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Gloria

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17.12.2005
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Gloria

Gloria


Breitbeinig saß sie auf ihren Händen in der Ecke, als ich erwachte. Die dünnen Arme krochen aus einem ihr viel zu großen Shirt und durch das Loch in der rechten Socke lugte ihr großer Zeh. Der Nagel war dunkelblau bemalt.
Hinter den notdürftig verhängten Fenstern wagte sich das erste Aufflammen der Büros gegenüber. Kaltes, weißes Licht meißelte die Umrisse der Flaschen, der Schlafenden, der spärlichen Möbel aus dem Grau der nackten Betonwände.
Vorsichtig balancierte ich meinen Geist entlang der hohen Fußleiste. In meinem Magen dümpelten die unverdauten Reste von Sushi in einem Meer aus Whisky und die Zunge lag geschwollen zwischen den stumpfen Zähnen.
Nur eine kleine Party waren ihre Worte gewesen, als die Musik im Easy verstummte und die Beschäftigten die Tische abräumten, das grelle Licht uns vor die Tür auf die Straße trieb. Sie war schon an mir vorbei, als sie kurz stehen blieb, sich umdrehte und mich mit ihrem eindringlichen Blick musterte. Sie nickte kurz und viele in der Stadt wussten, dass er mit dieser Kopfbewegung eine Freikarte zu ihren Partys erhielt.
Ihre Wohnung lag nur drei Straßen weiter, im fünfzehnten Stock. Um die Laternen wehte faseriger Nebel, der eilig vom Fluss heraufzog.
Ich musste hier auf diesem blauen Sofa eingeschlafen sein. Gloria. Ihre schwarzen Augen glänzten feucht, schwammen in einem Meer von roten Äderchen und Übermüdung. Unverändert saß sie noch immer auf ihren Händen. Ich war aufgestanden und hatte sie gefragt, ob alles in Ordnung sei, aber sie antwortete nicht. Irgendwann übermannte mich dann das Bedürfnis nach Ruhe, erschöpft fielen mir der Kugelschreiber und das zerknitterte Heft aus den Händen.

Zahllose kleine Lichter unter der Decke brannten schon, als sie durch die blaue Stahltür trat. Bedienstete waren auf den nächtlichen Ansturm offensichtlich vorbereitet gewesen; im Foyer bogen sich vier große Tische, auf denen Getränke und asiatische Köstlichkeiten pyramidenförmig aufgebaut waren.
Gloria warf ihre abgewetzte Lederjacke auf eines der schwarzen Sofas, die ohne erkennbare Ordnung in dem riesigen Raum verteilt waren. Ich schlenderte entlang der etwa vier Meter hohen Wand, betrachtete die Gemälde zeitgenössischer Maler, deren Namen mir allerdings fremd waren. Wenige Minuten später erklang gedämpfte Musik – klagende, gedehnte Flötentöne mäanderten ohne Melodie über das unrhythmische Klappern hohler Hölzer, bisweilen unterlegt vom An- und Abschwellen großflächiger Gongs.
Ob mir das Bild gefalle. Ich hatte sie nicht kommen hören. Ihre rauchige, tiefe Stimme passte gekonnt in die Klangfarbe und den Syntax der Musik. Die Hände zu Fäusten geballt und in den Taschen ihrer viel zu weiten Jeans vergraben, streckte sie ihre dünnen Arme durch und schob so ihre Hose bis weit unter den Nabel. Das ausgeleierte Shirt war vor dem flachen Bauch zu kurz, die kantigen Hüftknochen standen hervor und der Ansatz ihrer Schambehaarung war nicht zu übersehen.
In fast naiven Strichen kniete eine dunkelhäutige Frau auf einem Bett aus zierlichen Metallstangen. Die Bettwäsche war fleckig, faltig und grau. Hinter ihr kniete ein vollkommen bekleideter Mann mit Schirmmütze und grauem Schnurrbart. Aus dem geöffneten Hosenschlitz ragte sein grellroter, kleiner Penis, unnatürlich nach oben verbogen. Seine rechte Hand war erhoben, die Faust umklammerte eine Reitergerte. Der Schoß des Weibes war unnatürlich groß, ein Lächeln lag um ihre Mundwinkel, aber über den Augen spalteten zwei wüste Falten die glänzende Stirn.
„Südamerika. Die Frauen der Ureinwohner beugen sich den Machtansprüchen der Hazienderos – willig, lachend und erzürnt. Billige Pose, elender Ort.“
Ich wusste nicht, was ich darauf antworten sollte, ohne dass es sich lächerlich anhören würde, starrte auf die rüde bearbeitete Leinwand und schluckte trocken.
Die restlichen Bilder sahen wir uns gemeinsam an und sie zeigte unverhohlen ihre Begeisterung für die Ausdruckskraft der Sujets. Manchmal wirbelten ihre Arme wie Spinnenbeine vor mir herum, ihre schlanken, knochigen Finger unterstrichen ihre Worte, ihre Sätze, die sie nach wie vor gekonnt in die Musik integrierte. Gloria verwendete oft Synonyme, deren Bedeutung ich erst am Ende eines jeden Satzes zuordnen konnte. Verwirrendes Spiel ihrer weichen, dunklen Lippen, die um den Strahl der phonetischen Klangwolke tanzten. Wie konnte ein Mensch sich so vollkommen in seiner Aura bewegen, so komplex wirken?
Sieh dir doch die Menschen auf den Straßen an – wie sie stolpern, humpeln, nach vorne geneigt hetzen, die Gesichter voller Gram, unförmige Bäuche hemmungslos über den Bund ihrer Hosen, die Schuhe schief gelaufen, kauend mit Speiseresten an den Lippen, ungekämmt, schwarze Ränder unter ihren Fingernägeln, die Haut außen herum abgebissen, abgerissen, Verunsicherung schreiend.
„Warum hörst du mir zu?“, fast scharf klang ihre Stimme durch die weiche Kappe meiner eigenen Gedanken. Erschrocken stotterte ich unverständliche Brocken von dass die Bilder mir gefielen, ihre Worte mich faszinierten, der Klang ihrer Stimme immer einer Melodie folge.
„Dann komm mit – ich brauche dich jetzt!“, wandte sich sofort ab von mir. Ich folgte ihr, starrte auf dieses breite Becken, diesen stacksigen Bewegungsablauf ihrer langen, dünnen Beine. In der hintersten Ecke, fern dem Stimmengewirr, Lachen und den Gerüchen der Besucher, sackte sie zusammen wie ein Kartenspiel im Wind, lehnte sich mit erhobenem Kopf an die Wand und schloss dabei die Augen.
„Erzähl mir bitte, wie du mich lecken würdest – hier“, unterstrich den Satz, indem sie mit ihrer Hand über ihren Schamhügel strich.
Dass ich mit meinen Lippen den dünnen Streifen zwischen Shirt und Hose liebkosen würde, in leisen Berührungen über die Hüften, den flachen Bauch streiche und vorsichtig ihre Hose öffnen wolle, manchmal den Geruch atme und die Zunge kleine Brandherde setzen ließe ... keine Angst vor ihrer starken Behaarung habe, den Duft ihrer prallen Weiblichkeit schlürfe ... mit gespitzter Zunge ihren zarten Schlitz teile, anschließend ...
Es gab kein Anschließend. Sie bat mich lächelnd, ohne die Augen zu öffnen, das Heft unter dem Sofa hervorzuholen und ich möge ihre Worte aufschreiben. Langsam krochen die Finger über den Stoff zwischen ihren Beinen.
„move ... ask the angels who they´re calling
go ask the angels if they´re calling to thee
ask the angels, while they´re falling
who that person could possibly be ...

28. September 1976
Radio Ethiopia
(the tongue of love)
Patti Smith

 

Hallo Detlev,

diese Geschichte scheint mehr Hintergrund zu haben, als ich weiß. Ich kann recherchieren und erfahre, dass Patti Smith von der Gruppe Them Gloria gecovert hat, kenne aber das Lied nicht. Das macht das Kritisieren schwer. Deshalb bewege ich mich mal auf der oberen Ebene und fühle mich nicht imstande, zum Inhalt der Geschichte etwas zu schreiben.

Es ist etwas konfus, das Ganze, aber paßt wohl zu der Musikszene mit Sex and Drugs and Rock'n'Roll. Vielleicht geht es anderen Lesern ähnlich wie mir und du bekommst bisher deshalb keine Resonanz auf die Geschichte.

Die dünnen Arme krochen aus einem ihr viel zu großen Shirt und aus dem Loch in der rechten Socke lugte ihr großer Zeh.
WW
Durch die notdürftig verhängten Fenster wagte sich das erste Aufflammen der Büros gegenüber.
Wenn du damit sagen willst, dass die ersten zur Arbeit gehen, ist es etwas sehr kompliziert beschrieben und für mich paßt auch dieses Bild mit dem Aufflammen nicht.

Kaltes, weißes Licht meißelte die Umrisse der Flaschen, der Schlafenden, der spärlichen Möbel aus dem Grau der nackten Betonwände.
Entweder habe ich grade einen Blockierer oder auch dieses Bild kommt nicht bei mir an.
Vorsichtig balancierte ich meinen Geist entlang der hohen Fußleiste.
Okay, spätestens hier verstehe ich, dass irgendwas seltsam sein muss.

Nur eine kleine Party waren ihre Worte gewesen, als die Musik im Easy verstummte und die Beschäftigten die Tische abräumten, das grelle Licht uns vor die Tür auf die Straße trieb.
Ich würde ihr Gesagtes kursiv setzen, sonst wird es etwas verwirrend.

Sie war schon an mir vorbei, als sie kurz stehen blieb, sich umdrehte und mich mit ihrem eindringlichen Blick musterte.
Das könnte etwas eleganter gehen, etwa so:
Sie war schon an mir vorbei, dann aber doch kurz stehen blieb, sich umdrehte und mich mit ihrem eindringlichen Blick musterte

Sie nickte kurz und jeder in der Stadt wusste, dass er mit dieser Kopfbewegung eine Freikarte zu ihren Partys erhielt.
Jeder in der Stadt - ist das nicht etwas übertrieben ;) ?

Ihre Wohnung lag nur drei Straßen weiter, im fünfzehnten Stock. Um die Laternen wehte faseriger Nebel, der eilig vom Fluss heraufzogen.
heraufzog

„Dann komm mit – ich brauche Dich jetzt!“, wandte sich sofort ab von mir.
Das wurde dir in der letzten KG schon gesagt, dass die Anrede klein bleibt ;)

So, das war nun nicht üppig. Aber vielleicht zeigt dir meine Ratlosigkeit auch auf, woran es hakt.

Liebe Grüße
bernadette

 

Hallo bernadette

Danke für Deinen Kommentar. Schreibfehler hab ich mal behoben, die Du angemerkt hast - ob jetzt üppig oder vor lauter Ratlosigkeit überhaupt nicht oder schwer tun oder konfus. Manchmal sehe ich selbst nicht richtig klar, wie das "Sehen" mit Worten ausdrücken. Da ist der Song, da ist der Schnee da draußen und die verschwommene Erinnerung an seltsame Tage, die durch meinen Kopf geistern. Erlebtes vermischt sich mit Geträumtem und wenn die Worte versuchen, etwas Greifbares zu schaffen, bleiben Fragmente zurück. Manches bleibt für immer in Watte gehüllt, deshalb ist es aber noch lange nicht verschwunden. Trotzdem danke für Deine Mühe.
Liebe Grüße
Detlev

 

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