Geschichtsunterricht
Unsere beiden Geschichtskurse wurden mal wieder zusammengelegt. Wieso auch immer. Nachdem Chrissi endlich fertig war sich über diese Tatsache aufzuregen, begonnen wir den richtigen Raum zu suchen. Wir verkrochen uns auf letzten freien Stühle, zu unserem Glück ganz hinten an der Wand, dort konnten wir ungestört Briefe schreiben und die noch unfertig Englischhausaufgaben zu Ende abschreiben. Iris hatte bereits mit ihrem Vortrag über Napoleon begonnen, als Chrissi mich nach der letzten Folge unserer Lieblingsserie fragte. Die hatte sie nämlich verpasst, weil ihr Hund sich ungeschickterweise einen Splitter eingetreten hatte und sie es nicht geschafft hatte, diesen allein heraus zu ziehen. Ich erzählte ihr die Handlung und witzigen Sprüche flüsternd im Schnelldurchlauf. Manchmal gluckste sie, hielt sich jedoch gleich darauf die Hand vor den Mund, damit niemand mitbekam, dass wir nicht dem unglaublich langweiligen Vortrag lauschten. Nach einer halben Stunde waren wir mit den Englischaufgaben fertig und ließen sie elegant in unseren Tasche verschwinden. Langsam wurde ich müde, der Schriftwechsel mit Chrissi scheiterte an der Tatsache, dass der Lehrer öfters zu uns hinüber sah. Zu allem Überfluss war dies eine Doppelstunde und so gut ich den Lehrer des Kurses kannte, würde er uns allen keine Pause gönnen, bei einem Vortrag seiner Lieblingsschülerin. Also versuchte ich dem Geschehen des Vortrages zu folgen. Gleich nach diesem Entschluss landete ein Zettel von Chrissi vor meiner Nase und ich überflog ihn. Fröhlich bunt war eine Nachricht mit den noch folgenden quälenden Minuten und der Notiz, dass es nicht mehr lang bis zum Wochenende war darauf gekritzelt. Ich zog meinen Block erneut aus der Tasche und krallte mir Chrissi Federtasche, mit den schön leuchtenden Farben. Iris erzählte vorn gerade über Napoleons außerordentlichem Talent Schlachten für sich zu entscheiden. Ich ließ meinen Blick durch die Klasse gleiten. Alle sahen übermüdet aus, der Vortrag schlauchte sie total. Als mein Blick auf Herrn Boldock fiel, trafen unsere Blick sich. Ich richtete meinen Blick schnell wieder zu Iris und tat, als folge ich ihrem Vortrag interessiert. Wieder stocherte ich in der Federtasche herum, noch unschlüssig, auf welche Farben meine Wahl fiel. Blau und Orange, eine schöne Mischung, fand ich, legte die Stifte auf den Tisch und stellte die Federtasche auf meine Oberschenkel. “Und mit einem Überraschungsangriff stürmte er das Schloss” Genau in der Sekunde, als diese Worte von Iris Mund verließen, glitt die komplette Federtasche von meinen Oberschenkeln und ergoss sich mit einem lauten Knall über dem Teppich. Alle Augen starrten mich an, manche geschockt, weil ich sie aus ihren Tagträumen gerissen hatte, andere schmunzelnd. Meine Lippen formten ein “Entschuldigung” in Iris’ und Herrn Boldock s Richtung. Er grinste: “Mal wieder tolle Soundeffekte in der richtigen Minute, Madame. Das ist ein großes Talent”, ich merkte, wie meine Gesichtsfarbe auf rot umschlug, rutschte leise vom Stuhl und sammelte die weit verbreiteten Stifte wieder ein, um sie zurück in die Federtasche zu stecken. Diese stellte ich auf Chrissis Tisch, von der ich einen belustigten Blick bekam und schlüpfte dann wieder zurück an meinen Platz.
Der Rest der Stunde verflog wie im Flug. Ich saß mucksmäuschenstill auf meinem Stuhl ohne mich zu bewegen und lauschte, nun total interessiert, Iris' Vortrag.