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Geh schlafen Anastasia

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05.09.2019
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Geh schlafen Anastasia

Ich saß am Fenster meines Hotelzimmers mit Blick auf die unendliche Weite des Ozeans, als ich beschloss, nicht mehr zu leben. Anders als die meisten wohl glauben würden, war dies kein bereits lang bestehender Gedanke, dessen Ausführung ich in diesem Moment beschloss oder der sich da auch nur verfestigte. Vielmehr war es wie eine Gewissheit, die einen ganz plötzlich ereilt und doch so erscheint, als wäre sie schon immer da gewesen.

Lautstark hörte ich den Wind pfeifen und den Regen gnadenlos gegen die Scheiben prasseln. Als Kind erklärte ich meinen Eltern einst meine Theorie, dass, anders als es Filme es einem weißzumachen versuchten, die unerfreulichsten Dinge immer bei schönem Wetter passierten. Doch wie immer, wenn ich etwas sagte, dass meine Mutter nicht verstand oder verstehen wollte, antwortete sie nur "Geh schlafen Anastasia."

Die meiste Zeit in meinem bisherigen Leben tat ich das dann auch. Zumindest legte ich mich in mein Bett und fragte mich stillschweigend vor mich hin, ob Laubbäume wohl gesprächiger wären als Tannenbäumen oder ob die Toten genau Buch darüber führten, wer wann und Blumen welchen Wertes ans Grab legte.

Eines Tages, es war ein grauer Tag ähnlich wie der heutige, ging meine Mutter mit mir zu dem Spielplatz unweit unserer Wohnung. Sie hielt meine Hand fest in Ihrer und lief sehr schnell, sodass es mir ein bisschen weh tat, doch sagte ich ihr davon nichts. Irgendwann, sie machte nun etwas langsamer, fragte ich sie, warum es keine Spielplätze für Erwachsene gab. Ich erklärte ihr, dass es dort sicherlich jede Menge Laptops, Zeitungen und Kaffee gab aber auf jeden Fall viele Uhren und klingelnde Telefone. Eine Weile blieb meine Mutter still bis wir an dem Spielplatz ankamen und sie dann erwiderte "Geh spielen Anastasia".

Als ich älter wurde, hörte ich auf, anderen meine Gedanken mitzuteilen. Man sagte mir; aus dir ist ja doch noch was geworden; schön, dass du aus deiner sonderbaren Phase rausgewachsen bist. Ich nickte und lächelte, wie ich gelernt hatte, dass Erwachsene es taten.

Auch wenn ich irgendwann zwar nicht mehr allseits als das komische Mädchen bekannt war, so vermieden es doch die meisten meiner Mitmenschen, mit mir mehr Zeit als wirklich nötig zu verbringen.

Eines Tages besuchte ich meine Mutter, die mittlerweile, in einem betreuten Seniorenwohnheim, mit fortgeschrittener Demenz lebte. Ich brachte ihr Blumen und las ihr aus Jane Austen oder Fitzgerald vor, während sie meist reaktionslos in die Leere starrte. Doch an diesem Tag, da schaute sie mich sehr lange an, beobachtete geradezu wissenschaftlich wie ich mit der Pflegerin redete und die verwelkten Tulpen gegen den neuen Strauß austauschte. Auf einmal sagte sie: " Ich bin müde Anastasia". Ich antwortete: " Geh schlafen Mutter"

Als ich am Morgen der Beerdigung meiner Mutter von den warmen Strahlen der Sonne in meinem Gesicht geweckt wurde, spürte ich zum ersten Mal seit ihrem Tod genauso heiße Tränen meine Wangen herunterlaufen. Der salzige Geschmack erinnerte mich an das Meerwasser, dessen Tosen mich in der Nacht wachgehalten hatte.

Es waren nur der Priester und ich an jenem Tag. Zum Schluss der Predigt sagte er: "Möge sie in Frieden ruhen" "Schlafen?" fragte ich daraufhin. Der Priester schaute mich an, schaute in den Himmel und sagte "Wer weiß das schon"

Als ich zurück im Hotelzimmer war, der Himmel mittlerweile wolkenverhangen im Angesicht des aufziehenden Sturmes, fühlte ich mich ungewöhnlich leicht, als würde nach jahrelangem Stemmen eines schweren Gewichtes, mir die Hälfte dessen abgenommen werden.

Ich rief den Priester an und fragte " Glauben Sie, dass wohlhabende Fische in den Urlaub in die Karibik fahren?" Nach kurzer Bedenkzeit sagte er " Vermutlich bevorzugen sie eher die Malediven". Ich legte auf und wusste, dass heute mein letzter Tag auf Erden war. Just in diesem Moment erhellte ein Blitz die ungestüme Landschaft.

 

Hallo @justforfundontjudge

Ich muss sagen, ich persönlich habe noch nie einen Text gelesen, in dem Selbstmord ein zentrales Thema war. Darum gespannt und erschrocken zugleich, als ich den ersten Satz las:

…als ich beschloss, nicht mehr zu leben.
Obwohl deine Protagonistin diesen Gedanken so niederschwellig rüberbringt, schlägt der ein wie eine Bombe (zumindest bei mir). Ebenfalls zeigst du so gleich, in welche Richtung sich dein Text bewegt und auch, wie sie ausgeht. Das nimmt natürlich eine Menge Spannung weg.

Darum war ich umso gespannt, welche Beweggründe sie zu dieser Tat führte und ich muss sagen… ich konnte leider am Ende des Textes nicht ganz nachvollziehen, warum sie nun wirklich ihr Leben beenden will.
Sie erzählt, wie ihre Mutter sie nie wirklich ernstnahm, und dass sie von ihren ständigen sinnlosen Fragen genervt ist. Dies beschreibst du übrigens sehr bildhaft und mit vielen Details. Ich habe deine kleinen, unschuldigen Kinderfragen gerne gelesen. Sie zeigen auch, in welchem Licht Anastasia ihre Mutter sieht (bsp. die Frage nach dem Spielplatz für Erwachsene).

Aber ich konnte nicht wirklich herauslesen, ob Anastasia, nachdem sie „Erwachsen“ wurde, ihre Mutter nun verabscheut oder nicht.

Auf einmal sagte sie: " Ich bin müde Anastasia". Ich antwortete: " Geh schlafen Mutter"
Das antwortet sie auf die Aussage ihrer alzheimerkranken Mutter. Auf mich wirkt diese Reaktion sehr kalt. Das ist immerhin ein Lichtblick in einer aussichtlosen Situation einer Alzheimerkranken, wenn sie sich an den Namen ihrer Tochter erinnert.
Aber dann:
spürte ich zum ersten Mal seit ihrem Tod genauso heiße Tränen meine Wangen herunterlaufen.
…weint sie doch bei der Beerdigung ihrer Mutter.
Und gleich darauf folgt der vermeintliche Suizid. Aber was bewegte sie dazu?
Der Tod ihrer Mutter? Aber sie verstand Anastasia ihr ganzes Leben nicht.
Dass sie unfrewillig die Maske einer Erwachsenen aufsetzen musste? Warum schreitet sie dann erst jetzt zur Tat?

Auf mich wirkt Anastasia wie eine riesige Blackbox. Aber das ist auch ein schwieriges Thema.
Ich denke, wenn du den Suizid-Aspekt weggelassen hättest, und dich mehr auf das Unverständis von Anastasias Mitmenschen konzentriert hättest, dann würde deine Geschichte eine komplett andere Wikung erhalten und (zumindest für mich) abgeschlossener wirken.
Aber ansonsten gerne gelesen.

Gruess Starrider

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo und willkommen, @justforfundontjudge,

ich finde deine Geschichte nicht uninteressant, aber in meinen Augen wird sie ihrem Motiv, dem Suizid, nicht gerecht, ich finde sie nicht komplex genug. Der Text wirkt stellenweise eher wie eine Zusammenfassung, und die Charaktere sind ziemlich eindimensional: Über Anastasia erfahren wir, dass sie eine Träumerin ist, und über ihre Mutter, dass sie da keinen Sinn für hatte und später dement wurde (was ist eigentlich mit dem Vater?), und dass Anastasia sich da (trotzdem) um ihre Mutter kümmert.
Was jetzt zum Suizid führt, ist mir auch nicht so richtig klar - hat sich Anastasia all die Jahre sozusagen für ihre Mutter zusammengerissen (warum?)? Und als die gestorben ist, hält sie nichts mehr?
Es wäre schön, wenn du die Charaktere durch einige Szenen komplexer und lebendiger gestalten könntest.
Und muss das mit dem Suizid überhaupt sein? Es könnte doch auch eine stillere Geschichte über eine träumerische Frau und ihren (lebenslangen) Konflikt mit ihrer pragmatischeren Mutter sein?

Im Text sind noch einige Fehler, schon im Titel fehlt ein Komma (und auch jeweils bei dieser Satzkonstruktion in der Geschichte).

Viele Grüße
Maeuser

PS: Als tag würde ich eher "Sonstige" setzen.

 

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