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Gesellschaftsspiel

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15.02.2009
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Gesellschaftsspiel

Die Tür geht auf. Frank steht da. Süßes Lächeln, Sixpack, und nur ein Hauch von Tanga - die pure Verheißung. Mir ist heiß, und das kommt nicht nur vom Rotwein.

Sechs Frauen um einen Küchentisch. Wir haben gekocht, dann gegessen und dabei die ganze Zeit gealbert. Jetzt liegt in der Mitte ein Mensch-ärgere-dich-nicht-Spiel. Doch dafür hat im Moment keine mehr einen Blick übrig. Alle schauen wie gebannt zur Küchentür. Da läuft das eigentliche Spiel des heutigen Abends. Mit Frank. Und mit Frauke, die in seinem Arm lehnt.

„Du bist dran, Petra“. Nicole ist offensichtlich die einzige, die sich noch für das Brettspiel interessiert.
„Nein, ich bin die Letzte.“ Ich halte ihr den Zettel hin, den ich am Anfang des Abends gezogen habe.
„Nein hier.“ Sie zeigt auf das Spielfeld und schiebt mir die Würfel zu.
Ohne den Blick von der Tür zu wenden, lasse ich die Würfel auf den Tisch rollen.
Nicole wird ungeduldig: „Du kannst Vicky schlagen!“

Das interessiert mich im Moment nicht. Ich schaue zu Frank und Frauke rüber. Ich wüsste zu gerne, was zwischen den beiden in der letzten Stunde vorgegangen ist.
Nicole stößt mich zum dritten mal an. Ich schaue genervt und schlage mechanisch Vickys Figur.
„Muss das sein?“ beschwert sich Vicky.

Ich kann nicht anders, ich muss laut lachen. Mir fällt ein, wie Vicky heute Abend als erste mit Frank im Türrahmen gestanden hat. Vor Aufregung gestottert hat sie, was ihr sonst nie passiert. Angeblich hätte Frank ihr eine Stunde lang nur vorgelesen, ganz sittsam sei es zugegangen. Das soll glauben, wer will. Ich glaube es nicht.

„Sorry, Petra.“ Nicole wirft mich raus. Ich sage nichts. Ich will hören, was Frauke zu erzählen hat. Vielmehr, was sie uns glauben lassen will.
„Wir haben geschnackselt … ,“ Frauke hält inne und schaut in die Runde „ … bis die Glocken klingeln.“
Mit einem Mal geht das Geschnatter los: „Holla, hätte ich dir nie zugetraut!“ - „Stille Wasser sind tief“. - „Das sollen wir dir glauben?“ - „Voll gelogen!“- „Und was sagt dein Freund dazu?“

Ich spüre einen Stich in der Brust. Dabei war die Frage nicht mal an mich gerichtet. Trotzdem. Manfred habe ich nichts davon erzählt. So wie keiner der Frauen irgendwem was von diesem Abend erzählt hat. Offiziell sind wir bei Michelle auf einem Koch- und Spieleabend. Ist nicht mal gelogen. Wenn da nur Frank nicht wäre. Ich kann noch nicht mal behaupten, ich hätte nichts von ihm gewusst. Alle, die heute hier sind, haben von ihm gewusst.

Frank schiebt Frauke von sich weg und zwinkert Michelle zu. Alle müssen heute abend einmal ran, auch die Gastgeberin. Frauke setzt sich wieder an den Tisch. Michelle steht auf und lässt sich von Frank in den Arm nehmen.

Das neue Paar schaut sich nur kurz an und dreht sich zur Tür. Im Herausgehen wackelt Michelle aufreizend mit ihrem Hintern.
“Viel Spaß ihr zwei!“ - „Treibt es nicht zu toll!“ - „Lasst Petra noch was übrig!“

Das sitzt. Warum sind die alle so gemein zu mir? Wissen die überhaupt, wie es mir geht? Ich bin völlig durcheinander. Den ganzen Abend schon. Und keiner scheint es zu merken. Dabei bleibt mir nur noch eine Stunde, um mich zu entscheiden. Ich seufze. Ich hätte mich schon längst entscheiden sollen. Ich weiß es schon seit zwei Wochen. Ich habe es aber vor mir hergeschoben. So wie ich immer alles vor mir herschiebe. Bis heute Abend, bis genau jetzt. Dass ich als Letzte dran bin, macht es nicht leichter.

„Euch steht alles zur Verfügung,“ hat Frank noch bei der Begrüßung gesagt, „Hände, Zunge, und mein bestes Stück … - aber nur wer wirklich will. Ansonsten biete ich an: Rückenmassage, Vorlesen, Erzählen, alles was Ihr wollt.“

„Freimachen, Petra!“
Ich schrecke hoch und starre Vicky wütend an. Die zeigt auf meine Spielfigur. Ich habe aber keine Lust mehr. Ich schiebe die Würfel zu Frauke rüber. „Mach du für mich weiter. Ich kann mich nicht konzentrieren.“

Ich lehne mich zurück und schließe die Augen. Ich atme tief durch und denke an vorletzte Woche, an den Abend, an dem alles anfing:

Zur Feier des Tages hatte Manfred gekocht und Kerzen aufgestellt. Ich hatte endlich die Ressortleitung bekommen, in dem Stadtmagazin, für dass ich schon seit zwei Jahren schreibe. Lifestyle und Erotik. Ausgerechnet ich. Aber mit den Herausforderungen wächst man, machte ich mir Mut.

Marvin Gaye säuselte aus dem CD-Recorder. Unser kleines Ritual, fast schon ein Teil unseres Vorspiels. Leider viel zu selten in letzter Zeit.

Das Telefon klingelte. Manfred blieb sitzen. Aber ich bin Telefonjunkie, ich kann es nicht länger als dreimal klingeln lassen.

Hartmut war dran. Hartmut hat `Sky´, das große Sportpaket. „Frag Manni doch mal, ob er nicht rüber kommen will!“
“Halbfinale, wichtiges Spiel,“ murmelte Manfred, während er die Jacke überzog, „ wir können ja ein anderes mal … .“
„Dann eben ein anderes mal … ,“ seufzte ich, als die Tür hinter ihm zuschlug.

Das Telefon. Schon wieder. Nein, diesmal wollte ich standhaft bleiben. Ich schnappte mir die Flasche Rotwein, ging ins Schlafzimmer und hockte mich auf die Bettkante. Das Klingeln wurde leiser. Ich nahm einen tiefen Schluck aus der Pulle, zog die Schublade auf und kramte den Vibrator raus. Warum hört das verdammte Telefon nicht auf? Mist, die Akkus sind leer, ich brauche neue. Ich stand auf und ging in die Küche. Dazu musste ich Telefon vorbei.

"Hallo Petra, hier ist Michelle, hast du übernächsten Samstag Zeit? Klaus ist mit den Kindern weg und ich hab sturmfreie Bude."
Soviel Power haute mich um. Ich setzte mich auf den Boden und nahm noch einen Schluck aus der Flasche.
„Petra, bist du noch dran?“

Ich musste rülpsen. "Ja, ich bin dran. Was läuft denn? Kochen, Essen, Brettspiele, so wie immer?"
"Nein, eine `Rent-a-Lover-Party´."
"Eine was...?“
"Sag mal, liest du deine eigene Zeitung nicht?“
„Natürlich lese ich die … !
„Aber nicht die Kleinanzeigen?“
Mir dämmerte was. "Du meinst nicht die unter `Lust und Triebe´?"
"Doch, genau die. Ich hab in der Agentur angerufen und die meinten, Frank sei sehr nett und äußerst professionell."
"Welche Agentur?"
"`Escort-Für-Sie´ oder so ähnlich."
"Michelle, das ist ´ne Callboy-Agentur!"
"Was soll´s. Das ist nur ein Gesellschaftsspiel, ein Spaß unter Frauen. Du hast immer alles unter Kontrolle, da passiert nichts, was du nichts willst! Wir sind schon zu sechst, ein Platz ist noch frei."

Ich setzte die Flasche an und musste schon wieder aufstoßen.
Michelle war genervt. "Petra, wenn du nicht willst, kann ich Erika anrufen, die macht bestimmt mit."

Das war gemein. Michelle wusste das genau. Wegen Erika hatte Udo mich vor vier Jahren verlassen. Udo war die Liebe meines Lebens. Es tut heute noch weh, wenn ich die beiden irgendwo zusammen sehe.

"Glaubst du, ich kneife? Klar bin ich dabei!" Kurz darauf war die Flasche leer.
„Ich wusste, ich kann mich auf dich verlassen,“ waren die letzten Worte, die ich hörte, bevor ich auflegte.

In der Woche danach müssen die Akkus irgendwie kaputt gegangen sein. Ich hab sie zweimal aufladen müssen. Lief aber auch verdammt viel Fußball in letzter Zeit.

„Petra, jetzt entscheide dich!“ Vickys Stimme holt mich in die Wirklichkeit zurück.
Entscheiden. Richtig. Aber für was?
Irgendwie ist das Spielbrett mit Monopoly auf den Tisch gelangt und Vicky hält mir ein Bündel Spielgeld hin. Was um alles in der Welt fange ich nur gleich mit Frank an?

„Willst du jetzt den Südbahnhof oder nicht?“
Ich zucke mit den Schultern. Ich weiß einfach nicht, was ich will. Dabei habe ich mir den heutigen Abend so schön ausgemalt. In allen Einzelheiten. Aber ausgerechnet jetzt schiebt sich immer wieder Manfred in meinen Kopf.

Manfred. Mit ihm bin ich seit drei Jahren zusammen. Am Anfang war es sogar richtig aufregend mit ihm. Dann sind wir zusammen gezogen. Es gab viel zu renovieren, und Manfred hat tolle Möbel gebaut. Er war oft müde danach, ich hatte natürlich Verständnis dafür. Die Marvin Gaye-CD wäre echt verstaubt, wenn nicht ich sie manchmal aufgelegt hätte.

„Petra, ins Gefängnis!“
Ich seufze. So schlimm ist es nun auch wieder nicht. Manfred ist rücksichtsvoll, zuvorkommend, aufmerksam und oft auch witzig. Ich kann mich immer auf ihn verlassen, er nimmt mich oft in den Arm und bringt mich gerne zum Lachen. Eigentlich ist er der Mann, mit dem ich Kinder haben möchte.

„Schlossallee, 1000 Euro!“ Simone hält fordernd ihre Hand auf. Ganz rote Wangen hatte sie eben, als sie mit Frank zurück kam. Dabei meinte sie nur ganz trocken: „Richtig gut unterhalten haben wir uns, die ganze Zeit.“

Ich glaube ihr kein Wort. Nicht bei den roten Wangen und den leuchtenden Augen. Das sah eindeutig aus wie frisch gevögelt. Überhaupt: `gut unterhalten´, das ist doch voll zweideutig, fällt mir gerade auf. Ich schiebe ihr das Geld rüber. „Nicht schlecht, Simone.“

Mein Blick fällt auf die Küchenuhr. Noch zehn Minuten. Ich hab immer noch keine Ahnung, was ich will.

Jetzt muss Frauke ins Gefängnis. „Was bedeutet eigentlich Treue?“ fragt sie in die Runde. Allgemeines Aufstöhnen.
„Frauke, du hast manchmal eine Art...,“ Vicky zieht fünf Felder vor.
„Lass sie doch, ist ja auch ´ne wichtige Frage!“ Anja hat ein großes Herz.
„Ist doch klar, wenn du bei einem Kerl bleibst und mit keinem anderen rummachst,“ meint Nicole, während sie eine Ereigniskarte zieht.

Danke. Dann darf sich mit Frank gleich gar nichts ereignen, oder was? Was haben Manfred und ich eigentlich ausgemacht, versuche ich mich zu erinnern. Haben wir je darüber gesprochen? Oder war das einfach klar zwischen uns beiden? Die Geschichte mit Doro habe ich ihm ja verziehen. Nachdem er mir hoch und heilig versprochen hat, dass er … tja … , was hat er mir eigentlich konkret versprochen?

„Was ist, wenn im Bett nichts mehr läuft?“ Frauke lässt nicht locker.
„Schicksal,“ zuckt Nicole mit den Schultern, „oder du musst dich von ihm trennen.“ Nicole hat heute nur was für einfache Lösungen übrig.

„Warum muss ich mich gleich trennen?“ Simone gerät in Fahrt. „Immer nur Einen, dafür alle zwei Jahre einen Neuen, soll das etwa Treue sein?“ Ich glaube, ich liege richtig. Die hat mit Frank eben nicht nur gequatscht.

„Nein, Treue ist, wenn man sich aufeinander verlassen kann,“ höre ich mich reden, „wenn man sich mag, wenn man respektvoll miteinander umgeht, und wenn es im Bett … “ Ich beiße mir auf die Unterlippe. Was rede ich da für einen Mist? Den glaube ich doch selber nicht. Was denken jetzt die anderen von mir? Noch fünf Minuten. Gibt es irgendwo ein Mauseloch?

„Nehmen wir an, da ist gerade einer, der möchte genau das selbe wie du und das auch noch mit dir,“ rettet mich Vicky, „du weißt außerdem, ihr seht euch nie mehr wieder. Was ist dann?“

Genau so habe ich mir das vorgestellt heute Abend. Alles bleibt ohne Folgen. Bei Manfred und mir kann alles so bleiben wie es ist. Aber jetzt, so kurz vorher, da weiß ich überhaupt nicht mehr, was richtig ist und was falsch.

„Kann doch jeder selbst entscheiden,“ ist der äußerste Kompromiss, auf den Nicole sich einlässt.
Genau. Selbst entscheiden. Das mache ich heute Abend. Nur für was? Frank ist in drei Minuten da.

„Treue ist kein absoluter Wert.“ Frauke hat mal ein paar Semester Soziologie studiert. „Was als moralisch angesehen wird, hängt davon ab, ob du auf dem Land lebst, in der Stadt, in Kirchenkreisen oder unter Studenten, ob heute oder vor dreißig Jahren...“
„Ist das Seminar bald zu Ende?“ Nicole bleibt ungnädig.

„Ich hab da mal was Interessantes gelesen“, wirft Simone ein. „Im Mittleren Westen gilt Petting nicht als Sex. Teenager, die Petting machen, haben also offiziell keinen Sex vor der Ehe.“
Mir schwirrt der Kopf. Petting kein Sex? Das hört sich doch gut an!

„Wir leben aber nicht im Mittleren Westen,“ hält Nicole dagegen.
Ich könnte sie würgen. Kann mir mal einer sagen, was ich denken soll? Ich hab nur noch zwei Minuten Zeit, bis dahin muss ich...

Die Küchentür geht auf.
Mein Herz sackt in die Hose, mein Puls klopft bis in den Hals.
Bevor jemand die übliche Frage stellen kann, platzt es aus Michelle heraus: „`Ne verdammt flinke Zunge hat der Kerl, echt geil!“
Schon geht das Geschnatter los: „Feinschmeckerin, was?“ - „Das war doch wohl nicht alles?“ - „Das glaubt dir keiner!“

Mir wird heiß und wieder kalt. Das war meine Idee! - Aber vielleicht flunkert Michelle ja nur, die schneidet auch sonst gerne ein bisschen auf. - Außerdem, was spielt das für eine Rolle, was Frank und Michelle vorhin getrieben haben? Wenn das stimmt, was sie erzählt, dann muss Frank eben zweimal ran. Schließlich ist er Profi, haben die von der Agentur gesagt.

Mein Blick bleibt an den Tassen auf dem Küchenboard hängen. Ich fange an, sie abzuzählen: ich traue mich, ich traue mich nicht, ich traue mich …

„Petra?“ Franks sanfte Stimme holt mich in die Wirklichkeit zurück.
Wie in Trance stehe ich auf. Meine Knie zittern. Frank sucht meinen Blick und nimmt mich sanft in den Arm. Ich drehe mich um zu den anderen. Warum sagt mir keiner, was ich tun soll?

Die Tür schließt sich hinter uns und der Küchenlärm wird leiser. Arm in Arm gehen wir die Treppe hoch. Ich kann es noch gar nicht glauben. Ich bin mit Frank allein. Er lächelt mich an und schiebt mich in Richtung Badezimmer.
„Ich warte auf Dich,“ sagt er noch leise, bevor er die Tür von aussen zufallen läßt.

Ich stütze mich auf das Waschbecken, während ich in den Spiegel schaue. So, Petra, das hast du dir selber eingebrockt. Du hättest auch absagen können, dann stünde Erika jetzt hier. Ich glaube, sie weiß gar nicht, was sie an ihrem Udo hat. Wenn ich noch mit ihm zusammen wäre, hätte ich mich dann auf diese Party eingelassen? Kalte Wut steigt in mir auf. Nein, auf gar keinen Fall. Da bin ich mir ganz, ganz sicher.

Auf einmal spüre ich einen Kloß im Hals. Hat Manfred das wirklich verdient? Schließlich hat er mich nicht sitzen lassen wegen dieser blöden Erika. Mir wird warm ums Herz. Ausgerechnet wegen Manfred. Das hätte ich mir die letzten beiden Wochen nie träumen lassen.

Ich schlucke den Kloß herunter und schaue mich um. Geduscht habe ich kurz vorher zu Hause. Das stand so auf der Einladung. Was stand da noch? Toilette, Zähne putzen und eine kurze Intimwäsche. Das ist Pflicht für alle, auch für die, die sich nur was vorlesen lassen wollen.
Ich sehe sechs benutzte Zahnbürsten und eine unbenutzte. Unten im Korb liegen gebrauchte Waschlappen und Handtücher, oben auf der Ablage wartet noch ein frischer Set auf mich. Perfekt durchdacht, das muss ich schon lassen. Da bleiben keine Hinweise, was danach im Zimmer vor sich geht.

Ich putze mir die Zähne und schaue in den Spiegel. Petra, was willst du eigentlich wirklich? Ist es das alles wert? Was ist, wenn Manfred was rauskriegt und es einen Knacks gibt zwischen uns beiden?

Ich öffne den Klodeckel und ziehe die Hosen runter. Vielleicht ist es gar nicht so toll mit Frank? Ich setze mich hin und lasse es laufen. Was ist, wenn es peinlich wird oder verkrampft? Ich bin fertig und stehe auf. Wäre es nicht besser, sich Wünsche auch mal nicht zu erfüllen? Ich ziehe die Hosen hoch. Sie einfach in seine Träume einzuschließen? Ich drücke die Spültaste. Wo sie bleiben was sie sind und nichts zerstören? Klappernd fällt der Klodeckel herunter.

Frank klopft von außen an die Badezimmertür. „Bist du so weit? Ich muss auch noch kurz.“
„Einen kleinen Moment noch.“

Reiß dich zusammen, Petra. Jetzt oder nie. Ich ziehe Hose und Slip herunter. So eine Gelegenheit kommt so schnell nicht wieder. Das warme Wasser zwischen den Beinen beruhigt. Du wirst ewig sauer auf dich sein, sie nicht genutzt zu haben. Ich angele nach dem Handtuch. Hinterher wirst du Manfred sogar die Schuld für alles geben, was du versäumt hast in deinem Leben. Sorgfältig reibe ich mich zwischen den Beinen trocken. Dabei hat er es doch am allerwenigsten verdient. Nachdenklich ziehe ich Slip und Hose wieder hoch. Nein, Manfred, du kannst dich auf mich verlassen! Entschlossen blicke ich mein Spiegelbild an. Es nickt zurück. Waschlappen und Handtuch fallen in den Korb.

Ich öffne die Tür. Frank lächelt mich an. „Geh schon mal vor, ich komme gleich nach.“ Im Vorbeigehen streift meine Hand kurz seine Hüfte. Frank hat es bemerkt und zwinkert mir zu.

Beschwingt steige ich die Treppe ins Dachgeschoss hoch. Auf dem Flur umkurve ich zwei kleine Lautsprecherboxen, die vor der Tür stehen. Pfiffig, denke ich, die übertönen so manches verräterische Geräusch.

Ich öffne die Tür und ziehe sie schnell hinter mir zu. Das gedämpfte Licht schimmert rot, eine Kerze flackert im Glas. Das Bett ist frisch bezogen. Es wirkt so unschuldig, dass ich mich auf einmal nicht mehr traue, es zu berühren.

Manfred. Warum bist du jetzt nicht hier? Auf dich kann ich mich doch sonst immer verlassen. Du würdest mir sagen, was ich tun soll. Bitte, lass mich jetzt nicht allein!

Ich versuche mich zu konzentrieren.
Petra, das ist jetzt ganz alleine deine Sache, das hat mit Manfred gar nichts zu tun. Das kann deiner Beziehung langfristig sogar gut tun. Vielleicht rettest du sie sogar am heutigen Abend. Wer will das vorher so genau wissen?

Wo bleibt eigentlich Frank? Was macht der so lange im Bad? Da, die Bücher, nur das oberste Regal. Soll ich, soll ich nicht? Soll ich, soll ich nicht? Soll ich …

Die Tür geht auf. Ich drehe mich um und mir zittern schon wieder die Knie. Das ist der Moment, von dem ich zwei Wochen lang geträumt habe. Den ich mir immer wieder in allen Einzelheiten ausgemalt habe. Wie lange der Akku bei Frank wohl hält? - Petra, du denkst dir vielleicht einen Scheiß zusammen! - Konzentriere dich! Jetzt komm endlich zur Sache und sag was du von ihm willst. Ich hole tief Luft – und atme wieder aus.

Frank lächelt mich an. Ich lächele verlegen zurück.
„Aufgeregt?“ Franks Stimme klingt sanft.
„Na ja, schon,“ krächze ich. Mein Hals fühlt sich an wie Sandpapier und die Zunge klebt fest am Gaumen.
„Macht nichts, das geht allen so.“
Verrückt, wie ein paar einfache Worte so beruhigend wirken können.
„Vergiss einfach mal das Drumherum. Vergiss, was heute Abend war, vor allem Deine Freundinnen. Wir zwei sind allein, ich bin nur für Dich da, und du entscheidest.“

Entscheiden. Das ist es ja gerade. Ich halte den Atem an. Zwei Wörter liegen mir auf der Zunge. Sie wollen beide raus. Aber sie widersprechen sich. Verlegen schaue ich auf den Boden.

Frank nimmt ganz sanft meine Hände und legt sie vorsichtig an seine Hüften. „Dann fangen wir mal ganz einfach an. Bleibt der an oder ziehe ich ihn aus?“
Meine Finger spielen unentschieden mit den Schnüren seines Tangas. Dann hole ich tief Luft, schaue kurz auf und höre mich mit fester Stimme sagen: „ … “

Nein, was in diesem Zimmer passiert, bleibt natürlich mein Geheimnis. So sind die Spielregeln und die gelten auch für mich. Außerdem, wer kann denn sicher sein, ob ich die Wahrheit sage? Nur eins weiß ich ganz genau. Zu bereuen brauche ich heute Abend nichts. Nicht vor mir und vor keinem anderen. Ich bin rundherum mit mir zufrieden.

„Die Stunde ist vorbei“. Frank holt mich aus meinen Träumen und stellt die Musik wieder ab. Ich habe gar keine Lust aufzustehen. Wegen mir hätte es noch stundenlang so weiter gehen können.

„Was willst du denen in der Küche erzählen?“ will Frank wissen.
„Muss ich?“
„Alle müssen.“
Ich schaue ihn unsicher an und frage leise: „Gevögelt?“
Frank lächelt. „Sollen sie es glauben oder sollen sie lieber zweifeln?“
„Glauben!“ sage ich entrüstet und vielleicht eine Spur zu schnell.

„Dann stell dich neben mich.“ Frank reicht mir die Hand, zupft seinen Tanga zurecht und legt meinen Arm um seine Hüften. „Wenn sie dir glauben sollen, müssen wir Körperkontakt halten. Stell Dir ganz fest vor, wir wären gerade sehr vertraut miteinander gewesen, dann glauben es auch die anderen.“ Frank führt meine Hand an seinen Hintern. „Immer in die Augen schauen,“ ermahnt er mich, während er nebenbei eine kleine Dose vom Tisch nimmt und den Deckel zuschraubt. Arm in Arm verlassen wir das Zimmer, das in den Wochen zuvor Raum meiner Träume und Phantasien gewesen war.

Während wir die Treppe herunter gehen, erkundet meine Hand Franks nackten Hintern, als wäre sie dort schon seit Jahren zu Hause. Frank scheint das nichts auszumachen. Als wir uns der Küchentüre nähern, wird das Lachen und das Geplapper immer lauter.

Die Tür geht auf und das Stimmengewirr bricht ab. Alle Blicke richten sich auf uns. Ich schaue Frank in die Augen. Ach ja, meine Hand. Er lächelt mich an, ich lächele zurück.

„Meldung?“ An Frauke ist ein Feldwebel verloren gegangen.
Ich hole kurz Luft und dann ist es heraus. „Echt geil gevögelt.“ Ich muss knallrot im Gesicht aussehen, so fühlt es sich jedenfalls an.
„Was Petra, das hätte ich echt nicht von dir gedacht.“ - „Komm, du schneidest doch nur auf!“ - „Und, Manfred ist endgültig abgemeldet?“

Selbst dieser Spruch lässt mich jetzt völlig kalt. Ich finde es einfach witzig, dass alle von mir denken, was sie wollen. Und keiner weiß, was wirklich war. Ich nicht von den anderen und die anderen nicht von mir. Ich fühle mich so gut wie schon lange nicht mehr. Ich schaue Frank ins Gesicht. Er sieht ein klein wenig erschöpft aus.

„Komm Frank, wie waren wir heute Abend?“ Vicky platzt vor Neugier. „Was hältst du von unserer Truppe?“

Frank setzt sich an den Tisch und stellt geheimnisvoll die Dose hin. Während er langsam den Deckel aufschraubt, schaut er nacheinander in die Runde.
„Einmal vorgelesen, dreimal massiert, zweimal mit der Zunge und dreimal ging es richtig zur Sache.“

Kurze Stille.

„Das sind aber mehr als sieben.“ Nicole hat aufgepasst.
„Es sind ja auch Mehrfachnennungen möglich,“ rechtfertigt sich Frank.
Dann reden alle durcheinander. „Wow!“ - „Hätte ich echt nicht gedacht!“ - „Hätte uns vorher mal einer sagen sollen!“

„Glaub ich nicht!“ Fraukes Stimme klingt scharf.
Frank hebt bedeutungsvoll den Deckel hoch. Sieben Köpfe beugen sich gleichzeitig über die Dose. Nicole und Simone stoßen heftig mit den Köpfen zusammen. Tatsächlich. Drei benutzte Kondome. Ganz offensichtlich frisch.

„Nicht schlecht.“ - „Hätte ich nicht erwartet.“ - „Ich auch nicht.“
Wir schauen uns ein wenig unsicher an. Einige grinsen. In manchen Gesichtern ist sogar eine Spur von Stolz zu erkennen.
„Stramme Leistung,“ zwinkert Vicky Frank zu.
Doch der grinst schelmisch zurück. „Nicht so vorschnell, wer weiß denn, ob ich überhaupt die Wahrheit sage?“
„Na ja … “ Vicky zeigt auf die Dose.
„Och, da gibt es Tricks. Ein Spritzer Duschgel, und man kann den Unterschied nur noch am Geruch erkennen.“ Frank fischt ein Kondom heraus und hält es hoch. „Will mal jemand riechen?“
Unter lautem Gelächter lehnen alle dankend ab.

„Sorry, dass ich ungemütlich werde, aber ich muss los.“ Ich stehe auf und schiebe den Stuhl an den Tisch.
„Was denn, jetzt schon?“ Die übliche Frage der Gastgeberin.
„Ich muss bis morgen noch einen Artikel schreiben, ich hab noch nicht mal angefangen.“
„Was denn für´n Thema?“ Vicky ist wie immer neugierig.
„Rent-a-Lover-Party.“

Alle schauen mich an. Was haben die bloß? - Oh nein, so ein Mist! „Ihr habt doch nichts dagegen, oder?“ stottere ich.
„Das ist gegen die Abmachung. Das sollte geheim bleiben, niemand verrät was!“ Frauke ist unerbittlich.

„Ich schreibe das natürlich unter Pseudonym und die Namen werden auch geändert.“ Ich halte die Luft an. „Aber wenn nur eine dagegen ist, dann … “
Mein Blick wandert ängstlich von einer zur anderen.

„Was tut man nicht alles für gute Anzeigenkunden?“ Mit ihrem Spott bricht Vicky das Eis. Das Geschnatter und Geplapper fängt langsam wieder an. Ich atme tief durch.

Wenn einer aufbricht, dann wollen auf einmal alle los. Albernd und lachend stehen wir im Flur und verabschieden uns von Michelle.

Nachdem die Haustüre zugefallen ist, schlendert ein Trupp aufgekratzter Frauen zum Parkplatz.
"Sagt mal, ist Frank mit raus gekommen?" fragt Nicole.
"Der schiebt wohl `ne Sonderschicht mit Michelle!" Alle lachen über Simones Spruch.

Vicky zückt plötzlich ihr Handy, wählt und wartet einen Moment. "Hallo? Entschuldigen Sie die späte Störung. Unser Mitarbeiter Frank hat leider sein Handy ausgeschaltet. Er hat in einer halben Stunde noch einen Termin im Hotel Atlantic. Könnten Sie ihn bitte daran erinnern?" Schnell legt Vicky auf und alle prusten los.
"Das war aber jetzt echt gemein!" findet Simone.
"War nur die Mailbox," beruhigt Vicky. Alle lachen leise, verabschieden sich kurz und verschwinden in ihren Autos.

Ich lasse mich hinters Steuer fallen und stecke den Zündschlüssel in den Schlitz.
Dann ziehe ich den Schlüssel wieder heraus. Ich stecke ihn rein und wieder raus. Rein, raus, rein, raus, rein, raus, rein, raus. Ich beiße auf den Zündschlüssel, schließe die Augen und atme tief durch. Ich lache über meine Albernheit. Macht nichts, hört ja keiner.
Nach einem kurzen Moment öffne ich die Augen, starte das Auto und fahre los.

Während der Fahrt wandert mein Blick immer wieder zum Beifahrersitz. Dort liegt die Visitenkarte, die mir Frank im Hinausgehen zugesteckt hat. Klein und unschuldig liegt sie da. Dabei ist sie die pure Verheißung.

Ich muss an Manfred denken. Ob er schon schläft, wenn ich gleich da bin?
Zögernd wandert mein Zeigefinger auf den Fensterheber. Ein kurzer Tastendruck und ich spüre die Kälte der Nacht.
Plötzlich flattert die Karte im Wind.
Ob ich es schaffe, sie los zu lassen?
Ich muss mich nur entscheiden.

 

Hallo Ede,

und Glückwunsch zu Deiner ersten Geschichte hier bei KG.
Ich kann Dir leider nicht sagen, dass ich hin und weg bin, sie verschlungen habe und noch lange daran denken, aber dass ist sicher auch nicht Deine Absicht gewesen. Immerhin habe ich sie bis zum Ende gelesen, was soviel heißt wie, Deine Geschichte hat mich nicht gelangweilt oder genervt. Ich wollte schon wissen, wie der Abend ausgeht. Und das ist doch gar nicht mal so schlecht ;).

Schwierigkeiten hatte ich mit dem Einstieg, wer ist wer und tut was mit wem???
Halbnackter Typ, Mädels, Würfel, Zettel ... Nachdem ich nun die Geschichte gelesen habe und weiß, wie der Abend läuft, ist mir der Anfang natürlich klar.

Das nächste Problemchen hatte ich an dieser Stelle:

Ich denke an vorletzte Woche. Zur Feier des Tages hat Manfred gekocht und Kerzen aufgestellt ...
Marvin Gaye säuselt aus dem CD-Recorder. Unser kleines Ritual, fast schon ein Teil unseres Vorspiels. Leider viel zu selten in letzter Zeit.
Das Telefon klingelt. Manfred bleibt sitzen
...
Sie ist auf der Party und denkt an die letzte Woche, soweit so gut, alles schön in der Vergangenheit und dann wechselst Du wieder in die Gegenwart und ich hab gedacht, okay wieder zurück bei der Party, aber was macht jetzt ihr Typ hier und wieso Telefon :confused:
Und dann geht es ohne Übergang wieder zurück zum Tagesgeschehen:
Die Akkus müssen irgendwie kaputt sein. Ich hab sie in der letzten Woche zweimal aufladen müssen. Läuft aber auch verdammt viel Fußball zur Zeit.
„Petra, jetzt entscheide dich!“ Vickys Stimme klingt ungeduldig.
Ein Absatz wäre an dieser Stelle sehr hilfreich.

Kommen wir nun zu den Stellen, die mir sehr gut gefallen haben :).

Das Abzählen der Tassen und später der Bücher soll ich - soll ich nicht ... fand ich ein sehr gelungenes Bild für ihre Unentschlossenheit.

Und auch hier

Dann ziehe ich den Schlüssel wieder heraus. Ich stecke ihn rein und wieder raus. Rein, raus, rein, raus, rein, raus, rein, raus.
hast Du mir ein Lächeln geschenkt.

Vielen Dank für Deine Geschichte.
Beste Grüße Fliege

 
Zuletzt bearbeitet:

@ Fliege
Hallo Fliege,

schönen dank für Deine Rückmeldung.
Bei den meisten Sachen muß ich Dir recht geben. Ich hab halt versucht, dicht zu erzählen und dafür den ein oder anderen abrupten Übergang in Kauf genommen. Aber der Grat zwischen dichtem Erzählen und Unübersichtlichkeit ist gewiss sehr schmal. Ich habe also auf Deine Empfehlung noch einige Absätze eingefügt.

Den "Manfred" habe ich eine Spur ausführlicher eingeführt, damit von Anfang an klar ist, dass es sich um den Partner handelt.

Auch dem Übergang in die Rückblende habe ich noch zwei kurze Sätze spendiert: "Auf was habe ich mich da eingelassen? Wie bin ich eigentlich hier reingeraten?" Dann habe ich Manfred die Marvin-Gaye-CD einlegen lassen, damit klar ist, dass die Rückblende noch nicht zu Ende ist. Und die Rückblende habe ich dann durch einen Absatz am Ende noch getrennt. Ich hoffe, das passt jetzt besser.

Den Anfang mag ich so, wie er ist. Das war auch meine Absicht, dass sich das ganze ein wenig zusammenpuzzelt und am Ende des 3. Abschnitts, spätestens mit dem 5. Abschnitt das Bild erst komplett ist.

Viele Grüße

"Ede"

 

O.K., O.K. ich sehe es ein. Nach einigen Diskussionen (offline) habe ich den Einstieg noch einmal verändert, ich hoffe verbessert.

Viele Grüße

Ede

 

Hallo Ede,

ich denke, Du hast mit dem neuen Anfang Deinem Leser eine Menge :confused: erspart und man wird sicher geneigter sein, auch weiter zu lesen.

Auch die Überarbeitung mit der Rückblende finde ich nun viel verständlicher.

Ich finde es übrigens schön, dass Du die Dir gegebene Kritik annimmst und auch umsetzt.
In diesem Sinne, vielleicht findet sich ja noch jemand, der Dir weiterhelfen kann.

Viele Grüße Fliege

 

Ich mag deine Geschichte und mir gefallen die andeutungen und dass du das "Eine" aussparst!! Auch die Sichtweise - Frauen - Callboy fand ich interessant, gerne gelesen!

 

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