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Groß und Klein

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04.05.2022
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Groß und Klein

Ich stocherte mit dem Löffel im Mittagessen herum. Der Reis war verkocht und die restlichen Zutaten klebten aneinander. Auf dem Nachhauseweg hatte ich getrödelt, wegen dem verfluchten Schatz in meinem Rucksack und beim Essen musste ich ständig daran denken. Ich ließ den Brei vom Löffel tropfen und kassierte einen mahnenden Blick von meiner Mutter. »Was ist denn los, mein Spatz? War etwas in der Schule?«
»Nichts. War wie immer.« Ich spießte mit der Gabel Mais und einen Hackfleischbrocken auf und steckte mir dann doch einen Bissen in den Mund. Meine Mutter strich mir über die Haare und als ich sie danach ansah, waren ihre Lippen ganz schmal und ihre Stirn hatte so viele Falten, wie der kleine Hund vom Nachbarn. »Hannah, was …« Es klingelte an der Tür.
Ich ließ den Löffel fallen und rutschte vom Stuhl: »Ist das schon Papa?«
»Nein, Papa kommt später, Liebling, das weißt du doch. Ich gehe mal nachsehen.«
Ich folgte ihr und schubste mit meiner Fußspitze den Schulranzen unter das Telefonbänkchen.

Mama öffnete die Haustür und dort stand Frau Krüger mit ihrer Tochter. Die hieß genauso wie ich, nur ohne h am Ende. »Guten Tag, Fau Krüger. Das ist aber eine Überraschung. Was führt Sie denn hier her?«, fragte meine Mutter und ich lugte mit dem Kopf aus der Wohnungstür.
»Guten Tag, Frau Schmitt. Hanna möchte etwas zurückgeben.«
Meine Mutter drehte sich zu mir um und streckte ihre Hand aus: »Na, komm schon her, du Naseweis!«
Ich stellte mich zögerlich neben sie. In meinem Bauch kribbelte es, so wie wenn ich mit Papa im Phantasialand Achterbahn fuhr. Vielleicht ein bisschen doller.
Frau Krüger gab Hanna einen kleinen Schubser, sie stolperte einen Schritt nach vorne und zog etwas aus ihrer Jackentasche. »Da!«, sagte sie, drückte mir meine Schere, einen Prittstift und meinen Lamy-Füller in die Hand. Sie ging den Schritt wieder zurück, doch ihre Mutter schob sie wieder nach vorne: »Entschuldige dich!«
»‘Tschuldige!«, sagte Hanna kaum hörbar und starrte auf den Boden.
Ich sagte nichts, bis meine Mutter sich ein Stück zu mir herunterbeugte: »Was ist denn passiert?«
»Nix.«
»Hannah, könntest du mir jetzt bitte mal sagen, was in der Schule vorgefallen ist?« Meine Mutter schaute dabei fast genauso wie Frau Krüger, als hätte ich etwas ausgefressen.
»Is doch egal. Es is ja jetzt gut.«
»Ich glaube, es ist nicht gut, wenn Hanna dir deine Schreibsachen wiederbringt, sich entschuldigt und du mir nicht mal etwas davon erzählst!«
»Dachte ich hätte die Sachen verloren. Muss ich immer alles gleich erzählen?« Ich schlich mich etwas weiter hinter sie und versuchte mich kleiner zu machen. Das Kribbeln war verschwunden, dafür tippelte ich von einem Fuß auf den anderen und wippte mit meinen Zehen in den Hausschlappen hin und her.
«Hanna, bitte entschuldige dich richtig! Erinnere dich daran, was ich dir gesagt habe!«
»‘Tschuldige.« Hanna fing an zu weinen und ich ballte meine Hände zu Fäusten. Diese doofe Kuh!
»Hanna und Jana haben meine Sachen geklaut.« Ganz kurz blieb ich ruhig, so ruhig wie ich meine Füße nun hielt und sprach dann weiter: »Aber das ist nicht so schlimm. Außerdem sind sie ja jetzt wieder da.«
»Hören Sie Frau Schmitt, es tut mir wirklich leid. Ich habe Hanna erklärt, dass ihr Verhalten nicht richtig war und sie deshalb auch mit hierher gebracht. Ich habe ihr gesagt, dass sie sich entschuldigen muss.«
Meine Mutter streckte ihren Arm nach hinten und zog mich dicht an ihre Seite: »Verstehe. Vielleicht sollten sie solche Dinge zu Hause vorher besprechen, damit so etwas erst gar nicht passiert. Wie kommt ihre Tochter denn auf solche Ideen? Das kann doch nicht angehen, die Mitschüler zu bestehlen.« Mama schüttelte energisch den Kopf und ab da ging alles ganz schnell. Frau Krüger und die heulende Hanna wurden verabschiedet und meine Mutter schob mich auf die Couch in unserem Wohnzimmer. Sie nahm meine Hände und fragte: »Hannah, wieso hast du mir denn nichts erzählt?«
»Weil‘s doch eh nichts hilft!«, sagte ich.
»Hannah, es gibt immer eine Lösung. Wir haben doch schon darüber gesprochen und du weißt, wir können auch noch mal mit deiner Klassenlehrerin sprechen.«
»Du verstehst das nicht!«, sagte ich und behielt das, was heute in der Schule vorgefallen war für mich. Der Besuch von Frau Krüger würde nichts ändern. Die anderen hörten nicht auf die Erwachsenen. Vielleicht ließen sie mich ein paar Tage in Ruhe, aber dann würde alles wieder von vorne losgehen. Wenn Mama wüsste, was ich getan hatte, bekäme ich sowieso Ärger.
»Ich verstehe das sehr wohl, aber du musst dich mehr durchsetzen. Lass dich nicht rumschubsen, zeig den anderen, dass sie so nicht mit dir umgehen können.«
Ich verschränkte die Arme und starrte aus dem Fenster. Meine Mutter seufzte: »Vergiss nicht, egal was passiert, Papa und ich sind immer für dich da und wir haben dich sehr, sehr lieb.«
»Ich muss noch Hausaufgaben machen und hab keinen Hunger«, sagte ich und ging in den Flur, um meinen Rucksack zu holen. Ich konnte hören, wie Mama wieder aufstand und in die Küche ging. Bestimmt würde sie später Papa davon erzählen und dann könnte ich die beiden abends im Schlafzimmer reden hören. Das ging schon seit der Ersten so.

In meinem Zimmer machte ich als Erstes ein Kreuz in dem großen Kalender an der Wand. Noch acht Wochen, bevor ich auf die neue Schule gehen würde, zu der man sogar mit dem Bus fahren musste. Anstatt mit den Hausaufgaben anzufangen, zog ich meine Stiefel an und stellte mich vor den großen Schrankspiegel. Die Schuhe gehörten zu meiner Verteidigung. Mama hatte sie mir im letzten Winter gekauft, als ich im Schuhcenter so lange bettelte, bis sie nachgab. Sie fand die Stiefel unpraktisch, so ohne Reißverschluss und oben mit zwei goldenen Ösen, in die man die Schnürsenkel einhaken musste, aber ich wollte sie trotzdem haben. Billy, der Sänger, hatte auch solche – das hatte ich im Fernseher gesehen und der sah richtig cool aus. Dem würde niemals jemand etwas tun. Von seinen Liedtexten verstand ich zwar nicht viel, außer »weiß«, »Tag« und »Stunde«, aber das war mir egal. Am liebsten mochte ich es, wenn er schrie. Ich machte dann immer in Gedanken mit und fühlte mich ganz stark. Aber ich musste üben das auch zu zeigen. Mit dem rechten Fuß einen Schritt nach vorne, dem blöden Gegenüber fest in die Augen gucken und die linke Seite der Oberlippe nach oben ziehen. Den rechten Arm ausstrecken und den Stinkefinger zeigen: »Arschloch!« Ich probierte die Pose noch ein paar Mal, versuchte böse zu gucken und hätte am liebsten richtig laut geschrien, aber das ging nicht, wegen Mama. Sie schlief oft oder war müde und gereizt. Das lag an ihrem Beruf und deshalb versuchte ich meistens leise zu sein. Mama sagte immer: »Tja, die Leute suchen sich eben nicht aus, wann sie krank werden. Deshalb muss ich auch zu ungewöhnlichen Zeiten arbeiten.« In der Schule hatte sie der Klasse mal erklärt, was eine Intensivkrankenschwester macht - sie half Leben zu retten. Bloß war meine Mama nicht auf dem Schulhof. Da musste ich versuchen mich selbst zu retten und konnte dafür so laut schreien, wie ich wollte.

Genau so hatte ich es heute in der Schulpause gemacht, als Jana mit mir das Diddl-Blatt nicht tauschen wollte. Ich hatte zehn kleine und fünf große Blätter geboten für das riesige Blatt mit der Explosion und den Löchern im Papier. Sie wollte es einfach nicht hergeben, doch in dieser Pause hatte ich sie fast soweit. Ich legte noch ein Blatt zu meinem Angebot. Das Besondere mit der Eiswaffel und da merkte ich, dass sie zögerte. Das war der Moment, als Hanna auftauchte und sagte: »Wenn du mit der da tauschst, red ich nicht mehr mit dir!« Ich klappte den Mund wie ein Fisch auf und zu, sah Jana an und legte noch zwei Blätter zwischen uns. Sie steckte das große Blatt wieder in die Klarsichthülle, grabschte nach dem Eiswaffel-Blatt und murmelte: »Das behalt ich.« Jana und Hanna kicherten, als ich meine Sachen zusammenpackte und als das Kichern immer lauter wurde, sprang ich auf und machte Billy nach: »Arschloch«, schrie ich, so laut ich konnte. Nichts änderte sich. Hanna sagte zu Jana: »Pass bloß auf, das Blatt ist bestimmt verseucht. Wenn du das zu lange anfasst, wirst du genauso verrückt wie die Doofe da!« Ich weiß nicht mehr wieso, doch ich versuchte es noch mal: »Hört auf, gemein zu sein!« Gleich darauf war ich umringt von meinen Klassenkameraden. Hanna schubste mich als erste: »Mit dir will keiner etwas zu tun haben. Kapier das endlich!« Ich versuchte mich erfolglos aus dem Kreis zu drängeln. Ich bekam Bauchkrämpfe und musste anfangen zu weinen. Als ich stolperte und hinfiel, hielt ich den Diddl-Ordner vor mein Gesicht und zog die Beine dicht an meinen Körper. Ich versuchte an Mamas Worte zu denken: »Es wird alles gut. Es wird alles gut …« Der Gong am Ende der Pause rettete mich und die Kinder rannten weg in Richtung der Klassenräume. Mit wackeligen Knien stand ich auf und wischte meine Wangen an meinem Pulloverärmel trocken. Mein Ellbogen und meine Knie taten weh, bestimmt würde ich blaue Flecken bekommen, aber zum Glück war der Stoff an meiner Kleidung noch ganz und ich müsste Mama nichts davon erzählen.

Als ich in meinem Kinderzimmer wieder in mein Spiegelbild starrte, konnte ich mich selbst nicht mehr ernst nehmen. Tränen liefen meine Wangen herunter und ich sah nicht bedrohlich aus, sondern wie eine Memme. Es würde nichts werden. Egal wie lang ich übte. Sie würden nicht aufhören, mich zu ärgern. In mir war immer weniger Mut, dafür ganz viel Angst. Ich riss die Stiefel von den Füßen, um mich aufs Bett schmeißen zu können, mit den Beinen strampelte ich hin und her und die Fäuste drückte ich in die Matratze. Ich richtete mich auf und warf Schildie gegen die Wand. Die Stofftieraugen gaben ein helles Geräusch von sich, als sie gegen die Tapete flogen. Klick-Klick. Ich krabbelte aus dem Bett und hob die Schildkröte auf: »Es tut mir leid. Es war nicht so gemeint.« Ein Plastikauge hatte einen Kratzer und ich presste mein Gesicht in das Stofftierfell. Als ich mich ein bisschen beruhigt hatte, sah ich, dass das Fell durch die Tränen verzwirbelt war. »Schildie, ich mach alles falsch. Was stimmt nur nicht mit mir? Meinst du, die anderen haben recht?«

Heute morgen auf dem Schulweg hatte Caro mir mit einem Stock auf den Kopf gehauen. Einfach so. Ich hatte keine Ahnung warum. Ich fragte sie und die anderen immer wieder, warum sie mich ärgerten und nicht in Ruhe ließen, aber sie sagten bloß: »Na, wenn du das nicht selbst merkst«, »Weil du doof bist«, »Weil du zu groß bist«, »Weil du hässlich bist.« Ich dachte immerzu darüber nach, aber wusste nicht, was ich ändern sollte und was mit mir nicht stimmte. Irgendwann hatte sogar Mama gesagt: »Hannah, bei dir sind immer die anderen schuld. Das kann doch nicht sein. Du musst auch mal nach deinem eigenen Verhalten gucken.« Ich fand das schrecklich unfair und war mir gar nicht mehr so sicher, ob sie mich noch so lieb hatte, wie sie behauptete.

Selbst in der letzten Stunde in der Schule bekam ich Ärger, obwohl ich gar nichts falsch gemacht hatte. In Musik hörten wir ein Lied und bekamen danach ein Arbeitsblatt. Wir sollten Liedzeilen ausschneiden, in unseren Heften in der richtigen Reihenfolge aufkleben und die erste Strophe abschreiben. Da merkte ich, dass in meiner Federmappe Füller, Schere und mein Klebestift fehlten. Ich fing an, in den Taschen meines Schulranzens zu kramen, suchte alle Ecken ab, griff unter meinen Schultisch, aber konnte die Sachen nicht finden. Sie waren doch in der letzten Stunde noch da. Die Musiklehrerin bemerkte, dass ich in meinen Sachen wühlte: »Hannah, ist irgendetwas an der Aufgabenstellung unklar?« Ich schluckte den Kloß in meinem Hals hinunter und griff ganz schnell nach einem Buntstift aus meinem Mäppchen, um die Strophe abzuschreiben. »Ich habe doch gesagt, ihr sollt zuerst die Liedzeilen ausschneiden, aufkleben und danach den Text abschreiben, ist das so schwer zu verstehen?« Mir wurde ganz heiß im Gesicht und das Wasser stand mir in den Augen, ich hörte wieder das Kichern der anderen. Ich war unfähig etwas zu sagen und meine Lehrerin war mittlerweile an meinen Tisch getreten und schaute in mein Mäppchen. Sie legte die Stirn in Falten: »Also gut, du leihst dir eine Schere und einen Klebestift von deinem Sitznachbarn und zu Hause schreibst du das ganze Lied ab, dann vergisst du vielleicht deinen Füller in Zukunft nicht mehr.« Ich senkte den Kopf und die Liedzeilen verschwammen vor meinen Augen. In meinen Kopf fraß sich ein Gedanke: »Schlimmer kann es nicht werden!«

Nachdem in der letzten Stunde der Gong ertönte und alle aus dem Klassenzimmer gerannt waren, packte ich noch meine Tasche. Ich ließ mir Zeit dabei, schob die Hefte und meine Federmappe in Zeitlupe in den Rucksack. Meine Musiklehrerin stand schon in der Tür und sah mich fragend an. »Ich nehme mir noch ein paar Origami-Blätter mit, dann gehe ich auch«, sagte ich und sie verließ den Raum. Ich wollte niemandem auf dem Nachhauseweg begegnen. »Bis morgen Hannah und denk in Zukunft an deine Schreibsachen«, rief sie aus dem Flur und ich atmete tief durch. Zuerst ging ich zu der Fensterbank, auf der die Papiere zum Falten standen, und suchte mir ein paar der gemusterten Blätter aus. Unten im Pausenhof sah ich Hanna, Jana und ein paar andere Mädchen. Sie plapperten wild durcheinander und lachten. Ich klammerte mich an die Origami-Blätter und konnte nicht aufhören, ihnen zuzusehen. Hanna bückte sich, kramte etwas aus ihrem Schulranzen hervor und hielt es mit spitzen Fingern den anderen entgegen. Ich hörte sie kichern, bis Jana auf einmal kreischte: »Bäh. Wie eklig. Voll abgekaut das Ding!«
»Verseucht!«, rief Hanna und piekte ihre Freundinnen mit meinem Füller.

Ich zerknüllte die Origami-Blätter und ging zurück zu meinem Platz. Als ich die zerknickten Papiere in meinen Rucksack steckte, konnte ich schon wieder nicht richtig sehen. In meinem Kopf brannte wieder der Gedanke: »Schlimmer kann es nicht werden.« Ich ging zur Tür des Klassenraums und lugte hinaus. Der Flur war leer, es war ganz still, nur vom Pausenhof hörte ich noch die Mädchen. Ich dachte daran, was Mama und Papa gesagt hatten: »Wehr dich, lass dir das nicht gefallen!« Ich lehnte die Tür an und blieb vor Hannas Tisch stehen. Meine Hände griffen in das Fach unter dem Tisch und hievten den Diddl-Ordner nach oben. Das passierte ganz von alleine. Ich begann die Sammlung durchzublättern und riss von den Blöcken, die mir gefielen, je ein Blatt heraus und verstaute alles wieder an Ort und Stelle. So trugen mich meine Füße durch den kompletten Klassenraum, Tisch für Tisch, Fach für Fach, Mappe für Mappe und ich versuchte dabei nicht an morgen zu denken. Nur zwei Fächer ließ ich aus, von den beiden Klassenkameraden, mit denen ich manchmal mittags spielte und die zumindest nicht mitmachten, wenn die anderen mich ärgerten. Zurück an meinem Platz steckte ich alles, so schnell ich konnte, in meinen Ordner und bemerkte, wie mein Herz wild in meinem Hals pochte und meine Hände zitterten. Ich schaute aus dem Fenster und als ich niemanden mehr im Pausenhof entdecken konnte, machte ich mich auf den Weg nach Hause.

Hier, zu Hause in meinem Zimmer, waren die Hände genau so unruhig. Ich kramte den Diddl-Ordner aus dem Ranzen und schlug ihn auf. Die besten Blätter hatte ich in Klarsichthüllen gesteckt, aber viele andere hatte ich lose in den Ordner geklemmt, sie segelten mir entgegen. Ich hatte mich mit Schildie unter der Fensterbank an meinem Bettende versteckt. Vor mich und die Beute hatte ich die bunte Papageiengardine gezogen. Wenn Mama in mein Zimmer käme, könnte ich alles noch schnell verstecken. Ich faltete das große Blatt auseinander, das mir Jana in der Pause nicht gegeben hatte. Es war das einzige Blatt, bei dem ich richtig was riskiert hatte. Sie hatte es nur genau ein Mal in ihrem Ordner und so würde sie irgendwann merken, dass es fehlte. Als mir das klar wurde, meldete sich mein Bauch sofort wieder mit Schmerzen. Ich steckte den Kopf aus dem Vorhang, beugte mich nach vorne, öffnete die unterste Schreibtischschublade und verstaute es unter einigen Schulheften. Davon durfte niemals jemand etwas erfahren. Die restlichen Blätter ordnete ich ein, verteilte sie auf die Hüllen in meiner Mappe und schlug den Ordner zu, aber das Gefühl, das ich auf dem Nachhauseweg ganz kurz hatte, kam nicht wieder. Für einen Moment hatte ich mich cool gefühlt, mindestens so cool wie Billy. Stattdessen fühlte es sich jetzt so ähnlich an wie Lügen. Es stach immerzu in meiner Brust, manchmal wurde mir ganz heiß und mir war ein bisschen übel. Ich wünschte, ich könnte es ignorieren, vielleicht konnte man das wenigstens üben? Oder ich könnte morgen früh wieder meine Stirn an die Heizung halten und hoffen, dass Mama nicht mit dem Fieberthermometer überprüfte, ob ich wirklich krank war. Ich presste den Ordner fest an meine Brust und sah zu Schildie: »Ich hab jetzt so viel zum Tauschen. Auf der neuen Schule, da müssen sie mich einfach mögen! Und irgendwann, da wird dieses Gefühl weggehen, das ist mein größter Wunsch!«

 

Hallo @Rob F,

vielen Dank für deinen Kommentar und die Hinweise.
Ich habe gleich im ersten Satz und an ein paar anderen Stellen die besitzanzeigenden Pronomen geändert. Wenn es um die Körperteile geht, möchte ich bei "meine" bleiben, aber "der Löffel", "der Kalender" etc. passt besser - Danke!

Nach Füllwörter/Streichkandidaten werde ich auch nochmal suchen :)

Ich fand sie insgesamt gut und routiniert geschrieben, aber auch etwas zu ausführlich und erklärend. Zum Beispiel die Gespräche mit der Mutter sind mE auch ein Mittel, dem Leser die Situation sehr genau zu erklären. Sie wirken dadurch auf mich nicht unbedingt wie "aus dem Leben" [...]
Aber insgesamt gerne gelesen, [...]
Insgesamt gerne gelesen freut mich natürlich, aber du sprichst da bezüglich "ausführlich, erklärend" einen Punkt an, den ich mir unbedingt nochmal ansehen muss. Ich finde es bei der Geschichte schwierig die Balance zu halten zwischen "drumherum" und die Figur nicht ausschließlich ins "Rampenlicht zerren", um ihr Leid aufzuzeigen - ich hoffe, du verstehst was ich meine.

Das Gespräch mit der Mutter fand ich im Nachgang an diese erste Situation schon wichtig, aber wenn es schlimmstenfalls Infodump-mäßig wirkt also so "ach übrigens, hier präsentiere ich mal noch Infos, weil die Mutter das jetzt so schön sagen kann" (und auch unecht wirkt), dann wäre das blöd. Ich überlege nochmal, ob da etwas wegfallen kann, die Mutter anders sprechen kann/sollte. Auch der Punkt, dass sie vielleicht nicht nur ruhig bleibt oder es eine Szene gibt, wo Hannah ihre Mutter beobachtet und die vielleicht wütend und oder traurig ist. So eine Situation ist für die Eltern ja auch belastend, sie geben dem Kind wohlwollend Tipps aber die funktionieren nicht unbedingt. Dann sind sie hilflos und fragen sich eventuell, ob sie in der Erziehung Fehler gemacht haben. Gleichzeitig sind sie selbst keine Kinder mehr und erfahrungsgemäß finden die Schulkameraden es auch blöd, wenn sich die Eltern dann sogar via Klassenlehrerin etc. einmischen. Ich überlege, wie ich das in der Kürze unterbringen kann, ohne, dass die Lesenden am Ende die Eltern furchtbar unsympathisch finden, weil Hannah von denen "auch noch auf den Deckel bekommt" :D

Vielleicht bekomme ich noch ein paar Hinweise, wo man kürzen kann, was vielleicht zu länglich oder gar "lahm" ist.

Vielen Dank dir!

Grüße
-Marla

 

Moin @Marla_D,

danke für Deine Geschichte.

Ich hab sie einmal komplett gelesen und dann eben noch einmal überflogen.
Ich stimme @Rob F zu, was das etwas zu ausführliche und erklärende angeht. Manchmal hast Du „Satzbausteine“ drin, die man mMn kürzen könnte (siehe unten), aber insgesamt würde ich mir vor allem den Teil mit „Billy vor dem Spiegel“ und danach den Teil in der Schulpause, anschauen. Dort sehe ich das größte Entschlackungspotenzial.

Hab angefangen, Kleinigkeiten aufzulisten, doch jetzt rennt mir die Zeit davon. :fluch: Ich lasse sie Dir trotzdem da:

Auf dem Nachhauseweg hatte ich getrödelt und beim Essen musste ich ständig an den verfluchten Schatz in meinem Rucksack denken.
Warum hat sie getrödelt? Wenn es wegen des verfluchten Schatzes ist, könntest Du ein „auch“ zwischen "und ... beim" (also: und auch beim Essen) stellen. Das würde es mMn spannender machen und das Trödeln erklären.

Ich ließ den Brei vom Löffel in den Teller tropfen und kassierte einen mahnenden Blick von meiner Mutter.
Könntest Du streichen, das Bild ist klar.

»Nein, Papa kommt später, Liebling, das weißt du doch. Ich gehe mal nachsehen«, sagte Mama und ging in den Flur zur Gegensprechanlage. Ich folgte ihr und schubste mit meiner Fußspitze den Schulranzen unter das Telefonbänkchen.
Hier auch.

Meine Mutter drehte sich zu mir um und streckte ihre Hand aus: »Na, komm schon her, du Naseweiß
Bin mir nicht sicher, aber ich glaube, es schreibt sich Naseweis.

Die hieß genauso wie ich, nur ohne h am Ende.
Hier habe ich mich gefragt: Warum eigentlich? Macht’s das nicht unnötig kompliziert? Oder habe ich etwas übersehen?

»Hannah, könntest du mir jetzt bitte mal sagen, was in der Schule vorgefallen ist?« Meine Mutter schaute dabei fast genauso wie Frau Krüger, als hätte ich etwas ausgefressen.
Braucht es mMn nicht. Dass die Mütter beide not amused sind, ergibt sich für mich aus der Szene an sich.

Liebe Marla, leider muss ich jetzt los. Wenn ich es schaffe, und andere WK mir nicht zuvor kommen, schreibe ich Dir am WE weitere Gedanken zum Text.

Beste Grüße
Seth

 

Hallo Marla_D,

Tolle Geschichte aus der Sicht einer - ja, wie alt? Wenn sie in die weiterführende Schule kommt, dann dürfte sie 9 oder 10 sein, immerhin hört sie schon Billy Idol :-)
Hier fand ich noch was:

Nicht änderte sich.
Nichts?

Eine Sache, die Geschichte so genau zu beschreiben. Es liest sich flüssig und folgerichtig, droht aber auch allgemein zu werden, dann langweilig und schließlich möchte man "überfliegen", um wieder zu sehen, was sonst noch so passiert. Gut finde ich, wie Du die zermürbenden Versuche der Hannah beschreibst, wie sie ihre Selbstliebe sucht, aber ihr sind die Zusammenhänge als Kind nicht klar - da sollten Lehrerin und Eltern eingreifen, aber da sie scheinbar selbst nichts über das Bilden von Glaubenssätzen wissen geht das natürlich seinen "beschissenen" Gang mit den körperlichen Signalen wie Bauschmerzen, heiß werden, leicht übel usw. - Hannah ist anders und kann aber ihr Anderssein nicht ausdrücken, geschweige denn ausleben (dürfen). Sehr tragisch! Sagte nicht Kurt Cobain? Sei nett zu den Freaks, sie verändern die Welt und Du könntest in Zukunft für einen arbeiten.
Danke für die Geschichte.
Liebe Grüße
Detlev

 

Hallo @Seth Gecko,

vielen Dank für deinen Kommentar und die Anmerkungen.
Einige deiner vorgeschlagenen Kürzungen habe ich bereits übernommen und auch schon angefangen im "Billy vor dem Spiegel" und "Blatttausch auf dem Schulhof"-Teil zu kürzen. Das Gespräch mit der Mutter auf der Couch ist auch bereits etwas modifiziert.

Es fällt mir aktuell noch schwer zu entscheiden, was wirklich verschwinden kann und mehr Zug in die Sache bringt, ohne, dass es in Beliebigkeit abdriftet. Das Detail, dass die Schnürsenkel seit Karneval (als Hannah als Punk verkleidet ging) rot und schwarz sind, habe ich z. B. gekickt, obwohl ich beim Schreiben schon auch eine Bedeutung darin gesehen habe. Langweilig, bzw zu ausführlich möchte ich auf jeden Fall verhindern ;) Zügig, aber hölzern soll es halt auch nicht werden. Wie bei Vielem - die Balance machts.

Die hieß genauso wie ich, nur ohne h am Ende.
Hier habe ich mich gefragt: Warum eigentlich? Macht’s das nicht unnötig kompliziert? Oder habe ich etwas übersehen?
Ja, da habe ich tatsächlich auch länger überlegt, ob ich es machen soll. Hatte dann aber so ein Bild im Kopf, dass sie sich vom Namen her ähneln, aber doch so verschieden sind. Fast Gegensätzlich eben. Wenn da jetzt nicht noch dramatische Rückmeldungen kommen, dass es super verwirrend ist, möchte ich das erst mal so lassen.

Vielen Dank für deine hilfreichen Hinweise und die möglicherweise noch kommenden :)

Hallo @Detlev,

auch dir vielen Dank für deine Zeit und deinen Kommentar.
Du tippst da genau richtig, Hannah ist in der vierten Klasse und somit etwa neun oder zehn Jahre alt. Den Tippfehler habe ich korrigiert, danke!

Eine Sache, die Geschichte so genau zu beschreiben. Es liest sich flüssig und folgerichtig, droht aber auch allgemein zu werden, dann langweilig und schließlich möchte man "überfliegen", um wieder zu sehen, was sonst noch so passiert.
Die Version, die du gelesen hast, war vermutlich schon die, wo einige Details herausgestrichen wurden. Wie in meinem Kommentar an Seth geschrieben, fällt es mir aktuell noch schwer, herauszufinden, wo ich am besten straffen kann. Langweilig und beliebig oder eben gar so, dass die Lesenden Passagen "skippen" möchten, liegt natürlich nicht in meinem Interesse. Da möchte ich auf jeden Fall noch dran arbeiten.
Sagte nicht Kurt Cobain? Sei nett zu den Freaks, sie verändern die Welt und Du könntest in Zukunft für einen arbeiten.
Ich habs auf die Schnelle mal nicht ergoogeln können, aber gut möglich, auf jeden Fall ein interessantes Zitat :)

Vielen Dank für deinen Input

-Marla

 

Hallo Marla,

Ich habs auf die Schnelle mal nicht ergoogeln können, aber gut möglich, auf jeden Fall ein interessantes Zitat
... stand auf einer Geburtstags-Glückwunschkarte, die ich meiner "Ziehtochter" geschenkt hatte, also weiß es auch nicht aus erster Hand, ob´s wirklich von ihm ist.
Prinzipiell denke ich, sollten Texte nicht zu stark geändert werden - zu unterschiedlich sind die Stile, Ausdrucksweisen und -formen. Ich lese sehr viel und ich staune immer wieder, was für eine Bandbreite es gibt. Klar, wenn etwas völlig daneben ist, dann leg ich es auch wieder weg oder Gabi Hauptmann - nichts über ihre Verkaufszahlen oder ihren Style - aber ich schaffe es nicht zu lesen. Alles mit dem Holzhammer in den Kopf gedroschen - wie billige Schlagermusik, damit es auch der letzte Holzkopf kapiert. Nein, das ist jetzt böse ... aber nur, damit Du verstehst, was ich meine. Ein bisschen schriftstellerische Freiheit muss bleiben
Grüße - Detlev

 

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