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Flussgeheimnisse

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09.01.2002
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Flussgeheimnisse

Flussgeheimnisse

Nachts, wenn es ganz still wird im Wald, und kein Hauch sich mehr durch die schwere, weiche Luft schiebt, hoere ich die Geister langsam ueber die dicke Schicht aus vermoderten Blaettern und toten Insekten tapsen. Immer um meine Huette herum. In meine Traeume hinein. Bedaechtig, als truegen sie eine schwere Last.
Oder ich sehe kleine Schatten flink unter meiner Haengematte hin- und herhuschen. Das sind die Kinder.

Ganz still…das heisst, kein Ton von einer Menschenseele. Lautlos ist es hier nie. Nachdem die Sonne im Fluss versunken ist, dringt einem das Kreischen der Zikaden ins Ohr. Nicht Zirpen, Kreischen. Als ob es die Hitze selber ist, die da schreit. Und manchmal hoert man, wie ein grosses Tier durchs Unterholz schleicht und sich bald enfernt. Der Geruch nach Tod und Verwesung ist ihm in die Nuestern gestiegen und hat es verschreckt.

Mich verschreckt der Geruch nicht. Ich rede mir ein, dass der Fluss schon immer so gestunken hat: suesslich, nach faulenden Tierleichen. Und mir wird auch nicht mehr uebel, wenn ich morgens aus meiner Huette trete und tief durchatme. Die Geister, vor allem die kleinen, ja, sie lassen mir den Brustkorb zu eng zum Atmen werden, und stets schlafe ich unruhig, mit einer Gaensehaut, trotz der feuchten, stickigen Waerme, die mich umgibt. Aber auch das laesst sich ertragen. Sie wollen mir ja nicht schaden. Sie koennen nur nicht schlafen, die Armen, so wie ich. Weil die Erinnerung uns quaelt. Davor graut es mir. Nicht vor den Geistern. Scharfen Schnaps schuette ich mir jeden Abend in die Kehle, der die Angst mildert und mir einige Stunden dumpfen Schlafes verschafft. Denn ich habe mich ja entschieden: ich bleibe hier. Und selbst wenn ich, vom blanken Entsetzen gejagt, fliehen wollte, wo sollte ich denn hin? Ich habe doch niemanden mehr! Wo sollte ich denn hin?

Wenn meine Traeume mich so quaelen, dass ich in wilder Panik die Augen aufreisse, um dem Grauen zu entkommen, ist mir nur im Moment des Aufwachens ein kurzes Gefuehl der Erleichterung gegoennt. Sobald alle Sinne erwacht sind, spuere ich die schweissnasse Kleidung an meiner Haut, hoere nichts ausser dem monotonen Gekreisch der Zikaden und rieche den Fluss, der Treibholz und Plastikcontainer zum Meer traegt, und Anderes, von dem niemand etwas weiss. Flussgeheimnisse.

Wuerde ich dem Fluss ein Stueck folgen, koennte ich die Ueberreste eines Dorfes sehen, in dem kein Mensch mehr wohnt: kein Lachen und Plaudern von im Fluss badenden Frauen klingt morgens herueber, und auf die Rufe der heimkehrenden Fischer am Abend warte ich vergebens. Darum gehe ich auch nicht flussabwaerts. Nur einmal, am Morgen nachdem sie gekommen und wieder abgezogen waren, nachdem ich die ganze Nacht lang Schreie gehoert hatte, so laut, dass sie den Laerm der Zikaden uebertoenten, und Schuesse; an dem Morgen packte ich mein Buschmesser und folgte dem Fluss, immer am Ufer entlang. Es waren ja nur ein paar Schritte bis zum Dorf. Oder war es doch ein laengerer Marsch? Ich weiss es nicht mehr. Als ich ankam, war es ohnehin zu spaet. Ein paar der Leichen begrub ich, ein paar warf ich in den Fluss. Dann gab ich auf. Es waren doch zu viele. Nur die ganz kleinen Koerper klaubte ich noch aus den Menschenhaufen, wickelte sie vorsichtig in Deckchen oder was da eben so herumlag, und legte sie in eine lange Grube, ordentlich, alle in einer Reihe nebeneinander. Die Erde klopfte ich sorgfaeltig fest, wegen der Tiere. Heiss war es.

Heiss ist es immer noch. Zu heiss fuer mich, und zu still. Vielleicht sollte ich doch den Aufbruch wagen? Aber sie haben alle Kanus versenkt, und mein Motorboot auch. Und ausserdem, wenn ich gehe, wer bleibt dann hier? Einer muss doch hierbleiben. Das Dschungelgestruepp wuchert gierig und ueberall, der Wald draengt sich unaufhaltsam vor; und wenn er erst das Dorf zurueckerobert hat, wenn er seine Wurzeln in die zusammengefallenen Huetten gekrallt hat und sein Laub die letzten Reste der einstigen Bewohner zudeckt, wenn alle Spuren verwischt sind, dann muss doch hier noch jemand sitzen, der alles erzaehlen kann. Wie es war und was passiert ist.
Wenn einer fragt.

[Beitrag editiert von: sentosa am 14.01.2002 um 15:27]

 

Ich bin auf Deine Geschichte aufmerksam geworden, weil Du eine meiner bewertet hast !
Also ich kann das Lob nur zurückgeben ! Deine Geschichte finde ich auch wirklich gelungen. Die Sprache gefällt mir und der Plot passt auch :-)
Also weiter so !

 

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