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Geschmolzene Eiswürfel
Ich hatte Levon geschworen, es sei kein Problem, meine Ex-Freundin zu daten. Ich wusste selbst, dass es Müll war. Und es zerriss mich, als ich ihn und Anne traf; mein Hals brannte; mein Herz pumpte.
»Lange nicht gesehen. Setzt euch doch zu uns«, meinte er und klopfte mir auf die Schulter.
»Ich glaube, wir warten bis der nächste Tisch frei ...«
»Schatz, ich hab Hunger«, unterbrach Clara und stupste mich an den Arm.
»Komm schon. Außerdem musst du mir noch deine neue Freundin vorstellen.«
Das Restaurant war prall gefüllt. Die Hummer hatten mehr Platz, sich freier in diesem kleinen Gefäß zu bewegen. Es ähnelte mehr einem Planschbecken - kaum einem angemessenen Aquarium. Einige Gäste standen gequetscht am Eingang, drängelten. Und inmitten des Chaos – während sich Kellnerinnen und Kellner stoßend und fast fallend durch die Meute bewegten - standen die beiden. Das erste Mal als ich ihr begegnete, hatte sie diesen Far-away-look in ihren Augen und der Himmel schien mit seinen Augen auf sie herab und der gesamte Raum füllte sich mit Licht. Jetzt hatte sie nur noch diesen Ich-hasse-dich Blick drauf. Sie fand es mindestens genauso unpassend, dass Levon uns einen Platz an ihrem Tisch anbot.
»Ach ja. Clara, das sind Anne und Levon. Anne, Levon; Clara.«
»Hey Clara, freut mich«, sagte Anne mit unangenehm musternder Miene. Levon hatte schon Claras Hand geschüttelt und machte sich gerade daran, eine Kellnerin zu stoppen, die sich durch eine Reihe junger Damen bahnte.
»Wir bekommen doch bestimmt einen größeren Tisch, oder?« Er sagte es so affektiert, machte indirekt auf seine reichen Eltern aufmerksam, und deren Verbindung zur gehobenen Gesellschaft.
Gehetzt blieb sie mit einem Stapel Gläser in der Hand stehen und fragte, für wie viele Personen denn reserviert sei. »Ursprünglich zwei« - »Auf wen?« - »Levon Schmidt.«
»Wie wäre es mit dem Tisch dort hinten?« Sie zeigte auf einen freien Tisch am Fenster.
»Ja, der ist gut.«
Levon war für lange Zeit einer meiner besten Freunde gewesen. Das änderte sich, als er sich mehr auf seine Karriere als Jurist konzentrierte, als auf unsere Freundschaft. Er hatte kaum noch Zeit vor die Tür zu gehen. Beschäftigte sich mit Paragraphen und Lexika, traf Anne auf dem Campus und verliebte sich direkt in sie. Er verheimlichte mir es für einige Wochen. Eines Abends stand er dann vor meiner Tür und ich wusste Bescheid, dass sie sich ihm hingegeben hatte. Vielleicht aus Rache oder Liebe, oder Lust und Einsamkeit, er war ihr erlegen.
»Kein Problem«, hatte ich gesagt. »Ich will nur, dass sie wieder glücklich wird.«
»Ich hätte es dir viel früher sagen sollen.«
Nein Levon. Du hättest sie einfach wo anders hin ausführen sollen. Warum ging ich überhaupt in solche beschissenen Restaurants ...
»Also, kommt mit. Und setzt euch.« Wir bahnten uns einen Weg durch die vielen Gesichter. Die Gäste, die noch weit von einem Platz entfernt waren, leckten sich die Mäuler wie hungrige Wölfe. »Nicht lange«, dachte ich, »und diese Biester nehmen den Laden auseinander, schmeißen das Hummerbecken um und lassen das Restaurant in Hannibal Lecter ähnlichem Zustand zurück.«
»Wie habt ihr beiden euch überhaupt kennen gelernt?«
Oh, wie ich es wusste, wie ich wusste, dass diese Frage als erste von ihm gestellt werden würde.
»Darf ich Ihnen schon etwas zu trinken bringen?« Puh.
»Ja, auf jeden Fall. Glenlivet. Mit Eis.« Um den Abend überstehen zu können, brauchte ich etwas mehr, als eine Apfelschorle und stilles Wasser.
»Du trinkst noch genauso wie früher.«
»Einer muss es ja tun.«
»Ihr entschuldigt mich«, sagte Levon und marschierte Richtung Toilette. Wie gerne würde ich auch aufstehen und vor die Tür gehen und eine rauchen, dieser peinlichen Stille aus dem Weg gehen. War das überhaupt legal? Diese Kombination? Das Gefühl, erdrückt zu werden. Vielleicht sollte ich reinen Tisch machen. Clara fallen lassen, Levon die Meinung sagen und Anne zurückerobern. Ich dachte, die beiden nie wieder sehen zu müssen. Nicht in so einer Situation. Möglicherweise flüchtig, auf der Straße, damit kann man rechnen; ein kurzes Hallo; weiterlaufen. Jetzt musste ich hier durch.
»Wie war euer Urlaub?« Irgendetwas musste ich doch sagen, nach all dem was passiert war. Anne blickte mich kurz an und sagte »schön.« Dann trank sie einen Schluck Wasser und starrte aus dem Fenster. »Wo wart ihr denn«, wollte Clara wissen. Die Antwort kam nur halb und mit Verspätung. »In …« »Ägypten«, antwortete Levon, der gerade zurückkam. Er setzte sich und die Getränke wurden von einer in Arbeit vertieften und von Hilfslosigkeit gefangenen Kellnerin, an den Tisch gebracht. »Ich bringe Ihnen die Karte sofort, es tut mir leid, Sie sehen ja selbst, hier ist die Hölle los.«
»Hey, würden sie mir direkt noch einen bringen? Einen Doppelten.«
»Natürlich.«
Ich trank in einem Schluck aus und stellte das Glas nachdenklich auf ihr Tablett und schmunzelte kurz. Das mit der Hölle gefiel mir. So fühlte es sich auch an. Nicht ganz so warm, die Fenster standen einen Spalt geöffnet, sodass ein wenig Luft in den mit Schweiß gefüllten Raum drang, aber warm genug, und das Prinzip Hölle, stellte ich mir ungefähr so vor.
»Was machst du beruflich, Clara?«
»Sie ist Studentin«, sagte ich trocken.
»Was studierst du denn?«
»Psychologie«, meinte sie lächelnd.
»Wow, wirklich?«
»Levon, ...« Ich pausierte kurz, während die Kellnerin die Karte und meinen Whisky brachte, »was war eigentlich der Anlass, ich dachte du bist weggezogen?«
»Ich hab meinen ersten Fall gewonnen. Es war wirklich aufregend. Anne, alles klar? Du bist so still.«
»Ja, ich bin nur etwas nachdenklich heute.«
Ich trank weiter. Natürlich war sie nachdenklich. Sie war immer nachdenklich. Das war das Besondere an ihr. Sie hatte diese Eigenschaft, diese Fähigkeit, alle Menschen, ohne Worte, auf sich zu fokussieren; in ihren Bann zu ziehen und nie mehr los zu lassen.
»Ich wollte eigentlich bis nach dem Essen damit warten«, meinte Levon. »Aber es frisst mich auf. Und jetzt, da mein bester Freund hier ist ...« Levon fummelte energisch in seiner Anzugstasche herum. Was kam jetzt?
Er stand auf und ging auf Anne zu, kniete vor ihr nieder und einige Gäste beobachteten das Geschehen ebenfalls.
Ich wusste, was kam. Ich konnte es nur nicht realisieren, ich wollte es nicht realisieren.
»Anne, ich liebe dich, Seit dem ersten Moment; dem ersten Tag; der ersten Minute; dem ersten Blick. Oh, ich kann mich noch genau an deinen Blick erinnern; deine braunen Augen; das weiße Sommerkleid; die braunen Haare, die im Wind tanzten. »Anne, willst du ...« Jetzt realisierte auch sie, was passierte und ihr Blick schweifte langsam ab von der schwarzen Schatulle und traf meinen. Ich blickte ihr in die Augen. Levon öffnete das Kästchen. » ... meine Frau werden?«
Hatte er gerade wirklich? Ihr einen Antrag gemacht?
Levon, Clara, und die Gäste starrten alle gespannt auf Anne. Anne starrte zurück auf das Kästchen. Ich starrte auf ihre Lippen und ihre Augen. Der Raum schimmerte und reflektierte sich in ihren großen Pupillen. Sogar die Hummer - so fühlte es sich an - penetrierten die Innenscheibe des Aquariums. Alle schienen auf ein Ja zu hoffen. Ich nicht. Sie durfte nicht ja sagen, nicht jetzt, nicht heute, am besten nie. Best Case Scenario, sie stünde auf und ...
»Ja. Ja, ich will.« Die Leute applaudierten. Worst Case Scenario. Fehlte nur noch die Frage, ob ich ...
»John, du wirst mein Trauzeuge«, unterbrach er meinen Gedankengang.
»Nein«, sagte ich und zum ersten Mal fühlte ich mich wieder stark. Clara blickte mich erschrocken an. Ihre Augen schimmerten nicht wie die von Anne.
»Was meinst du mit nein?«
»Einfach nein. Das ist doch Bullshit. Ich kann nicht ...« Ich stand auf. »... Nein! Von mir bekommst du jeden Falls kein Ja als Antwort.« Die Nebentische begannen zu glotzen. Ich trank einen Schluck.
»Ich dachte, du freust dich für uns.«
»Fick dich Levon. Ich hätte dir schon damals die Fresse polieren sollen, für das was du getan hast. Fahr zur Hölle!«
»Du bist doch damals mit ihrer Freundin für zwei Wochen nach Berlin durchgebrannt.«
»Weil ich nicht wusste, wie ich sie halten sollte. Ich hatte Schiss! Und ihr habt gefickt!«
Das gesamte Restaurant starrte mich an. Levon war entsetzt, Clara kannte jetzt die Wahrheit. Es war nicht schlimm. Ich fühlte mich erleichtert. Der gegenüberliegende Tisch - zwei ältere Damen und drei Herren – amüsierten sich, vergaßen ihr Essen, warteten gespannt, was als Nächstes passieren würde. Anne stand auf und griff nach ihrer Tasche.
»Ist das dein letztes Wort«, fragte Levon, der ebenfalls aufsprang, um ihr nach zu hechten.
»Verdammte Scheiße, ja! Nein! Anne, warte! Ich will dich zurück! Clara, es tut mir leid.« Auch sie war bereits dabei, sich ihre Jacke zu schnappen und zu gehen. Ich fiel zurück auf meinen Stuhl.
»Was glotzt ihr so? Der Tisch wird gleich frei, keine Panik«, schrie ich die stehenden Gäste an, die das Spektakel vom Eingang aus beobachteten und trank den letzten großen Rest aus dem Glas, donnerte es auf den Tisch. Geschmolzene Eiswürfel.