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Grillabend
Es ist der erste laue Sommerabend. Über den Gärten hängt der Geruch von Holzkohle und hier und da erschnuppert die emfpindliche Nase auch schon den Duft gegrillten Fleisches. Die Männer stehen vor ihrem Grill, den Nachbarn stets im Auge. Sind seine Flammen höher? Riecht sein Fleisch besser? Es ist mehr als nur Grillen. Es ist die letzte Möglichkeit für die domestizierte Männlichkeit herauszubrechen. Das Feuer, der Schweiß und das rohe Fleisch mischen sich zu einer explosiven Mischung. Drohend wird der Grillhandschuh geschwungen, das Imponierritual hat begonnen. Durch gekonntes Grillen und hohe Flammen, durch brutzelndes Fleisch und Mengen von Brennspiritus wird versucht den Nachbarn einzuschüchtern, den Konkurrenzgriller.
Ungeduldig wird bereits am Nachmittag dem Ereignis entgegen gefiebert. Die männlichen Instinkte erwachen, die Augen gleiten aufmerksam immer wieder zur Terrasse des Nachbarn hinüber, um ihm ja keinen Vorsprung zu geben. "Ist das Fleisch fertig?" zischt der Ehemann gehetzt und angespannt, während er sich hinter dem Vorhang versteckt, um nicht gesehen zu werden. "Er soll nicht wissen, dass ich ihn beobachte!" denkt der wiedererwachte Mann im Mann. Man(n) will keine Schwäche zeigen.
Und dann die Eskalation. Einer der Griller öffnet unbedacht die Terrassentür und gibt damit das Startsignal. Augenblicke später schiessen die Männer aus den Häusern und der Grill wird aufgebaut. Es geht um Sekunden. Die Schnelligkeit zählt. Das Fleisch soll schnell fertig werden und lecker schmecken. Ist einer der Griller nicht richtig vorbereitet und fehlt z.B. der Brennspiritus, so hat er wenig Chancen. Muss er erst in die Garage laufen um ihn zu holen, ist der Vorsprung der anderen kaum noch aufzuholen.
Es ist eine Wissenschaft für sich und man mag sich fragen was rätselhafter ist: Die Kunst des Grillens, oder die Wildheit der bierbäuchigen, Fußball guckenden, Sofa liegenden Teddybären, die sich sonst durch den Alltag bewegen.
Da werden Finanzbeamte zu Feuerkünstlern, Ärzte zu Jägern und Bauarbeiter zu Nahrungsbeschaffern und für eine Weile kehren die primitiven Instinkte in die ausgelaugten Körper unserer Haus-Männer zurück...
Innerlich brüllen und tosen die Griller zu ihrer verantwortungsvollen Tätigkeit, schüchtern ihre Konkurrenten mit der gewaltigen Kraft ihrer Stimme ein. Der kleine Buchhalter ist nicht mehr klein und verschüchtert. Er ist ein Tier und bereit zu töten. Das Fleisch liegt vor ihm auf dem Feuer und er ist der alleinige Ernährer seiner Familie. Der Erhalter seines Stammes und die einzige Bedrohung ist die der anderen Stammesführer.
Sie machen ihm das Weibchen streitig. Sollte sein Nachbar besser grillen, wäre er also der bessere Ernährer, würde sein Weib dann noch bei ihm bleiben?
Schweiß tritt auf die Stirn der Griller. Es geht um mehr als nur das beste Fleisch und die höchsten Flammen. Es geht um ihre Stellung in der Gesellschaft, um ihren Platz in der Rangordnung.
Konzentriert nährt man sich dem Ende. Es gilt das Fleisch nicht anbrennen zu lassen, doch gleichtzeitig die Flammen am lodern zu halten. Der Nachbar zückt bereits die Grillzange, nährt sich dem duftenden Fleisch, um es seinem Stamm vorzuwerfen. Panik macht sich breit in den Reihen der anderen Griller. Sie werden nicht die Ersten sein, nicht die Spitze der Rangliste. Ein Jahr lang, bis zum Beginn der nächsten Grillsaison, werden sie verachtet werden. Der Schweiß rinnt nun den stählernen Bierbauch hinunter, die Anspannung ist unerträglich. Immer näher kommt der benachbarte Konkurrent seinem Fleisch, die Grillzange senkt sich, berührt die kostbare Nahrung und ein Aufschrei geht durch die Reihen der Griller.
Sekundenlang wird überlegt - das Fleisch, oder die Ehre? In Gedanken wird das Feuer zurückgelassen, der stählerne Körper schwingt sich elegant über den Zaun, der den übermütigen Nachbarn bisher vor dem eigenen Zorn schützte und die Angelegenheit wird von Mann zu Mann geregelt.
Doch die Angst ist zu groß. Was, wenn sich ein anderer Konkurrent während der eigenen Abwesenheit Fleisch, Weib und Kinder aneignet?
Hektisch wird die eigenen Grillzange vom Tisch gerissen und das noch halb rohe Fleisch auf die Teller befördert.
Ein tiefes Grollen aus den tiefsten Tiefen der Kehle ordert den Stamm zu Tisch und lächelnd wird auf dem noch zähen Fleisch herumgekaut. Noch immer beobachtet Mann die Konkurrenz. Auch dort wird gelächelt und gekaut. Und gekaut. Und gekaut.
Nur nicht zeigen, dass es nicht zum Alphagriller gereicht hat. Man wollte sowieso nicht am Wettbewerb teilnehmen. Nur schön grillen. Ganz gemütlich...