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Gloria - Eine Homage

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24.06.2001
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Gloria - Eine Homage

Gloria - Eine Homage -

Life and Death
energy and peace
if I stopped today it was fun
even the terrible pains that have burned me
and scarred my soul
It was worth it for having been allowed
to walk where I walked
Which is to hell on earth
Heaven on earth
back again, into, under, far in between
through it, in it, over and above it.
Gia Carangi, 1986.


Das Licht fiel durch die großen Fenster in den Raum. Kein wirklich strahlendes Licht, denn der Herbst hatte bereits Einzug gehalten. Er war gekommen mit all seinen Stürmen. Wind, der durch die Straßen pfiff und Regen. Laub auf dem Boden, braun und schmierig. Eine triste Jahreszeit, welche einen durchaus depresiv stimmen konnte. Vor allem nach einem Sommer voll Sonne und langen Tagen im Freibad der Stadt.
Mein Blick wanderte durch die große Halle. Trennwände – zur Zeit offen stehend – unterteilten sie in drei Bereiche. Studio A, Studio B und Studio C. Keine wirklich großen Namen, doch zweckmäßig. Hinzu kamen Kaltlicht und Jupiterlampen, diverse Schirme und Stative. Auch eine Mappe mit dem Terminplan des Tages lag aus.
In A würde eine Firma für Haushaltsgeräte Aufnahmen für einen neuen Schrubber machen lassen. Das Modell sollte das Ding in verschiedenen Posen halten, dabei debil in die Kamera grinsen und so tun, als sei Putzarbeit das reinste Vergnügen. Schlimmer jedoch war die Art, wie sie den Stiel des Schrubbers halten sollte. Mal sah es so aus, als wolle sie den Schwanz ihres Freundes masturbieren und mal, als sei sie eine Hexe auf ihrem Weg zur Walpurgisnacht auf dem Brocken. Wir hatten versucht, ein paar andere Motive vorzuschlagen, doch der Kreative der Firma hatte sich unerbittlich gezeigt, war von seiner eigenen Größe überzeugt. Okay, wenn er es so wollte...
Vielleicht konnte man die Aufnahmen verfremden und an einen Sexshop verkaufen. Ein wenig Fotomontage, und aus dem Schrubber wurde schnell ein Dildo. Dort war es egal, ob man masturbierte oder ritt...
In Studio B liefen die Aufnahmen für ein Versandhaus. Mode für jedes Alter, präsentiert von Modells in jedem Alter. Von 17 bis 50 war alles vertreten. Ein paar Profis, sehr viele Amateure. Kein Zuckerschlecken für die Photographen, die ein ums andere mal verzweifelt den Kopf schüttelten, während die Frauen auf der kleinen Plattform ihr Bestes gaben. Doch das war eben nicht immer genug. Und auch die professionellen Modells schienen genervt, wenn ihre Kolleginnn eine Einstellung versauten, weil sie eben den Kopf zu schief hielten und aussahen wie Crash-Test-Dummies nach einer Versuchsreihe.
Drei Tage sollte dieses Shooting dauern. Drei lange Tage mit über 500 Aufnahmen. Stress pur von früh bis spät. Mich nervte dieses Gewimmel schon jetzt.
Im letzten Studio fanden die Aufnahmen für eine neue Kampagne statt. Gib AIDS keine Chance mit Mädchen, welche samt und sonders positiv waren. Gia Carangi war das erste Modell mit dem Virus, doch bei weitem nicht das letzte. Es gab sogar eine eigene Agentur, und ehrlich gesagt arbeitete ich mit diesen Leuten am liebsten. Allein schon, weil sie nicht mehr dem Wahn erlagen, ihre Schönheit für die Ewigkeit konservieren zu müssen. Sie wussten um den Virus in ihrem Körper und sie wussten um die Vergänglichkeit ihrer Schönheit, ihrer Gesundheit und ihres Lebens. Sie waren oft natürlicher, lockerer als all die kleinen Sternchen, welche sich auf den Laufstegen der Welt tummelten und in den Studios vor den Kameras räkelten. Eine Erfahrung, welche ich schon früh gemacht hatte. Damals, als ich noch selbst eine Photographin war mit dem Finger am Auslöser. Und daran hatte sich auch nichts geändert, als mich meine Bosse zur Aufnahmedirektorin machten, mir damit sehr viel Verantwortung gaben und gleichzeitig auch sehr viel Spaß nahmen. Es ist unvergleichlich, Menschen in Szene zu setzen. Sie zu dirigieren und hinterher den Lohn der Mühe auf Hochglanzpapier zu sehen. Warum ich damals akzeptiert hatte – keine Ahnung. Okay, da war der Lohn gewesen, welcher mich gereizt hatte. Und es gab mir die Macht, Locations zu bestimmen und Termine. Wenn es draußen eisig wurde, flogen wir eben mit der Crew nach Hawaii und absolvierten dort unsere Sessions. Oder – noch besser – nach Chamonix, um ein wenig Schneegestöber aufzunehmen. Dinge, welche mir noch vor zwei Jahren aufdiktiert worden waren. Selbst als Chefphotographin hatte ich in solchen Dingen kein Mitspracherecht gehabt. Inzwischen konnte ich diktieren, bezog jedoch Ralph – meinen ersten Mann am Set – in die Auswahl der Locations ein. Ralph, der warscheinlich beste Photograph den ich je gesehen hatte. Eine treue Seele und stockschwul. Im Jahr zuvor hatte ihn sein Lover verlassen, war gegangen für einen jüngeren Mann. Nächte folgten, in denen ich ihm Gesellschaft geleistet hatte, um ihm über die Trauer hinweg zu helfen. Lange Gespräche über das Leben an sich und im Besonderen, Gin-Exzesse und durchnässte Taschentücher. Eine Woche dauerte es, dann kam sein Lover zurück und die Wolken wandelten sich von tristem Grau zu einem herrlichen Rosa. Liebe kann schön sein. Irgendwann, so nahm ich mir damals vor, liebe ich auch mal.

Meine Gedanken wurden unterbrochen, denn das Leben kehrte ein in die Hallen. Trennwände schlossen sich automatisch, Geschnatter auf dem Gang vor den Studios. Die Modells kamen.
Ralph spazierte herein, in der Hand seine Kamera. Ein Grinsen huschte über sein Gesicht, als er den Schrubber sah.
„Vielleicht sollten wir die Bilder einfach nach unseren Vorstellungen machen“, schlug er vor, doch seinem Gesicht war anzusehen, dass er es nicht ernst meinte. Der Kunde bekam, was immer der Kunde wollte. Und wenn er ein einen Schrubber masturbierendes Modell wollte, so bekam er auch das.
Lächelnd nickte ich, begüßte die Frau, welche für diese Aufnahmen ausersehen war. Etwas zauselig, denn der Wind hatte ihre Frisur ein wenig ruiniert. Doch es gab nichts, was unsere Frisörin nicht in den Griff bekommen hätte. Auch die Visagistin stand bereits in den Startlöchern, hielt den Schminkkoffer geöffnet. Ein wenig Puder hier, ein wenig Rouge da und schon glänzte nichts mehr, erhielt die Person vor der Kamera eine gesunde Gesichtsfarbe. Die Person hinter der Kamera hingegen schwitzte und glänzte, ohne dass es jemanden interessierte.
Ralph hatte sich inzwischen aus dem Staub gemacht, plauderte wahrscheinlich mit der Chefin des Versandhauses in Studio B. Wir kannten sie beide, und beide hegten wir eine Abneigung gegen diese Schnepfe, die immer alles besser wusste und meinen Photographen erklärte, wie sie ihen Job zu erledigen hatten. Normalerweise tauchte sie nur am ersten Tag auf, gab Anweisungen, die niemanden wirklich interessierten und verschwand spätestens um fünf. Doch diesmal wollte sie die komplette Session überwachen, und meine Photographen nahmen bereits Baldrian, um diese Tortur zu überstehen. Vielleicht war es angebracht, einen kleinen Bonus auszuloben. Für besondere Geduld im Umgang mit der Schnepfe etwa.
Lächelnd verließ ich A, schlenderte über den kurzen Flur. Der Hausmeister lief mir über den Weg, wie immer einen Kaugummi kauend und mit einem verschmitzten Zwinkern im Auge. Auf ihn konnte man sich verlassen – egal wie spät es wurde und selbst dann, wenn wir das Studio Sonntags brauchten. Er war da, schloss auf und sorgte dafür, dass alle Birnen glühten und aus allen Steckdosen der Saft floss. Ja, ein wirklich guter Mann.
In B waren die Aufnahmen bereits im Gange. Die Modells hatten kaum Anlaufzeit gebraucht, waren nach einer kurzen Schminksitzung auf die Plattform gehüpft.
Ralph schaute seinen Kollegen über die Schulter, ohne sich einzumischen. Auch wenn er den ein oder anderen Verbesserunsgvorschlag gehabt hätte – er hielt sich zurück. Es reichte schon, dass Schnepfe umher lief und irgendwelche blödsinnigen Kommentare abgab. Aber immerhin konnte sie später behaupten, selbst die Session überwacht und zum großen Erfolg der Bilder beigetragen zu haben. Und darauf schien es ihr anzukommen. Andererseits zahlte das Modehaus einen großen Batzen an uns, und dafür konnten wir uns ruhig drei Tage hindurch nerven lassen. Um so mehr, als das sich Ralph und ich um C kümmerten. Mein und auch sein Favorit an diesem Tag.
Mein Chefphotograph klopfte seinem Kollegen kurz auf die Schulter, munterte ihn so auf, während ich bereits durch die Tür verschwand, bevor mich Schnepfe sah und aufforderte, ebenfalls anwesend zu sein. Früher hielt sie mich für inkompetent, heute – nach meiner Beförderung – sah sie in mir einen weiblichen Guru des Studios. Warum auch immer. Ralph schoss bessere Bilder, als es mir jemals möglich gewesen war, und wenn einer den Titel Guru verdiente, dann er. Das sage ich hier ganz ohne Neid, denn ich war froh, ihn als Nummer Eins zu haben. Wahrscheinlich wäre er ein lausiger Studioleiter gewesen, doch als Photograph...
Auch in Studio C hatte das Leben begonnen, doch noch wimmelte es etwas undiszipliniert. Ein paar Frauen saßen auf den Stühlen der Visagistinnen, während andere in einer Ecke hockten und Wasser tranken. Es wurde geschnattert und geplappert, manche lachten. Die Stimmung gelöst, die Atmosphäre locker. Perfekt für ein anstrengenes Shooting.
Lächelnd begrüßte ich einige der Modells, kannte die Meisten bereits aus vorangegangenen Sessions. Die wenigsten hatten sich verändert. Längere Haare hier, ein wenig schlanker oder auch kräftiger dort.
Genüsslich nahm ich in meinem Stuhl Platz, ließ da Gewimmel an mir abtropfen. Ralph tat es mir gleich, lud dabei jedoch seinen Film und schob sich ebenfalls einen Kaugummi in die Backentasche. Dabei glitt sein Blick über die Szene. Eine blaue Hintergrundwand, auf welche man später verschiedene Motive projezieren konnte. Auch der Slogan – Gib AIDS keine Chance würde dort erscheinen. Gemeinsam mit einem Gruppenfoto und dem Hinweis, dass es jeden erwischen konnte, man es niemandem ansah. Eine gute Kampagne. Nicht neu, sondern ein Refresh. Dennoch gut. Entsprechend niedrig hatten wir auch den Preis angesetzt, leisteten so unseren Beitrag.
Schließlich waren die ersten Frauen fertig, erklommen die Plattform. Ein paar Close-Ups standen auf dem Programm, und Ralph schraubte sein Spezialobjektiv auf. Damit gelang es ihm, die Gesichter der Modells besonders weich erscheinen zu lassen, edel. Zudem brachte die verwendete Linse die Hautfarbe besonders gut zur Geltung.
Nicht von jedem Modell wurden Nahaufnahmen gebraucht. Manche der insgesammt fast dreißig Personen sollten auch nur in vereinzelten Szenen mitwirken, andere gar nur in der Schlusseinstellung. Dennoch waren sie bereits zugegen, schauten zu oder nutzten die Gelegenheiten zu einem Plausch mit ihren Kolleginnen.
Es war eine rein weibliche Truppe – warum auch immer. Im Katalog der Agentur gab es auch Männer, doch offenbar hatten sich die Verantwortlichen diesmal auf die Ladies spezialisiert. Oder aber die Männer würden folgen, waren eventuell nicht verfügbar. Auch nicht schlecht, denn dann gab es einen Folgeauftrag.
Die Aufnahmen wurden ernsthafter, verschiedene Hintergrundmotive eingespielt. Es sollte ein wenig künstlich wirken, so eine Allegorie auf die künstliche Welt der Schönheit schaffen. Hätten es die Verantwortlichen natürlicher gewollt, so wären wir an jenem Tag in die Dominkanische Republik geflogen. Doch so blieb das Studio und der Herbst sowie viele künstliche Einstellungen.
Die Aufnahmen gingen weiter. Gegen zwölf brachte mir meine Assistentin ein paar Snacks, gegen eins Wasser. Inzwischen hatte sich die Luft in dem Studio aufgeheizt. Öfters als noch zu Beginn mussten die Frauen geschminkt werden. Schweiß lief, doch die Stimmung blieb gut. Es waren Profis, und das machte das Arbeiten mit ihnen so angenehm.
Auch Ralph kam ins Schwitzen. Er hüpfte vor der Plattform herum, feuerte die Modells an. Und sie gaben ihm, was er wollte. Mal ließ er sie lasziv aussehen, mal brav. Irgendwie schaffte er es, das Beste aus den Frauen zu holen, und einmal mehr freute ich mich, ihn an meiner Seite zu wissen. Das Herz des Studios, der Garant unseres Erfolges. Einen solchen Mann würde ich niemals ziehen lassen, egal welche Gehaltsforderungen er auch immer stellte. Er war jeden Pfennig wert, konnte es auch mit den ganz Großen aufnahmen.
Allerdings war es weniger Loyalität zu meinem Arbeitgeber, welche mich so denken ließ, sondern vielmehr der Gedanke, ein eigenes Studio zu eröffnen. Nicht hier im verregneten Deutschland, sondern im sonnigen Kalifornien. Dort, wo Trends gesetzt wurden und man wirklich in der Oberliga spielte. Oder in New York. Irgendwo – nur nicht hier.
Eine Pause wurde eingelegt, und die Mädchen – in dieser Branche wird jedes Modell als Mädchen bezeichnet, egal wie alt es auch immer ist – liefen hinaus, um sich ein paar kühle Drinks zu holen.
„Gute Arbeit“, murmelte ich, während Ralph neben mit Platz nahm, die Augen schloss. Er brauchte diese kreativen Momente, tankte Kraft für den zweiten Teil des Tages.
„Danke. Sie machen es mir leicht.“
Nickend nippte ich an meinem kohlesäurefreien Wasser, griff nach den Mappen der Mädchen. Überwiegend Setkarten. Alter, Name, Größe und Gewicht. Dazu Bilder in den üblichen Posen. Viel Pflicht und wenig Kür ließen kaum Raum für eigene Ideen. Das war weder erwünscht in diesem Job, noch nützlich. Modells sollten tun, was der Photograph wollte. Sie wurden in Szene gesetzt. Das war eine eiserne Regel. Wer sie nicht befolgte, ihr zuwider handelte, bekam keine Aufträge mehr. So einfach war das.
Meine Assistentin erschien wieder, wedelte mit ein paar Papieren. Aufträge, Angebote und ein persönlicher Brief an mich. Abwerbeversuch eines anderen Studios – dreist hierher geschickt. Allein schon aus Neugier beschloss ich, den Brief nicht sofort in der Rundablage zu versenken, schenkte ihm ein wenig Beachtung. Das Angebot passte, doch ich kannte dieses Studio. Man erzählte sich nur Schlechtes darüber. Die Modells wurden ausgenutzt, die Photgraphen hielten sich für die Götter der Linse. Nein, dann lieber ein bisschen weniger Lohn und dafür ein Klima, welches Raum für Kreationen bot. Oder doch das eigene Studio, aufgebaut von dem Ersparten auf dem Konto und den Reputationen sowie Verbindungen, welche man im Laufe der Jahre geknüpft hatte. Einige Agenturen würden mit uns eine Partnerschaft eingehen – da war ich mir sicher.

Abermals wurde ich schnöde aus meinen Gedanken gerissen, als sich die Tür öffnete und eine schnatternde Schar erfrischter Modells den Raum stürmte. Viele hatte ich bereits auf der Plattform gesehen, doch diesmal fiel mir ein Mädchen auf, welches sich bisher im Hintergrund gehalten hatte. Nur flüchtig sah ich sie, bevor sie bei ihren Taschen im hinteren Bereich bei den Jupiterlampen verschwand.
Kupferne Haare, eine kleine Stupsnase und ein Mund in genau der richtigen Größe. Um zu lächeln. Um lasziv geöffnet mit der Kamera zu flirten. Um zu ... küssen.
Verflixt, diese Assoziation fiel mir ein, und fast schämte ich mich dafür. Plötzlich schoss dieser Gedanke durch meinen Kopf. Niemals zuvor hatte ich ähnliche Verbindungen hergestellt, wenn ich eine hübsche Frau oder einen erotischen Mann gesehen hatte. Modells waren Modells, und ihr Job war es, schön zu sein. Auf viele mögen sie darum besonders reizvoll wirken, doch wenn man den ganzen Tag nur perfekte Schönheiten sieht, sehnt man sich nach dem Gewöhnlichen.
Doch dieses Mädchen hatte mein Interesse geweckt. Und das war um so ungewöhnlicher, als dass mich noch niemals zuvor eine Frau interessiert hatte. Okay, Männer auch nicht, doch dies lag wohl an dem Stress, den mein Job so brachte. Nach einem Arbeitstag jenseits der zwölf Stunden braucht man keinen Partner, der noch irgendwelche Anforderungen stellt. Da braucht man nur noch eine Wanne mit heißem Wasser und ein Bett, in welchem man schlummern kann. That’s it.
Neugierig griff ich nach den Setkarten, suchte jenes Mädchen. Schließlich hielt ich ihre Unterlagen in Händen, überflog die Daten.
Gloria di Angelo
Born: 15.06.1977 – Rome / Italy
Height: 5’9
Dress Size: 6-8-10
Bust: 32
Waist: 22
Hips: 35
Shoes: 7,5
So ging es weiter. Eine perfekte Aufstellung über dieses Mädchen, die jedoch absolut nichts aussagte. Schön, es reichte, um an gute Jobs zu kommen. Aber sonst? Nichts. Welche Musik mochte sie, und welche Filme schaute sie sich an? Worüber lachte sie und was bereitete ihr Angst?
Shit, warum interessierter es mich plötzlich? Die Mädchen kamen, wurden abgelichtet und gingen wieder. Wenn man uns anschließend fragte, so sagten wir die Daten von den Setkarten auf, und damit hatte es sich. Was ging uns der Charakter, der Mensch hinter dem perfekten Make-Up an? Nichts. Sie kamen, sie gingen – fertig. Zu viele in einem Monat, um sich an Namen zu erinnern. Nur die Großen waren bekannt, all die namenlosen Schönheiten um sie herum Dekoration. Und Gloria war im Grunde nichts anderes, denn hier in Deutschland konnte sie kaum den Aufstieg schaffen. Nicht so. Nicht in bei dieser Agentur und nicht bei solchen Jobs. Obwohl sie das Zeug dazu hatte, mehr aus sich zu machen. Wenn ihr der Virus die Chance ließ, sie nicht aus dem Rennen kickte, bevor das Spiel richtig begann. Doch auch dies war nicht meine Sache. Wo und von wem sie sich vermarkten ließ, lag alleine bei ihr. Überhaupt ging mich diese Person, ihr Schicksal oder was auch immer nichts an.
Oder doch? Waren nicht wir es, welche mit diesen Mädchen arbeiteten und genau wussten, wie der Hase lief? Wussten wir nicht viel besser, worauf es ankam, was richtig und was falsch war? Warum schwiegen wir auch dann, wenn wir das Ende einer Karriere sahen? Kein Wort der Warnung, keine Hinweise. Verdammt, weil es uns nichts anging. Weil wir unsere eigenen Probleme hatten und keine Seelsorger waren. Weil es niemanden interessiete und wir unseren eigenen Erfolg höher schätzten als jene, welche diesen Erfolg garantierten.
Dies alles wurde mir klar, als ich Ralph bei seinen Aufnahmen zusah. Es wurde mir klar, und es kotzte mich an. Ein Widerwille entstand in mir, gepaart mit dem Wunsch, es zukünftig besser zu machen. Warum hing ich noch immer in diesem Studio, bei dieser Firma? Das Geld auf meinem Konto genügte, um den Ausbruch zu schaffen. Weg von hier, in die Staaten. Ein paar Mädchen unter Vertrag nehmen, die Modehäuser kontaktieren und ihnen Aufnahmen von uns schicken. Wie gesagt – Ralph konnte es mit jedem in diesem Geschäft aufnehmen. Doch ich klebte auf diesem Stuhl, träumte und philosophierte, statt etwas zu tun.
Mit einer unwirschen Geste verscheuchte ich meine Gedanken, konzentrierte mich wieder auf das Shooting. Zwei Frauen hauchten einander einen Kuss auf die Wangen. Verspielt, nicht wirklich erotisch. Es war ja eine Kampagne, kein Buch für Orion oder Uhse.
Schließlich waren diese Mädchen fertig. Wieder eine kurze Pause, diesmal nur wenige Minuten. Mein Photograph musste die Filme wechseln, einen Schluck trinken. Zudem war nicht ganz klar, wer als nächstes auf die Plattform sollte. Erst sah es nach einem Gruppenbild aus, doch dann entschloss sich Ralph dazu, erst die Einzelshootings zu vollenden und zum Schluss die Szene mit dem Spruch aufzunehmen.
Er winkte, und aus dem Schatten des Hintergrundes löste sich Gloria, ging langsam zu der Plattform. Ihre Bewegungen – geschmeidig. Langsam, sehr langsam und verdammt erotisch bewegte sie sich. So, als sei sie sich ihrer Ausstrahlung vollkommen bewusst.
Es gibt nicht viele Modells, die sich ihrer Ausstrahlung wirklich bewusst sind. Viele wissen um ihre Schönheit und alle glauben, kleine Göttinnen zu sein. Doch Ausstrahlung hat nichts mit Schönheit zu tun, und nur wenige Mädchen vereinen beides.
Doch Gloria hatte all das. Beauty, Ausstrahlung und eine unglaubliche Portion Sex, welche sie mit jedem Blick, jedem leichten Öffnen ihres Mundes verströhmte.
Ich war – und ich schäme mich nicht, dies zuzugeben – fasziniert. Nein, mehr als das. Sie zu sehen, machte mich an. Auch wenn ich selbst eine Frau war, so konnte ich mich ihrer Erotik nicht entziehen. Meine Hände wurden feucht, als mich ihr Blick traf, fast in meine Seele eindrang. Kurz, nur für den Bruchteil einer Sekunde kreuzten sich unsere Blicke, doch es genügte, um mein Herz schneller schlagen zu lassen.
Eine völlig überzogene, irrationale Reaktion meines Körpers. Und doch weder zu leugnen noch abzustellen. Ganz im Gegenteil. Plötzlich erwachte der Wunsch, sie aus der Nähe zu sehen. Sie in Szene zu setzen.
Mein logisches Denken klinkte aus, und noch bevor mein Gehirn reagieren konnte stand ich neben Ralph, nahm ihm den Photoapparat aus der Hand. Überrascht musterte er mich, nahm dann jedoch Platz. Ich war die Chefin, und wenn es mich gelüstete, ein paar Aufnahmen zu machen, so konnte ich es tun. Ohne jemanden zu fragen und ohne um Erlaubnis zu bitten.
„Hey Gloria“, rief ich ihr zu, ging dabei in die Knie. Auch sie schien etwas überrascht, schaute zu mir. Klick.
„Und jetzt dreh dich“, rief ich ihr zu. Klick. Klick. Ihr Kleid flog etwas, während sie sich um die eigene Achse drehte, dabei lachte wie ein kleines Mädchen. Verdammt, mein Herz schlug noch schneller.
„Und jetzt öffne die Lippen. Zeig mir deine Zähne.“
Sie tat es. Klick. Klick. Ein perfektes, perlweißes Gebiss und eine sanft-rosa Zunge, welche verspielt über die Lippen strich. Mir wurde warm.
„Stütz den Kopf auf und schau mich an. Komm, schau genau zu mir.“
Verdammt, dieses Mädchen wusste exakt, worauf es ankam. Das hier waren Bilder jenseits der Kampagne. Wenn wir fertig waren, konnte sie sich überall bewerben. Doch ich wollte mehr. Bisher hatte sie mir ihr Können gezeigt. Aber ich wollte ihre Seele. Ich wollte das, was nicht in den Setkarten von ihr stand und nicht auf den vielen Hochglanzbildern zu sehen war, welche sie bereits hatte anfertigen lassen. Und mir wurde klar, dass ich es nicht zu sehen bekommen würde. Nicht jetzt und nicht in dieser Atmosphäre. Fast verschämt stand ich wieder auf, steckte die Kamera zurück auf das Stativ, lächelte Gloria zu. Sie erwiderte mein Lächeln, und kurz hatte ich das Gefühl, dass sie mich verstand. Doch dies konnte auch ein Irrtum sein.
Ralph kerhte zurück, und in seinen Augen sah ich ein humoriges Blitzen, während ich zu meinem Platz schlich, mich hineinfallen ließ und hoffte, die Welt möge mich verschlingen. Mir war, als wüsste jeder um meine Empfindungen, während ich die Kleine abgelichtet hatte. Eine Illusion, denn niemand konnte in mich hinein schauen. Und doch war da dieses Gefühl der Unsicherheit, der Scham.
Das Shooting nahm seinen Lauf, Gloria wurde abgearbeitet und im Anschluss folgten die Gruppenszenen. Doch all das ging an mir vorbei. Meine Gedanken blieben bei dem Mädchen mit den funkelsten, grünsten Augen, welche ich jemals gesehen hatte. Sie blieben bei diesem kurzen Moment, als sich unsere Blicke trafen und auch bei jener Szene, als ihre Zunge über die Lippen leckte.
Sie stand noch immer auf der Plattform, posierte nun mit den anderen Modells. Hin und wieder warf ich ihr einen verstohlenen Blick zu, schaute jedoch weg, wenn sie den Kopf hob. Ehrlich gesagt – ich fühlte und benahm mich wie ein Teenager.
Innerlich das Ende dieser Session herbeisehnend packte ich meine Taschen, zerriss den Abwerbeversuch und stapelte die Setkarten, so dass sie von den Mädchen gefunden werden konnen. Warum hatten sie diese Dinger überhaupt mitgebracht? Sie alle waren bei einer Agentur beschäftigt, mussten sich nicht mehr um einen Job bemühen. Ihr Chef war ein guter Agent, der für sie sorgte. Nicht wirklich, aber besser als viele andere, welche in ihren Modells nur Ware sahen.
Dennoch hatten sie die Karten mitgebracht, ausgelegt. Vielleicht, so überlegte ich, suchten sie eine neue Bleibe. Oder es sollte die Chancen erhöhen, direkt über das Studio einen Job zu erhalten. Der Weg lief nicht immer zuerst über die Agenturen, das stimmte schon. Oft wurden wir im Vorfeld kontaktiert, suchten uns die Mädchen aus. Vor allem dann, wenn die Auftaggeber ein Komplettpaket wollten, sich keine Gedanken um Details machten.
Ich beschloss, die Karten einen Tag zu behalten, zu kopieren. Zwar waren die Bilder dann etwas schlechter, doch als Grundkapital für mein Studio...
Und mit diesen Mädchen konnte man arbeiten, gar keine Frage. Professionell und locker, an die Kamera gewöhnt und irgendwie dankbarer als andere Modells. Doch dies konnte auch Einbildung sein. Vielleicht wollte ich etwas sehen, dass gar nicht da war. So wie Glorias Blick und die Art, mich anzusehen. Ich hatte mich hinreißen lassen, es auf sie übertragen.
Ralph beendete derweil die Aufnahmen, bedankte sich artig und lobte die Mädchen für ihre hervorragende Arbeit. An der Art, wie er dies tat konnte man sehen, ob es der Wahrheit entsprach oder gelogen war, lediglich der Höflichkeit diente. Hier war es ihm ernst, und es gab für jedes Mädchen ein Bussi. Braver Ralph.
Die Modells kamen, verabscheideten sich auch von mir und freuten sich, dass ich die Karten einen Tag lang behalten wollte. Es erhöhte die Chancen auf einen nächsten Job.
Auch Gloria kam, strich sich eine Strähne aus dem Gesicht. Ihr Blick funkelte noch immer, und ein leicht spöttisches Lächeln ummalte ihre Lippen.
„Ich brauche neue Fotos für meine Karte. Hast du Lust, noch ein paar Aufnahmen zu machen?“.
Sie wandte sich an mich – nicht an Ralph. Und ihre Stimme allein jagte mir einen Schauer über den Rücken. Sanft, und doch fest und bestimmt. Sie schien genau zu wissen, was sie wollte.
Ich starrte, und dieser Umstand ließ mich rot werden. Verflixt, ich starrte sie wirklich an. Und ihr schien es zu gefallen, denn sie stand lässig vor mir, in ihrer verwaschenen Jeans und dem ewtas weiten Shirt, welches sie sich übergestreift hatte. Die Daumen steckten in ihren Taschen, und nichts verriet Hoffnung, Ungeduld oder was auch immer in diesem Moment in ihr vorging. Sie stand einfach da, lächelte ein wenig kess und wartete, während ich starrte.
Ralph sprang in die Bresche, räusperte sich.
„Wenn du willst, kann ich die Bilder schießen. Hab ohnehin nichts vor.“
Genau dieser Satz war es, der mich endlich reagieren ließ. Kurz entschlossen nahm ich ihm die Kamera ab, griff nach einem neuen Film.
„Gib mir zehn Minuten“, murmelte ich zu Gloria gewandt. „Ich will nur schnell einen Müsliriegel essen. Du kannst dich ja schon mal umziehen.“
Das Mädchen nickte, verschwand wieder im Hintergrund. Das Geräusch eines sich öffnenden Reißverschlusses schwang durch die Halle, und ich stellte mir vor, wie sie just in diesem Moment ihre Jeans abstreifte, nur mit einem Slip bekleidet im Halbdunkel stand und die geigneten Kleider suchte.
Mein Photograph grinste derweil wieder, sammelte die verschossenen Filme ein und packte sie zurück in die Hüllen. Sie würden an das Labor gehen, und erst in zwei Tagen vorliegen. Dann begann die Vorauswahl, welche wir an die Werbeagentur schickten, die mit dieser Kampagne betraut worden war. Diese trafen letztlich die endgültige Entscheidung.
„Na, dann wünsche ich euch noch viel Spaß“, griente er, winkte kurz und verschwand. In diesem Moment wurde mir klar, dass wir allein waren. Auch die anderen Studios hatten längst die Schotten geschlossen. Draußen ging die herbstliche Sonne unter, und dieses Licht schien wie geschaffen für ein stimmungsvolles Intro. Schließlich war es an mir, die Pflicht aufzulockern. Close-Up, Seitenansichten, verspielt und ernst. Ein Modell musste alles können und die Setkarten mussten alles zeigen. Ein Repertoir, welches man als Photographin im ersten Jahr lernt. Immer die gleichen Posen, immer die gleichen Einstellungen. Setkarten können tödlich langweilig sein. Zudem bringt es nichts, wenn man sich als Photographin gehen lässt. Das Modell muss mit diesen Bildern leben. Also bleibt nur, die Form zu wahren. So wenig wie man sich bei Passbildern gehen lassen kann, so wenig kann man es bei Setkarten.
Andererseits gab es kein Gesetz, welches einem verbot, über die Aufnahmen für die Karten hinaus aktiv zu werden. Wie gesagt, ein stimmungsvolles Intro – als Kür sozusagen – auf welches die Pflicht folgte und mit einem gewagten Finish endete.
Ja, so wollte ich es angehen.
Inzwischen hatte Gloria die Plattform betreten, hockte im Schneidersitz in der Mitte des Runds und wartete auf mich. Sie trug eine zerschlissene Jeans und ein weites, schlabberiges Shirt. Ihre Augen waren unverandt auf mich gerichtet, schienen mich abzuschätzen. Und ja – ich fühlte mich unter diesen Blicken unwohl, wurde etwas fahrig. Shit. Das hatte mir gerade noch gefehlt. Dass sie mir anmerkte, wie groß die Unsicherheit in mir war, welche sie auslöste. Die Verwirrung tief in mir, welche ihre Nähe, ihre Blicke auslösten. Meine Reaktionen – sowohl körperlich als auch mental – ausgedrückt in schwitzigen Händen und einem wesentlich schnelleren Puls.
Niemals zuvor hatte ich darüber nachgedacht, mich niemals auch nur mit der hypothetischen Möglichkeit befasst, mehr für eine Frau empfinden zu können als reine Freundschaft. Sexuelle Attraktionen – wenn überhaupt – gingen für mich stets nur von Männern aus. Ein kleiner Fick hier, ein langes Weekend da. Das war es auch schon. Er kam, ich kam, er ging, ich ging. Das war alles. Kein wirkliches Sexleben, aber auch keine Zeit, es zu bedauern. Der Stress fraß alles andere.
Und jetzt kniete ich vor der Plattform, schaute in diese Funkelaugen und wünschte mir, mehr über dieses Wesen in Erfahrung zu bringen.
Ihre Mähne wirkte so wild und ungebändigt wie ihre Augen, welche tief in meine Seele einzudringen schienen. Ihre Haut – makellos und hell. Zu hell im Grunde, doch sie bildete einen wunderbaren Kontrast zu ihren Lippen, welche in einem matten Rot schimmerten.
„Bleib so“. Klick.
Ich schoss die ersten Photos, ging um sie herum. Ihr Kopf drehte sich etwas, während ich mich bemühte, mit meiner Kamera eine Beziehung zu ihr aufzubauen. Sie musste mich mögen, aktzeptieren und mir vertrauen, damit die Aufnahmen gelangen. Sonst wirkten die Bilder steril, ohne Geist. Tödlich bei Setkarten.
„Und jetzt zeig mir ein kleines Lächeln“, forderte ich sie auf. „Schüchtern, aber echt.“
Klick. Klick. Klick.
Sie gab mir das Lächeln, würzte es zum Abschluss mit einer Prise Ironie. Das Flirten mit der Kamera begann – ich hatte meine Beziehung.
„Und jetzt hoch mit dir. Dreh dich etwas und schau dann zu mir.“
Klick.
„Und jetzt streck dich. Die Arme hinter den Kopf, den Blick zur Decke.“ Sie tat es, das Shirt hob sich etwas, ließ ein wenig den flachen Bauch sehen, während sich ihre Brüste hoben. Klick. Klick. Und noch einmal. Klick.
Eine Aufnahme nach der anderen landete im Kasten, während das Mädchen wirklich alles gab. Sie wurde wilder mit jedem Aufleuchten des Blitzes, schien sich in den Posen und Szenen zu verlieren. Selbstvergessen wuschwelte sie sich das Haar, schloss dabei die Augen. Klick.
Gloria mit geöffneten Lippen und feuchter Zunge. Klick.
Sie auf allen Vieren, wie eine Raubkatze den Kopf im Nacken. Klick.
Ein Film, dann zwei, drei. Setkarten? Nicht wirklich? Es war ein selbstvergessenes Hingeben.
Vielleicht hatte sie es sich so erhofft. Vielleicht ließ sie sich auch fallen, ohne zu denken. Oder aber es war alles Teil eines Plans mit einem für mich noch undurchsichtigen Ziel. Doch wozu denken, wenn man besser fühlen sollte? Wozu analysieren, wenn sich die Chance bot, sich in einer Situation zu verlieren? Gloria war da, und ich war da, und auch diese Kamera. Es waren die besten Bilder meines Lebens. Ich spürte es. Niemals waren Aufnahmen von mir intensiver, und niemals wieder würden sie diese Intensität erreichen. Nicht, wenn ich in diesem Studio blieb, bei diesem Job. Gott, Gloria schaffte es, mein Innerstes auf den Kopf zu stellen und dennoch für absolute Klarheit zu sorgen. Ich musste hier raus. Ich musste tun, was ich am besten konnte. Ich musste diese Magie des Moments einfangen, konservieren und in eine andere Zeit transportieren. In eine Zeit, in der ich keine Angestellte mehr war, sondern eine freischaffende Künstlerin. Ja, das war es. Besser als ein eigenes Studio. Zur Hölle mit all dem und zur Hölle mit Ralph. Ich war besser. Das spürte ich in diesem Moment. Und Gloria wusste es, warf den Kopf in den Nacken und grinste so obszön, dass ich die Erotik in dieser Geste fast körperlich spürte.
Es war ein Rausch – entfacht von dem Mädchen auf der Plattform und auch von ihr beendet. Plötzlich sackte sie zusammen, hielt für ein paar Sekunden die Augen geschlossen, bevor sie mich wieder mit ihrem unheimlichen, tiefgehenden Blick fixierte. Ich kniete vor ihr auf dem Boden, die Kamera am Auge und doch über das Gerät hinwegschauend. Ruhe kehrte ein. Eine fast beängstigende Ruhe, welche sich mit dem trüben Licht des hereinbrechenden Abends mischte. Nur die Jupiterlampen und das Kaltlicht störte diese Stimmung, welche sich dennoch ihren Weg bahnte, sich zwischen uns ausbreitete.
Gloria schob ihre Arme vor, kam auf allen Vieren näher. Geschmeidig wie eine Katze und ebenso verführerisch.
Gebannt schaute ich ihr zu, unfähig, erneut den Auslöser zu drücken. So wie ein Kaninchen die Schlange anstarrt, welche es fressen will, so starrte ich zu dem Modell. Reglos, fasziniert und längst zu tief in ihrem Bann, um mich daraus lösen zu können. Schließlich, nach Sekunden, welche mir wie Stunden erschienen, streifte mich ihr minziger Atem, befand sich ihr Gesicht nur noch wenige Zentimeter von dem meinen entfernt. Jetzt, aus der Nähe konnte ich sehen, dass ihre Haut so makellos war, wie sie auf Distanz gewirkt hatte. Eine perfekte Schönheit. Ein Modell, welches nicht nach Deutschland, nicht in dieses Studio gehörte. Sie sollte...
Scheiße, es war nicht der Moment, darüber zu philosphieren. Es war nicht der Augenblick, über irgend etwas nachzudenken. Es war der Moment, das Leben zu spüren. Mich ihrem Blick zu ergeben. Einfach abzuschalten.
Noch einmal kam sie näher, legte ihre Hände auf meine Schulter und drückte mich zurück. Ich fiel auf den Rücken, ließ die Kamera dabei zu Boden gleiten, während sie über mich kroch, ihre Hände neben meinem Kopf abstützte. Niemals war ich einer Frau so nahe wie in diesem Moment. Falsch. Niemals war ich einem Menschen so nahe. Hier ging es nicht mehr um Sex. Hier ging es um mehr. Um viel mehr.
„Der Virus kann nicht durch einen Kuss übertragen werden. Auch nicht, wenn man richtig küsst.“
Ihre Worte – ein Verlangen, ein Versprechen, ein Flehen und eine nüchterne Information zugleich. Ein Satz – so vielschichtig wie die Person, welche mich in die Defensive gedrängt hatte, nun ihren Kopf etwas senkte. So, als würde sie keinen Widerstand erwarten. Und verflixt – sie hatte verdammt Recht mit dieser Einschätzung. Auch ich wollte diesen Kuss. Egal, wie hoch der Preis auch immer gewesen wäre. Selbst wenn die Gefahr bestanden hätte, dass ich mir den Virus einfing. Längst jenseits aller Vernunft sehnte sich mein Innerstes nach der Berührung, nach dem Augenblick, wenn sich unsere Lippen trafen, unsere Zungen ein sanftes, zugleich auch wildes Spiel begannen.
Sie schmeckte nach Minze, kühl wie der Tau am Abend. Zugleich entzündete dieser Kuss jedoch ein Feuer in mir, welches durch nichts zu stillen war. Durch nichts – außer durch weitere Küsse, Berührungen und...
Meine Hände fuhren unter ihr Shirt, schoben es über ihren Kopf. Längst hatten sich unsere Blicke gefunden, schauten wir einander an und sahen Lust und den Wunsch nach mehr im Gesicht des jeweils anderen.
Ihre Haut fühlte sich gut an. Sanfter als die eines Mannes, viel weicher und gepflegter. Es war herrlich, meine Hände über sie hinwegstreichen zu lassen, die Wirbelsäule entlang. Wieder küssten wir uns, leidenschaftlicher. Ihre Hände fuhren durch meien Haare, wuschelten sie. Jede noch so kleine Berührung löste Schauer aus, welche durch meinen Körper rieselten, sich in pure Lust verwandelte. Ich wollte mehr. Jetzt.
Ernergisch griff ich zu, drehte sie auf den Rücken und begann, ihre Brüste zu liebkosen. Ein Seufzen entfloh ihrem Mund, während sie die Augen schloss, sich mir hingab.
Noch nie hatte ich eine Frau geliebt, und doch war alles so natürlich, so selbstverständlich. Ihre Jeans, welche zur Seite flog. Ihr Slip, welcher ihre Feuchte und ihren Duft nur noch unzulänglich verbergen konnte. Der Moment, als ich ihren Geschmack in mich aufsog, mich zwischen ihren langen, schlanken Beinen verlor. Die Lust, welche wir uns schenkten und der Augenblick höchster Erfüllung in ihrem Arm. Ich liebte sie. Wir liebten uns. Ich liebe sie noch immer. Weit über das Körperliche hinaus. Sie war das kleine Mädchen in meinem Arm und die wilde Bestie, welche sich nahm, was sie wollte. Durch die Täler der Lust hinauf auf die Gipfel der Extase bis hinein in die tiefsten Abgründer absoluter Erschöpfung.
Später – längst war die Sonne versunken – lagen wir nebeneinander, starrten in das Kaltlicht.
Die Angst kam. Wir hatten Dinge getan, welche wir besser nicht getan hätten. Sex, der mich das Leben kosten konnte.
Gloria lag in meinem Arm, Tränen liefen über ihre Wangen. Angst vor Zurückweisung, vor Vorwürfen, wie sie mir später erzählte. Doch nichts wäre weiter gewesen, als dies. Auch wenn sich in mir bereits an jenem Abend die Gewissheit verdichtete, einen Fehler begangen zu haben. Einen Fehler, der sich eines Tages rächen würde. Doch zunächst war es wichtig, den Moment zu genießen. Und dieser Moment enthielt alle Liebe, welche zu empfinden in der Lage war. Ja, ich liebte. Vielleicht zum ersten mal in meinem Leben. Und dieses Gefühl wollte ich um keinen Preis aufgeben.

Gloria starb drei Jahre später. Bis zu ihrem Ende waren wir zusammen, lebten in New York. Ich als freischaffende Photographin, sie als Modell. So lange zumindest, bis der Virus ihren Körper angriff. Und auch in den letzten Wochen machte ich noch Aufnahmen von ihr, schaffte es, ihre Schönheit für die Ewigkeit zu konservieren.
Wir haben niemals aufgehört, einander zu lieben. Der Tod mag das Leben beenden – Liebe jedoch kann er nicht zerstören. Dies zumindest glaube und hoffe ich. Der Moment wird kommen, in dem wir einander wieder halten.
Spätesten dann, wenn auch ich den Kampf gegen jene Bestie in mir verliere, welche mich schon jetzt auszehrt. In einem Monat. Oder zwei. Drei. Wer weiß?
Ende

***
Als Homage an Gia Marie Carangi (29.01.1960 – 18.11.1986) – Unvergessen über den Tod hinaus.
***

 

Geschrieben ist die Geschichte toll, auch wenn mir die Details manchmal etwas zu ausführlich erscheinen und einiges, für meinen Geschmack, zu schwülstig beschrieben ist.

Ich persönlich finde, dass man es meistens merkt, wenn ein Mann versucht, in die Rolle einer Frau zu schlüpfen bzw. als Frau zu schreiben. Wie Gloria beschrieben wird, ist einfach irgendwie nicht so, wie eine Frau eine andere beschreiben würde, egal, ob sie sie attraktiv findet oder nicht. Aber das ist nur meine Meinung.

 

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