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Gerade noch erwischt...

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16.12.2000
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Gerade noch erwischt...

"Sie müssen mir glauben, ich stehle doch nicht einfach so; es war nur ganz unglaublich dringend, und ich hatte es so eilig, tja, und dann in letzter Minute- ha, wer hätte das gedacht...?" Ich lasse den Satz unvollendet, ehrlich unangenehm berührt von der Erinnerung und denke in aller Intensität an jenen bedeutungsschweren Nachmittag...
Er knöpft den obersten Knopf seines weißen Hemdes zu und erwidert leicht abwesend aber ungemein beruhigend: "Aber das kann doch wirklich jedem mal passieren. Sie haben es ja schon gesagt: das ist doch gar nicht Ihr Stil ansonsten..."
Ich schmunzele. Was für eine Ironie! Er verteidigt mich tatsächlich, wenn auch spöttisch, aber ganz anders als alle. Andere meinen, wenn ein Mann in noch recht jungen Jahren schon schneeweiße Haare hat wie ich, zugegebenermaßen einen eigenwilligen Kleidungsstil hat und einen Schlapphut trägt- dann wundere einen gar nichts mehr- sagen solche.

Dabei stimmt es wirklich, dass ich noch nie ohne Geld dagestanden habe, nur eben dieses eine Mal als ich mit meinem - ebenfalls weißhaarigen- jüngeren Bruder einkaufen war in diesem Riesen-Supermarkt.
Ich war gerade zum Wochenende nach Hause gekommen, immerhin war der Geburtstag meines Vaters, und weil wir ihn ohnehin schon vergessen hatten, wollten wir ihn mit einem kleinen Essen entschädigen- selbstgekocht versteht sich. Die Zutaten fehlten allerdings und so war ein Einkauf fällig...
Als wir also den lukullisch und trotzdem etwas lustlos gefüllten Einkaufskorb in die Wochenend-Schlange an der Kasse schoben, war ich bereits etwas gereizt, gelangweilt und gehetzt zugleich. Als ich gewohnheitsmäßig in die Gesäßtasche griff, fand ich dort wider Erwarten- nichts! Dann erinnerte ich mich, dass ich nach dem Vorzeigen der Fahrkarte im Zug nachmittags das Portemonnaie- ja ich wusste genau in welche Tasche gesteckt hatte, aber eben nicht in die Hosentasche!
Als ich gerade den nicht ganz ernstgemeinten Gedanken wieder verwarf, den Warenkorb-Rambo zu spielen, an der streng blickenden Kassiererin vorbeirasen und die gesamte Auswahl Lebensmittel in unserem Korb auf diese Weise zum Auto kriegen wollte, rettete mich mein Bruder unwissend aus meiner gerade festgestellten eigenen Notlage indem er wie selbstverständlich seinerseits in seine Hosentasche griff, wesentlich fündiger wurde als ich zuvor und sein Geld zu Tage beförderte. Wie lässig er sich dabei vorkam! Sonst hatte er nie Geld...

Die Schlange zog sich zäh. Grässliche Monotonie in jedem Winkel. Widerliche einkaufsgeile konsumsüchtige Masse! Klicken und Piepen der Kasse, das Stimmengewirr und stets das ewig fröhliche Einkaufsradio aus den Lautsprechern ergaben einen ohrenbelastenden Geräuschpegel, stellte ich fest und zog den Hut etwas weiter über die Ohren.
Vor uns trat eine kurzbeinige alte Frau ungeduldig von einem Bein aufs andere, drehte sich mal steif zur Seite, mal strich sie sich mit der Hand am Mantel entlang. Hinter uns kaute ein fettig behaarter Erwachsener penetrant Kaugummi, starrte schon seit einiger Zeit das Zigarettensortiment in immer noch gehöriger Entfernung vor uns an, wann immer ich mich umsah zumindest kratzte er sich an irgendeiner Stelle seines Kopfes und auch wenn ich nicht hinsah, konnte ich ihn - offenbar über die Einkaufsradio-Hinweise - belustigt grunzen hören.

Mein Bruder- stumm wie meistens- ging mit besorgten Blicken die Preisschilder in unserem Einkaufswagen durch, um dann wieder sein Geld in der Hand nachzuzählen.
"Vielleicht, also vielleicht reicht mein Geld gar nicht. Hast Du denn noch...?" wandte er sich schließlich an mich. Als ich verneinte, setzte er wieder an: "Also vielleicht reicht es ja auch, ich bin mir nicht sicher, kann ja nur überschlagen, so ganz grob, jetzt..." er stammelte weiter; ich merkte noch an, wir könnten ja erst einmal abwarten und zur Not immer noch etwas zurücklassen, da zog etwas ganz anderes meine Aufmerksamkeit auf sich...

Geradeaus, schon nicht mehr in der Schlange, vielmehr jenseits der Kasse, hatte mich soeben aus Richtung Lottoladen oder Bäckerei ein durchdringender, aber durchaus fesselnder Blick getroffen, der mein Interesse weckte... Aber von wem war dieser Blick ausgegangen? Warum hatte ich bloß eine knappe halbe Sekunde hinübergeschaut? verfluchte ich mich selbst...
Ich ging die Wartenden durch, die mir gerade nicht den Rücken zudrehten: Nein, der alte Herr war nicht im Geringsten fesselnd oder ansprechend, die Frau mit der Hasenscharte suchte etwas in ihrer Handtasche und schien schon länger nicht aufgeblickt zu haben, und der kleine Junge streckte lediglich jedem die Zunge heraus. Ich entdeckte noch eine blaustrümpfige Familienmutter mit Dauerwelle, die suchend blickte und wie kurzsichtig mit zusammengekniffenen Augen etwa in Beinhöhe herübersah, so dass unschwer zu erraten war, dass sie eines ihrer Kinder suchte, dann waren da die beiden pubertierenden Mädchen, die eine Zeitschrift hochhielten. Sie schienen den Kassierer der Nebenkasse mit jemandem aus der Zeitschrift zu vergleichen, dann sah ich noch... aber hueppaa! Ich stockte.... Ja wenn doch die Blicke nur von dieser jungen Frau gekommen wären, wünschte ich mir, deren Wagen halb verdeckt war vom Zeitschriftenständer des Lottoladens.
In ihrem Gesicht fielen vor allem die riesengroßen Augen auf, die sie gerade niederschlug. Wieso schaute sie nur nicht mehr hierher? Ich ärgerte mich, dass ich selbst nur so unglaublich kurz hingeschaut hatte, so dass ich mir noch nicht einmal mehr sicher sein konnte, aus welcher Richtung dieser markerschütternde Blick gekommen war, der etwas Leben in den eintönigen Einkauf gebracht hatte.
Was für ein Mist! Zur Strafe schnauzte ich meinen unschuldigen immer noch stammelnden Bruder an, er solle die Klappe halten, wir würden das schon regeln...
Pah, das schon regeln! Dabei hoffte ich bereits, ich könnte eine ganz andere Sache regeln!
Ich ertappte mich plötzlich dabei, wie ich - offenbar nicht mehr ganz bei Trost- geradezu ohrenbetäubend laut die Werbemelodie des Einkaufsradios mitpfiff, scheinbar fröhlich und völlig unbeteiligt den Blick über die Körnerbrote im Regal der entfernten Bäckerei hinüber zu den Zeitschriften des Tabak-Lotto-Ladens schweifen ließ, das schwarze T-Shirt mit dem entzückenden Mädchen darin natürlich dabei nicht aus den Augen verlierend. Die Schlange rückte auf. Ich jubilierte, pfiff nach besten Kräften, entdeckte auf diese Weise meine unnatürliche Begabung zu ungeahnter Lautstärke und schriller Melodie, die meinen Bruder regelrecht zusammenzucken ließ, und ich bemerkte, dass das Werbelied längst für eine Mitteilung unterbrochen war und ich dementsprechend lärmbelästigend und alleine aufdringlich meine nächste Umgebung beschallte. Sie musste es doch hören.

Die alte Dame vor uns drehte sich halb belustigt, halb belästigt um und fragte teilnahmsvoll: "Wohl besonders gut gelaunt, wie? Sie sind bestimmt verliebt?!" Irritiert brach ich die Melodie ab und bemerkte erst zu spät, dass meine Lippen zum Pfeifen geschürzt blieben und mein Blick sich von unbeteiligt zu äußerst dämlich geändert haben musste, denn im selben Moment, als ich der Frau vor mir betont lässig antworten wollte, spürte ich erneut den heißersehnten Blick von jenseits der Kasse! Zu spät!!! Ich hatte wieder weggeguckt! Das konnte doch nicht wahr sein!! Das durchdringende Gefühl blieb.

Ich genoss den Augenblick wie ekstasisch, völlig elektrisiert, abgedreht. Das Gefühl überwog sogar meinen Ärger nicht hingeschaut zu haben...
Ich fühlte mich unbeschreiblich beschwingt und zwitscherte, passend zu meinem gespitzten Vogelmündchen: "Oh ja, ganz frisch verliieebt!" und seufzte theatralisch, fast weibisch.
Zum ersten Mal nach Minuten wie es mir schien nahm ich meinen Bruder wieder wahr, der verdutzt im sinnlosen Waren-Sortieren im Wagen innehielt und wenig einfühlend, einfach tumb fragte:" DU bist verliebt?"
Ich spielte den Triumph aus und machte mich schnell entschlossen glaubwürdig: "Ja, soll ich SIE Dir gleich mal vorstellen?" Jetzt war es ja auch egal, ob der Blick von der reizenden Frau kam oder nicht, ich benutzte sie dann einfach, das würde ich schon hinkriegen...
Und der nächste Blick? Wann würde der kommen?

Die Schlange verkürzte sich erneut und die Anzahl der Einkaufenden vor uns schien in einem unpassend und irrsinnig soldatisch wirkenden Gleichschritt aufzurücken. Ich kicherte in unverständlicher Euphorie.
Übermütig stellte ich fest, dass meine kurzerhand Auserwählte mich tatsächlich bewusst wahrgenommen zu haben schien und eigentlich überflüssige Handgriffe an sich selbst tätigte, dann unentschlossen eine Zeitschrift vom Ständer nahm, ohne Verständnis oder Aufmerksamkeit darin blätterte und wieder scheu kurz aufblickte, um im nächsten Moment- und stets mir zugewandt- mit einer die- Haare- zurückwerfenden Handbewegung in meine Richtung kokettierte.
Das Piepen der Kasse erschien mir fast freundlich, mein Bruder war eine Witzfigur, ebenso wie die vor uns trippelnde alte Dame. Die sämtlichen treu zusammen einkaufenden Familien, die Blaustrümpfige, die ihr Kind gefunden hatte und die Kassiererin und das Bewusstsein des Kaugummimonsters in meinem Nacken gaben mir Aufschwung.
Als ich wieder pfiff und mein Bruder fleißig weitersortierte waren wir schon in der Position der als Nächstes zu Kassierenden.
Ein Blick von ihr in die Regenbogen-Journalisten-Blätter- ohne echtes Interesse. Sie tat es ja nur wegen mir, um Zeit zu schinden.

Ich zog mir den Hut zurecht, zupfte am Ohrläppchen, pfiff und versank in herrlich dumpfem Träumen.
Wir waren an der Reihe! Endlich! "Wesser" las ich auf dem Namensschild der Kassiererin. Streng und unbarmherzig wartete sie gezwungenermaßen geduldig bis mein armer Bruder die Artikel aufs Fließband legte und tippte mit ihren fiesen unechten Fingernägeln an ihren Spinnenfingern klackernd und abwartend auf das blanke Metall an der Kasse.
Was kümmerte es mich! zuckte ich wie zur Beruhigung die Schultern. Der Blick wanderte wieder zu den Zeitschriften. Geliebtes schwarzes T-Shirt! HIER bin ich!
Was für ein entspannender Gegensatz zu der grausamen Wesser-Kasse!
Doch da! Panik! Was tat sie denn? Sie wollte doch nicht etwa... ! Sie machte Anstalten zum Aufbruch!!! Über das schwarze T-Shirt wurde ein weißer Pullover gezogen.
Hektik packte mich!
Noch einmal ein Griff an meinen Hut, ans Ohrläppchen, ein Pfeifen, das sie vom Gehen abhalten sollte. Mein Bruder zuckte wieder zusammen und hielt einen kleinen Moment länger den Salatkopf in der Hand, bevor er ihn aufs Fließband legte. Los, Kaius, kleiner Bruder, nicht innehalten! Weiter geht's! Ich fühlte mich, als sei der Salatkopf mein eigener! Er kugelte auf dem schwarzen Gummi, drehte sich, bevor ihn die Krallen der Kassiererin zu fassen bekamen. Los Wesser! Tipp ein, was das Zeug hält! Da stapfte mir ausgerechnet unsere kurzbeinige Vorgängerin durch die freie Sicht, blieb bei den Zeitschriften stehen, versperrte dem weißen Pullover den Weg. Gut so! Weiter so!

"Piius!" Mein Name stach mir wie eine Nadel ins Ohr, verwirrte mich, mein Bruder zog mir am Arm, drängte sich mir in mein entrücktes Bewusstsein. "Uns fehlen neun Mark! Was sortieren wir denn jetzt bloß aus?" Ich begriff langsam, griff willkürlich in unseren Einkauf, packte bei einem flachen Paket eingeschweißter tiefgekühlter zwei Fische zu, sah, dass der Preis etwas mehr als zehn Mark betrug und hielt es meinem Bruder ungehalten unter die Nase, sah, wie sich der weiße Pullover seinen Weg in Richtung Ausgang bahnte, mit gedehnten Schritten, wie in Zeitlupe. Panik!
"Ich, ich bringe es weg!" bot ich geistesabwesend und immer noch mit dem Paket Fische in der Hand an, setzte mich natürlich in die falsche Richtung in Bewegung, angezogen von der unbekannten Schönen wie von einem Magneten, und - wurde scharf zurückgerissen von Frau Wessers widerlich lackierter Hand. Der Griff wurde fest, die Angebetete kleiner.

Was hatte ich mir denn jetzt eingebrockt? Ich musste zurück in den Laden, in das mich schluckende grellbeleuchtete Riesenmeer, vorbei am Kaugummimonster - mit entsetzlicher Verlustangst. Bis zum Kühlregal dauerte es noch mindestens eine Minute, dumme Riesenhalle.
Ich wollte doch Fisch-Gratin machen...Was interessierte es so ein so großes Warengefängnis, ob ein kleines Produkt unbezahlt blieb? durchzuckte es mich plötzlich kurz nacheinander. Ich könnte es außerdem - und das war viel wichtiger- noch bis auf den Parkplatz schaffen, die Verfolgung aufnehmen.

Ich war gerade zwischen zwei Regalen bis zur Decke voll mit Barbies, als ich mich unbeobachtet und abgeschirmt von den Superpuppen wähnte.
Eine hastige Bewegung und der alberne Tiefkühl-Fisch war unter meinem Hut verschwunden. Sofern ich es fühlte, schmiegte sich der Fisch sogar leicht auftauend an meine Kopfform an, und gab mir das Gefühl einen Eisentopf aufgesetzt zu haben. Doch ich schlug mich tapfer und fegte geradezu zurück zur Kasse Wesser, zeigte wie zum Beweis meine leeren Hände, spürte hart und kalt den dämlichen Fisch wie auch den vermeintlich brandgefährlichen strafenden Blick der Wesser- Kassiererin und drückte mich, gequält lächelnd, an meinem Bruder vorbei in Richtung Ausgangs-Schiebetür, stürmte darauf zu, konnte außen durch die Glasscheibe das Objekt meines nächsten ideellen Diebstahls in mein Sichtfeld rücken sehen, wollte ich ihr doch Sympathie für mich abgewinnen. Ich bemerkte wie mein Hut nass vom Tauwasser, mein Kopf taub und verwirrt wurde und mir aus dem Hut über die Schläfe ein kleiner Rinnsal getautes Eis lief.
Ich dachte lahm darüber nach, mich und den Fisch zu befreien, aber jetzt so kurz vor dem Ziel... ausgeschlossen!

Ich nahm mich selbst plötzlich wahr, als wenn ich beide Arme ausstrecken müsste, um noch einen Zipfel meines entschwindenden Bewusstseins fassen zu können- ein ganz intensives Gefühl. Als ich ihren Arm dann von hinten greifen wollte, noch rechtzeitig, bevor sie in der Menge unmittelbar vor dem Supermarkt verschwinden konnte, da überwältigte mich diese Intensität, wahrscheinlich aber doch eher die wörtlich umhauende Wirkung des Gefrorenen auf meinem Kopf. Ich schloss die Augen, tauchte mit einem Strecksprung und scheinbar letzter Kraft in die brandenden Fluten, spürte die nassen Wellen bohrend an meinem Magen, ruderte mit den Armen, bemerkte, dass das Wasser nur das Tauwasser auf meinem Kopf war, mich gar nicht so überfluten konnte, wie meine Vorstellung es mir vorgaukelte und spürte dennoch ganz klar einen Strudel vor meinen Augen, der mich nach unten zog. Ich wollte ihn zerschlagen und schlug hart daneben.

Ich war wohl ohnmächtig geworden, denn als ich die Augen wieder öffnete, sah ich mich umzingelt und im wahrsten Sinne des Wortes unterlegen, hatte ich doch eine ganz andere Perspektive bekommen und schaute vom Boden auf. Ich nahm direkt vor mir einen Mann mit großen Nasenlöchern wahr und erkannte ihn zu meinem Schreck als das Kaugummimonster. Angeekelt drehte ich den Kopf zur Seite und als ich benommen vor mich hin starrte, war ich mit den silbrig glänzenden Fischschuppen auf einer Höhe.
Betäubt blickte ich wieder auf. Da fiel mir auch mein Dilemma wieder ein und kaum eine Millisekunde danach- da!
Der Blick! Sollte sie geblieben sein? Direkt vor mir stand sie, eingerahmt von Kaius und dem Kaugummimonster. Sie war geblieben. Für mich? Wegen mir?
Die Augen. Das schwarze T-Shirt mit weißem Pullover darüber. Dumpfe Ruhe. Weißes Rauschen. Mein Bruder tastete an mir herum, wie tausend andere Hände außerdem. Man versuchte mich aufzurichten.
Der Blick hatte nicht zu ihr gehört. Sie hatte ein kleines Mädchen auf dem Arm. Sie hielt die Hand des Kaugummimonsters. Waaas? Ich hob willenlos den Kopf an und ließ mich hochdrücken zum Sitz. Tatsächlich, im Einkaufswagen schräg hinter ihnen, der zuvor für mich verdeckt gewesen war oder den ich zumindest nicht hatte wahrnehmen wollen, stand ein leerer Babysitz. Ich betrachtete ausdruckslos das kleine Mädchen: Diese Augen! Der Blick. Ich bekam eine Gänsehaut, vielleicht wegen der Fischschuppen, aufgrund der Nasenlöcher oder der Kälte an meinen Schläfen, aber mir fuhr noch einmal ein Schauer über den Rücken als ich wieder hinsah! Kein Zweifel! Dieser starke Blick kam aus diesem kleinen unschuldigen halben Baby. Ich musste also doch in irgendeiner Weise freie Sicht auf den Wagen gehabt haben.
Der Blick prallte wieder und wieder gegen meine Stirn, wahrscheinlich gegen die Schläfen, denn von dort aus übermannte mich erneut der Taumel. Aus. Unsterbliche Scham! Pein!
Irgendjemand pfiff in einiger Entfernung die Werbemelodie des Einkaufsradios. Ich spürte noch eine kleine Energiereserve, schlug um mich und traf meinen Bruder und die Wesser, die überrumpelt über mir zusammenprallten und auf mich fielen.
Ich stinke nach Fisch, nach dummem dumpfstrahlendem Silber- Fisch. Wozu braucht man einen Schlapphut?

"Sie müssen mir glauben! Dass sie es nicht wahr, die mich so angeschaut hat, hätte ich auf jeden Fall erst zu spät gemerkt, wenn ich ihr schon alles gestanden hätte, und dann wäre es doch erst losgegangen- dann hätte ich das Kaugummimonster am Hals gehabt, und alles.... Hohoho, gar nicht auszudenken! Da hat mich doch in letzter Minute wirklich genau zum richtigen Zeitpunkt die Natur überrascht und ungewollt gerettet. Aber es war trotzdem ein Glück, so in der letzten Minute, Sie verstehen?! Aber ich bin doch trotzdem ganz normal! Völlig normal. Es war nur eine unglückliche Aneinanderreihung... na, wie sagt man doch gleich?! Mir ist das noch nie passiert, ich bin doch sonst normal, das müssen Sie doch merken!" sage ich fast flehend zum Pfleger, der wieder so sinnlos an seinem Knopf herumnestelt.
Sein Tonfall kommt mir jetzt doch zu trocken und ironisch, gar nicht mehr so verständig wie vorhin noch, vor. "Das sagen sie hier alle! Aber das mit dem letzte-Minute-Gerede verstehe ich! Heute ist mein letzter Arbeitstag, bevor ich last minute in Urlaub fliege" entgegnet er viel zu gelassen und leert indes die Bettpfanne."

 

Puh, ich habe richtig mitgefiebert, um die "Augen" doch noch zu entdecken. Witzige Story, aber gnadenlos lang. :D

Einfaches Thema, aber mit Millionen von kleinen Details ausstaffiert. Ja, gefiel mir. :)

 

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