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Gott will es
Die Straße schien endlos zu sein. Sein Durst war schon lange ins Unerträgliche gestiegen und seine Zunge fühlte sich an wie ein pelziger Fremdkörper, der es sich zusammen mit dem Straßenstaub in seinem Mund bequem gemacht hatte. Bei jedem Schritt fühlte er die Kieselsteine überdeutlich, wie sie sich durch seine Schuhsohlen in seine von Blasen übersäten Füße gruben. Die Wunde an seiner Seite schmerzte höllisch, aber zum Glück hatte sie aufgehört zu bluten.
Das heilige Land... wenn dieses Land heilig war, dann graute es ihm wirklich davor zu wissen, wie der Himmel war. Dieses heilige Land war nichts anderes als ein riesiger Backofen voller Sand und Staub. Er war hier mit einer kleineren Gruppe angekommen um sich dem großen Heer anzuschließen, welches die heilige Stadt zurück erobern wollte. Die heilige Stadt… wenn schon das heilige Land der Hölle so ähnlich war, wie würde dann bloß die heilige Stadt aussehen?
Kraftlos setzte er weiter einen Fuß vor den anderen, es konnten nur noch ein oder zwei Meilen sein… einfach weitergehen… nur nicht aufgeben. Während er mit dem Handrücken versuchte sich den Staub von seinen ausgetrockneten Lippen zu wischen wanderte sein Blick nach oben, die Sonne strahlte wie ein böses unbarmherziges Auge auf ihn herab.
Er verstand sowieso nicht, warum er hier war. Als er in England zusammen mit seinen Kameraden auf das Schiff gestiegen war, schien alles noch so deutlich. Der Pater hatte eine flammende Rede gehalten, es wäre Gottes Wille die Heiden aus dem gelobten Land zu vertreiben. Sie würden rauben, morden und Frauen schänden. Aber wenn Gott so allmächtig war, wieso verjagte der die Heiden dann nicht selber? In seinen Kopf tauchten Erinnerungen an viele Predigten auf, über Engel, die Städte niederbrannten und an die Geschichte über die Sintflut… Aber auch die Erinnerung an den Überfall der Heiden, es war ein aussichtsloser Kampf gewesen, sie waren alle Bauern und einfache Leute, deren einzige Stärke ihr blinder Glaube war. Sie wurden abgemetzelt wie Vieh, hätte er sich nicht tot gestellt, dann wäre er es jetzt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch.
Geräusche… er sah aus seinen Gedanken auf. Vor sich sah er eine Stadt… Jerusalem? Und das Heer, zu dem er wollte. Hatte er es endlich geschafft? Dort gab es Wasser… Wasser! Seine Schritte beschleunigten sich, schließlich rannte er. Wasser! Seine Beine gaben nach, er strauchelte, überschlug sich ein paar Mal und blieb am Eingang des Lagers liegen. Eine wohlige Schwärze umhüllte sein Bewusstsein und löschte gnädig alle Schmerzen und den Durst aus.
Die Tage im Krankenlager hatten ihn viel über Gottes Gnade gelehrt, er war nicht der Einzige, der in den letzten Tagen verwundet und mehr tot als lebendig hier ankam. Jerusalem wurde belagert, das schon seit einiger Zeit. Es war grauenhaft, das Einzige was man für die Kranken und Verletzten tat, war für sie zu beten und ihnen Lappen mit schmutzigem Wasser zu reichen. Er erinnerte sich noch an den Knaben, der neben ihm gelegen hatte, man hatte ihm beide Beine abgenommen… Abgenommen… ein schönes Wort, abgehackt hatte man sie und die Wunde dann mit einer Fackel ausgebrannt. Die Schreie hallten jetzt noch in seinen Ohren. Dieser Knabe hatte in seinen wachen Momenten von nichts anderem gesprochen als von der Liebe und Gnade Gottes. Jetzt war er tot.
Die Belagerung Jerusalems hielt schon seit 5 Wochen an, hatte er erfahren, jetzt nahm auch er daran Teil. Vor kurzem waren die Belagerungsmaschinen fertig gestellt worden, welche den Kampf in eine völlig andere Richtung lenkten. Auch die Schiffsbarrikade vor Jerusalem war erfolgreich gewesen, die Heiden waren von der Versorgung abgeschnitten worden. Sie hatten eine Chance die Stadt zu erobern. Noch ein paar Minuten, und die nächste Angriffswelle würde sich auf die Mauern der heiligen Stadt ergießen, und er war mittendrin. Da… es war so weit. „Gott will es!“ Ein Ruf aus tausenden Kehlen breitete sich über das Schlachtfeld aus. „Gott will es!“ Er war wie im Rausch, seine Gedanken schalteten sich aus. Gemeinsam mit den anderen stürmte er auf die Stadt zu. Vor sich sah er, wie eine der Mauern nachgab und einstürzte. Das Kreuzfahrerheer ergoss sich in die Stadt… „Gott will es!“ Der Schlachtruf hallte in den Strassen wieder. Neben ihm sank ein Kamerad von einem Pfeil getroffen zu Boden. Er rannte weiter .„Gott will es!“. Die Besatzer der heiligen Stadt wehrten sich verbissen, aber sie hatten keine Chance gegen die zahlenmäßige Übermacht der Kreuzfahrer, so dass sie schließlich die Flucht ergriffen. Aber der Kampf hörte nicht auf. Er sah wie als nächstes die Juden vom Heer der Kreuzfahrer angegriffen wurden, und er stürmte mit. „Gott will es, schließlich haben sie den Heiland getötet“, redete er sich immer wieder ein. Und stieß sein Schwert einer Frau bis ans Heft in ihre Brust, worauf diese mit einem gurgelnden Laut zusammenbrach. Sie stürmten weiter durch die Stadt, ein Spur aus Mord und Tod hinter sich lassend und kamen an eine Kirche, die Tür wurde aufgebrochen und er stürmte mit einigen Anderen in das Gebäude. Ein Priester kam auf sie zu, doch ehe dieser ein Wort sagen konnte wurde er von mehreren Lanzen und Schwertern durchbohrt. Mit gezogener Waffe stiegen sie über den Leichnam des Priesters, unter welchem sich eine langsam größer werdende rote Lache bildete, hinweg. Er sah, wie seine Gefährten die die betenden Leute abschlachteten „Gott will es!“ hörte er seine Kameraden rufen „Gott will es?“ brannte es hinter seiner Stirn „Ja er will es, schließlich haben sie den Fehler gemacht ihn anzubeten“, und sein Schwert halbierte einen Säugling in den Armen seiner Mutter und trennte ihr mit einer beinahe liebevollen Bewegung den Kopf von den Schultern. Ihr Blut ergoss sich auf seinen Körper. Er wandte sich um und mit aufgerissenen Augen, in denen der Wahnsinn und die Mordlust glänzten und einem blutverschmierten Gesicht, rannte er durch die Straßen Jerusalems, denn er wußte jetzt endlich: „GOTT WILL ES!“