich auf die deutsche Volkszugehörigkeit. Aber eine Bemerkung hatte der Beamte sich nicht verkneifen können: 'Bei euch galt ein J oder ein P im Pass als Makel, um klar zu machen, wer in Deutschland keine Chance hatte. Jetzt sollt ihr einmal spüren, wie das ist!' Das alles wollte Oswald seinen Kindern unbedingt ersparen. Mühsam schleppte er sich die Treppe hoch, seine Beine waren schwer wie Blei.

Kaum hatte er die Tür geöffnet, lief Margarethe ihm entgegen. Sie hatte immer noch dunkle Ringe unter den Augen, die Geburt war schwer gewesen. Aber jetzt strahlte sie.
"Oswald, hier schau nur, die Reiseerlaubnis ist endlich gekommen!", sie reichte ihm ein erstaunlich gewöhnlich aussehendes Papier.
"Endlich!", er küsste sie flüchtig, faltete das Dokument mit feuchten Händen auseinander und überflog es. 'Reiseerlaubnis nach Torgau / DDR ... für ... Kinder: '. Er starrte auf das Feld und blinzelte. War es wirklich völlig weiß oder spielten seine Augen ihm einen Streich?
"Und hier das Feld ist leer, wir können Charlotte einfach eintragen!", seine Frau deutete auf genau diese Stelle. Er sah sie an. Sie hatte es gewusst! Und sie war ebenfalls so klug gewesen, dieses Problem nicht anzusprechen. Plötzlich fühlte er sich, als könne er Bäume ausreißen. Er umarmte sie heftig.
"Das ist ja wunderbar! Dann können wir fahren, sobald du dich erholt hast und Charlotte etwas größer ist."
Sie schüttelte den Kopf und deutete wieder auf das Dokument.
"Nein, schau doch, die Reiseerlaubnis gilt nur bis Ende Oktober. Wir müssen spätestens in drei Wochen los. So eine gefährliche Reise mit einem kleinen Säugling!" Sie seufzte.


***
Wie immer quoll die zugige Bahnhofshalle vor Menschen fast über. Vor ihm diskutierten zwei untersetze, ältere Bauersfrauen in bodenlangen Röcken, die penetrant nach Schweinestall rochen, lautstark über Hochzeitskleider. Er versuchte ruhig da zu stehen, die Hände in den Hosentaschen, damit sie nicht zittern konnten. Während die Schlange vor ihm nur quälend langsam kürzer wurde, ging er seinen Plan in Gedanken zum hundersten Mal durch. Es blieb ihnen nicht mehr viel Zeit, einen Umzug für immer vorzubereiten. Um nicht aufzufallen, würden sie nur einen Koffer mitnehmen können. Und sie brauchten Geld. Hatte er wirklich an alles gedacht? Bis jetzt hatten sie nur Glück gehabt, er hatte sogar kurzfristig Urlaub bekommen. Und schließlich hatte er sich bis jetzt immer durchgesetzt. Als Jüngster war er von seinen zwei älteren Geschwistern verwöhnt worden. Als er nach Kriegsende für kurze Zeit ganz alleine zu Hause war, musste er sich jedoch selbständig an der inzwischen polnischen Schule anmelden. Und weil der neue Direktor sich weigerte, Deutsch zu verstehen, hatte der zwölfjährige Oswald bei der Frage nach seinem Vater seine gesamten Polnischkenntnisse zum Besten gegeben: Das Vaterunser. Da hatte der polnische Direktor gelacht und seine Anmeldung auf Deutsch angenommen.

"... Möbel für die neue Wohnung. Woher soll meine Tochter die denn so plötzlich herzaubern? Es gibt doch nichts!"
Bei diesen Worten schreckte Oswald aus seinen Gedanken und mischte sich in das Gespräch ein.
"Entschuldigen sie bitte, wir haben ein paar Möbel zu verkaufen."
"Oh, was für ein Glücksfall!" Die Brautmutter klatsche in die Hände und strahle Oswald mit ihren schiefen Zähnen an.
"Was haben sie denn? Am dringendsten brauchen Brautleute ein Bett und ..."
"Aber Stascha!", die andere Frau stieß ihrer Freundin den Ellbogen in die Rippen, "Sein Ehebett wird so ein hübscher, junger Mann wohl kaum hergeben. Schau doch, er trägt einen Ehering!"
Beide Frauen prusteten vor Lachen und Oswald wusste nicht, was er sagen sollte. Da hörte er eine dröhnende Stimme hinter sich:
"Sie verkaufen ihre Möbel? Wieso brauchen sie die nicht mehr? Wollen sie etwa nach rüber machen?"
Oswald drehte sich erschrocken um. Und schaute direkt auf die Erdbeernase seines Nachbarn Stanislaw. So wie er redete, spionierte er wohl wirklich für die Staatssicherheit. Plötzlich herrschte eisiges Schweigen. Alle starrten die beiden an. Oswald meinte, dass jeder sein Herz schlagen hören müsste. Warum war er nur so unvorsichtig gewesen und hatte geredet, ohne sich vorher umzusehen? Und jetzt würde Stanislaw auch noch mithören, welche Fahrkarten er kaufen wollte. Sollte er wieder gehen? Nein, das wäre erst recht verdächtig. Wie sollte er sich jetzt rausreden?
"Ach Stanislaw, du weißt doch, dass ich mir schon lange ein Motorrad kaufen wollte. Und Omas alter Dielenschrank ist doch wirklich viel zu klobig für unsere kleine Wohnung."
Stanislaw zupfte an seinem Bart herum.
"Ach, wenn das so ist. Sag mir Bescheid, wenn ich tragen helfen soll."
So leicht war er zufrieden zu stellen? Oswald traute seinen Ohren nicht.

"Ja, danke", sagte er nur und wandte sich wieder an die Brautmutter, um ihr den Schrank zu beschreiben und ihr seine Adresse zu geben. Als die beiden Frauen kurz danach ihre Fahrkarte kauften, hauchte Stanislaw seinen Wodkaatem in Oswalds Ohr.
"Mensch Oswald, da hättest du dich ja fast verplappert! Wenn ich dich nicht rechtzeitig gebremst hätte, wer weiß, wem die Mütterchen erzählt hätten, dass du deine ganze Wohnungseinrichtung verkaufen willst!"
Oswald starrte seinen Nachbarn ungläubig an. Sollte vielleicht doch etwas an dem Gerücht dran sein, dass die Spitzel der Staatssicherheit ihre Nachbarn schützen sollten? Damit sie einen guten Leumund haben, falls das Blatt sich einmal wenden sollte.
Stanislaw räusperte sich. "Weißt du, meine Maugoscha schwärmt doch so von eurem schönen Küchenschrank!" Er zwinkerte ihm vielsagend zu.

In diesem Moment räumten die beiden Frauen das Feld und Oswald stand endlich vor dem Schalter.
"Ich hätte gerne zwei Fahrkarten im Mutter-Kind-Abteil für den 15. Oktober von Posen nach Torgau – hin und zurück", beeilte er sich zu sagen.
"Torgau? Hm. DDR. Ihre Reiseerlaubnis!" Der hagere Bahnbeamte hob kaum seinen spärlich behaarten Kopf. Oswald legte das Dokument auf den abgewetzten Holztresen. Der Beamte warf einen Blick darauf, rückte seine Brille zurecht und blätterte dann umständlich in seinem Kursbuch.
"Die kürzeste Strecke geht über Berlin."
Oswald konnte ein zufriedenes Grinsen kaum unterdrücken. Sie mussten unbedingt den Umweg über das viel weiter nördlich liegende Posen nehmen, denn die Strecke von ihrem Wohnort aus führte nicht über Berlin. Aber sofort bekam sein Triumph einen empfindlichen Dämpfer.
"Warum von Posen aus?"
"Weil meine Frau in Posen wohnt. Ich arbeite nur die Woche über hier. Wir werden zusammen von ..."
"Pässe?"
"Ja, natürlich."
Mit feuchten Händen kramte Oswald die Pässe umständlich aus seiner Jackentasche.
'Oje, daran haben wir nicht gedacht! Hoffentlich schaut er nicht nach dem Wohnort', dachte er. 'Sonst ist alles aus.'
"18:17 Uhr ab Posen. Berlin 8:08 Uhr." Die Blätter des dicken Buches raschelten und dann fuhr der knochige Zeigefinger des Schaffners wieder über die eng beschriebenen Seiten. Oswald legte die Pässe geschlossen auf den Tresen.
"Weiter 16:32 Uhr. Torgau 21:24", der Schaffner griff nach den Pässen. 'Nein!', dachte Oswald und ihm wurde gleichzeitig heiß und kalt.
"Was, acht Stunden in Berlin?", fragte er. Das Entsetzten in seiner Stimme würde jeder auf den langen Aufenthalt zurück führen. Dabei freute er sich auf die lange Wartezeit besonders. Genau so hatte er es geplant.
"Wir haben ein kleines Baby. Gibt es keine andere Verbindung?"
"Nein."
Der Schaffner rückte wieder seine Brille zurecht und schlug den ersten Pass auf.
Oswald hielt die Luft an und betete wie noch nie in seinem Leben.
"Wie lange dauert das denn da noch? Mein Zug geht bald!", rief Stanislaw in diesem Moment von hinten. Der Schaffner richtete sich auf. Seine Wangen hingen schlaff herab. Er stemmte seine linke Faust in den Rücken und starrte Stanislaw an. Dann seufzte er, stellte schnell die Fahrkarten aus und reichte sie Oswald. Der jubelte innerlich und bezahlte schnell.
"Dann mal gute Fahrt!", sagte Stanislaw und zwinkerte ihm wieder zu. Oswald war in diesem Moment so glücklich, dass es ihm nicht schwer fiel, dem Spitzel zu zulächeln.
"Vielen Dank!", sagte er und zwinkerte zurück. "Der Küchenschrank wird Euch gefallen!"


****
Langsam drangen die ersten Sonnenstrahlen durch das schmutzige Zugfenster und Margarethe konnte die vorbeifliegenden Felder, Wiesen und Wälder im grauen Dunst erahnen. Oswald hatte es sich auf der gegenüberliegenden Bank so bequem gemacht, wie es mit seinen langen Beinen eben möglich war, und schnarchte leise vor sich hin. Margarethe hatte in der Nacht kein Auge zugetan. Der Zug rumpelte und knarrte fürchterlich, es stank nach Kunstleder und abgestandenem Schweiß, mitten in der Nacht hatten die Grenzposten der DDR ihre Pässe kontrolliert, und dann hatte die kleine Charlotte immer wieder geschrieen. Eine nächtliche Zugfahrt ist nicht gerade das, wovon ein Säugling träumt. Vielleicht ahnte sie auch, dass etwas Gefährliches bevorstand. Bald würden sie Ostberlin erreichen. Und dann? Wie schwer würde es werden, in den Westteil der Stadt zu gelangen? Es gab regen Verkehr in beide Richtungen, aber wie streng wurde er kontrolliert? Außerdem hatten sie zwar die S-Bahn-Stationen auswendig gelernt, aber Deutschland war für sie ein fremdes Land, die Sprache hatten sie jahrelang nur heimlich zu Hause flüstern können. Würden sie so viel Glück haben wie bisher? Im Radio war berichtet worden, dass die Kinder der sogenannten Republikflüchtlinge oft zwangsadoptiert wurden. Margarethe wurde ganz flau im Magen. War das nur Propaganda? Nein, nicht dran denken! Aber was würde sie in Westdeutschland erwarten? Auch dort gab es noch jede Menge Trümmer. Wie lange würden sie in Flüchtlingslagern leben müssen? Sie hatten in Oberschlesien nicht viel gehabt, aber immerhin eine schön eingerichtete Wohnung und eine sichere Arbeit. Und jetzt fuhren sie in die Ungewissheit - ganz alleine. Wann würden sie Eltern und Geschwister wieder sehen? Als Flüchtlinge würden sie noch nicht einmal zu Besuch kommen können. Und dann hatte Margarethes Vater auch noch rumgepoltert: "Fahrt in Gottes Namen! Aber lasst das Kind hier! Das ist zu gefährlich!" Sie seufzte. Hatte er nicht doch Recht? Es war ein trauriger Abschied am Bahnhof gewesen. Nur Oswalds Bruder hatte sie begleitet. Es wäre sonst aufgefallen, dass es vielleicht ein Abschied für immer war. Würden sie Freunde finden oder würden sie immer "die von drüben" sein, so wie sie es bisher waren, nur andersherum? Ihren Nachnamen würden sie buchstabieren müssen, würde man ihnen glauben, dass sie Deutsche sind?

Inzwischen hatte die Sonne den Horizont überwunden und tauchte die Welt in freundliches Herbstlicht. Doch kurz darauf schoben sich immer häufiger graue Betonbauten ins Bild, die Endstation rückte näher. Margarethe weckte ihren Mann, legte Charlotte in den Kinderwagen und dann standen sie mit rasenden Herzen vor der Zugtür, während die Bremsen ohrenbetäubend kreischten. Kaum hatten sie den Kinderwagen und den einen Koffer mit ihrem gesamten Hab und Gut, hauptsächlich Windeln, auf den Bahnsteig hinunter gehievt, als auch schon ein eifriger Volkspolizist auf sie zu eilte.
"Ihre Fahrkarten bitte!" Sein Dialekt klang merkwürdig in Margarethes Ohren. Oder würde ihr ungewohntes Deutsch in den Ohren aller anderen komisch klingen? Oswald holte die Papiere aus seiner verknitterten Jackentasche. Was wollte der Vopo überhaupt? Normalerweise muss man die Fahrkarte nur im Zug vorzeigen. Ihr war wieder heiß und kalt. Charlotte wurde unruhig. Margarethe nahm sie auf den Arm, drückte sie an sich und versuchte sie zu beruhigen. Oder sich selbst.
"Soso, aus Polen kommen Sie!", sagte der Polizist, während er die Fahrkarten studierte. "Und Ihr Zug nach Torgau geht erst nachmittags um vier."
Charlotte wimmerte immer lauter, so dass der Polizist sie schließlich bemerkte.
"Es gibt hier eine Rot-Kreuz-Station, da können sie sich mit dem Kind solange aufhalten. Ich bringe sie hin, hole sie dann um vier wieder ab und bringe sie zu ihrem Zug." Er gab Oswald die Fahrkarten zurück.
'Du hinterhältiger Vopo!', dachte Margarethe. 'Tust so hilfsbereit, dabei willst du nur kontrollieren, ob wir auch wirklich in den richtigen Zug steigen! Jetzt bloß nicht in diese Rot-Kreuz-Station! Wie sollen wir von da denn weg kommen?' Sie drückte Charlotte noch enger an sich und summte ein Schlaflied. Das Kind fing inzwischen laut an zu schreien.
"Ich habe eine Tante in Potsdam", erklärte Oswald dem Polizisten. "Das soll nicht so weit sein. Dort können wir das Kind sicher besser versorgen und meine Frau kann sich etwas hinlegen. Sie hat im Zug schlecht geschlafen."
Der Polizist schaute erst Oswald, dann die erschöpfte Mutter mit dem Kind nachdenklich an. Ihr Herz schlug so heftig, dass sie meinte, er würde es auch hören. Doch Charlotte schrie noch lauter.
"Na ja, vielleicht ist das wirklich das Beste", sagte der Vopo schließlich. "Nach Potsdam braucht die S-Bahn-Linie eins nur eine viertel Stunde. Kommen sie, ich bringe sie zum Bahnsteig." Er nahm ihren Koffer und ging mit entschlossenen Schritten vor.
'Ein Vopo trägt uns den Koffer auf der Flucht in den Westen! Na, wenn das kein gutes Zeichen ist!' Margarethe konnte ihr Glück kaum fassen. Oswald schob den Kinderwagen und lächelte ihr aufmunternd zu. Charlotte war inzwischen wieder eingeschlafen. Wie im Traum wanderten sie über den Bahnsteig, Treppen runter, Fahrkarte kaufen, Treppen rauf. Neugierig schaute Margarethe sich um. Alles war hier anders, sauberer, deutsche Plakate, deutsche Stimmen. Ihr war ganz schwindelig.

Endlich stiegen sie in die S-Bahn. Es war sehr voll, deshalb blieben sie vor der Tür stehen. Margarethe hielt Charlotte weiterhin auf dem Arm, und versuchte das Kind und sich selbst zu beruhigen. Eine Lampe über der Tür blinkte, ein nervtötendes Piepsen ertönte, die Türen schlossen sich und die S-Bahn setzte sich rumpelnd und quietschend in Bewegung. Sie fuhren über eine Brücke und konnten von oben deutlich sehen, dass auch halb Berlin noch unter Trümmern lag. Aber die Häuser waren nicht so sehr vom Ruß geschwärzt wie in Oberschlesien. Oswald schaute mit unbeweglichem Gesicht aus dem Fenster, als wäre er diese Strecke schon hundert Mal gefahren. Sie hatten beschlossen, nicht zu reden, um sich durch ihren Dialekt nicht zu verraten. Jetzt war ihr Mund sowieso staubtrocken, sie hätte keinen Ton heraus gebracht.
Die S-Bahn hielt an einer Station namens Jannowitz-Brücke. Wieder stiegen viele Menschen ein und aus, schoben sich mürrisch am Kinderwagen vorbei. Ein Vopo blieb direkt neben ihnen stehen. Margarethes Herz schlug bis zum Hals.
'Wir haben eine Fahrkarte bis Potsdam', versicherte sie sich selber. 'Kritisch wird es erst, wenn wir in Westberlin aussteigen.'
Danach kam der Alexanderplatz und dann die Station Marx-Engels-Straße, eindeutig noch DDR.
'Wann steigt der Vopo endlich aus? Jetzt müsste gleich die Grenze kommen!', dachte Margarethe, doch sie konnte keinen Unterschied erkennen. Trümmer gab es auch hier. Sahen die Häuser nicht irgendwie weniger grau aus? Oder bildete sie sich das ein? Dann fuhr die S-Bahn in den Lehrter Bahnhof ein. Sie hatten beschlossen, nicht an der ersten Station im Westen auszusteigen, das wäre zu auffällig. Margarethe schaute sich wieder neugierig um. Die Hinweisschilder am Bahnhof sahen genauso aus wie in der DDR. Und außer den Vopos sah sie keine anderen Uniformen. Merkwürdig. Sie wagte es nicht, Oswald zu fragen. Er starrte ebenfalls weiterhin aus dem Fenster.
An den Stationen Bellevue und Tiergarten sah es genauso aus, gleiche Schilder und Uniformen. Hatten sie sich vertan? Waren sie in der falschen S-Bahn? Oder war die Grenze etwa inzwischen geändert worden? Auch der Vopo neben ihnen wollte einfach nicht aussteigen. Danach kam der Bahnhof Zoo in Sicht, eine Vielzahl von Zügen verteilte sich auf einem großen Dickicht von Gleisen. Endlich stieg der Vopo aus. Margarethe fiel ein Stein vom Herzen. Die Fahrt sollte doch nur ein paar Minuten dauern. Sie schaute nervös auf die Bahnhofsuhr. Es waren bestimmt die längsten Minuten ihres Lebens.
Als Nächstes folgte der Savignyplatz. Vorsichtig schaute sie sich um. War einer der anderen Fahrgäste vielleicht ein Mitarbeiter der Staatssicherheit in Zivil, der ihr das Kind sofort aus dem Arm reißen würde, wenn sie versuchen würde auszusteigen? Ihr wurde wieder übel. Und sofort fing Charlotte an zu jammern. Das Kind lenkte sie ein wenig von ihren tausend Fragen ab. An der nächsten Station würden sie aussteigen. Sie legte Charlotte in den Kinderwagen und schaukelte ihn mit ihren schweißnassen Händen in dem Versuch, das Kind zu beruhigen. Sie hatte das Gefühl, dass jeder sie anstarrte.

Endlich waren sie in Charlottenburg. Die Bremsen quietschten erneut. Links am Ende des Bahnsteigs stand schon wieder ein Vopo. Oswald zeigte mit einem Kopfnicken schweigend zur Treppe und ging mit dem Koffer vor. Margarethe mit dem Kinderwagen hinterher. Lieber wäre ihr gewesen, Charlotte weiter am Arm zu tragen, aber wie sollte sie dann den Kinderwagen die Treppe hinunter bekommen. Sie wollten sich nicht wieder von einem Vopo helfen lassen! Unten ging Oswald schnurstracks zum Ausgang, Margarethe immer hinterher. Und gleich da vorne stand ein Polizist lässig am Straßenrand. Er trug eine völlig andere Uniform als die Vopos. Oswald ging auf ihn zu und stellte die unverfängliche Frage, die sie sich vorher ausgedacht hatten:
"Entschuldigen Sie, wir kommen gerade aus Polen und -"
"Was, aus Polen? Über zwei Grenzen? Wie haben Sie das denn geschafft?" Der Polizist riss seine Augen ungläubig auf, schluckte und streckte Oswald dann seine Hand entgegen. "Herzlichen Glückwunsch! Willkommen in Westdeutschland! Gehen sie bloß nicht zurück zur S-Bahn-Station, die gehört zum Hoheitsgebiet der DDR!"
Margarethes Beine wurden weich wie Gummi und Tränen der Erleichterung rannen ihr über das Gesicht. Endlich! Geschafft!

Meinen Eltern gewidmet, die mir alles im Wesentlichen so erzählt haben.

Nachtrag: Ich habe diese Geschichte geschrieben, bevor mir bewusst war, dass das Thema Flucht der Deutschen gerade in und auch umstritten ist. Deshalb möchte ich hier darauf hinweisen, dass die Ungerechtigkeit, die meine Eltern erfahren haben, seine Ursache in noch größeren Verbrechen hatte.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hier könnt ihr das Hochzeitsfoto von Oswald und Margarethe und ein Nacktfoto der kleinen Charlotte sehen! Hihi!
Fotos

Hi Illu,
oh Mann, mit soo einem Lob von dir habe ich nicht gerechnet! Bei dieser Geschichte bin ich wirklich unsicher. Es ist schon ein merkwürdiges Gefühl, sich selber in Windeln zu schildern! :D
Ich habe jetzt wieder den ursprünglichen Titel genommen, obwohl der mir auch nicht soo gut gefällt, aber du hast Recht, besser als der komplizierte.
Danke auch für die Tippfehlertipps. (hihi, nettes Wort!)
lieben Gruß
Charlotte

 

Mit nur einem Koffer voller Windeln

Hi Tamara,

wie glücklich müssen deine Eltern, nach der großen nervlichen Anstrengung gewesen sein, die Freiheit erreicht zu haben.

Während des lesens habe ich immer gedacht: Mein Gott, hoffentlich passiert nicht noch was unerwartetes.
Man hat ja schon soviele Flüchtlingsgeschichten gehört, die nicht so gut ausgegangen sind.

Du hast flüssig geschrieben, den Faden immer leicht unter Spannung gehalten, so das man aufatmen konnte, als sie es geschafft hatten.

Es muß sehr spannend für dich sein, deine Eltern erzählen zu hören.
Ich kann mir vorstellen, dass da noch sehr viel mehr Stoff für eine interessante Fortsetzungsgeschichte ist.

Sind noch zwei-drei Fehler drin, Tippfehler denke ich.
Kannst ja noch mal langsam durchlesen, wenn du willst :)

liebe Grüsse, col.

 

Liebe Coleratio,
auch dir vielen Dank für das schöne Lob! Ja, du hast Recht, viele Flüchtlingsgeschichten enden tragisch. Der Rest unserer Familiengeschichte ist nicht mehr so spannend: Meine Eltern haben sich eine neue Existenz aufgebaut, aber das war harte Arbeit. Und mir ist das Abenteuer nicht so gut bekommen, ich war schon in Berlin wochenlang im Krankenhaus, auch weil die hygienischen Bedingungen in den Flüchtlingslagern nicht gerade für Säuglinge geeignet war. Das alles kann man sich heute kaum noch vorstellen.
Den Titel habe ich jetzt probehalber noch einmal geändert. Wer kann schon von sich behaupten, nach einer S-Bahn-Station benannt worden zu sein? Aber es erscheint nicht in der Übersicht.
Ich kann Tippfehler viel leichter bei anderen erkennen, zwei habe ich noch gefunden und noch ein paar Kleinigkeiten geändert. Seufz!
viele liebe Grüße
Charlotte

 

Hi tamara,

beim gebannten Lesen sind mir nur ein paar Fehler aufgefallen. Ich war viel zu gespannt, darauf zu achten. :)
Schön, dass für deine Eltern alles gut ausgegangen ist.

Danach war der Hunger gekommen. Und die Russen.
Das geht so leider nicht.
Das "war" muss in die Mehrzahl, da es sich trotz des Punktes mit auf die Russen bezieht.
Jedes Mal, wenn einer dieser Soldaten in der fremdländisch Uniform eine Wohnung betreten hatte und "Fräulein" gerufen hatte,
Vorschlag:
Jedes Mal, wenn einer dieser Soldaten in der fremdländischen Uniform eine Wohnung betreten hatte und "Fräulein" gerufen hatte,
Er versuchte sich nicht wieder darüber zu ärgern,
bei Infinitivsätzen mit zu kannst du zur Verdeutlichung der Satzgliederung ein Komma machen. In diesem Fall hinter "versuchte"
Diese aufgeblasene Organisation richtig sich ja selbst zugrunde."
richtet

Lieben Gruß, sim

 

Hallo Sim,
schön, dass du doch nicht zu gebannt warst, um mich auf die (hoffentlich letzten!) Tippfehler aufmerksam zu machen! Und du hast ja sonst nichts zu meckern! Da muss irgendwas faul sein! ;)
herzlichen Dank
Charlotte

 

tamara schrieb:
Und du hast ja sonst nichts zu meckern! Da muss irgendwas faul sein! ;)

Wenn mein Ruf hier weiter so leidet, muss ich wohl das Moderatorenamt schleunigst wieder aufgeben. Bin ich schon so verschrien? :schiel:

 

Lieber, lieber Sim,
NEIN, NEIN, nicht du bist verschrien, du bist der liebst Mod, schreibst die fundiertesten Kritiken! Nur, wenn selbst du nichts zu meckern hast - ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass es an der Geschichte nichts auszusetzen gibt!!!!! Gibt es ein smiley zum Haare raufen?
Charlotte

 

Frievolle Grüße

und, bevor Du Dir die Haare raufst, es gibt schon was Auszusetzten an der Geschichte. Ich finde immer was, ganz sicher!

Positiv fällt auf, das Du kaum Adjektive verwendest! (Sorry, das mußte sein! Ich habe mich echt durch die sieben Seiten gequält!) ;)

Aber jetzt zu Deiner Geschichte. Die ist gut, könnte aber noch besser sein, nach meiner Ansicht zumindest. Du steigst sehr schnell in die Handlung ein, Information über die Charaktere, ihren Hintergrund und die ganze Umgebung fallen zu spärlich aus. Ich habe mich nur schwerlich in sie hineinversetzten können. Du könntest zum Beispiel noch Einfügen, warum sich die beiden ineinander verliebt haben, was sie aneinander schätzen. Das würde die Identifikation mit ihnen erleichtern, wurde den Rest der Handlung spannener machen. Die Ängste einer Person lassen sich einfacher nachvollziehen, wenn man weiß, wer diese Person wirklich ist.

Ansonsten eine gute Geschichte, die das Lesen lohnt. Wer zuerst die Kritiken und dann die Geschichte ließt, dem sei diese empfolen.

Kane

 

Hallo Brother Kane,
herzlichen Dank für deine differenzierte Kritik! (Endlich hat mal jemand was auszusetzen!!!)
Also noch länger? Du hast dich doch hier schon quälen müssen, du Armer! ;)

Du steigst sehr schnell in die Handlung ein,
Hm, ich fürchte, dann würde die Spannung leiden. Ich werde drüber nachdenken.
Positiv fällt auf, das Du kaum Adjektive verwendest!
Das ist ja auch schon ungefähr die zehnte Überarbeitung, ich habe in dem besagten Thread offenbar wirklich was gelernt! Nein, wirklich, danke! :)
liebe Grüße
tamara

 

Hallo tamara,

eine Sache fällt mir noch ein. Ich weiß allerdings nciht, ob die eher an meinen Konzentrationsmängeln oder an deiner Geschichte gelegen hat.

Ich hatte bei meinen Kommentaren das "in die DDR" schon notiert, bis ich irgendwann begriffen habe, die Familie kommt aus der Polen und muss tatsächlich über die DDR in die BRD reisen. Für mich las es sich zuerst ungewohnt, "in die DDR" zu fliehen und ich war etwas irritiert. Als ich es begriffen hatte, habe ich den Kommentar natürlich wieder rückgängig gemacht.

Wie gesagt, das kann gut an mir gelegen haben. ;)

Lieben Gruß, sim

 

@Brother Kane: Jetzt habe ich noch ein paar Anekdoten eingefügt, um die beiden Hauptfiguren lebendiger zu machen und die Gefahren zu verdeutlichen. Für diejenigen, die nicht alles noch einmal lesen wollen:
Kurz vor den ** habe ich den Abschnitt eingefügt, der mit " Vor Erstaunen hielt sie die Luft an" beginnt.
Ich habe den Abschnitt direkt nach den *** erweitert. Außerdem habe ich die Fluchtroute über die DDR noch deutlicher gemacht. Dieser bürokratische Hintergrund ist schon schwer nachzuvollziehen, mit Sicherheit nicht nur für Sim.
vielen Dank noch mal für die Anregungen
tamara

 

Ja, ja, tamara, das waren noch Zeiten! Bräute wurden nach der Güte ihrer Handarbeiten beurteilt und kennen gelernt hat man sich nur, weil die Straßenbahnen immer so voll waren, dass man sich nicht aus dem Wege gehen konnte. Natürlich trugen die jungen Frauen noch dicke Zöpfe – habe ein Faible dafür, echt -, nur hier waren sie nach dem Krieg bald verpönt, weil zu sehr an Volkstümelei der Nazis erinnernd.

Natürlich war in Polen alles verrußt und die Bergknappen starben relativ jung an Staublunge, kein Wunder, dass sich die Söhne in mühevollen Abendkursen zum Ingenieur hocharbeiteten, nur um festzustellen, dass diese verdammten Sozialisten das nicht belohnen wollten und nach wie vor einen Bergmann besser bezahlten als einen Bürohengst. Kein Wunder, dass man vom sauberen Deutschland träumte – das dann tatsächlich als sauber erschien! -, man ist jung und will dem Elend entkommen, nicht anders handeln junge Leute aus Afrika und anderswo, wenn sie heute nach Europa flüchten, wohl wissend, dass sie dabei umkommen können – allein in den letzten 10 Jahren sind Schätzungen zu Folge ca. 5000 von ihnen im Mittelmeer ertrunken.

Obwohl du an Klischees* beinahe** nichts auslässt, tamara, ist dir trotzdem ein schönes Stück Prosa gelungen, sehr dicht und spannend erzählt, an diesem Text sieht man einmal mehr, wie wichtig der Inhalt für eine Geschichte ist. Sie ist voller Details – zum Beispiel die 30-Meter Antenne im Garten -, die uns Heutigen nur in Ausnahmefällen bekannt sind, du schilderst die Situationen sehr wirklichkeitsnah***, ich fühlte mich mittendrin, ja ich spürte förmlich den Stanislaw im Bahnhof und den Vopo in der S-Bahn hinter meinem Rücken. Diese beiden Szenen im Bahnhof und in der S-Bahn gehören zu den besten, die ich in letzter Zeit las: Oswald mit seiner Margarete und dem Kind, jung verheiratet, neben einander stehend und doch aus Vorsicht stumm – an was man alles denken muss, bei so einer Flucht! -, und gerade deswegen allein, allein mit seinen Gedanken, die Fahrt zieht sich, jede einzelne Station wird gezählt – ich kenne die Strecke, habe früher ein paar Jahre in Berlin gewohnt, wie der Zufall so will, auch in Charlottenburg, in der Fredericiastrasse, habe die S-Bahn aber nur zum Einkauf von billigen Zigaretten benutzt, tja, so ändern sich die Zeiten -, und als die beiden nach draußen spazieren als ob nichts gewesen wäre, da freut man sich mit ihnen, da weiß man noch nichts vom Heimweh, und dass die alte Heimat sie vielleicht nie loslassen wird.

Aber das wäre eine andere Geschichte, tamara, vielleicht schreibst du ja weiter, ich jedenfalls würde mich freuen, in deiner Familiensaga zu schmökern.

Dion


* Polen ist schmutzig und Deutschland sauber, obwohl es damals hier im Ruhrgebiet genauso aussah wie in Schlesien, dem Ruhrgebiet Polens; es wird mehrfach und zum Teil rührend darauf hingewiesen, dass jetzt alles polnisch zu sein hat, du unterlässt es aber zu sagen, dass es wenige Jahre zuvor genau umgekehrt war – alles hatte deutsch zu sein und in die Pässe hatte man nicht nur ein J für Jude, sondern auch P für Pole oder viel mehr für Polacke eingetragen.

** du lässt die Polizei aller drei Staaten und sogar einen vermeintlichen Spitzel gut wegkommen, das ist in so einer Geschichte nicht unbedingt zu erwarten gewesen.

*** nur dass es schon damals in Zügen einen Mutter-Kind-Abteil gegeben hat, bezweifle ich

 
Zuletzt bearbeitet:

Weltanschauung meiner Prots

Hallo Dion,
herzlichen Dank für deine ausführliche Kritik. Wenn ich dich recht verstehe, bist du mit der gesellschaftspolitischen Einstellung meiner Hauptfiguren nicht einverstanden.

Diese beiden Szenen im Bahnhof und in der S-Bahn gehören zu den besten, die ich in letzter Zeit las
Da dir diese Geschichte offenbar trotzdem gefallen hat, ist das für mich die beste Kritik, die ich bisher bekommen habe! Danke! :bounce:
Und ich kann dir versichern, dass meine Eltern mir die von dir gelobten Details so erzählt haben. Es gab auch Mutter-Kind-Abteile, da waren die Polen eben kinderfreundlicher. Manchmal ist das Leben klischeehaft, manchmal nicht, ob es uns gefällt oder nicht. Ich habe mich allerdings bemüht, einem Klischee auszuweichen und den Russen relativ menschlich darzustellen. Die Russen sollen dort ganz anders gewesen sein als die westlichen Alliierten. Auch aus nachvollziehbaren Gründen. Zwei andere Klischees habe ich außerdem auch noch gebrochen: das mit den Polizisten und dass die Deutschen immer nur Täter sind.
Muss ich darauf hinweisen, dass ein Autor nicht unbedingt die gleiche Weltanschauung hat wie seine Figuren, sie vor fast einem halben Jahrhundert hatten? Dass meine Eltern zu Kriegsende sieben und zwölf Jahre alt waren? Ich habe gleich am Anfang geschrieben: "Verlierer in dem endlosen Spiel von Unrecht und Rache, das Erwachsene gespielt hatten, als er selbst noch ein Kind war." Ich bin davon ausgegangen, dass das Unrecht genügend bekannt ist, so wie du es auch angedeutet hast. Dass es in Deutschland nicht alles so rosig gewesen ist und das zu erwartende Heimweh habe ich in der Zugfahrt kurz vor Berlin angedeutet. Und ich unterstelle meinen Lesern, dass sie intelligent genug sind, das ebenfalls zu wissen. Ich habe übrigens nirgends geschrieben, dass meine Eltern so viel riskiert haben, um ihrem Elend zu entfliehen, sie haben relativ gut gelebt.
Ich stimme völlig mit dir überein, dass es schrecklich ist, wenn auch in ganz anderen Teilen dieser Erde, Menschen aus unterschiedlichsten Gründen zu Flüchtlingen werden. Über einen solchen Fall habe ich bereits eine Geschichte geschrieben (die ist allerdings bei weitem nicht so gut). Aber was hat das alles mit dieser Geschichte zu tun? Muss ich bei jeder historischen Geschichte, die nur einen kleinen Ausschnitt persönlicher Schicksale darstellt, die gesamte Vergangenheit und Zukunft der Menschheit schildern?
Also wenn mir jemand einen konstruktiven Tipp geben kann, wie ich als Autor klar machen kann, das dies alles die Meinungen meiner Hauptpersonen sind, dann bin ich ganz Ohr. Ich schreibe erst seit einem guten halben Jahr. Auf subjektive Adjektive habe ich jedenfalls völlig verzicht! ;)

Willst du wirklich lesen, warum meine Mutter sich in Deutschland bald die Haare abgeschnitten hat, dass es im Ruhrgebiet auch dreckig war? Dann müsste ich aber auch schreiben, dass es in Oberschlesien 1972 immer noch viel dreckiger und verfallener war. Das habe ich bewusst erlebt. Ich fürchte, dieser Teil ist nicht so spannend, aber offenbar werde ich dazu gedrängt! Hilfe!
Übrigens: Wenn du mit der S-Bahn zum Zigarettenkaufen gefahren bist, würde mich interessieren ob du schon so alt bist, dass du diese Zeit bewusst miterlebt hast. Ehrlich, meinetwegen in einer PM.
viele liebe Grüße
tamara

PS: Ich habe lange überlegt, ob ich diese Geschichte nicht lieber unter "Gesellschaft" poste. Doch sie gehört unter "Historik", weil die beschriebenen Umstände der Vergangenheit angehören.

 

Auch wenn es dir nicht so vorkommen mag, tamara, ich habe deine Geschichte genau gelesen und weiß daher deine Bemühungen um die Objektivität zu schätzen. Und ich weiß auch, dass die Protagonisten deiner Geschichte nicht du bist, ich habe gehofft, dies mit kleinen Hinweisen gewürdigt zu haben, du hast die Situation damals ja nicht selbst erlebt, sondern erzählt bekommen, und Erzählungen, tamara, das sind Erinnerungen, und Erinnerungen sind manchmal nicht so genau, sind oft gefärbt mit Wünschen, es möge so gewesen sein.

Wir alle wurden Jahrzehnte lang belogen von unsern Vätern und Müttern, erst jetzt kommt die Wahrheit so langsam ans Licht - die ritterliche Wehrmacht war zum Beispiel gar nicht so ritterlich, wie man in der Wehrmachtausstellung nun sehen konnte -, und meine Schwiegermutter aus Celle, die immer so geschwärmt hat von BDM und den tollen Wochen als Ernthelferin in Polen, und die gleichzeitig behauptet hat, sie und ihre Eltern hätten bis zum Kriegsende nichts von nicht einmal 30 Km entfernten Bergen-Belsen gewusst, musste erst kurz vor ihrem Tod klein beigeben – zu ihrem 70 Geburtstag 1993 kam auch ihr nach dem Krieg in die USA ausgewanderter Cousin und erzählte völlig unbefangen wie oft man damals ausgemergelten Gestalten aus dem KZ in der Umgebung gesehen hätte und wie ihnen in der Schule erzählt wurde, dass dort dem asozialen und arbeitsscheuen Volk mit harter Hand die Arbeit beigebracht wird nach dem Motto, wo gehobelt wird, fallen Späne.

Dies sage ich hier nur zu Illustration – wie ich das über das heutige Flüchtlingselend auch verstanden wissen möchte -, nicht um Kritik zu üben, jeder von uns tut, was er kann, ich bin froh, nicht in jener Zeit gelebt zu haben, denn jetzt in Wohlstand und Frieden hat man gut reden, Helden waren und sind nur selten anzutreffen.

So gesehen, ist die Weltanschauung deiner Protagonisten völlig in Ordnung – sie könnten auch viel „schlimmer“ oder viel „besser“ sein -, doch umso mehr überrascht es mich, dass du bei der Darstellung der Verhältnisse in Polen durch deine Eltern bleibst, sie durch Selbstzeugnis deiner Reise 1972 quasi bestätigst:

Dann müsste ich aber auch schreiben, dass es in Oberschlesien 1972 immer noch viel dreckiger und verfallener war. Das habe ich bewusst erlebt.
Wenn ich deine Geschichte richtig verstanden habe, war das Hauptmotiv der Flucht das Gefühl, als Pole deutscher Abstammung in Polen keine Chance zu haben – zum gesellschaftlichen Aufstieg oder zur Selbstverwirklichung oder wie auch immer -, aber nun verquickst du diese eher politische Aussage mit Schmutz und Ruß einer Industrieregion, ohne darauf hinzuweisen, dass dies ein Ergebnis der sozialistischen Wirtschaftspolitik war - ich bin 1990 gleich nach der Grenzöffnung in die noch existierende DDR gereist und dort Schönes aber auch sehr viel Verfallenes und Dreckiges gesehen -, so entstand bei mir der Eindruck, du bestätigst in deiner Geschichte das hierzulande herrschende Vorurteil von den schmutzigen Polacken - ich will das jetzt deiner damaligen Jugend zuschreiben, denn was weiß schon ein 14-jähriges Mädchen von den wahren Ursachen für die Zustände in einem Land, das sie bis dahin nur in einem bestimmten Licht und nur durch die Brille ihrer Eltern gesehen hat.

Zu deiner Frage: Ich war von 1968 bis 1975 in Berlin – ja, ich weiß, wie sich ein Polizeiknüppel anfühlt, ich weiß, was passiert, wenn Polizei auf Pferden in Galopp in die Menge reitet oder in voller Fahrt mit Motorrädern hinein fährt -, wohnte in Kreuzberg, Schöneberg und Charlottenburg, sich mit billigen Zigaretten im Osten zu versorgen war für uns üblich, man musste nur mit der S- oder U-Bahn zu einem der Ost-Bahnhöfe fahren, die Treppen hoch- oder untergehen, schon war man am Kiosk ohne den Bahnhof verlassen zu müssen, aufpassen musste man nur auf den (Westdeutschen-) Zoll, der aber bei ein oder zwei Stangen Zigaretten nichts tat – es hätte sich nicht gelohnt, wegen dieser geringen Menge ihre Identität – sie lungerten im zivil auf den Bahnhöfen herum - preiszugeben.

Dion

 
Zuletzt bearbeitet:

@Dion: Oh, ich denke, jetzt ist einiges klarer. Da sieht man einmal wenig, wie leicht ein ironischer Unterton missverstanden werden kann. Vielleicht solltest du auch mal eine Geschichte schreiben, was du andeutest klingt spannend!
Die Situation meiner Eltern würde man in jedem anderen Land "Diskriminierung" nennen. Ich habe nicht geschrieben, dass "die Polaken" dreckig waren oder sind. Vielleicht habe ich mich da ein bisschen falsch ausgedrückt: Es war weniger Dreck, als vielmehr der Ruß auf den Häusern und die wirklich bis zu einen Meter tiefen Bergsenkungen in den Straßen. Das ist sogar einem dreizehnjährigen Mädchen aufgefallen. Die Ursachen davon kann ich weder als kurzfristiger Besucher, geschweige denn als Jugendliche ergründen, das ist auch richtig, deswegen wäre es schwierig zu schreiben. Ich finde auch immer noch, dass es nicht nötig ist, alles zu erklären. Dann müsste jeder, der über das Dritte Reich schreibt, auch die Ursachen dafür erklären! Und außerdem war mein damaliger Lieblingsschriftsteller ein Pole, den wir in Krakau besucht haben. Und dass ich mir einen russischen Nicknamen gesucht habe, ist ein Teil Versöhnung mit dieser unendlich schrecklichen Geschichte, unter der ich auch gelitten habe.

Dank deiner Anregungen, habe ich ein paar Stellen in der Geschichte umgeschrieben, ich verrate sogar wo:
In dem Abschnitt nach "Charlottenburg"
Am Ende des Abschnittes, der mit " Diese Sorgen hatte er für sich behalten " beginnt.
Und ganz am Ende des Abschnittes nach den ****
Ich hoffe, es klingt jetzt nicht mehr wie aus einer Propagandazeitung des Vertriebenenverbandes oder so.

viele liebe Grüße
tamara

 

Hey tamara!

Endlich habe ich es geschafft, eine Geschichte von dir zu lesen ;)

Hat mir soweit auch ganz gut gefallen. Vom Inhalt, von der Sprache, usw. Kann ich eigentlich nicht meckern. Mir sind zwischendurch 1-2 Fehler aufgefallen - einmal hat ein "bis" gefehlt, glaub ich. Allerdings war ich zu sehr in die Geschichte vertieft *pfeif*

Mir ging es allerdings wie sim, dass ich irgendwie dachte - wieso fliehen die in die DDR? Allerdings hätte ich es wissen müssen, da meine Großeltern auch aus Schlesien kommen. Nur war ich zwischendurch leicht verwirrt.

Ansonsten noch was: frag mal einen der Mods, ob sie den Titel editieren. In deinem ersten Posting ist das zwar geschehen, aber nicht bei dem Thema selbst. :)

LG
Alisha

 

Liebe Alisha,
du scheinst es ja richtig zu bedauern, dass du nichts zu meckern gefunden hast! Und wenn du die Tippfehler nicht mehr findest, war meine Geschichte wohl recht spannend und ich fasse das als Kompliment auf! :D
Dass meine Eltern erst in die DDR reisen mussten, habe ich noch einmal an zwei Stellen deutlicher geschrieben, vor und nach **.
vielen Dank fürs Lesen und Kritisieren und den Tipp, den Titel von einem Mod ändern zu lassen!
liebe Grüße
tamara

 

hallo tamara!

Wow, eine tolle Geschichte. Spannend bis zum Ende - auch ich hatte das ungute Gefühl, es würde noch ein Stein im Weg liegen. Was für ein Glück. :)

Ich finde auch immer noch, dass es nicht nötig ist, alles zu erklären.
Da gebe ich Dir recht. Du gewährst hier einen Enblick. Und auch ich war zuerst verwundert, warum wollen die in die DDR? Aber beim nochmaligen genaueren Lesen verbinden sich die gnazen Details zu einem gelungenen und komlexen Gesamtbild. Diese Geschichte regt mich dazu an, mich mehr mit geschichtlichen Themen zu befasse - ich will genauer wissen, was damals los war. Im Geschichtsunterricht habe ich geschlafen - verstaubte Theorie. Hiermit machst Du mich neugierig - auch in die Richtung, mich mehr mit meiner eigenen familieären Vergangeheit auseinaderzusetzen.
Sehr gelungen.

liebe Grüße
Anne

 

Hallo Anne,
vielen Dank für deine überwältigende Kritik! Es freut mich ja ganz besonders, dass ich dich angeregt habe, dich mit Geschichte und besonders deiner eigenen Familiengeschichte zu befassen! Ich halte es für wichtig, die eigenen Wurzeln zu kennen, um nicht wieder die gleichen Fehler zu machen wie unsere Vorgänger.
viele liebe Grüße
Charlotte

 

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