Was ist neu

Frau K.

Mitglied
Beitritt
03.07.2018
Beiträge
3
Zuletzt bearbeitet:

Frau K.

Und wieder habe ich Schicht mit Frau K.
Einerseits freue ich mich darüber. Frau K. ist eine liebenswerte Kollegin, zurückhaltend, fast schüchtern, sehr hilfsbereit und an guten Tagen kann sie sogar witzig sein.
Ihr Äußeres lässt das zunächst nicht vermuten. An ihr ist alles spitz, ihre Nase, die Ellenbogen, die Knie, das Kinn. Sie ist spindeldürr und die aschgrauen, kurzen Haare sehen stumpf und borstig aus.
Andererseits mache ich mir Sorgen. Frau K. knabbert den ganzen nur an einer Schnitte Schwarzbrot, manchmal ist auch ein halber Apfel dabei. Ständig habe ich sie im Auge, sie könnte ja umfallen vor Entkräftung.
Wenn wir Kollegen zum Mittagessen schon mal ein Eisbein verputzen, dann ist sie fast nie dabei oder sie trinkt derweil ein stilles Wasser.
Ihr Mann will keine dicke Frau, hat sie mal erzählt. Darum tut sie alles, damit sie nicht zunimmt. Nur keinen Sport, das will ihr Mann auch nicht.
Frau K. wohnt außerhalb der Stadt. Jeden Tag fährt sie mit dem Zug ca. 1 ½ Stunden zur Arbeit. Ihr Mann braucht das Auto, sagt sie. Obwohl die Arbeitsstelle ihres Mannes nur um die Ecke von ihrem Haus ist.

In letzter Zeit ist Frau K. noch spitzer als sonst. Ihre Töchter, Zwillinge, sind ausgezogen. Sie wären froh endlich weg zu sein, sollen sie ihr gesagt haben. Und Herr K. hat ihr jede Kontaktaufnahme zu den Töchtern strengstens untersagt.
Frau K. fügt sich. „Was soll ich denn machen“, meint sie. Und deshalb mache ich mir auch Sorgen um Frau K. Ich könnte sie direkt fragen, warum sie sich das Diktat ihres Mannes gefallen lässt. Warum sie nicht das tut, was sie möchte. Essen zum Beispiel oder ihre Töchter besuchen.
Aber ich tue es nicht. Ich bin mir nicht sicher, ob man sich in eine Ehe einmischen sollte. Ich kenne ja auch nur die knappen Details, die sie bereit ist zu erzählen oder die ihr so rausrutschen.

Frau K. hat gekündigt. Ganz heimlich und still, wie es ihre Art ist. Wir sind alle total überrascht. Kein Wort hat sie darüber verloren. Gestern war ihr letzter Arbeitstag und keiner wusste was. Traurigkeit macht sich breit, teilweise wird Unverständnis über die Art und Weise ihres Abgangs laut. Ich mache mir wieder Sorgen. Wird sie etwa zu Hause bleiben, bei diesem Mann und ab sofort gar nichts mehr essen und nur noch funktionieren, so wie der Herr es haben will?


Zufällig treffe ich beim Einkaufen Frau K. auf der Straße. Fast hätte ich sie nicht erkannt. Sie sieht toll aus. Wie weichgezeichnet. Sie hat zugenommen, die Haare sind etwas länger, die spitzen Ecken und Kanten sind nicht mehr da und irgendwie strahlt sie von innen heraus.
„Schön dich zu sehen. Du siehst toll aus. Und du warst so schnell weg, wie ist es dir ergangen?“
Frau K. erzählt, dass sie jetzt bei ihren Töchtern wohnt, in einem kleinen Dorf, irgendwo in Mecklenburg. Sie arbeitet halbtags in einem Büro und hat endlich einen Yoga-Kurs belegt, was sie schon immer wollte. Ich freue mich ehrlich für sie.
„Wie ist es dann dazu gekommen?“: frage ich sie.
Ihr Mann ist gestorben, ganz plötzlich.
Und ich höre mich selber irgendwelche Floskeln runterbeten, so etwas wie: es tut mir leid. Mein Beileid. Obwohl ich mir denke, dass ihr das Ableben dieses Mannes offensichtlich gut getan hat.
Es ist nachts passiert. Ihr Mann wacht auf und geht ins Bad. Auch Frau K. wird dadurch wach. Sie sieht, wie ihr Mann ins Bad stolpert und denkt, dass seine Prostata ihm wieder zu schaffen macht, will ihn mit Nachfragen nicht unbedingt reizen und beschließt weiter zu schlafen.
Hat sie mir gerade zugezwinkert?
Einige Stunden später wacht sie wieder auf, erzählt sie. Ihr Mann ist noch immer im Bad. Sie sieht nach ihm und da liegt er. Herzinfarkt, sagte man ihr später.
Wir tauschen noch ein paar Höflichkeiten aus und verabschieden uns.
Und ich werde ein Bild in meinem Kopf nicht los, Frau K. beugt sich im Bad über ihren um Luft ringenden, röchelnden Mann, lächelt ihn an, ganz verhalten, wie es ihre Art ist, geht und telefoniert mit ihren Töchtern.

 

Hej Martha

und herzlich willkommen. Schön, dass du deine Geschichten teilst und sie nicht in der Schublade darben.;)

Denn Frau K.’s Entwicklung ist ja durchaus erzählenswert.
Der Plauderton, den du ausgesucht hast, passt zum Thema über eine Person zu reden, die einem zwar bekannt aber nicht vertraut ist. So habe ich das Gefühl, wir beide treffen uns auch beim Einkaufen und du erzählt mir etwas über sie.
Eine traurige Geschichte für Frau K., dass es erst den Tod ihres Mannes benötigt, um sich frei zu fühlen. Groß waren ihre Ansprüche ja scheinbar nie. Bisschen mehr essen und Yoga. ;)
Mehr erfahren wir beide ja nicht, weil du nicht fragen wolltest. Ich bin also dicht bei dir und mir gefällt das.

Und, du meine große Güte, was ein Satz doch an Wucht und Gewalt haben kann

Hat sie mir gerade zugezwinkert?

Das wäre ja ... unterlassene Hilfeleistung ... könnte ich denken. Aber wer will schon der geplagten Frau K. einen Vorwurf machen?
Also das musst du schon übernehmen, liebe Martha.

Ich muss los.

Ein Leseeindruck und freundlicher Gruß, Kanji

 

Schön zu lesen, interessanter Handlungsstrang und überraschende Wendung am Ende.

Anmerkungen:

"Wie ist es dann dazu gekommen?“: frage ich sie.

Vielleicht so: "Wie ist es dann dazu gekommen?", frage ich sie.

Mehr Infos zu Dialogen hier: www.woertlicherede.de

Gruß ulf1

 
  • Zuletzt von einem Teammitglied bearbeitet:
Zuletzt von einem Teammitglied bearbeitet:

Danke Kanji, so eine tolle Antwort für meine erste eingestellte Kurzgeschichte.
Tja, die unterlassene Hilfeleistung, wer kann es der Frau K. verdenken...
Und war es wirklich so?
Das zu entscheiden wollte ich dem geneigten Leser überlassen.
Liebe Grüße, Martha

Danke ulf1. Ist notiert. Liebe Grüße, Martha

 

Hallo Martha,

ich finde deine Geschichte interessant und habe sie gerne gelesen. Was mir bei sowas immer im Kopf rumschwirrt ist, warum geht die denn nicht einfach ... daher finde ich es ja so interessant, ich weiß ja das solche Dinge passieren und tatsächlich so ablaufen wie du es schreibst, nur warum machen die das denn mit? Verstehst du das?


Was mich an deiner Geschichte stört ist der Schluss. Ich glaube irgendwie nicht daran, dass man einer fast Fremden auf der Straße so detailliert über den Tod des Mannes berichtet. Gerade da das alles so im Plauderton gehalten ist und oberflächlich bleibt, finde ich das unrealistisch. Selbst wenn sie nichts dafür konnte, so wie sie es erzählt, einen anderen Menschen tot aufzufinden ist bestimmt heftig, selbst wenn er ein Idiot war. Und wenn sie was damit zu hätte, würde die das doch so knapp wie möglich halten, mein Mann ist tot, Herzinfarkt. Die Stimmung und der Ton deiner Geschichte passen nicht zu dem detaillierten Ende.
Das ist natürlich allein deine Sache, was du damit anfängst ...

Abgesehen vom Schluss, gern gelesen!

Liebe Grüße
Charly

 

Einen schönen guten Morgen...
Liebe Ronja, vielen Dank für Deine Anmerkungen.
Diese sind wirklich sehr hilfreich. Ich freue mich darüber.
Liebe Grüße, Martha

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo und herzlich willkommen hierorts,

Martha,

mit einem kleinen Text aus der Literatur der Arbeitswelt und der Vieldeutigkeit der "Schicht" zwischen Arbeitszeit und Dienst, sowohl in einem Unternehmen wie im Haushalt und der Schicht am Ende des Lebens, wenn Herrn K. das Lebenslicht verlischt (sehen wir mal von ab, dass es zudem in der [sozialen] Schicht der arbeitenden Bevölkerung spielt). Schön, dass das Ende in der Schwebe bleibt, ob es nun eher zufällig oder ein gewollter Befreiungsakt der Frau K. vom Patriarchat ist.

Gleichwohl gilt's, noch einige Trivialitäten anzusprechen, das mit einer einfachen Flüchtigkeit wie hier

Frau K. knabbert den ganzen nur an einer Schnitte Schwarzbrot, ...
beginnt. Welchen "ganzen"?, ich vermute einen ganzen "Tag" ...

Und die indirekte Rede - zugegeben, würdestu die Geschichte mir vorlesen, es fiele gar nicht erst auf (aber nicht, weil ich halb taub bin)

Ihr Mann will keine dicke Frau, hat sie mal erzählt. Darum tut sie alles, damit sie nicht zunimmt. Nur keinen Sport, das will ihr Mann auch nicht.
Die Passagen
Ihr Mann will keine dicke Frau, ... Darum tut sie alles, damit sie nicht zunimmt. Nur keinen Sport, das will ihr Mann auch nicht.
referierstu doch - sofern Du nicht Frau K. selber bist ...
Besser also "Ihr Mann wolle keine dicke Frau, hat sie mal erzählt. Darum tue sie alles, damit sie nicht zunehme. Nur keinen Sport, das wolle ihr Mann auch nicht."

Gleiches gilt für Passagen wie hier

Ihr Mann braucht das Auto, sagt sie.
Schau mal selber - auch mit dem Satz danach ..., dass Du es kannst, zeigt sich doch hier
Sie wären froh[,] endlich weg zu sein, sollen sie ihr gesagt haben
.(Komma nicht vergessen!)

(die "anderthalb / eineinhalb" Stunden sind schon angezeigt worden, aber auch nicht vergessen, zu korrigieren ...)

„Was soll ich denn machen“, meint sie.
Klingt nach mehr als einer bloßen Aussage und selbst, wenn es wie eine Frage aussieht, ist es doch eher ein Ausruf der Verzweiflung, darum besser vorm auslaufenden Gänsefüßchen ein "!", oder?

Hier

Ich könnte sie direkt fragen, warum sie sich das Diktat ihres Mannes gefallen lässt. Warum sie nicht das tut, was sie möchte.
solltestu den Konjunktiv (... könnte ... möchte ...) konsequent durchhalten - er hat nämlich nix mit der Zeitenfolge zu tun, also "gefallen lasse/ließe" und "das tue/täte", was ..." Der Konj. II (ließe/täte) drückt ggfs. Zweifel der Ich-Ezählerin aus, was sich aus dem weiteren Verlauf der Geschichte eher verfestigt (indem manches eben nicht getan wird)

„Schön[,] dich zu sehen.
„Wie ist es dann dazu gekommen?“[,] frage ich sie.

..., dass ihr das Ableben dieses Mannes offensichtlich gut getan hat.
"guttun" ein Wort, selbst als Partizip "gutgetan". Wenn Du etwas gut getan hast, auseinander, wenn Dir etwas "guttut" zusammen ...

Sie sieht, wie ihr Mann ins Bad stolpert[,] und denkt, dass seine Prostata ihm wieder zu schaffen macht, will ihn mit Nachfragen nicht unbedingt reizen und beschließt[,] weiter zu schlafen.
(erste Komma, weil der Nebensatz "wie ..." zu Ende ist, das zwote, weil die Infintivgruppe von einem Substantiv/Nomen abhängig ist - was so leicht nicht zu erkennen ist, kommt es doch als Pro-Nomen "sie" daher, denn "sie ... beschließt".

Ein manierlicher Erstling und besonders der trockene Humor gefällt mir. Bin mir sicher, wir werden viel Spaß miteinander (vllt. auch mal - dann eher spielerisch - gegeneinander) haben.

Gern gelesen vom

Friedel

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom