Was ist neu

Friedhof und Szenetreff von Wörtern und Redewendungen

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Am 22. 9.2010 fragte Dion um 19:15 Uhr unter # 38 dieser Rubrik, nachdem ich in bescheidenem Maße über die Vergewaltigung bis hin zur Ermordung des Genitivs –

jeder hier an Bord sollte das ironisierende geflügelte Wort, dass der Dativ „dem Genitiv sein Tod“ sei kennen -

gewettert hatte, ob jemand den Dual vermisse. Der Grund der Frage findet sich hier im Zitat o. g. Beitrages:

Vermisst jemand den Dual? / […] / Die Sprache hat sich entwickelt, [ist] nicht gemacht worden, d.h. alle Regeln, die sie hat, sind entstanden und nicht auf dem Reißbrett entworfen worden. Und da sie lebt, leben auch ihre Regeln – nur so ist z.B. das Verschwinden des Duals aus den meisten europäischen Sprachen zu erklären. Und wenn es der deutschen Sprache bzw. Sprechern dieser Sprache gefällt, dann verschwindet eines Tages vielleicht auch der Genitiv – oder wird nur noch von selbsternannten Sprachschützern benutzt.“

Wir wollten dann ein bisschen über den Dual plaudern und weil jeder, der sich dafür interessiert, im Internet bei einiger Skepsis einiges vorfindet, konnte ich gelassen die Renovierung der hiesigen Stadtbibliothek abwarten – was sich dann überraschend lange hinzog, war das Bert-Brecht-Haus doch wesentlich maroder als erwartet. Die Geduld hat sich gelohnt, sind doch Volkshochschule und Bücherei doch nun besser ausgestattet und – eigentlich logische Folge des Umbaus – publikumsfreundlicher als manche Bibliothek dieser und jener mit einer Hochschule beglückten reicheren Stadt (ich weiß, wovon ich rede, hab ich doch in einer solchen Stadt gewohnt, bis ich wieder in die Wiege der Ruhrindustrie - der griechischsten Stadt der Republik nach Medienberichten - zurückkehrte). Leider findet sich übers Dual nur ein eher schmaler Artikel im Metzler Lexikon Sprache, hgg. v. Helmut Glück, und das auch eher, weil es sich weniger mit dem Deutschen als mit der Sprache insgesamt auseinandersetzt. Wie der Zufall aber so will, hab ich dann doch in Köblers Etymologie des Rechts (!) und desselben Wörterbuch des Gotischen, aber auch Schweitzers altdeutschem Wortschatz ein wenig mehr gefunden – wenig genug, wie ich finde, um immerhin anzufangen, ohne einen längeren Vortrag über Wortarten und / oder Beugung einzuschieben, ausgenommen, dass mit dem Dual – der die „natürliche Paarigkeit“ bezeichnet [Köbler, Etymologie, S. XVII] – der „Lokativ (den Ort bezeichnender Fall)“ [ebd.] im Deutschen verschwunden ist wie auch etwa das Medium (nur noch im Altgriechischen), eine Tätigkeitsform zwischen Aktiv und Passiv, bei der ein Tun (oder Unterlassen, wie Juristen so schön sagen) nicht nur vom Subjekt ausgehe, sondern entweder in dessen Interesse sich vollziehe oder das Subjekt gleichzeitig Objekt sei – keine Bange, wir landen jetzt nicht bei der Frage, wie das Subjekt der Erkenntnis sich selbst zum Objekt werden kann, aber das Problem kann mit einfachen Sätzen wie „ich achte auf mich“ / „sie schminkt sich ab“ usw. angerissen werden.

Der Dual bezeichnet zwischen Singular und Plural die paarige Zweiheit bei Nomen und Verb und findet sich in einigen Sprachen, vor allem slawischen wie dem Sorbischen in der Lausitz, gibt’s also durchaus in neuen Ländern der Republik.

Ich behaupte nun – guter Dinge, weil nicht allein – dass es Reste des Duals selbst im abgeschliffenen Neuhochdeutschen heute noch gebe, die aber zu suchen wären. Ohne langweilen zu wollen, steht fest, dass es hier wie überhaupt in allen indoeuropäischen Sprachen den Dual gegeben hat. Als einzige umfangreichere schriftlicher Beleg germanischer/-en Sprache/Dialekts ist die Bibelübersetzung aus dem vierten Jh. durch den Tervinger / Visigoten („Westgoten“) (W)Ulfila, der eine vergleichbare Wirkung auf die gotischen Völker und für die Sprachentwicklung hatte wie Martin Luther mehr als ein Jahrtausend später. Wer Aug und Ohr zu nutzen weiß, wird das bisschen Gotisch, das ich jetzt auftragen werden, kommentar- und ohne Übersetzung verstehen. Noch einfacher wird es dem sich öffnen, der ein wenig Nordfriesisch oder auch Bairisch versteht.

Gehen wir nun die Personalpronomen der Goten in der Reihenfolge Nominativ / Genitiv / Dativ /Akkusativ durch:

ik / meina / mis / mik,
was selbst dem ungeübten Auge als 1. Person Singular aufleuchten wird – aber was wäre die nächste Zeile?

wit / ugkara / ugkis / ugkis,
richtig: das ist niemals die 2. Person Singular, denn die wäre im Gotischen die Reihe (und das kann das ungeübte Auge tatsächlich wiedererkennen):

þu / þeina / þus / þuk,
das þ ist kein anderer Buchstabe als das „moderne“ th, im Englischen als tie-aitsch bekannt (wäre das Zeichen þ hier nicht vorhanden, es stünde hier „thu / theina …) und wer wollte leugnen, dass da Ähnlichkeit mit dem heutigen „du“ bestehe!

Aber was mag dieses wit heißen? Es bezeichnet mik und þuk, „mich“ und „dich“ in einem besonderen Pronomen äußert sich der Dual. Es bedeutet nix anderes als „wir beide“, ist also auch etwas anderes, als unser heutiges „wir“, das hieße nämlich

weis / unsara / uns(is) / uns(is),
dass man schon geradezu befürchten muss, ob der Dativ nicht schon lange versuchte, dem Akkusativ den Tod zu bringen …
Doch fahren wir fort in der Reihe der Personalpronomen:

is / is / imma / ina
si / izos / izai / ija
ita / is / imma / ita,

was die 3. Person Einzahl er, sie, es bezeichnet.
Nun drängt sich uns auf

jut / igqara / iggis / iggis,

was sicherlich mit „ihr“ zu tun hat, wenn auch nur mit zwei Personen aber ohne mich, nämlich „euch beide“.

jðs / izwara / izwis / izwis (germ. *izwis)

wäre ab dem dritten „anderen“ die Pluralbildung des heutigen „ihr“.

So viel oder so wenig mag für heute genügen, nicht ohne darauf hinzuweisen, dass der dritte „andere“ bewusst in Anführungszeichen steht, war „ander“ schon im Gotischen eine Ordinalzahl und bedeutete noch im Mittelhochdeutschen „der / die / das Zweite“.

Gruß & schönes Wochenende wünscht der

Vrîdel

 
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Friedel, ich muss dich loben. Echt. Was du in Bezug auf Dual ausgegraben und/oder hier zusammengestellt hast, ist mehr als ich erwarten konnte. Ich schätze, dieses Thema ist auch vielen Germanisten nicht sehr bekannt. Zumindest eine mir bekannte Studienrätin hat von Dual nur noch gewusst, dass es ihn mal auch in germanischen Sprachen gegeben hat, alles Weitere (wo und wann) sei ihr aber entfallen.

Auf jeden Fall gebührt dir Dank für die Mühe. Wobei wir bei unserem eigentlichen Problem, ob die althergebrachte Wörter und Formen um jeden Preis zu schützen seien, leider nicht weiter gekommen sind. Zumindest aus meiner Sicht gibt es da nach wie vor eine Parallele: Hätte es schon zu Zeiten der Goten Sprachschützer gegeben, hätten wir den Dual noch heute. Oder was meinst du?

PS: Hier fiel mir das Verschwinden des Genitiv-s im Namen auf, denn heute heißt das Buch ja „Die Leiden des jungen Werther“ und nicht mehr "...Werthers". :D

 

Hätte es schon zu Zeiten der Goten Sprachschützer gegeben, hätten wir den Dual noch heute. Oder was meinst du?

Du weißt doch oder ahnst es doch, dass ich bestrebt bin, nicht gelobt zu werden, aber Recht hastu - wahrscheinlich,

lieber Dion,

und wenn wir von ausgehn, dass ab Mitte des sechsten Jahrhunderts nicht wenige Austrogoti dem römischen (genaugenommen: oströmischen) Einflussbereich zu entkommen suchten, dürfen wir auch annehmen, dass sie nicht nach dem fränkischen Burgund, sondern über die Alpen zum neuen, sich bildenden Verbund der baio-warioz stießen (deren erstes Herzogtum sinnigerweise Mitte des Jahrhunderts) und den Dual mitbrachten, den es rudimentär im Bairischen noch gibt (wir zwei + ihr zwei > eß /ees + enk / engg), dafür ist hier in den knapp 14 Jahrhunderten Sprachgeschichte der Genitiv abhanden gekommen, (der Genitiv wird durch von-Konstruktionen i. d. R. umgangen, wenn's nicht der Dativ tut) ohne dass sich gotischer Widerstand regt.

Wie sagt doch der olle Brecht: ..., der hätt schon verloren.

Ich komm wieder drauf zurück.

Bis dann

Friedel

 

Szenetreff im Grünen:


„Wir brauchen Natur für unsere seelische Gesundheit, unsere Psyche ist regelrecht darauf angewiesen, weil sie aus dieser Natur stammt.“ (Norbert Jung, Ökopsychologe).

Vielleicht ist das der Grund, warum Japaner das ‚Waldbaden‘ entdeckt haben – wir würden diese Tätigkeit eher (im Wald) ‚wandern‘ oder ‚spazieren gehen‘ nennen. Unsere Wanderungen sind heutzutage ungefährlich, selbst im ‚Wolfserwartungsgebiet‘ wird man kaum einen Wolf treffen (trotz aller ‚ökologischen Vorrangflächen‘), ‚Lerchenfenster‘ (Brachflächen für die Brut von Lerchen inmitten von z. B. Maisfeldern) stellen auch keine Gefahr dar. Diese Fenster vermeiden natürlich nicht das ‚Hintergrund-Aussterben‘ (der normalen Auslese zuzuordnendes), tragen aber zum Naturschutz bei, auch wenn noch viel ‚virtuelles Wasser‘ (1) ins Meer fließ… - nein, durch Produktionsstätten strömen wird, bis man vom Ende des Anthropozäns (2) oder zumindest seiner negativen Auswirkungen sprechen wird. Ob der Mensch in diesem Zusammenhang als ‚Sekundärkatastrophe‘ (Katastrophe infolge einer Katastrophe) bezeichnet werden kann, ist Ansichtssache …

Um zum Schluss noch von etwas zu schwärmen freut sich der Schwärmer (nicht der hexapodische) über ‚Schwarmkraftwerke‘, relativ kleine Energieerzeugungseinheiten die man mit Hilfe eines Netzwerks zum ‚virtuellen Kraftwerk‘ zusammenschaltet.


1. Virtuelles Wasser ist das Wasser, das für die Rohstoffgewinnung, die Pflege der Produktionsanlagen usw. benötigt wird.
2. Die letzten 200 Jahre sind nach P. Crutzen (Nobelpreis Chemie 1995) das Anthropozän, das vom Menschen bestimmte Erdzeitalter. Durch unsere Aktivitäten, vor allem geologische, verändern wird die Erde grundlegend.

 

„Dass Sie auch alles so wörtlich nehmen müssen.“​
Karl Valentin​

Grüß Dich,

Dion,

nun will ich zu einem Ende unserer Plauderei zum Dual vom 22. 9.2010 unter # 38 und zuletzt hier unter ## 163 – 165 vom 30. 3. bis 2. 4.2012 kommen,

und ein Hallo auch allen Interessierten!

Urplötzlich finde ich den Dual da, wo ich ihn niemals erwartet hätte (obwohl ich um die vielfältigen Interessen des Verfassers weiß), in dem vor einiger Zeit besprochenen Kapital, MEW (Marx-Engels-Werke) Bd. 23 ff. des Dietz-Verlages.

Im Band 19 MEW findet sich eine kleine Arbeit des Wuppertalers Friedrich Engels über die Franken [Fränkische Zeit, MEW Bd. 19, S. 474 ff.]. Hier nun findet sich folgender denkwürdiger, hier – natürlich! – gekürzter Absatz [im Kapitel Der fränkische Dialekt, ebd., S. 494 ff.], in dem es heißt:

„Nehmen wir z. B. den bergischen Dialekt*“, der damals als durchaus sächsisch angesehen wurde. „Er bildet … alle drei Pluralpersonen praesens indicativus gleich, aber fränkisch in der uralten Form nt. Er hat regelmäßig o statt u vor m und n mit folgendem Konsonanten, was … entschieden unsächsisch und spezifisch niederfränkisch ist. Er stimmt in allen oben angeführten ripuarischen** Eigenschaften mit den übrigen ripuarischen Dialekten. Während er unmerklich von Dorf zu Dorf, von Bauernhof zu Bauernhof in die Mundart der Rheinebne übergeht, ist er an der westfälischen Grenze haarscharf vom sächsischen Dialekt geschieden. Vielleicht nirgendwo anders in ganz Deutschland findet sich eine gleich unvermittelt gezogene Sprachgrenze wie hier. Und welcher Abstand in der // Sprache! Der ganze Vokalismus ist wie umgewälzt; dem scharfen niederfränkischen ei steht das breiteste ai unvermittelt gegenüber, wie dem ou das au; von den vielen Diphthongen und Vokalnachschlägen stimmt nicht ein einziger; hier sch wie im übrigen Deutschland, dort s + ch wie in Holland; hier wi hant, dort wi hebbed; hier die pluralisch gebrauchten Dualformen [Hervorhebung durch mich] get und enk, ihr und euch, dort nur ji, i und jü, ü; hier heißt der Sperling gemein-ripuarisch Môsche, dort gemein-westfälisch Lüning. Von andern, der bergischen Mundart spezifisch eignen Besonderheiten gar nicht zu reden, die hier an der Grenze ebenfalls plötzlich verschwinden.“ [ebd., S. 506 f.]

Der Dual existierte nicht nur in den „ausgestorbenen“ ostgermanischen Dialekten, sondern offensichtlich in allen german(ist)ischen Sprachen – bis zur zwoten, der hochdeutschen Lautverschiebung, mit der die oberdeutschen von den niederdeutschen Mundarten zu unterscheiden sind.
Weil gerade erwähnt nehmen wir noch das Altsächsischen (8. bis 12. Jh.) mit den Reihen
„wir beide“ = ik + tho = wit / unkero / unk / unk,
„ihr beide“ = tho + hÐ, hÆ / siu, sia / it, et = git / inker(o) / ink / ink,
hierbei ist der Genitiv inkero eine nicht mit letzter Sicherheit belegte Rekonstruktion.
Am längsten erhält sich der Dual im Altfriesischen (seit dem 9. Jh. belegt, seit dem 11. Jh. schriftliche Zeugnisse, ich nannte schon das Nordfriesische als bedrohte Mundart), das Mitte des 16. Jh. durch das Mittelfriesische abgelöst wird –
sollten Friesen und nicht Baiern und ihre CSU unter all den verwandten Stämmen, Stammesverbünden / --verbänden und Völkerschaften die konservativsten sein?
Hier auch noch, bevor’s langweilt, deren Reihe:
„wir beide“, ich und du = ik + thu = wit / unker / unk / unk,
„ihr beide“, du und er/sie/es = thu + hÆ / hið, hio / hit, het = iit / iunker / ink / ink,
wobei hier alle vier Fälle des Duals rekonstruiert sind.

Tatsächlich ist das Artikelwort / Pronomen und gelegentlich als Adjektiv verwendete „beide“ – das nach Köbler seit 765 im Hochdeutschen (bede) schriftlich belegt ist [Köbler, Gerhard, Chronologisches Wörterbuch des Althochdeutschen, 2006, S. 41] Erbe des Duals. Es tritt anstelle des „alle“ auf, wenn genau zwei Personen (wir / ihr / die zwei) und Sachen, die i. d. R. „paar“weise auftreten, gemeint sind.
Das Neutrum für die Zweiheit „beides“ ist wie „alles“ lt. Bd. 4 der Duden-Grammatik ein Singular. Das Artikelwort / Pronomen und auch als Adjektiv gebrauchte beide ist zusammengesetzt aus dem ursprünglichen, einsilbigen Wort für „beide“ [got.: ba(i), ahd.: be(i)] und dem Demonstrativpronomen, dem späteren bestimmten Artikel.

Gerade hab ich noch ein Erbe des Dual im Adjektiv paarweise aufgeführt, wobei ein paar x immer eine an sich unbestimmte Maßeinheit angibt , die aber im Paar ganz konkret „zwei“ wird. Schon im mhd. bedeutete par „zwei Dinge von gleicher Beschaffenheit“ oder auch anders gewendet „einem anderen gleich“ [zitiert nach Duden Bd. 7, S. 578 f.], womit wir beim nächsten Überbleibsel des Duals sind: dem anderen, das bis ins Altdeutsche hinein sowohl Pronomen wie Zahlwort ist, das erst im 16. Jh. durch die Ordinalzahl der / die / das zweite verdrängt wird.

Das uralte anÞar (got.) schleift sich im Deutschen zwar zu „ander“ ab, zeigte aber noch sein (gramm.) Geschlecht an. Die Formen lauteten bei den Alten in der Reihe m. / f. / n.
Nom.: anderer / anderu / anderaz –
Die Endungen –er / -u / -az sind nix anderes als die angehängten Endungen des gleichbleibenden Artikelstammes d-: der / di / daz. Im Altdeutschen Wortschatz von Peter Paul Schweitzer [Altdeutscher Wortschatz. Ein sprachgeschichtliches Wörterbuch, Hadamar 1998, 2002, S. 24] werden die Formen der Ordnungszahl ander tabellarisch aufgezeigt.

Nach dem Herkunftswörterbuch (Duden Bd. 7) beruht das „Für- und Zahlwort“ ander auf der Komparativbildung entweder des Partikels und Präfixes „an-“ (i. S. von „dort“) „oder aber zu dem unter ^ jener behandelten [indoeuropäischen] Pronominalstamm.“ (ebd. , S. 35, lk. Sp.) Jener nun (hierzu vgl. ebd., S. 372, lk. Sp.) weist nun auf etwas Entferntes und bildet heute noch den Gegensatz zu „dieser“, und ist nach diversen Umlautungen seit dem Gotischen „jains“ selbst noch im Mittelhochdeutschen im [j]ener, das selbst im Jenseits noch der Dual anklingt.
Als Ordnungszahlwort ist ‚ander’ durchs ‚zweite’ verdrängt, ist aber immer noch in Gegenüberstellungen zu „ein deutschlich zu erkennen: in „anderthalb / eineinhalb“ (wenn man so will: die andere Hälfte).

Die letzten neuhochdeutschen Spuren des Duals will ich im folgenden im Sinne Karl Valentins (mit dem ich heute begonnen habe, s. o.) schließen, denn fast jeder kennt die Auffassung der „lustig-philosophischen Abhandlung“ des Karl Valentin über die Fremden – kurzer Hinweis: „Fremd ist der Fremde nur in der Fremde …“ -, dass ich die letzten neuhochdeutschen Spuren des Duals dem Thema angemessen in aller Kürze in der Entfremdung suchen werde von Hegel über Freud zu Valentin, aber auch über Selbst und ich (floritiv) und meine Frage hier vor Ort Bin ich hier richtig, denn wenn ich mich selbst kennte, so werde ich doch zuvor ein anderer gewesen sein, um ein anderer zu werden. Traurig wäre dagegen, wenn ich ein Leben lang der gleiche Kindskopf bliebe oder ebenso, wenn ich nicht mehr über meinen eigenen Schatten springen könnte und mit Kindern Spaß haben könnte. Aber wer kann das schon außer vielleicht ein Schlemihl, der dann eh nicht viel zu springen hätte.
Wenn also einer einen andern kennte, so wäre ihm der andere zunächst fremd, „aber durch das gegenseitige Bekanntwerden sind sich die Beiden nicht mehr fremd“, behauptet Karl Valentin (was gelegentlich leichtfertig dahingesagt erscheint). Wenn aber das Paar in eine fremde Stadt reiste, so wäre das Paar sich jetzt in der fremden Stadt wieder fremd geworden. „Die Beiden sind also – das ist zwar paradox – fremde Bekannte zueinander geworden“, schließen wir mit Valentin.
Nirgends sonst wird der Dual so deutlich als Singularität wie noch im Paar, weder in beiden noch im andern, weder in ein paar noch in allem.

So, jetzt ruf das Maibock!

Gruß

Friedel
---
* Das Bergische Land ist der Teil des Rheinischen Schiefergebirges westlich des Sauerlandes und wird durch Rhein, Ruhr und Sieg begrenzt; benannt ist es nun nicht, weil dort ein paar Hügel sich erheben, sondern weil die Grafen von Berg in Wuppertal ihren Stammsitz haben.

** Ripuarier = „Uferbewohner“ des Mittel- und Niederrheins, zumeist Stämme des fränkischen Stammesverbundes (wie die Brukterer, die durch Bernhard unterm lesenswerten 451 hier unter kg.de genannt werden).

 

2. Die letzten 200 Jahre sind nach P. Crutzen (Nobelpreis Chemie 1995) das Anthropozän, das vom Menschen bestimmte Erdzeitalter. Durch unsere Aktivitäten, vor allem geologische, verändern wird die Erde grundlegend.
So, so, im Anthropozän leben wir also. Wieder so eine Übertreibung von uns Menschen. Dabei machen wir nur, was uns aufgetragen wurde: „Macht euch die Erde untertan.“


„Dass Sie auch alles so wörtlich nehmen müssen.“​
Karl Valentin​
Ich zitiere das von dir Zitierte nicht nur, weil es so schön passt zu dem zuvor Gesagten aus der Genesis, sondern auch, weil ich nichts Richtiges zu erwidern weiß zu deiner Exkursion über den Dual im Deutschen, außer dass du dafür den Germanistennobelpreis verdientest – ich hoffe, es findet sich bald jemand, der das in Angriff nimmt.

Aus dem Germanistenhimmel in die Niederungen der Alltagssprache – gerade erst entdeckt:

„So, schnell noch den Buko packen und dann komm ich rüber".

Buko = Bumskoffer, etwas vornehmer auch Beischlafutensilienkoffer genannt. Früher sagte man dazu schlicht Damenhandtasche. :D

 
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Nun ja,

lieber Dion,

Du schmeichelst mir,

aber ich glaub nicht, dass einer mit meinem Hintergrund je einen noblen Preis bekomme, da wäre die Germanistik nebst Personal sicherlich vor. Aber dass ich mal weniger am häuslichen Herd und Schreibtisch in (Versuchs)Laboratorien wie dem MPI laboriert habe, merkt man vielleicht manchmal.

Aber vielleicht kommt auch der eine und/oder andere von uns auch aus Ironien ...

Schönen Restsonntag vom

Friedel

 

Bedrohtes (bis auf den Herzog, der überlebt allein schon wegen der nicht nachlassenden Reproduktion des Mittelalters in verschiedenen Medien)

Halali - Jagdruf - hat mir ein älterer Herr erzählt vor ein paar Wochen, der mit Begeisterung der Jagd frönte, er war ganz euphorisch - vllt gibt es den Ausdruck auch noch, das müsste jemand beantworten, der näher an der Jagd sich befindet.

Herzog - recht hoher Fürstentitel, ist ja bekannt, ich schreibs noch mal auf, weil mir die Herleitung, gestern gehört, von einem anderen, noch älteren Herrn, so gut gefiel - "der vor dem Treck (dem Zug, der Armee) her zog."

Hintersasse - abhängig beschäftigte Bauern in früherer Zeit - ein Wort, das wahrscheinlich und zu recht aussterben wird. gestern zumindest kannten von fünfzig Leuten cirka das nur zwei

 

Hallo Kubus,

dein 'Hintersasse' hat mich gleich an das

'Afterlehen' erinnert (Ein Lehen wird von jemand ausgestellt, der das Lehen selbst von einem Lehensherrn erhalten hat).

Interessant, ist die 'Drehpunktfunktion' des Wortes 'after' (nach), welches im Englischen noch geläufig ist (After-Noon/Nach-Mittag), bei uns nur noch bei friedhofverdächtigen Wörtern erscheint.

Ein anderes Fossil ist der Begriff 'gift' (engl. Geschenk) - hat sich bei uns noch bei der Mitgift (Aussteuer) erhalten.

 

Hey Woltochinon,

Drehpunktfunktion gefällt mir. Und diese zwei Bindeglieder zum Englischen.
Beim Geschenkt bietet es sich sehr an, den deutschen Begriff 'Gift' mitzudenken. So ein Geschenk kann ja auch vergiftet sein und Zwietracht stiften, wenn der Tochter im Rahmen der von dir genannten Mitgift etwas mitgegeben wurde, worauf insgeheim ein anderes Familienmitglied begehrlich blickte. Ob das etymologisch abgesegnet würde?

Zwietracht - Gegenteil von Eintracht, das wiederum dem platonischen Ideal eines wiedervereinigten Kugelwesens entsprechen dürfte. immer verlockend, diese binären Gegensätze. ist auf jeden Fall bedroht, behaupte ich ...
Und selbst die Eintracht herrscht doch heutzutage fast nur noch in Frankfurt ...

Das Geschenk des Mannes an die Frau wurde Morgengabe genannt. Wiki sagt, das wäre sogar nach traditionellem deutschem Recht. Bisher kannte ich das nur aus orientalischen Kontexten.

 

Hallo Kubus,

da schreibt der Kubus über Kugelwesen ...

interessant ist deine Erwähnung der 'EinTRACHT' - Tracht (das Getragene), also werden bei der 'Zwietracht' zwei Dinge (aus?)-getragen. Dann gibt es noch die Niedertracht und die der Bienen - wie so ein Wort sich windet und wendet, bis es trächtig gewesen, neue Bedeutungen gebiert (sicher von der Morgengabe inspiriert ;)).

Merci!

 
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interessant ist deine Erwähnung der 'EinTRACHT' - Tracht (das Getragene), also werden bei der 'Zwietracht' zwei Dinge (aus?)-getragen.

und für mich diese Bedeutung der Einen[den] Tracht. deine Frage trug mich zu den Gedanken, dass bestimmte Mannschaften äußerlich einträchtig marschieren, verhüllt von der gleichmachenden Uniformität einer Armee, in der die Soldaten in Eintracht gehen, um Zwietracht zu säen. ;)

 

Das ist GUT!

An das 'Einende' habe ich so nicht gedacht, es passt, wie angegossen ...

 

Von Tot-Geredeten
und vom Tod
Frei-Gesprochenen

Es soll diese Wesen geben: Nicht mehr lebendig, aber auch nicht gestorben. Ähnlich geht es manchen Begriffen/Redewendungen – sie sind noch putzmunter, aber die ursprüngliche Bedeutung ist schon tot, weil sie vergessen wurde:

  • Die ‚Presse‘, eigentlich eine Druck ausübende Vorrichtung, findet man im Pressegebäude höchstens noch als Ausstellungsstück, ‚gepresst‘ wird im Druck-Handwerk schon lange nicht mehr, über die ‚Drückeberger‘ wird besser geschwiegen.
  • “Rutsch mir doch den Buckel runter!“ ist ein oft geäußerter Wunsch, doch mit dem ‚Buckel‘ ist ursprünglich nicht der Rücken, sondern der ‚Buckel‘ mittelalterlicher Schilde gemeint.
  • Bevor man in der Arbeitswelt von ‚Burnout‘ sprach, gab es schon die ‚Tretmühle‘. Die wird zwar nicht mehr durch Treten gedreht, aber hat so tiefe Spuren in unserem kollektiven Gedächtnis hinterlassen, dass sie immer noch ein aktueller Begriff ist.
  • So mancher Verurteilte ist schon ‚getürmt‘, obwohl er nicht aus dem Schuldturm entflohen ist.
  • Zumindest hierzulande sind ‚Meiler‘ zur Holzkohleherstellung kaum mehr bekannt, der ‚Atommeiler‘ (átomos, das ‚Unzerschneidbare‘ – gerade dort ein Hohn!) vielleicht bald auch nicht mehr, nur noch seine Abfallprodukte, die nicht ‚verkohlt‘ werden konnten – das wurde schon der Bürger. Sind die Orte der Endlager irgendwann auch vergessen, dann hat man eben
  • ‘Pech gehabt‘, wenn man ungewollt in Kontakt mit dem strahlenden Material kommt – selbst wenn man noch nie in seinem Leben klebriges Pech kennen lernen konnte.
  • Kein Glück hatten in den letzten Jahren viele Anleger bei der Bank. Die Bank der Geldwechsler war aus Holz, heutzutage sind es eher die Köpfe der Geldmanager, die sich nicht von überholten Geschäftsmodellen verabschieden wollen.
  • Kalkuliert haben die genannten Manager vieles, wenn auch oft falsch – deshalb haben sie bei uns keinen ‚Stein mehr im Brett‘, an den, auf dem Rechentisch oder -tuch, keiner mehr denkt, diesen römischen ‚calculus‘ (Rechensteinchen; calx – Ursprung von ‚Kalk‘). Der ‚calculus‘ hat es im Englischen sogar bis in die Oberliga der Rechenkunst gebracht er steht für Integral- und Differentialrechnung (u. a. Anwendungen). Ob das Symbol für die Null, der Kreis (das Oval) wirklich auf den Abdruck der ‚calculi‘ im Sand eines Rechenbretts zurückgeht, verliert sich im Dunkel der Vergangenheit.

Nach so viel Morbidität könnte man direkt eine ‚Memorialkultur‘ der toten Wörter initiieren, da diese bis jetzt doch nur bewunderten Persönlichkeiten galt (z. B. wurde Schiller sehr verehrt, die Memorialkultur brachte auch kleine Tischgrabstätten/Tischgedenkstätten hervor, die auf das Gedenken des/der Toten hinwiesen).
Jetzt möchte ich euch nicht noch mehr (Lese-)Zeit abknöpfen (so wie man früher den stolzen Besitzern ‚Zeit‘ in Form ihrer Taschenuhr stahl, deren Uhrenkette vom Knopfloch entfernt werden musste), sondern die von Sprechenden verstümmelten, von Vergessenden verdrängten Wörter in Ruhe auf der Walstatt (*) der Sprache ehrenvoll liegen lassen, aber die noch lebendigen Begriffe als ‚deuteroennoia‘ (‚Zweitvorstellung‘) ehren, ihnen ein glanzvolles sprachliches Dasein wünschen. Dies wird, im ‚Zeitalter‘ der ‚Sofortness‘, sicher instantanen, spontanen Jubel beim Leser auslösen – sicher auch, weil er damit den Friedhof der Begriffe verlässt.

(*) Wal - Gesamtheit der Toten auf dem Schlachtfeld, der Walstatt.

L. G.,

Woltochinon

 

Sofortness, die schnelle Schwester von Loch Ness, an deren Ufer Touris nicht Jahrzehnte auf das Auftauchen des Monsters warten müssen? oder ein höchst gewagtes Kompositum, das around the Eck kommt? Meinemeinenach ein echter Frankenstein. :-)

Meinemeinenach: spontane Wortneuschöpfung in einer schriftlichen Deutschprüfung, wurde während der Auswertung zur allgemeinen Belustigung von der Lehrerin an die Tafel gekreidet. passt in keine unserer hiesigen Kategorien, soll aber nicht gänzlich verloren gähn.

Tretmühle hat ja auch eine zeitgenössische Entsprechung, die uns das Prinzip vor Augen führt, nämlich das Hamsterrad! dessen Beweger auch gleich zeigt, wie man sich solch einer Aufgabe zu nähern hat. mit hirnloser Hingabe.
wobei der kleine Nager den Vorteil eines zwergigen Hirns besitzt - dem menschlichen Hamsterradbeweger könnte da eine Operation helfen, deren Bezeichnung dem Vergessen anheim zu fallen droht, die Lobotomie.
ein dunkles Wort voll grottiger O's, das an verrückte Wissenschaftler denken lässt und noch verrücktere Experimente. bei der Lobotomie handelt es sich um eine Operation am Gehirn, bei der bestimmte Hirnbereiche zerstört werden. "Walter Freeman schrieb ohne Beschönigung: Die Psychochirurgie erlangt ihre Erfolge dadurch, dass sie die Phantasie zerschmettert, Gefühle abstumpft, abstraktes Denken vernichtet und ein roboterähnliches, kontrollierbares Individuum schafft."

ich habe als besonderen Höhepunkt eine Wendung anzubieten, die mich immer mal wieder beschäftigte, bis ich vor kurzem endlich eine befriedigende Lösung dafür fand. ist in korrektem Gebrauch, aber ich wette, das niemand aus dem Stehgreif erklären kann, warum genommen und nicht gegeben wird, wenn man freundlicher- oder höflicherweise Rücksicht nimmt - Rücksicht nehmen.

 

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Rücksicht nehmen, beinhaltet in seinem Sinngehalt das Vergangene berücksichtigend. Als ethischer Wert des Verzeihens, indem retrospektiv die gesamte Verhaltensweise des Subjekts herangezogen und die Summe dessen bewertet wird. Damit nähert es sich dem Reversibilitätsprinzip, nach dem sich eine Person so zu andern verhalten soll, dass diese sich in ganz ähnlicher Weise können, ohne die soziale Beziehung zu gefährden.

 

Rücksicht nehmen, beinhaltet in seinem Sinngehalt das Vergangene berücksichtigend. Als ethischer Wert des Verzeihens, indem retrospektiv die gesamte Verhaltensweise des Subjekts herangezogen und die Summe dessen bewertet wird. Damit nähert es sich dem Reversibilitätsprinzip, nach dem sich eine Person so zu andern verhalten soll, dass diese sich in ganz ähnlicher Weise können, ohne die soziale Beziehung zu gefährden.
Jep, das klingt wie eine Antwort, die mir auch sofort als erstes einfallen würde, wenn mich jemand auf der Straße nach einer Erklärung dafür fragen würde. Ganz normal aus dem Stegreif halt.

 

Gerade bei den Wanderungen eine Variation übers Klangbild des handicaps gelesen:

handycab ...

 

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