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Geld oder Zeit
Geld oder Zeit
Es regnet, aber Lovisa lässt sich nicht beirren und tritt in die Pedalen.
Wäre nicht alles organisiert gewesen, wäre sie vielleicht zu Hause geblieben. Aber jetzt ist das Kindermädchen wie vereinbart gekommen. Zwei Stunden wird es bleiben.
Allein diesen fürchterlichen Weg zum Schwimmbad muss ich schon mitbezahlen, denkt Lovisa ein bisschen verärgert. Teure Zeit! Man kämpft sich durch den Regen und zahlt auch noch drauf!
Der Regen tropft Lovisa von der Kapuze auf die Brille. Sie muss sich darauf konzentrieren, durch den Vorhang von Wasserperlen zu blinzeln. Dann kommt der nächste Gedanke:
Früher wusste ich nichts davon, dass Zeit Geld ist, denkt sie. Ich hatte viel Zeit und wusste nicht wie reich ich war. Ich spielte. Wer spielt, weiß nicht, wie kostbar die Fähigkeit zu spielen ist: Die Fähigkeit, nicht über Zeit nachzudenken; sich mit ganzem Ernst zu versenken ins Spiel. Schade, dass ich das gar nicht mehr richtig kann. Jetzt sind es meine Kinder, die spielen. Und ich muss auf die Zeit achten, besonders wenn die Babysitterin da ist.
Der Regen lässt ein wenig nach. Lovisa hält kurz an und streift die Kapuze ab. Sollte sie nicht schnell ihre Brille putzen? Aber nein, es ist doch wichtiger, im Schwung zu bleiben und anzukommen!
Wenn ich heutzutage alleine schwimmen gehen will, was früher kein Luxus war, bezahle ich für die anderthalb Stunden den Eintritt für Erwachsene UND die Betreuung der Kinder, denkt sie wieder. Es ist wirklich ein teurer Spaß geworden. Muss ich denn unbedingt schwimmen gehen? Nur um einmal in der Woche etwas für mich zu tun?
Der Weg zur Schwimmhalle ist ziemlich lang. Lovisa fährt und fährt und verliert sich weiter in Gedanken.
Bald kommt auch mein Kleiner in den Kindergarten. Dann brauche ich jedenfalls die Babysitterin nicht mehr am Vormittag. Aber...
habe ich dann noch eine Rechtfertigung, die Putzhilfe kommen zu lassen?
Es sind zweieinhalb Stunden in der Woche. Diese Zeit werde ich ja wohl selbst erübrigen können, wenn es soweit ist; damit spare ich Geld.
Aber was ist mir meine Zeit wert und womit will ich sie füllen? Will ich sie denn mit Putzen verbringen?
Und die Gardinen - ich bin kein Typ für die Nähmaschine... Bis ich Gardinen genäht habe, gehen Monate ins Land und meine Nerven liegen blank. Ein Glück, dass ich die Schneiderin kenne, die mir das Nähen abnimmt, sobald ich die Stoffe ausgesucht habe. Auch das kostet Geld. Aber andererseits habe ich dann mehr Zeit für mich!
Eine rote Ampel zwingt Lovisa zum Stoppen, und sie bemerkt, dass sie die vorigen zwei Ampeln gar nicht registriert hat. Man kann nur hoffen, dass die grün waren. Weiter geht´s.
Sind Zeit und Geld denn genau gleich viel wert?, denkt Lovisa. Oh nein, die Zeit ist viel kostbarer. Wenn sie gut genutzt wird.
Ich muss mir klar machen, was ich mit meiner Zeit will. Ich will nicht nähen und nicht putzen, soviel steht fest. Wenn es jemanden gibt, der das gerne für mich tut, dann gebe ich dafür Geld aus. Und woher nehme ich dieses Geld? Ich arbeite - gerne - in einer Klinik und lasse mich dafür bezahlen. Das erscheint sinnvoll: Jeder tut seine Sache gerne und bekommt dafür Geld.
In dem Moment, wo Lovisa klar wird, WARUM sie ihr Haus putzen, die Kinder betreuen und ihre Gardinen nähen lasse, macht es ihr nichts mehr aus, dafür zu bezahlen:
Dafür dass ich selber arbeiten gehe, kann ich mir ein Kindermädchen, eine Putzhilfe und eine Schneiderin leisten. Allerdings bleibt dann kaum Geld übrig. Ich kann froh sein, dass ungefähr Null dabei heraus kommt. -
Noch einmal abbiegen, dann bin ich da. Schade eigentlich, ich bin doch noch mitten im Denken!
Lovisa stellt das Rad ab. Beim Öffnen der schweren Hallentür strömen ihr wie immer sehr warme Luft und der vertraute Chlorgeruch entgegen. In einer Stunde wird Lovisa keine Rückenschmerzen mehr haben. Ist das nicht viel mehr wert als das Eintrittsgeld? Jede Woche dasselbe Phänomen.
Während sie sich umzieht, denkt es in ihr weiter.
Wofür braucht man denn eigentlich Geld? Von irgendwo nimmt man es ein, nach irgendwo gibt man es wieder ab. Es fließt so zwischen den Menschen herum. Ein unangenehmes Fluidum. Warum kann nicht jeder den anderen dienen, indem er das gibt, was er kann und hat, und dafür nehmen darf, was er braucht?
Ich wünschte, man könnte in dieser Welt ohne Geld leben.
Aber dazu sind die Menschen wohl doch zu schlecht. Irgend jemand würde immer alles haben wollen, ohne etwas zu geben. Nur, wenn man es so bedenkt: Ist das MIT Geld anders? Für Gerechtigkeit sorgt Geld jedenfalls nicht. Die einen haben viel, die anderen wenig.
Zeit ist gerechter aufgeteilt, einmal abgesehen von der gesamten Lebenszeit: Jeder hat seine 24 Stunden am Tag. Reich ist, wer sie füllen kann mit Leben!
Lovisa kommt zu dem Schluss, dass das wohl der wesentliche Unterschied ist: Geld kann man nicht mit Leben füllen.
Wer wenig Geld hat, kann trotzdem erfüllt leben. Wer keine Zeit hat, kann keine Erfüllung finden. Lovisa hat jetzt eine ganze kostbare Stunde Zeit.
Endlich springt sie ins Wasser und schwimmt.
Ja, so ist es: Zeit ist nicht Geld.
Ein Glück.