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GSG 9 - Zweiter Stock

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13.12.2012
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GSG 9 - Zweiter Stock

Rocco war seitlich an den Türrahmen gelehnt und blickte zurück zu seinen Kollegen. Es war ein ihm bekanntes, doch trotzdem immer wieder befremdliches Bild für ihn. Ein Dutzend Männer deren breitgebaute Figur durch die schwere Schutzausrüstung und den Helm nur noch breiter wirkte, standen eng gedrängt in dem schmalen Flur. Jeder hatte eine Hand auf die Schulter des Vordermannes gelegt und aus allen Augenpaaren, welche die Sturmhauben gerade noch freigaben, wurde Rocco mit einem Ausdruck konzentrierter Entschlossenheit angeblickt. Direkt neben ihm hielten zwei der Kollegen eine große Tür Ramme bereit. Sie war mit ihren knapp zwanzig Kilogramm wohl reichlich überdimensioniert für die schlichte Holztür welche es zu öffnen galt, dachte Rocco. Doch die GSG 9 machte nun mal keine halben Sachen, vollendete er seinen Gedanken. Hinter dieser Tür lag der Verkaufsraum einer Sparkasse und in ihr befanden sich geschätzte vier Geiselnehmer und etwa doppelt so viele Geiseln. Rocco war für diesen Einsatz als erster Mann eingeteilt worden. Seine Fähigkeiten was die schnelle Situationserfassung anging prädestinierten ihn geradezu hierfür. Wenn diese Tür aus den Angeln flog, dann galt es blitzschnell vorzurücken und noch schneller die richtigen und notwendigen Aktionen durchzuführen. Rocco checkte ein letztes Mal seine Heckler & Koch MP7 als eine Stimme in seinem Ohr ertönte: „Rot Eins, Stand-by.“ „Verstanden Rot Eins“, flüsterte er in den Sender der sich unterhalb seiner Sturmhaube befand und gab dann ohne über die Schulter zu blicken ein kurzes Handsignal an die Kollegen. Während er auf die Bestätigung in Form eines kurzen auf die Schulterklopfens wartete, dachte er an Rot Eins. Team Rot war die Scharfschützeneinheit des GSG 9 und Rot Eins war ein etwas verrückter Kollege welcher sich in diesem Moment in der Zwischendecke über dem Verkaufsraum befand um auf Kommando eine M 84 Schockgranate hinunter fallen zu lassen. Dies würde hoffentlich ein paar entscheidende Sekunden bringen, dachte Rocco, doch es war keine Zeit mehr zum Hoffen. Eine Hand klopfte auf seine rechte Schulter. Ein kurzer Blick zu den zwei Männern mit der Ramme, ein Nicken, und er rief „GO!“, in sein Funkgerät. Wenige Sekunden, die wie eine Ewigkeit schienen, vergingen bis ein lauter Knall aus dem Inneren des Raumes drang. Die Kollegen zögerten nicht eine Sekunde und mit einem ohrenbetäubenden Krachen brach die Tür durch die Wucht der schweren Ramme aus den Angeln. Roccos Startschuss. Er rückte mit der Waffe im Anschlag in den Raum.


Ein strahlend blauer Himmel und ungetrübter Sonnenschein ließen Dieter Eichenbauer kurz die Augen zusammenkneifen als er aus dem Mercedes Viano ins freie trat. Er hatte es in dem Befehlskraftwagen, so die wichtig klingende Bezeichnung des Polizeifahrzeuges, nicht mehr ausgehalten. In zwei Wochen hatte er sein zehn jähriges Jubiläum als Einsatzleiter bei der GSG 9 und kurz vor diesem Termin hatte man ihn und sein Team noch einmal für diese Geiselnahme angefordert. Er sah links und rechts die Straße entlang, welche weiträumig abgesperrt war, und musterte dann die Fassade der Sparkasse. Die großen Glasfenster im Erdgeschoss waren von innen durch einen großen Sichtschutz verdeckt, der normalerweise erst bei Feierabend hervorgezogen wurde. Eichenbauer ging im Kopf noch einmal alle Fakten durch. Offenbar war eine Gruppe Männer gegen ein Uhr mittags mit Pistolen bewaffnet in die Bank gestürmt. Glücklicherweise unbemerkt konnten die Mitarbeiter einen stillen Alarm auslösen und somit wurde umgehend die Polizei benachrichtigt. Als die Beamten der Schutzpolizei dann kurze Zeit später vor der Bank eintrafen überraschten sie die Täter, die gerade aus der Bank gestürmt kamen und in ihren Fluchtwagen steigen wollten. Eichenbauer musterte den direkt vor dem Sparkassen Eingang stehenden BMW 316i. Er war von einigen Einschusslöchern übersät, welche von dem kurzen Schusswechsel mit den Kollegen stammten. Nach Angaben der Polizisten wurde dabei jedoch keiner der Bankräuber getroffen, allerdings zogen sie sich schutzsuchend wieder in die Bank zurück und nahmen Geiseln. Und hier kam die GSG 9 ins Spiel. Bereits eine Stunde nach der Geiselnahme war er mit seinem Team in Glinde, einer kleinen Stadt nahe Hamburg, eingetroffen und hatte mit der Lagebesprechung begonnen. Die Sparkasse war klein und bestand aus einem Verkaufsraum mit Schaltern und Besprechungsbereichen im Erdgeschoss, sowie einem im zweiten Stock befindlichen Großraumbüro. Dieses war aufgrund der Glasfassade und fehlendem Sichtschutz gut einsehbar. Das Scharfschützenteam vermeldete, dass sich dort keine Personen aufhielten. Somit war klar, dass sich die Täter, etwa vier bis fünf, denn mehr passten nicht in den BMW, im Erdgeschoss aufhielten. Eichenbauer hatte ein zwölf Mann starkes Team unter Leitung seines zuverlässigsten Mannes instruiert, den Verkaufsraum durch einen Hintereingang zu stürmen. Die Möglichkeit zu verhandeln wurde bevor er danach fragen konnte von einem hohen Schleswig-Holsteiner Politiker ausgeschlossen. Man wolle Entschlossenheit zeigen und die Sache schnell zu Ende bringen, ehe groß Aufhebens darum gemacht wird, hatte der unsympathische Berufspolitiker zu Eichenbauer gesagt und kam sich wahrscheinlich unheimlich wichtig vor. Während er in diesem Moment im Viano war und sich den Hintern platt saß, war Eichenbauer hier draußen und dachte an seine Männer die ihr Leben aufs Spiel setzten. Die Vorbereitung und der Erstürmungsbefehl gingen ihm eindeutig viel zu schnell und er hätte gerne mehr Informationen über Täter und Gebäude gesammelt. Doch nun gab es kein Zurück mehr. Bevor er aus dem Wagen gestiegen war, hatte er dem bereitstehenden ersten Mann von Team Blau Bescheid gegeben, dass er die Erstürmung nach eigenem Ermessen starten konnte. Er vertraute auf ihn und…. Bevor er den Gedanken abschließen konnte gab es einen lauten Knall und ein gedämpfter Lichtblitz schimmerte schwach durch den Sichtschutz. Es ging los.


Die ersten paar Schritte waren stets die anstrengendsten für Rocco. Sein Gehirn musste blitzschnell all die Informationen und Eindrücke verarbeiten die sich in dem großen Raum boten und gleichzeitig hatte er keine Zeit inne zu halten, denn hinter ihm drängten fast ein Dutzend weitere schwer bewaffnete Männer in den Raum. Das erste was Rocco wahrnahm war ein Geiselnehmer am Ende des Raumes, welcher einen Mann, der Kleidung nach vermutlich einen Bankangestellten, umklammert hielt und ihm eine Pistole an den Kopf drückte. Etwas links von diesem Kerl stand ein weiterer Mann mit Pistole der sich die Augen zu hielt und etwas gekrümmt in die Knie gegangen war. Er war der sogenannten Flashbang Granate scheinbar am nächsten gewesen, als sie herab geworfen wurde. Die der Einschüchterung dienenden Schreie der Kollegen drangen an Roccos Ohr als er den dritten Geiselnehmer wahrnahm. Er stand etwas abseits am Fenster und hatte einen überraschten Gesichtsausdruck aufgesetzt. Es waren vielleicht drei Sekunden vergangen. Rocco hatte schon drei Täter identifiziert und sechs Kollegen waren ihm bereits in den Raum gefolgt. Drei Sekunden. Dies war die magische Zahl bei einer Erstürmung, denn dies war in etwa die Zeit in denen die GSG 9 das sogenannte Überraschungsmoment nutzen konnte. Die Plötzlichkeit ihres Auftretens, der Eindruck den sie mit ihrer schweren Ausrüstung machten und der Einsatz der Schockgranaten sorgte dafür, dass jeder Gegner erst einmal reizüberflutet war. Die Zeit reichte in der Regel für die ersten Leute die einrückten um sich einen Überblick zu verschaffen und um dann, sobald die ersten Täter die Fassung zurück erlangten, ihre Reaktionsschnelligkeit auszuspielen. Und genau diese war jetzt auch bei Rocco gefordert. Noch bevor er sich fragen konnte wo der vierte Geiselnehmer war entdeckte er ihn bei einem Blick nach links etwa zwei Meter entfernt von sich und in direkter Nähe zu einer weiblichen Geisel. Rocco nahm noch war, dass sich der Täter auf ihn zu bewegte, doch bevor sein nächster Gedankengang im Gehirn fruchtete hatte bereits ein Reflex die Kontrolle über seinen Körper übernommen. Immer noch in der Vorwärtsbewegung schwang er seine MP 7 herum und schmetterte das Griffstück auf den Nase-Mund-Bereich des Kontrahenten. Jeglicher Ausdruck von Widerstand schien aus dessen Gesicht gewischt zu sein und er ging rückwärts zu Boden. Rocco folgte ihm unmittelbar und ließ sich kontrolliert mit dem Knie auf sein Gesicht fallen um ihn am Boden zu fixieren. Die Frau direkt neben ihnen versuchte verschreckt zur Seite zu springen, doch Rocco packte sie blitzschnell mit einem Arm und zog auch sie auf den Boden. Mit wenigen geschickten Handgriffen hatte er beiden die schnell anlegbaren Plastik Handfesseln verpasst und stand wieder auf. Der stark von der Schockgranate geblendete und halb kniende Täter war ebenfalls überwältigt und fixiert worden. Der Mann der sich am Fenster befand hatte nun mit noch verängstigterem Gesicht die Arme nach oben gestreckt um zum Ausdruck zu bringen, dass er sich ergeben wolle. Jedoch befand sich in seiner rechten Hand immer noch eine Pistole. Zwei GSG 9 Beamte mit Heckler & Koch MP5s im Anschlag zielten jeweils auf seinen Kopf und die Brust. Rocco wandte sich in Richtung des Mannes den er zuerst wahrgenommen hatte. Dieser hielt immer noch die Waffe an den Kopf der Geisel. Gleichzeitig versuchte er so gut es ging sich hinter ihr zu verstecken, da ihm gegenüber ein Beamter der GSG 9 mit seinem G 36 C Sturmgewehr auf das Menschenbündel zielte. Der Kollege hatte jedoch aufgrund der Geisel keine Möglichkeit auf den Geiselnehmer zu feuern sonst hätte er es wohl schon getan. Rocco kniff sein linkes Auge zu und blickte über Kimme und Korn seiner MP7 in Richtung des Täters. Er befand sich deutlich weiter links im Raum als sein Kollege und somit hatte er den Mann besser im Blick. Dieser konnte sich nicht perfekt gegen beide Beamten abschirmen und das nutzte Rocco. Er hatte den Kopf im Visier und blickte gleichzeitig angestrengt auf die Waffe die der Mann in der Hand hielt. Der Finger lag zwar am Abzug, doch nicht sonderlich gespannt, sondern eher locker wie Rocco zu erkennen glaubte. Er wusste, dass er keine Wahl hatte und ihn sofort ausschalten musste. Je nachdem wo ein Mensch in den Kopf getroffen wurde konnte es entweder sein, dass er auf der Stelle erschlaffte oder aber, und das war es was es zu vermeiden galt, dass er noch einmal verkrampfte. Dies wiederum könnte trotz des Todes noch einen Schuss mit der Waffe auslösen und das war umso wahrscheinlicher je stärker der Täter am Druckpunkt des Abzuges war. Rocco selbst musste lediglich nur noch 1000 Gramm Druck aufbringen, so hoch war das Abzugsgewicht der MP7, und der Schuss würde sich lösen und dem Leben des Täters ein Ende setzen. Doch wie als wenn der Mann Roccos Gedanken gelesen hätte streckte er plötzlich die Arme zu beiden Seiten aus und ließ dabei die Waffe fallen. Ein reaktionsschneller Gedankenstoß hielt Rocco im letzten Moment davon ab zu feuern. Als der Blick des sich ergebenden Mannes nun das erste Mal den seinen kreuzte, da ahnte der Kerl gar nicht wie nahe ihm der Tod gewesen war. In Rocco breitete sich ein Gefühl der Erleichterung aus. Die Kollegen hatten den Täter am Fenster fixiert und ein anderer Kamerad drückte den letzten Kontrahenten zu Boden. Auch alle Geiseln waren von den Beamten mit Handfesseln ruhiggestellt worden. Dies war das übliche Vorgehen bei einer Befreiung um die Geiseln davon abzuhalten die Aktion durch Panik und Hysterie zu behindern aber auch um sie selbst vor Schäden zu bewahren. Als Frank, der Kollege der direkt hinter ihm stand und den von Rocco überwältigten Täter sowie die Frau am Boden sicherte, ihm zu rief: „Sicher, wir haben alle! Alle Wohlauf!“, da flackerte in Rocco das glückliche Gefühl auf alle Geiseln gerettet und ebenfalls keinen Schuss abgegeben haben zu müssen. „Gute Arbeit und ein paar hübsche Geiseln habt ihr hier befreit“, rief plötzlich eine Stimme von oben. Rocco schreckte herum und hielt die Waffe in Richtung Decke. Direkt schräg über ihm grinste ihn Rot Eins, dessen Kopf nun durch ein Loch in der Zwischendecke ragte, an. Dann blickte dieser mit gespielt lüsternem Blick auf die am Boden liegende Frau. Auch Rocco wandte sich zu ihr um, nun wieder mit gesenkter Waffe. Er stellte fest, dass sie tatsächlich überaus attraktiv war. „Bleib gefälligst professionell!“, rief Rocco Rot Eins zu, wandte dabei jedoch den Kopf nicht von der attraktiven Frau ab. Ein Rauschen und dann ein Schreien in seinem Ohr holten ihn aus seiner kurzen Gedankenabwesenheit zurück. Die einzigen Worte die nun durch seinen Kopf geisterten waren „Fünfter Mann“ und „Zweiter Stock“…


Eichenbauer nahm den Finger vom Senden-Knopf seines Handfunkgerätes, nur um ihn dann nach kurzem Zögern gleich wieder zu betätigen: „Team Rot, bitte um Wiederholung des Lageberichts!“. Sofort antwortete eine ruhige Stimme: „Wir haben einen weiteren Kontrahenten im zweiten Stock. Er hat eine weibliche Geisel. Bewegt sich mit ihr hektisch und anscheinend nervös im Raum hin und her. Keine weiteren Personen im Stockwerk. Schuss nicht möglich. Ende.“. Eichenbauer trat ein am Boden liegendes Stück Müll beiseite um seinem Ärger Luft zu machen. Dann besann er sich jedoch sofort wieder auf die Situation und gab einen letzten kurzen Funkspruch an das Scharfschützenteam durch: „Sobald ein gefahrloser Schuss möglich ist schaltet ihn aus! Team Leader Ende!“ Ihm war klar, dass auch Team Blau im Inneren diese Funksprüche gehört hatte und er wusste, dass sie einen schnellen Befehl von ihm erwarteten. Doch er hatte keinen parat. Am liebsten würde er sagen rennt in den verdammten zweiten Stock und befreit die Geisel, doch er wusste das der Überraschungsmoment vorüber war und somit theoretisch eine Neuausrichtung von Nöten. Alles was er in der Theorie über Taktik bei diesen Einsätzen wusste schrie förmlich nach einer Neuaufstellung und erneuten Einsatzbesprechung. Doch die Situation und sein Gefühl sagten ihm er müsse es jetzt schnell zu Ende bringen, denn der letzte Täter weiß genau was ihn erwartet. Diese Tatsache verschaffte ihm je länger er darüber nachdenken konnte einen Vorteil und brachte die Geisel in größere Gefahr. Wie als Bestätigung seiner Gedanken drang wieder Team Rot aus dem Funkgerät: „Der Täter hat seine Nervosität scheinbar überwunden. Er hat sich in eine Ecke des Raumes gesetzt, die Geisel vermutlich direkt bei sich. Ein Schreibtisch und eine Art Tafel versperrt mir das Schussfeld. Ich hab keine Ahnung was er vorhat. Rot Ende.“ Eichenbauers Mine verfinsterte sich, doch in seinen Augen flackerte im selben Moment eine Entscheidung auf. Er nahm das Funkgerät an den Mund und gab den Befehl an Team Blau durch.


Rocco hatte sich noch einmal ganz genau in dem Raum umgesehen gehabt, als der Befehl vom Team Leader an sein Ohr drang. Er hatte nicht lange gebraucht um die schmale Tür des Treppenhauses zu entdecken. Der fünfte Mann musste sich in unmittelbarer Nähe aufgehalten haben und dann direkt bei der Zündung der Schockgranate ins Treppenhaus verschwunden sein. Unglücklicherweise hatte er diese Geisel. Rocco konnte einfach nicht fassen, dass er sich gerade in dieser Situation befand. Sein Team, nein besser gesagt er, hatte versagt. Er wusste, dass die Situation nun ein taktischer Alptraum war und deshalb kam der Einsatzbefehl, den er eben gerade bekommen hatte, auch umso überraschender. Doch er war der erste Mann der Truppe also wandte er sich an seine Männer. „Vier Mann sichern diesen Raum, vier weitere gehen auf das Dach. Frank, du kommst mit mir. Wir stürmen durch das Treppenhaus die zweite Etage. Die vier Mann vom Dach werden sich kurz vorher abseilen und durch die Glasfassade stürmen. Die restlichen beiden bleiben Stand-By und warten unten im Treppenhaus. Ausführung!“ Sofort setzten sich alle Beamten in Bewegung und führten die soeben empfangenen Kommandos aus, doch Rocco wusste das hinter dieser Schale aus blindem Gehorsam und Vertrauen auf den Vorgesetzen, doch einige Zweifel existierten. Als er mit Frank das Treppenhaus hinauf stieg dachte er an die Geisel. Sie war in den Händen eines in die Ecke gedrängten Täters der womöglich genau ahnte was als nächstes passieren würde. Und wenn er schon nicht aufgab dann würde er sie zumindest mit sich reißen wollen. Rocco kannte solche Täter zur Genüge, doch bis jetzt waren sie stets rechtzeitig ausgeschaltet oder überwältigt worden. Als sie vor der Tür zum Großraumbüro standen blickte Rocco Frank an: „Wir haben nur eine Chance. Ich muss diesen Mistkerl ausschalten direkt nachdem wir diesen Raum betreten haben.“ Frank nickte ihm zu, doch Rocco fuhr fort: „du weißt genau Frank, dass die Männer vom Dach nur eine Ablenkung sein werden, wenn sie durch die Scheibe brechen. Es kommt alleine auf uns an dort drinnen.“ „Soll ich als erster Mann gehen?“, fragte Frank. Zuerst antwortete Rocco nicht sondern nahm mit bedächtigem Blick seine MP7 und hielt sie Frank hin. „Nein Frank, ich werde gehen, ich trage die Verantwortung“, sagte er und zog zeitgleich seine HK USP aus dem Holster. Er sah erst die Pistole an und dann wieder Frank: „Ich werde einen gezielten Schuss abgeben und die Sache ist vorbei. Die Geisel wird heute nicht sterben. Sie wird nach Hause kommen, dafür sorge ich.“ Frank dachte kurz nach. Er kannte Rocco bereits seit der Aufnahmeprüfung für die GSG 9 und er wusste, dass auf seine Worte stets verlass war. „Ich werde direkt hinter dir sein“, sagte er mit fast fürsorglicher Stimme und gab Rocco einen Klaps auf die Schulter. Die beiden machten sich bereit. „Wie siehts auf dem Dach aus?“, fragte Rocco in das Funkgerät. „Schlechte Nachrichten Blau Eins. Wir haben hier keine Möglichkeiten uns abzuseilen. Beziehungsweise wir bräuchten eine ganze Weile und mehr Material um es möglich zu machen.“ Der Ärger stand Rocco ins Gesicht geschrieben und Frank meinte zu ihm: „Dann werden wir die Erstürmung wohl noch etwas verlegen müssen Chef.“ Ohne auf die Bemerkung einzugehen sprach Rocco erneut ins Funkgerät: „Team Rot, erzählt ihr mir doch wenigstens was Schönes.“ Die Ruhe ausstrahlende Stimme des Scharfschützen klang aus dem Gerät: „Von deiner Tür aus gesehen befindet sich der Täter in der linken Ecke des Raumes. Meiner Ansicht nach hat er die Geisel vor sich, doch um ehrlich zu sein, ich sehe aus diesem toten Winkel nur seine Beine. Tut mir Leid das ich nicht mehr für dich habe. Rot Ende.“ Rocco grinste resigniert. Dann blickte er zu Frank und sagte mit leiser doch bestimmter Stimme: „Tritt die Tür ein.“ Frank sah ihn überrascht an und ohne über die Tatsache des Widersprechens nachzudenken fragte er: „Wir stürmen zu zweit? Das können wir nicht machen. Es wäre wohl außerdem das erste Mal das die GSG 9 mit zwei Männern einen Zugriff ausführt.“ Rocco, der etwas verärgert jedoch nicht verwundert über den Widerspruch war entgegnete sofort mit erhobener Stimme: „Ich habe den Befehl unverzüglich diesen Raum zu stürmen und die Geisel zu sichern und den werde ich jetzt ausführen. Und jetzt hör auf Anweisungen zu hinterfragen sondern tritt die verdammte Tür ein. Darum bist du doch schließlich zur GSG 9 gegangen.“ Den letzten Satz sagte Rocco wieder in einem etwas versöhnlicheren Tonfall und warf Frank dabei ein kurzes Lächeln zu. Frank konnte sich ebenfalls ein Grinsen nicht verkneifen und wandte sich mit einem Wenn-Du-Unbedingt-Willst-Blick der Tür zu. „Auf dein Kommando“, sagte er. Rocco drückte auf den Senden-Knopf und seine Stimme erschallte in den Ohren aller Team Mitglieder: „Hier Blau Eins. Wir stürmen jetzt. Team Rot gebt uns Deckung. Alle anderen sichert die Fluchtwege. Lasst uns die letzte Geisel da rausholen Männer. Go!“


Mit einem wuchtigen Tritt beförderte Eichenbauer ein weiteres Stück Abfall quer über die Straße und ahnte, dass drinnen mit einem ähnlich wuchtigen Tritt die Tür zum zweiten Stock geöffnet wurde. Eine Erstürmung mit zwei Beamten. Das war ganz bestimmt nicht das was er sich vorgestellt hatte als er heute mit seinem Team hier eingetroffen war. Die Situation schien ihm zu entgleiten, falls sie das nicht schon längst gewesen war. Doch auch er hatte keinen besseren Befehl für sein Team parat gehabt und so stand er nun da. Ein Windzug der durch die Straße fuhr ließ eine Seite seines Jacketts aufflattern während er fast andächtig das rote Sparkassen Logo an der Fassade anstarrte.


Die Tür schwang komplett herum und krachte an die Wand, da war Rocco bereits im Raum. Wie in Zeitlupe musterte er das Großraumbüro voller Schreibtische und Aktenordner innerhalb der ersten Sekunde. Direkt erspähte er die beiden Personen in der linken Ecke. Sie waren durch eine Rolltafel auf der noch diverse Karteikärtchen klebten vor der Glasfassade abgeschirmt. Der Anblick der beiden überraschte ihn unerwartet. Der Täter hielt die Geisel tatsächlich mehr oder weniger schützend vor sich, doch die Waffe in seiner Hand war nicht an ihrem Kopf sondern sie war auf ihn gerichtet. Er zielte damit direkt auf Rocco. Noch bevor er weiter darüber nachdenken konnte fielen fast gleichzeitig zwei Schüsse. Schmerz durchfuhr das Gesicht des Geiselnehmers als klappernd seine Waffe zu Boden fiel und unter einen Schreibtisch rutschte. Blut spritzte aus seinem rechten Bein, knapp über dem Knie, wo nun eine rote Wunde klaffte. Während der Mann den Halt verlor und nach vorne kippte riss sich die Frau aus seiner erschlaffenden Umklammerung und stürzte in Richtung der Beamten. Doch Rocco sah sie nicht auf sich zukommen. Er sah auch nicht wie der Täter unter Schmerzensschreien auf den Boden klatschte und, sich windend, liegen blieb. Ein Schuss war in Roccos Gesicht eingedrungen. Seine USP, aus deren Mündung noch Rauch schwebte, fiel mit einem dumpfen Geräusch auf den Boden während der erste Mann des Team Blau ebenfalls auf selbigen sackte. Während das restliche Leben aus ihm schwand wurde er vom Tod übermannt und der ließ nichts weiter zurück als einen zusammengeklappten Körper um dessen Kopf sich eine Blutlache ausbreitete.


Franks Gesicht war verschreckt, doch in seinen Augen war nichts außer Leere zu erkennen als er sich neben seinen Freund und Kollegen auf die Knie fallen ließ, ungeachtet der restlichen Situation. Der Geiselnehmer und die Frau waren für diesen einen Moment völlig ausgeblendet in seinem Kopf und er blickte nur auf die blutbesprenkelte Weste mit der großen weißen Aufschrift POLIZEI, die sein lebloser Kollege trug. Er war mit dem Kopf voraus auf den Boden gesackt und Frank sah nur die Rückseite seines Helmes. Er griff nach der Schulter um den leblosen Körper umzudrehen, doch in diesem Moment ließ ihn ein lauter Knall sowie splitterndes Glas aufschrecken. Wie aus einer anderen Welt zurückgeholt sprang Frank auf und richtete die MP7 in Richtung der Geisel aus der auch das Splitter-Geräusch kam. Die Frau hatte sich wohl ebenfalls erschrocken und war, die Hände schützend um den Kopf gehalten, in die Hocke gegangen. Aus der Glasfassade hinter ihr war ein faustgroßes Stück heraus gebrochen. Frank schwang die Waffe herum in Richtung des Geiselnehmers am Boden. Er musste kurz einen Würgereiz unterdrücken. Der Mann war ganz offensichtlich von einer großkalibrigen Patrone in den Kopf getroffen worden. Das Einschussloch war klar zu erkennen. Der Kopf hatte sich aufgepilzt und ein Großteil seines Inhaltes befand sich nun auf dem Bürofußboden. Als Frank den Blick über diese abstoßende Szenerie des mit einem Präzisionsgewehr gerichteten Täters, dann über seinen toten Kameraden bis hin zu der zusammengekauerten Frau schweifen ließ, da wusste er, dass es vorbei war. Er sah mit seinem leeren Gesichtsausdruck die Frau an. Sie hob den Kopf und erwiderte seinen Blick mit verängstigten Augen in denen einige Tränen standen. Frank wusste, dass sie unter schwerem Schock stand und er ließ die Plastik Handfesseln an seinem Gürtel hängen. Als er mit ihr, sie mit einem Arm abstützend, zur Tür hinausging, da versprach er ihr mit sanfter Stimme sie heute höchstpersönlich sicher nach Hause bringen zu werden.

 

Hallo liebe KG-Gemeinde.

Ich freue mich sehr über Meinungen und Kritik zu dieser Geschichte. Ich bin immer wieder beeindruckt wie ausführlich und hilfreich teilweise die Kommentare zu den Storys hier sind. Jedoch erwarte ich das gar nicht, also auch wer einfach nur einen Satz zu meiner Geschichte loswerden will, darf dies gerne tun. Bin für alles dankbar. Ansonsten wünsche ich ebenfalls viel Erfolg und vor allem Spaß beim Schreiben.

Achja, und ich plane eine Reihe hieraus zu machen und mich würde interessieren ob zumindest einer hier dabei ist der auch gerne eine weitere GSG 9 Geschichte lesen wollen würde ;)

 
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Hi,

*Es war ein ihm bekanntes, doch trotzdem immer wieder befremdliches Bild für ihn.
Das „für ihn“ weg, das killt jedes Tempo. Und bei „doch trotzdem immer wieder“ könnte man vielleicht 2 Partikel. Es war ein lang bekanntes, auf ewig befremdliches Bild.
Es war ein lange bekanntes, immer wieder befremdliches Bild.
Es war ein lang bekanntes Bild, das ihn immer wieder befremden konnte.
Es war ein befremdliches Bild, das er schon lange kannte/das er schon oft gesehen hatte.

Es gibt hier so viele Möglichkeiten, diesem Satz einen Zungenschnalzer zu verpassen, ein bisschen Pepp. Es ist dann die Frage: Welche Sprachebene soll der Text haben? Klingt manches schon zu gesteltzt, aber auch wenn man schlicht schreibt, kann und sollte man mit solchen kleinen Reizen arbeiten.

Ein Dutzend Männer deren breitgebaute Figur durch die schwere Schutzausrüstung und den Helm nur noch breiter wirkte, standen eng gedrängt in dem schmalen Flur.*
Es ist die Frage, wenn man eine Situation dynamisch beschreiben möchte, ob dann der Schachtelsatz eine tolle Idee ist.
Vor allem macht der wohl auch grammatikalisch Kummer.
Ein Dutzend Männer KOMMA deren breit gebaute Figur durch die schwere Schutzausrüstung und den Helm nur noch breiter wirkte, stand eng gedrängt in dem schmalen Flur.

Also da hast du schon mal drei Fehler so drin gehabt.
Und „Ein Dutzend Männer“ kann nicht „eine breit gebaute Figur“ haben. Also mit so Konstruktione n reitet man sich rein, wenn man die nicht genau im Blick hat. Es ist klar, was du sagen willst, aber die Grammatik spielt da nicht so leicht mit.
„Ein Dutzend Männer“ ist Einzahl, da kann ich nicht mit „deren“ und „standen“ kommen. Aber bei „Ein Dutzend Männer“ davon auszugehen dass die alle dieselbe Figur haben … das sieht grammatikalisch immer schräg aus.

Direkt neben ihm hielten zwei der Kollegen eine große Tür Ramme bereit.
So geschrieben heißt das, sie hielten eine große Tür namens Ramme.
Tür-Ramme oder Türramme.

*Sie war mit ihren knapp zwanzig Kilogramm wohl reichlich überdimensioniert für die schlichte Holztür welche es zu öffnen galt, dachte Rocco. Doch die GSG 9 machte nun mal keine halben Sachen, vollendete er seinen Gedanken. Hinter dieser Tür lag der Verkaufsraum einer Sparkasse und in ihr befanden sich geschätzte vier Geiselnehmer und etwa doppelt so viele Geiseln.
Hmpf … also ich fürchte hier muss man Textarbeit auf einer ganz grundlegenden Arbeit machen, und das ist sehr schwer, das von außen hinzukriegen. Du solltest zu erst mal an deiner Grammatik arbeiten und deine Grammatikkenntnisse auffrischen, und danach ein bisschen an deinem Sprachgefühl arbeiten: Was klingt gut? Wie möchtest du klingen? Wie soll sich mein Text anhören? Wie wirkt es, wenn ich das Wort setze, wie wirkt es, wenn ich das Wort setze. Was passiert da.
So in der Form hast du im Text viele kleine Holperer und Dreher drin, über die man leicht stolpert.
Hier z.b. „befanden sich geschätzte vier Geiselnehmer“ - das ist so umgangssprachlich rustikal. Eigentlich heißt es: „befanden sich, nach einer Schätzung bzw. geschätzt, vier Geiselnehmer“ - weil grammatikalisch sind die Geiselnehmer ja nicht „geschätzt“ „Wie sind die Geiselnehmer?“ - „Geschätzt!“, die geschätzten, hochwohl geborenen, von uns vielmals verehrten Geiselnehmern; sondern mit denen wird was gemacht, die werden auf „vier“ geschätzt.
Dann hast du so eine Konstruktion oft drin, dass du einen Satz schreiben möchtest, der ganz klar ist und du verkomplizierst ihn, weil du noch Informationen einbauen möchtest und das tust du durch die furchtbare Verwendung eines Nebensatzes.
Überleg mal wie das auf den Leser wirken muss.

Konrad, welcher sich durch eine große Nase und sein Gespür dafür auszeichnete, welches Pferd bei einem Rennen als erstes ins Ziel kommen würde, stand in Flammen.

Siehst du da die Flammen oder siehst du das Pferd oder die große Nase? Dieser Einschub mit dem Relativsatz, der eine Information liefert, die mit dem Hauptsatz kaum was zu tun hat, das ist Stop-and-Go, und du willst bei so einem Text ja nur Go haben, erstmal.

Wenn du schreiben möchtest, solltest du versuchen dich mit Sprache genauer zu beschäftigen, vielleicht schaust du, ob du genauer hinhören kannst und liest deinen Text, bevor du ihn einstellst, noch häufiger laut durch. Dann sieht man wahrscheinlich schnell Fortschritte und hat auch Spaß beim Schreiben.

Gruß
Quinn

 

Hallo Quinn und David,

Vielen Dank für die beiden Kommentare. Einen für das Handwerkliche und einen für das Inhaltliche. Besser hätte ich es mir gar nicht wünschen können ;)

@ Quinn:

Du hast Recht, dass die Geschichte noch einige Überarbeitung hätte verdient gehabt. Ein bisschen kann ich mich damit rausreden das ich mir diese Zeit einfach nicht genommen habe. Auf der anderen Seite gestehe ich jedoch ein, dass ich bei der Grammatik wirklich noch einiges verbessern kann, explizit bei der Komma Setzung. Auch die Kritik was die Relativsätze und damit Verschachtelung angeht nehme ich mir zu Herzen. Ich denke eine meiner Schwächen ist es einfach zu viel in einen Satz quetschen zu wollen um allumfassend zu erzählen. Dabei geht anscheinend zu sehr der Spaß am Lesen flöten.

@ David Price

Ja, ich verfolge auch deine Geschichten hier regelmäßig und habe bereits mit einem Kommentar gerechnet ;) Freut mich jemanden mit einem ähnlichen Geschmack hier zu haben. Auch ich konzentriere mich vornehmlich auf den Inhalt einer Geschichte die ich hier lese. Wenige Fehler, erst recht wenn sie "nur" bei der Komma Setzung vorhanden sind, stören mich kaum und auch wenn es etwas mehr sind kann mich eine gute Geschichte darüber hinweg trösten. Wenn es natürlich ausartet kann es schon störend sein. Ich denke jeder hat da seinen eigenen Anspruch an Fehlerfreiheit. Langfristig möchte ich auch versuchen gute Geschichten mit einer sehr guten Ausdrucksweise und Grammatik abzurunden.

Zum Inhaltlichen: Ich gebe dir Recht. Beim Lesen hatte ich auch das Gefühl, dass Phasen vorhanden sind in denen der Spannungsbogen eher flach verläuft und hauptsächlich am Ende wieder ansteigt. Eventuell meiner, für dieser Serie gewählten, Erzählweise geschuldet. Ich möchte durch die Erzählung aus der Sicht von zwei Personen versuchen einer "schlichten" Story über die Einsätze einer Spezialeinheit mehr Tiefe zu geben. Ich werde mich in Zukunft bemühen, dass bei diesem Szenenwechsel die Spannung nicht zu kurz kommt.
Zur GSG 9: Du hast sicher Recht, dass dies kein typischer Einsatz für die GSG 9 ist, jedoch wollte ich die Geschichte zum einen mit einem einfacheren Sachverhalt einleiten. Zum anderen hab ich alles für die Geschichte sorgfältig recherchiert und muss sagen, dass die GSG 9 nicht nur hollywoodreife Aktionen durchführt sondern auch so etwas. Die SEKs, und nebenbei in Hamburg gibt es nur ein MEK, verbringen die meiste Zeit eher mit Razzien etc.

Nun jedenfalls im zweiten Teil wird zumindest noch kurz erläutert warum die GSG 9 diesen Einsatz ausgeführt hat. Ansonsten kann ich schon einmal verraten, dass es die Männer im zweiten Teil ins Ausland zu einem etwas typischeren Einsatz führen wird. Ebenfalls möchte ich anmerken, dass ich den ersten Teil jetzt nicht komplett auseinander pflücken und überarbeiten werde. Dies tue ich eventuell zu einem späteren Zeitpunkt, doch ich möchte mich nun auf den zweiten konzentrieren und versuchen dort alle Anregungen und Kritik zu berücksichtigen.

Vielen Dank noch einmal!

..oh man ist der Kommentar lang geworden

 

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