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Gestürzt, gestützt, gestrichen

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28.04.2006
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Gestürzt, gestützt, gestrichen

Was bisher geschah. Vor der Haustür ratterten meine eisigen Finger an den grünen Zaunstangen, so wie geknickte Zettel oder verhaktes Laub an Fahrradspeichen, wie kleine Motoren. Kalter Atem schoss in meine Nase. Bald wird es eisig – hoffentlich -, es sollte ja schon Herbst sein, jedenfalls meteorotrop. Ja, ja, der Winter wird ausfallen, alles wird schlimmer.
Ich stehe in der Küche. Bei offnem Fenster. Mit einem Messer in der Rechten. Warten. Der Toaster brät Brot, der Wasserkocher brodelt, die Wanduhr tickt. Draußen hätte man ganz besonders gut Meteoren sehen können, hätte man nicht die ganze Stadt mit liebevoller Weihnachtsbeleuchtung in Flammen gesteckt. Aus dem Radio dröhnen Frequenzen des Limbos: Erkältete Moderatoren, die einem was von Merry Xmas erzählen wollen, die krächzend ermüdete Autobahnfahrer und Enkel orientierte Hausfrauen für ein anständiges Fest beraten und beistehen wollen, die für ein ordentliches Unterstreichen der Leiden unter Stubentische verreckender Hunde bemüht sind.
Morgen werde ich wieder nach Torgau, in meine Heimatstadt, fahren. Mit dem Zug, vielleicht sogar stehend, mit einem Pappbecher Kaffee, jetzt zur Weihnachtszeit, und wie immer Spiegelungen beobachtend. Meine Anwesenheit wird erwünscht, das ist familiärer Leistungssoll, man möchte gemeinsam fernsehen, sich einem Dreck von Artigkeit hingeben. Warum macht man das? Aus Neid auf Christen, Katholiken, Protestanten? Weil es stattlich genormt ist? Weiß man sonst nichts, was man mit dieser freien Zeit anfangen soll? Die möchte gern Gottesleugner brauchen unbedingt neue Definitionen für Weihnachten, vielleicht wie boxing-day, es regnen Geschenke, materielle Gefälligkeiten, frei von religiösen Aspekten.

Im Zug. Wir sind ganz schön gerast. In den Kurven hatte man das Gefühl umzukippen, so weit neigten sich die Eisenbahnwagen. Ab und zu durchschaukelten Bepackte unseren Wagon, auf der Jagd nach freien Plätzen oder nach einem Pissoir. Schön waren draußen die Felder. Ein Nebel drückte stark auf ihnen, auf uns, als würden wir auf grünen Seen schwimmen, wie Korsaren, wie Manen. Kalte stiegen auch zu, sie saßen vor, hinter und neben mir und starrten, berührten sich unserer Blicke, mit trocknen Augenlidern, die aller zwei Sekunden wie verrostete Guillotinen niederfielen. Ich hatte Lust zu rauchen und war froh, es nicht zu dürfen. Vor Mockrehna waren Kartoffelfelder, auf einem hastete ein junges Reh, aus dem Nebel, in den Nebel, Augenblicke später sah ich falbe Autolichter auf Landstraßen zittern, eine kindliche Silhouette winken, mit Vater und Mutter, sogar mit Hund, der zwischen Disteln etwas zu jagen schien.
«Nächste Haltestelle: Torgau. Ausstieg: rechts.»
Angekommen. In der Vernebelung umarmten sich Menschen. Auf dem kargen Bahnhofsvorplatz, ein halbes Beton überzogenes Fußballfeld, lagen Tau beduschte Ahornblätter, ganz grün, ganz glatt, eben saftig. Für so Manchen seien es Beweise für eine ‚scheiß’ Weihnacht, weil’s nicht eisig, weil’s nicht tot genug ist, oder für die sichere, baldige Apokalypse. Zwischen dem russischen Friedhof, der neue weiße Grabsteine trägt, und dem Glacis blieb ich stehen, drehte mir eine Zigarette und wendete mich langsam, mit vorauseilenden Augen. Meine schwarz glänzenden Schuhe glitten schon beinahe auf dem frostigen Kiesel. 360gradige Erinnerungsstaffagen: Dort küsste ich einst ein Mädchen, da, am Teichesrand, saß ich mal mit einem Freund bei versinkender Spätsommersonne und auf der angrenzenden Wiese baute ich, vielleicht zehn Jahre davor, begeistert mit meinen Brüdern und Schwestern Iglus, glitzernde Paläste, und Schneemänner, strahlende Wachen, die wir Tage später Sylvesterknallerzerbombt auffanden. Als Kleinstädter hat man halt nur wenige Kulissen, vor denen man Dasein spielen kann. Solche Orte werden dann auch immer die größte Erinnerungsdichte haben, weil sich an diesen alles Neuerlebte mit dem Vorangegangenen überlappt, dabei vielleicht beißt, sodass man simultan verachtet und mag. Ich schleppte mich verstört, mit konvulsivisch wirkenden Mundwinkeln, durch die Straßen, vorbei an anderen Konsternierten, auf dem Weg zu meiner Familie - the Christmas of the living dead.
Das Festtagsmahl, das heißt Kartoffelsalat und Würstchen, schlief schon essbereit, chic gedeckt auf dem Tisch, als ich kam, mich hastig entschleierte, akklimatisierte. Ich aß schnell, war übereilt satt, danach gab's Bescherung, das kennt man ja, und danach Spielfilme im Fernseher, Blockbuster, alles für das gute Fest; na ja.
«Nachdem Essen muss man Eine rauchen», sagte meine Mutter bevor wir ins Bad gingen, um eben das zu tun.
Wir standen am offenen Fenster mit Blick auf dem Hinterhof und auf dem Hinterhof hinter unserem Hinterhof, dort wurde ein Haus saniert, da lag Baustellengerüst, ein Eimer, ein Kabel. Im Bad entstanden die wirklich innigen Momente, man spricht dort besonders unter Vertrauen, wird utopisch, selig, man möchte einfach nur aus dieser Stadt verschwinden. Abgehauen sind wir dann auch. Meine Brüder und ich, zu einem Freund, den holten wir raus, um gemeinsam in die Kneipe zu gehen - obligatorische Heiligabend-Afterschowparty. Für eine Stunde, erstmal für ein Bier brüteten wir dämlich im "Alten Hut", eine Remise, die ich vor Jahren wegen des Klientel oft bevorzugte, in der jetzt Modegeschäft-Drum-and-Bass-Musik auf Repeat läuft. Niemand wollte dort lange bleiben, ich hatte mir auch mehr erhofft, ich wollte alte Gesichter wieder treffen, welche vielleicht auch von Daundda hier her gedroschen wurden. Dazu kam es allerdings nicht, leider, ich begann sie zu vermissen, ich werde ihnen schreiben. So in etwa gestaltete sich auch der erste Weihnachtstag, nur dass es Ente gab, von der ich nichts aß.

 

hello StephanPusch,

ein etwas melancholischer Blick - aber philosophisch? Es ist doch eher eine Kritik an Weihnachtsüblichkeiten.

'Die möchte gern Gottesleugner...' - vielleicht Möchtegern-Gottesleugner? Und was eigentlich unterscheidet hier einen Möchtegern-Gottesleugner von einem echten Gottesleugner?

'..Im Bad entstanden die wirklich innigen Momente, man spricht dort...' - Warum der Zeitenwechsel? Es sind noch einige Fehler dieser Art dabei.

Ich kann mit dieser Geschichte nicht so enorm viel anfangen, empfinde nur düstere Stimmung, trotz poetischer Einsprengsel wie 'am Teichesrand'.

Viele Grüsse vom gox

 

gox schrieb:
'Die möchte gern Gottesleugner...' - vielleicht Möchtegern-Gottesleugner? Und was eigentlich unterscheidet hier einen Möchtegern-Gottesleugner von einem echten Gottesleugner?

Ich habe mir das so erklärt: Ein Gottesleugner ist Atheist, Agnostiker, was-auch-immer und entsagt sich vollkommen den christlichen Bräuchen. Ein Möchtegern-Gottesleugner ist dann wohl jemand, der sich den christlichen Bräuchen anschließt und daher den Titel des wahren Atheisten nicht verdient.
Ich finde die Geschichte gut. Vermittelt zumindest das Gefühl des Prot ziemlich gut. Ob philosophisches das richtige ist, sei mal dahingestellt. Vielleicht Gesellschaft?

 

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