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Frau Surbier und die Gießkanne
Mit nachdenklichem Blick saß Gisela Surbier an ihrem Küchentisch und löste das Kreuzworträtsel der Tageszeitung, während auf dem Herd ein großer Topf Graupensuppe vor sich herbrodelte, den sie vor einer halben Stunde angesetzt hatte. Es war der 22. Januar und bitter kalt im schönen Gelsenkirchen, nun war der Winter doch noch gekommen. "Gut das heute noch kein Schnee gefallen is." dachte sich Gisela, als sie an ihrem Kugelschreiber kauend auf die Hauptstraße schaute. So saß sie dort, die Beine übereinander geschlagen und nach ihrem schrillen Kleidungsstil her zu urteilen noch lange nicht bereit sich als alte "Oma" betiteln zu lassen. Auf gar keinen Fall.
Frau Surbier mochte es nämlich sich möglichst in neonfarbene Outfits zu schmeissen, die sie auf einiger Entfernung wie einen wandelnden Regenbogen aussehen ließen, dazu gehörte auch ihr Haar, das natürlich stehts alle 3 Tage in dunkelrot getönt wurde. Plötzlich klopfte es an der Wohnungstür, Gisela zuckte erschrocken zusammen und unterbrach daraufhin ihr Kreuzworträtsel. Als sie die Tür öffnete, stand ihr Ehemann Karl-Heinz völlig außer Atem mit seinem Gestock bewaffnet im Treppenhaus "Hab den Wohnungsschlüssel vergessen." sagte er nach Luft schnappend, noch bevor Gisela ihn überhaupt danach fragen konnte. "Du bis doch auch schon demenz." witzelte sie mit dem Kopf schüttelnd. "Hauptsache du has daran gedacht Lotto abzugeben, sons muss ich dat wieder machen." Herr Surbier zog seinen Mantel aus, schlüpfte in die braunen Kordschlappen und legte den Schein auf dem Sideboard im Wohnungsflur ab. "Du bis doch auch schon demenz." äffte er seine Ehefrau mit piepsiger Stimme nach und verschwand im Wohnzimmer. "Inner halben Stunde gibt Mittach!" rief Gisela ihm noch hinterher und machte sich sogleich daran den Tisch dafür einzudecken. Nachdem alles akurat auf dem Küchtentisch platziert war, schüttete sich Gisela zur Belohnung eine heisse Tasse Kaffee ein, verfeinerte diese mit einem Schuss Milch bis er eine rehbraune Farbe annahm und setzte sich erneut vor ihre Zeitung.
Während sie die beiliegende Werbung durchstöberte und an ihrer Tasse nippte, stach Gisela direkt eine in glänzendem Silber gehauchte große Edelstahl Gießkanne ins Auge. "SONDERANGEBOT! FÜR NUR 63.95€!" stand es fett gedruckt in dem Werbeprospekt. Frau Surbier war begeistert, so ein Angebot konnte sie sich doch nicht entgehen lassen, außerdem war ihre alte weisse Plastikgießkanne schon längst ein Fall für die gelbe Tonne. "Kaaaarl Heeeeinz, komma inne Küche!", rief sie mit hoher Stimme quer durch die 85 Quadratmeter Wohnung. Schlürfend kam ihr Ehemann mit einigen Minuten Verzögerung in die Küche. "Guck ma wat ich hier schicket gefunden hab, n´richtiget Schnäppchen hömma." teilte Gisela ihrem Ehemann begeistert mit. "Da müssen wa uns direkt ma auffe Socken machen, bevor nachher allet weg is.", versuchte sie ihrem Mann zu erklären. Herr Surbier blickte spektisch auf das Prospekt und fuhr sich dabei durch den dichten Schnauzbart. "Wat willse denn mit sonem Schnickschnack?" brummte er mürrisch. Gisela verdrehte entnervt die Augen, obwohl sie eigentlich keine anderen Reaktion erwartet hatte. "Na, komm.", forderte sie in im sanften Ton auf und streichelte ihm dabei liebevoll über den Handrücken. Karl Heinz wusste das er sowieso keine anderen Wahl hatte und setzte sich seufzend an den Küchentisch. "Aber vorher essen wa noch die Graupen Gisela, ich hab Kohldampf." Daraufhin sprang Frau Surbier auf und umarmte ihren Mann euphorisch "Aber sicher doch mein Honigbär." sagte sie glücklich.
Nach geschlagenen 6 Stunden kamen die beiden wieder Zuhause in ihrer Wohnung an, Gisela vorne weg und Herr Surbier bis obenhin bepackt mit bunten Einkaufstüten, die er mit letzter Kraft auf dem Küchentisch abstellte. "Dat war dat letzte mal Gisela." versuchte er ihr mitzuteilen, doch seine Ehefrau hörte ihm bereits seit der Rückfahrt im Auto nicht mehr zu. Frau Surbier hatte sich dem Kaufrausch hingegeben und ihren Ehemann in einem Einkausmarathon der Extraklasse, quer durch sämtliche Geschäfte geschleift. "Jaja." antwortete sie abwesend und machte sich daran sämtliche Einkäufe in den Kücheschränken zu verstauen, bis zum Schluss nur noch ihre heiss geliebte Edelstahl Gießkanne übrig blieb. Karl Heinz war bereits wieder mit einer Flasche Bier im Wohnzimmer verschwunden und versuchte wenigstens den Rest des Abends in Ruhe zu verbringen.
Vorsichtig packte Gisela ihr neu ergattertes Accessoir auf dem Küchentisch aus, um es in seiner voller Pracht bewundern zu könnnen. Stillvoll, elegant, in glänzendem Edelstahl, mit einem Füllvolumen von ganzen 5 Litern sowie einem extra großen Henkel und langem spitzen Ausgießer, versprühte die Gießkanne eine ganz besondere Athmosphäre. "Da werden Helga und Silvie Augen machen." dachte sie sich voller Vorfreude und füllte die neue Errungenschaft mit frischem Wasser am Spülbecken auf. Bevor die Lottozahlen im Fernsehen kommen würden, wollte sie unbedingt noch probe gießen. Gut gelaunt machte sich Frau Surbier daran sämtliche Pflanzen der Wohnung zu bewässern, ihr Ehemann war inzwischen schon in seinem Sessel eingenickt, woraufhin Gisela den 25 Zoll Fernseher rüksichtsvoll leiser drehte. Als sie sich umdrehte um das Wohnzimmer Richtung Flur zu verlassen, stolperte Gisela plötzlich bei ihrem Vorhaben über die braunen Kordschlappen von Karl Heinz. Taumelnd versuchte sie sich mit ihrer linken Hand verzweifelt an der Wohnzimmergardine fest zu klammern, was ihr auch gelang und sie somit einen bevorstehenden Sturz verhindern konnte. Glück gehabt! Herr Surbier schlief währenddessen seelenruhig weiter. Die blanke Panik stand ihr noch immer ins Gesicht geschrieben, doch nach 5 Minuten hatte Gisela sich wieder gesammelt um ihre Bewässerungsaktion fortzusetzen.
Zielsicher erreichte Frau Surbier die beiden letzten Pflanzen vor der Wohnungstür im Treppenhaus. Niklas Wieschnewski wienerte gerade lustlos mit einem dreckigen Aufnehmer den Hausflur. "Nimm nich soviel Wasser." ermahnte sie den Nachbarsjungen mit erhobenem Finger. Doch der nahm sie aufgrund seiner im Ohr steckenden Kopfhörer und der laut aufgedrehten Musik garnicht erst wahr. Wütend stampfte Gisela auf den Jungen zu, rutschte über den viel zu nass gewischten Flurboden und schmiss die Gießkanne reflexartig in die Höhe, um die Hände zum abfangen des Aufpralls notfalls frei zu haben. Diesmal war es jedoch unvermeidlich. Mit einem lauten Knall landete Gisela hart auf dem Flurboden, ein stechender Schmerz durchfuhr direkt im Anschluss darauf ihren Brustkorb. Gisela Surbiers Augen starrten leblos an die Decke, sie war auf der Stelle Tod. Die schwere Gießkanne, die sie vorher panisch in die Luft geworfen hatte, war mit voller Kraft an den Absender zurück gekehrt und der Lange spitze Ausgießer hatte sich geradewegs durch ihr Herz gebohrt. "Wat ne Sauerei." sagte Niklas unbeeindruckt und fing erneut an zu Wischen.