- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 7
Gespräch auf einer Parkbank
Habe ich von ihm geträumt? Ich weiß nicht. Ich habe ihn schon mal gesehen. Jetzt sitzt er da. Ich gehe in seine Richtung und verlangsame meinen Gang, als ich an ihm vorbeilaufe.
„Guten Abend“, spricht er mich an. Ich wusste es.
„Abend.“ Ich nicke ihm zu, und versuche einen ungezwungenen Eindruck zu machen.
„Heiß heute, was?“
„Kaum auszuhalten.“
Er deutet neben sich. Ich zögere kurz und setze mich zu ihm auf die Parkbank. Sie ist brennend heiß. Ich spüre die Hitze durch den Stoff meiner Hose. Der Geruch von Bier, das in der Dose warm geworden ist, steigt mir in die Nase. Wir sagen nichts. Ich bin ausgelaugt und froh, dass die Arbeit vorbei ist. Ich denke an meine Carla, an unseren Streit. Ich bin auf dem Weg zu ihr. Ich schwitze. Er nimmt einen ausgiebigen Schluck und beendet die Stille zwischen uns: „Ab und an könnte man die Frauen erwürgen, was?“
„Was meinen Sie damit?“, ich erstarre.
„Man kann’s den Weibern einfach nicht recht machen, egal was man auch tut.“
„Das können Sie laut sagen.“
„Das können Sie laut sagen“, murmelt der Typ leise und schmunzelt. „Bier?“, fragt er mich.
„Gerne.“
Er öffnet die schwarze, große Ledertasche, die zwischen seinen Füssen auf dem Boden liegt, und reicht mir eine Dose. Meine Hände zittern. Ich hoffe, er merkt es nicht. Es ist das gleiche Bier, das er trinkt. Eine billige Marke. Ich nehme einen Schluck. Es ist überraschenderweise noch kühl, doch schmeckt nicht. Wir stoßen an. Erst jetzt fällt mir auf, dass er völlig unpassend angezogen ist. Er trägt trotz der Hitze einen schwarzen Nadelstreifenanzug. Dazu ein weißes Hemd mit steifem Kragen und eine breite, rote Krawatte. Sein fleischiges Gesicht ist von der Hitze und dem Bier rot angelaufen und von Schweißperlen übersät. Die Dose in seiner Hand scheint nicht seine erste zu sein. Auch wenn ich es lieber nicht zugeben will, ähnelt sein Gesicht dem meinen.
„Deshalb hab ich keine Frau mehr“, nimmt er unser Gespräch wieder auf. „Dann gibt’s keinen Stress.“
„Mhm“, ich nehme einen weiteren Schluck. Das Bier tut mir gut. Ich lehne mich zurück.
„Aber Sie haben eine, stimmt’s?“ Er dreht sich in meine Richtung und schaut mich mit seinen kleinen Knopfaugen gierig an.
„Ja, ich hab‘ eine. Oder besser gesagt, ich hatte eine.“ Gestern war der Streit mit Clara. Ihr Geständnis kam aus dem Nichts. Sie hing ständig mit anderen Typen ab. So war sie nun mal. Zu Beginn unserer Beziehung hat mich die Eifersucht fertig gemacht. Mit der Zeit habe ich mich aber daran gewöhnt. Darauf war ich sehr stolz. Da sagte sie mir gestern, dass mit einem dieser Freunde etwas gelaufen sei. Es sei schon ein Jahr her und es bedeute ihr nichts. Mir bedeutet es etwas. Ich bin einfach gegangen und gelaufen, immer weiter gelaufen und habe kein Wort mehr mit ihr gesprochen.
„Sie schauen aus wie ein gebrochener Ehemann. Obwohl Sie so jung sind, wusste ich’s sofort. “
Was meint er? Er ist etwa gleich alt wie ich. Ich antworte ihm nicht und trinke mit gierigen Schlucken mein Bier weiter. Es rinnt kalt meinen Hals hinunter. Jeder Schluck schmerzt.
„Noch eins?“, fragt er mich sofort, als es leer ist.
„Was soll’s, ja gerne. Hab eh nix mehr zu tun“, antworte ich ihm. Ich muss morgen nicht zur Arbeit. Und letzte Nacht habe ich kein Auge zugekriegt. Noch ein Bier durfte ich mir also ruhig gönnen, es würde mich etwas runterholen. Ich habe zwar keine Lust, mit dem Mann zu reden, aber noch weniger, aufzustehen und zu gehen. Es ist heißer geworden. Meine Hose klebt an der Bank. Ich fühle mich, wie man sich kurz vor dem Einschlafen fühlt, wenn eine lästige Fliege um einen herumschwirrt. Man möchte die Fliege loswerden, kann aber dem Schlaf nicht widerstehen, und tut einen Teufel dagegen. Man lässt es über sich ergehen und fühlt sich mies. Der Mann macht sich auch eine Dose auf und wir stoßen zum zweiten Mal an. Er grinst dabei schon etwas dümmlich.
„Sie sehen aus, als könnten Sie nicht mehr. Das war bestimmt keine friedliche Trennung. Die Fetzen sind geflogen, stimmt‘s?“, fragt er.
„Wir hatten ein paar Probleme, jetzt ist’s vorbei. Ich komme klar. Recht gut sogar.“ Das war gelogen.
„Was denn für Probleme?“, fragt er mich mit einem spöttischen Unterton, wie mir scheint.
„Das geht Sie nichts an.“ Der Mann wird mir zu aufdringlich. Er soll sein Maul halten.
„Na, ich will Ihnen doch nur helfen“, sagt er.
Ich habe keine Lust, ihm darauf zu antworten. Wir sitzen weiter da und schauen den Passanten zu. Unsere Bank befindet sich an einem kleinen Platz inmitten der Großstadt. Ich taste nach meiner rechten Hosentasche, um mich zu vergewissern. Als ich die schmale Metallklinge eines Teppichmessers durch den Stoff meiner Hose spüre, werde ich ruhiger. Bald wird die Sonne untergehen. Jetzt wütet sie noch. Meine Hände sind rot. Ich drücke mit dem Zeigefinger auf meine linke Hand und sie hinterlässt kleine weiße Abdrücke. Zum Glück sind meine Arme geschützt, da auch ich ein Jackett trage. Der Mann reicht mir ein neues Bier. Ich habe nicht bemerkt, dass meine Dose schon leer ist, und es beunruhigt mich, dass er es bemerkt hat. Er hat doch auch nach vorne geschaut? Aber ich nehme das Bier an, ich will nicht, dass es aufhört. Ich kann langsam abschalten. Endlich. Ich bin müde.
„Was tut sie denn, Ihre Frau? “
„Künstlerin.“, gebe ich als Antwort.
Er nickt. „Die kenn ich. Sind von der komplizierten Sorte. Zwar leidenschaftlich, aber launisch bis zum geht nicht mehr.“
„Was Sie nicht sagen“, antworte ich genervt.
„Sie sollten mir besser zuhören.“
„Und weshalb sollte ich das?“
„Ich merke Ihnen an, dass Sie vor einer schweren Entscheidung stehen, auch wenn Sie’s nicht zugeben wollen. Ich kann Ihnen dabei helfen. Sie werden mir noch dankbar sein.“
„Was soll denn der Scheiß? Was wollen Sie von mir?“, kläffe ich ihm ins Gesicht. Es ist schweißnass. Auch von meiner Stirn tropft es. Ich habe mich nicht mehr ganz unter Kontrolle.
„Entschuldigung“, murmle ich verlegen. Ich nehme mir vor, langsamer zu trinken. Ich taste mit meinen Augen das Etikett der Bierdose ab: 8.5 Prozent. Deshalb also.
„Ihre Frau war auch Künstlerin?“, versuche ich, das Gespräch wieder aufzunehmen.
„Ja, das war sie. Eine sehr begabte sogar. Sie konnte von ihrer Kunst leben.“ Er ignoriert meinen Wutanfall, wofür ich ihm im Stillen danke.
Ich nicke: „Das können die wenigsten. Meine hat dieses Kunststück auch irgendwie hingekriegt.“
Wir trinken beide einen Schluck.
„Doch sie hat mich verrückt gemacht“, fährt er fort. „Konnte sich nie festlegen, hat unsere Pläne immer über Bord geworfen. Mal so und mal so. Zum Kotzen. Hab’s dann irgendwann nicht mehr ausgehalten.“
„Sie scheinen mich doch zu verstehen“, antworte ich ihm. Ich habe plötzlich Lust, mich auf ihn einzulassen. Mein Ausbruch von vorhin hat mir gutgetan.
„Man sieht es Ihnen ja an, hab’s doch gesagt“, grölt er und grinst.
„Und was haben Sie dann gemacht? Mit Ihrer Frau mein‘ ich.“
„Hab‘ sie verlassen. Sie hatte dann zu allem Übel was mit ‘nem anderen Typen. Bin nicht damit klargekommen. Es ging einfach nicht.“ Er nimmt einen Schluck und seufzt: „Zum Schluss hätte ich sie beinahe umgebracht.“
Mein Herz rast, doch ich hoffe, er merkt es nicht. Er schaut mich an.
„Ich meine das todernst, das können Sie mir glauben. Gottseidank hat mich ein Freund in letzter Sekunde davon abgehalten. Sonst wäre ich jetzt ein Scheiß Mörder.“
Wir schweigen einige Sekunden. „Ein Scheiß Mörder“, wiederholt er leise und setzt dann seine Dose an, um sie in einem Zug zu leeren. Ich tue es ihm gleich. Ich will ihm irgendwie zeigen, dass ich ihn verstehe und weiß nicht, wie ich es sonst tun sollte. Die Sonne geht langsam unter.
Er seufzt und bietet mir das vierte Bier an. Wir stoßen an und schwitzen weiter. Es ist schon fast dunkel. Es ist immer noch heiß.
„Sie kommen mir irgendwie bekannt vor, haben wir uns schon mal gesehen?“, fragt er mich.
„Ich glaube nicht, nein.“ Ich schüttle den Kopf.
„Haben Sie auch schon mal daran gedacht, Ihre Frau umzubringen?“
„Nein“, verneine ich wieder.
„Das glaube ich Ihnen nicht.“
„Was meinen Sie?“
Sein Blick fällt auf meine rechte Hosentasche. Eine erneute Hitzewelle durchströmt mich. Mein Rücken ist klitschnass. Ich folge seinem Blick, ich kann an meiner Hose nichts Auffälliges erkennen. Ich hatte dafür gesorgt, dass man von außen nichts sehen würde. Woher weiß er es dann?
„Es wird dunkel, ich muss bald los“, sagt er. Mittlerweile sind unsere Dosen leer. „Das ist das letzte“, meint er und reicht mir eine neues Bier. Ich öffne es, ohne anzustoßen und trinke. Ich bin erschöpft, die Hitze hat etwas abgenommen und ein angenehmer Wind kühlt mein verbranntes Gesicht. Wir sitzen auf der Parkbank, die immer noch warm ist. Wir trinken, wir schwitzen nicht mehr.
Nägel dringen in meinen Schädel ein. Sie bohren sich tief durch die Schädelplatten, das meine ich ernst. Ich merke es an dem Pochen in meinem Kopf. Jede Sekunde geht ein Schlag von meinem Hinterkopf aus, der sich ausbreitet und mich erbeben lässt. Ich friere. Ich sitze zusammengesackt auf der Parkbank. Es ist dunkel, nur die Straßenlaterne spendet etwas Licht. Dosen liegen zu meinen Füssen. Und eine schwarze Tasche. Ich habe Durst. Ich zähle die leeren Bierdosen, es sind nur fünf. Ich bin allein. Ich versuche aufzustehen, der Schmerz zwingt mich aber, sitzen zu bleiben. Ich lege mich seitwärts auf die Bank. Das Pochen in meinem Kopf begleitet mich. Ich bin froh, dass das Pochen da ist, obwohl es schmerzt. Ich winkle meine Beine an, drücke sie an meinen Oberkörper und liege da wie ein Fötus im Mutterleib, damit ich nicht friere. Ich will nur noch, dass es vorbei ist. Der Schlaf wird mich retten, also stelle ich mich tot und warte. Die Parkbank ist eiskalt. Ich denke an den Tag. Habe ich vorher mit einem Mann auf dieser Parkbank Bier getrunken? Ich glaube nicht.
Ich wache auf. Die orangen Sonnenstrahlen des Morgens blenden mich. Ich kneife die Augen zusammen. Ich richte mich auf der Parkbank auf und übergebe mich. Das Pochen ist noch da, doch es ist ganz schwach. Es kommt jetzt unregelmäßig, doch erinnert mich an die letzte Nacht, wenn es einsetzt. Und dann lächle ich. Ich stehe auf und nehme meine Ledertasche, die leer ist. Die Dosen auf dem Boden lasse ich liegen. Ich rücke mir die rote Krawatte zurecht, bevor ich mich auf den Weg mache. Den Weg, den ich gestern schon hatte gehen wollen.
Ich musste über den Fluss, um zu Carla zu kommen. Ich laufe über die Brücke. Auf der Mitte der Brücke bleibe ich stehen und blicke auf das Wasser des Flusses. Das Morgenlicht lässt die Wellen hin und her tänzeln. Ich schaue gebannt auf das Wasser und stelle mir dabei vor, was sie gerade tut. Normalerweise trinkt sie um diese Zeit ihren Kaffee, in den sie viel Milch mischt, und liest die Zeitung. Das Politik-, Sport- und Wirtschaftsressort liegen unberührt auf dem Tisch. Sie liest immer nur den Kulturteil. Ich sitze ihr jeweils gegenüber und schütte meinen Kaffee, schwarz, hinunter. Ich bin in Eile. Jeden Morgen. Wenn ich jetzt an sie denke, sehe ich sie aber alleine. Ohne mich. Nur sie mit der Kaffeetasse auf dem Tisch und dem Kulturteil der Morgenzeitung in der Hand. Werde ich sie noch einmal sehen oder werde ich an dem Haus vorbeilaufen? Ich weiß es nicht. Ich taste nach meiner rechten Hosentasche, hole das Messer heraus, das in der Morgensonne kurz aufblitzt und lasse es in den tanzenden Fluss unter mir fallen. Ich kann das plätschernde Geräusch nicht hören, als die Klinge die Wasseroberfläche durchdringt. Trotzdem hallt ein Plätschern in meinem Ohr nach, als ich weiterlaufe.