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Gruß an Bord
Anfangs fließt die Erinnerung noch ins Dunkel der Zeit.
Darum waren es wohl die Helle und das Strahlen, welche mir im Sinn blieben.
Später kam das Knistern und Rascheln hinzu, der Geruch von Zweigen, Orangen Räucherwerk, der ofenmüden Gans.
Der Zauber hielt inne, wenn mein Vater das Radio anschaltete, den Sender unter Rauschen suchte.
Ich habe die Stimme noch im Ohr: „Hier ist Radio Norddeich mit der Sendung „Gruß an Bord.“"
Gänsehaut auf den Armen meiner Mutter. Das Meer so weit. Ein Fetzen Heimat am heiligen Abend im Zimmer.
Eine Schiffssirene leitete die Ansage ein, im Hintergrund leise das weihnachtliche Läuten des Michels.
Die warme, von friesischem Akzent gefärbte Stimme des Sprechers veränderte sich im Laufe der Jahre nicht.
Er las Briefe vor. Briefe von Frauen, die ihren Männern frohe Weihnachten wünschten, Briefe von Seemannskindern, deren Väter zum Fest auf hoher See waren. Briefe von Müttern, die ihre Söhne grüßten.
Gespickt mit Liedern zur Weihnacht, kurzen Texten von Rudolf Kinau und Gorch Fock.
Und diese Briefe gingen hinaus, von der Funkstation in Norddeich über die Meere. Über Nord –und Ostsee, am Kap Horn und dem Kap der guten Hoffnung vorbei. Flogen in Atlantik und Pazifik.
Dann kamen die Funksprüche. Die Verbindungen knackten und knarrten.
Dahinter hörte man Stimmen, Matrosen und Kapitäne, Maate und Steuermänner, alle wollten es loswerden. Ein frohes Weihnachten an die Lieben zu Hause.
Von den Frachtern, den Trawlern und den Tankern, von den Fischfängern im Eismeer, von Passagier – und Forschungsschiffen. Von den Schiffen der Marine und den Seenotrettungskreuzern.
Warum die graue Traurigkeit gewellt in das Flackern der Kerzen schwabbte habe ich erst viel später verstanden.
Später, als alle Drähte gekappt waren.
Auch das von Radio Norddeich.