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Gruß an Bord

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26.07.2002
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Gruß an Bord

Anfangs fließt die Erinnerung noch ins Dunkel der Zeit.
Darum waren es wohl die Helle und das Strahlen, welche mir im Sinn blieben.
Später kam das Knistern und Rascheln hinzu, der Geruch von Zweigen, Orangen Räucherwerk, der ofenmüden Gans.
Der Zauber hielt inne, wenn mein Vater das Radio anschaltete, den Sender unter Rauschen suchte.
Ich habe die Stimme noch im Ohr: „Hier ist Radio Norddeich mit der Sendung „Gruß an Bord.“"
Gänsehaut auf den Armen meiner Mutter. Das Meer so weit. Ein Fetzen Heimat am heiligen Abend im Zimmer.
Eine Schiffssirene leitete die Ansage ein, im Hintergrund leise das weihnachtliche Läuten des Michels.
Die warme, von friesischem Akzent gefärbte Stimme des Sprechers veränderte sich im Laufe der Jahre nicht.
Er las Briefe vor. Briefe von Frauen, die ihren Männern frohe Weihnachten wünschten, Briefe von Seemannskindern, deren Väter zum Fest auf hoher See waren. Briefe von Müttern, die ihre Söhne grüßten.
Gespickt mit Liedern zur Weihnacht, kurzen Texten von Rudolf Kinau und Gorch Fock.
Und diese Briefe gingen hinaus, von der Funkstation in Norddeich über die Meere. Über Nord –und Ostsee, am Kap Horn und dem Kap der guten Hoffnung vorbei. Flogen in Atlantik und Pazifik.
Dann kamen die Funksprüche. Die Verbindungen knackten und knarrten.
Dahinter hörte man Stimmen, Matrosen und Kapitäne, Maate und Steuermänner, alle wollten es loswerden. Ein frohes Weihnachten an die Lieben zu Hause.
Von den Frachtern, den Trawlern und den Tankern, von den Fischfängern im Eismeer, von Passagier – und Forschungsschiffen. Von den Schiffen der Marine und den Seenotrettungskreuzern.
Warum die graue Traurigkeit gewellt in das Flackern der Kerzen schwabbte habe ich erst viel später verstanden.
Später, als alle Drähte gekappt waren.
Auch das von Radio Norddeich.

 
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Hallo Merlinwolf!

Traurige Weihnachten bringst Du uns hier näher. Sehr nahe, dadurch daß Du Deine Geschichte wirklich gut geschrieben hast. Mit jedem Satz kommt man näher heran, an dieses Gefühl, wie es sein muß, wenn der Krieg die Menschen trennt und das ganz besonders zu Weihnachten hart ist. Wenn der Krieg nur für kurze Zeit Pause macht, um mit Tränen in den Augen zu feiern, und dann wieder weiter zu kämpfen.
Bei Deiner Geschichte macht es mir eine Gänsehaut, in Wirklichkeit würde ich das nicht aushalten.

"mit der Sendung „Gruß an Bord.“"
- Bord".

"das weihnachtliche Läuten des Michels."
- vielleicht könntest Du für fern von der Nordsee wohnende Leser noch ganz kurz erwähnen, was der Michel ist? Wenn ich etwa als Wienerin von der Pummerin schreiben würde, wolltest Du sicher auch wissen, daß das die (geschichtsträchtige) Glocke des Stephansdomes ist. ;)

"Über Nord – und Ostsee"
- Nord- und Ostsee (das Leerzeichen weg)

"Warum die ... schwappte habe ich erst..."
- schwabbte, habe

Alles liebe,
Susi

PS.: Was ich mich bei Deiner wie auch schon bei Aquas Geschichte frage: Warum steht sie nicht unter Weihnachten? Glaubt Ihr/glaubst Du, daß sie zu hart für diese Rubrik ist, zu ehrlich, zu offen oder was? :confused: ;)

 

Hallo Merlinwolf!

Du schreibst nicht viel, gibst nur den Rahmen vor, in dem sich meine Gedanken bewegen, aber dieser Rahmen - irgendwie stimmt da jedes Wort.
Ich kenne "Radio Norddeich" nicht auch nicht die Texte von Rudolf Kinau oder Gorch Fock, den "Michel". Aber das ist egal, denn Du erzeugst dennoch Stimmung...

Schöne Grüße, Anne

 

Hallo Häferl,
ich danke für die Worte, werde Berichtigen....
Der Michel ist aus rotem Backstein und steht in Hamburg, ziemlich nahe am Hafen.Ich glaub er heißt mit vollem Namen Michaeliskirche.
Und diese Geschichte steht lieber hier bei "Alltag", weil sie irgendwie auch keine eigentliche Weihnachtsgeschichte ist.
Liebe Grüsse **********Merlinwolf******

 

Hallo Merlinwolf,

wo nimmst du denn diese Sätze her?
„Wenn die Traurigkeit gewellt in das Flackern der Kerzen schwappte?
Das habe ich ja noch nicht einmal ähnlich irgendwo gehört. Das ist schon was, die ganze kleine Geschichte, diese Erinnerung, diese Rückschau, man, Mann! Dein unverwechselbarer Stil

Liebe Grüsse Archetyp

 

Merlinwolf,

jede deiner Geschichten ist ein Stück Wärme, in Gedankenpapier verpackt. Ich lese sie alle sehr gerne und immer wieder. Es ist wie etwas Wiederfinden. Etwas, das man verloren glaubte.
Wunderschön darin die Worte:...alle wollten es loswerden.

Deine Geschichten sind Passtücke für die Seele.
Diese ist eines mehr.

Liebe Grüße an dich - Aqua

 
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Weißt du Merlinwolf, als ich vor Tagen den Titel deiner Geschichte las, dachte ich sofort an diese Radiosendung, die jahrzehntelang zum Heilig Abend gesendet wurde und die so lange ich denken kann, meinen Weihnachtsabend bestimmt hat, ihm eine feierliche und weltoffene nach Seeluft schmeckende Stimmung gegeben hat. Wehmut ist in unsere Wohnzimmer über den Äther geströmt, damals.
Diese Sendung brachte es fertig jedes Jahr eine Gratwanderung zu schaffen, nämlich auf der Linie zwischen Schwermut und Sachlichkeit zu verlaufen. Diese Mischung aus Information, wenn die Kapitäne sich meldeten oder die 1. Schiffsoffiziere und kurz berichteten, wo sie grad sind und wohin es weitergeht und die rührenden kleinen Ansagen der Kinder, die ihren Vätern einen Gruß über den Äther schickten, diese Mischung ist einmalig gewesen.
Und als diese Sendung eingestellt wurde, weil Norddeich-Radio als ständige Verbindung zu den Seeleuten wegen der neuen Technik nicht mehr benötigt wurde, war ein Stück wunderbare Weihnachtsstimmung mit über Bord gegangen sozusagen.
Ich hab nicht zu hoffen gewagt, dass deine Überschrift tatsächlich diese Radiosendungen behandelt und bin froh, dass meine Neugierde mich dazu veranlaßt hat, auf deine Geschichte zu klicken.
Diese Geschichte hat in mir sehr schöne Erinnerungen hervorgerufen, so dass der Schluss, den du erdacht hast, keineswegs für mich so traurig ist und schon gar nicht verbinde ich, so wie es scheinbar Häferl tut, damit Krieg.
Nein, es geht schlicht um die Wehmut, dass aufgrund der Tätigkeiten auf hoher See, aber auch vor der Küste, viele Menschen fern ihrer Familien das Weihnachtsfest verbringen müssen.

Lieber Merlinwolf, ich danke dir für diese stimmungsvolle gelungene Geschichte von dir. Du hast mit wenigen Worten ein Stück Erinnerung wachgerufen.

Lieben Gruß von der Waterkant

Elvira

 

Auch ich kenne diesen Sender nicht und trotzdem habe ich beim Lesen so etwas ähnliches gespürt, was lakita beschreibt, die den Sender kennt.
Melancholisch und trotzdem schön wie ein Kaminfeuer... ganz viel Sehnsucht erkenne ich in deinen Worten. Schön geschrieben!

Liebe Grüße

Jan

 

Liebe Leute,
@ Arche - die Sätze entstehen einfach so, oben in den Windungen, sie sind erst Bilder und die Worte sind eigentlich nur der Transmitter für neue Bilder, in den Lesern
@ Aqua - danke für dein Lob, für das Gedankenpapier und die Wärme
@lakita - schön, dass noch jemand Erinnerungen mit der Sendung verknüpft. Schön, dass noch jemand ähnliche Gefühle hatte, wenn der Sender eingestellt wurde. Es war eine Gratwanderung, da hast du recht
@ Peter Pan - auch dir sei gedankt, für das Lesen und das Verstehen

Alles Liebe für euch alle
***Merlinwolf***********

 

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