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Hammer und Amboss

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13.08.2014
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Hammer und Amboss

Wir Kinder waren tagsüber meist bei unserer Oma. Der Vater war früh gestorben und darum musste die Mutter arbeiten gehen. Großmutter hatte wenig, im Sommer die Gartenbank und im Winter einen Platz am Kachelofen. Aber meine Oma konnte erzählen. Die Erzählungen von unsern Dorforiginalen waren die Fesseln, mit denen sie mich band. Nicht nur die fast unglaubliche Kuriosität, sondern ihre räumliche Nähe machten sie eindrücklicher als die Riesen in der Ferne. Dabei blieb besonders die Geschichte von Gust an einem Widerhaken hängen, von dem sie sich nie mehr löste. Wahrscheinlich war Oma von ihr am stärksten beeindruckt und erzählte sie darum am Eindrücklichsten.

Unser Dorf liegt am Fluss. Die Menschen neigen dazu noch das Kleine zu unterteilen und so wird es seiner Lage zur Fließrichtung entsprechend in ein Ober- und Unterdorf geteilt. Der Fluss war mehr als Wasser, Grenze und Broterwerb, er war Heimsuchung. Und als solche suchte er die Menschen in ihrem Daheim auf. Meist kam er Spätsommers und nachts, wenn die schweren Sommerregen ihm eine maßlose Kraft verliehen. Dann spürte er alle Bewohner des Hauses auf, hielt Nachschau in jeder Fuge, jeder Ritze und ohne Nachsicht wurde er auch für Mäuse, Ratten und Wanzen zu einem Eindringling, dem nur schwer zu entkommen war. Auf dem Dachboden fanden Alle und Alles beengte Herberge, während sich unten in Stube und Schlafzimmer der ungebetene Gast ausbreitete. Zog sich der Fluss nach einigen Tagen, manchmal Wochen, wieder zurück, ließ er Sand, Schlamm und Krankheiten zurück. Diese Not änderte sich erst, als der Hilfeschrei aus dem armen Land endlich die Regierung in der fernen Metropole erreichte und der Bau eines Dammes dem Wasser seine Allmacht entzog. Doch noch lange blieben Zweifel, besonders bei den Alten, ob die Technik des Menschen die zügellose Willkür der Natur bezwingen könne. Es gelang und so konnte sich endlich Wohlstand und Selbstüberhebung im Ort ausbreiten, dessen Volk schon immer von ihrem trotzigen Stolz ausgezeichnet wurde. Der Damm wurde einige Jahre vor Beginn des schweren Krieges, Oma nannte den Ersten Weltkrieg immer so, fertig gestellt.

Gerade damals begann das Eigentümliche. Es nahm im Dorf einen Raum für sich ein und wurde durch sein völliges Unverstehen körperlich. Gust, der Dorfschmied, war allein stehend, mittelgroß, ein kräftiger Mann in den 30ern. Verlässlich kam er dem alltäglichen Anspruch seiner beschwerlichen Arbeit nach. Seine Arbeiten waren von den Bedürfnissen seiner Kundschaft bestimmt, also bäuerlicher Art, für Feld, Pferd und Fuhrwerk. Selten kam ein Trauernder um ein Schmiedekreuz für ein Grab zu bestellen. Bei den Armen war die Grabbeschriftung Arbeit des Tischlers, bei den Wohlhabenderen des Steinmetzes. Seinem langen Tagwerk folgte der frühe Gang zu Bett. Außer seinem Beruf hatte er kaum Interessen. Abgesehen vom Umstand dass er trotz seines Alters noch unverheiratet war zeichnete ihn nichts in besonderer Weise aus. Weder war er der Mittelpunkt des örtlichen Lebens noch ein ausgezeichneter Sonderling. Er war kein belesener Mann, Agitation durch übermäßige Bildung kam nicht in Betracht. Seine einzige regelmäßige Lektüre, nebst der lokalen Wochenzeitung, war die Fachzeitschrift „Hephaistos Erben. Das vierteljährliche Fachjournal.“ Alles in allem war es das ruhige, geordnete Leben eines Dorfschmiedes, frei von offensichtlichen Lebenserschütterungen. So war der Anlass für seine merkwürdige Tat völlig unerklärlich und blieb es auch später. Aber irgendwann musste sich Gust entschieden haben seinem Leben eine Wendung zu geben, ein äußeres Zeichen zu setzen dem vielleicht schon länger eine Unruhe oder ein inneres Zerwürfnis vorausgegangen war. Er tat, wie hieß es doch schon, einen sonderbaren, den Spott der Welt reizenden Schritt.

Irgendwann im Frühsommer jenes Jahres verschloss er abends die Türe zu seiner Schmiede, die sonst immer unverschlossen war, holte aus einer Werkzeuglade bereits vorbereitetes Material und fertigte daraus eine Metallhülse an der er fünf Eisenringe anbrachte. Er steckte den Stiel seines Schmiedehammers in die Hülse und verband im Griffbereich Holz und Metall. Als er fertig war legte er den Hammer auf den hinten liegenden Arbeitstisch, deckte ihn mit einem Juttesack zu und ging hinüber ins Haus. Am folgenden Sonntagabend ging er hinüber in die Schmiede, zog das weiße Sonntagshemd aus, betrachtete wie zum Abschied seine rechte Hand, steckte seine Finger durch die Eisenringe und verengte mit behutsamen Schlägen der linken Hand die gut angepassten Öffnungen der Eisenglieder, die nun wie eng liegende Ringe die Finger umschlossen. Als die Arbeit beendet und die Verbindung von Fleisch und Eisen vollbracht war bekam er schweres Herzschlagen. Fluchtartig verließ Gust die Werkstatt, ging hinüber ins Haus und betrachtete in der Küche am Tisch sitzend sein Tatwerk. Die Tat war keine spontane Idee und kein plötzlicher Wahnsinnsanfall. Bereits einige Wochen vorher war er bei Bürlis Marie, einer alten Schneiderin, die neben ihrer kleinen Rente von gelegentlichen Arbeiten lebte, ließ zwei Arbeitshemden, zwei weiße Hemden und den Sonntagsanzug auf der rechten Seite auftrennen und mit kleinen Druckknöpfen versehen. Marie, die sich mehr als nur wunderte und Gusts verschämter Erklärung, „er habe es in der Schulter“ keinen Glauben schenkte, übernahm die aufgetragene Arbeit, da er die veranschlagten Materialkosten und den größten Teil der geschätzten Arbeitszeit im Voraus bezahlte. Einige Tage später holte er wie vereinbart die Sachen ab. Marie suchte in seinem beschämten Gesicht vergebens nach einer Antwort.

Am nächsten Tag stand er bei Morgengrauen völlig erschöpft auf. Die Nacht war kein Schlaf gewesen, sondern eine Verwerfung. Kein Mörder konnte schlimmer verfolgt werden als Gust. Er setzte sich an den Bettrand und betrachtete seine Anschmiedung. Schon die ersten Handgriffe beim Ankleiden und Zubereiten des Frühstücks zeigten ihm die unpraktische Seite seiner Tat. Gewohnt, alles rechts, und mit zwei starken Händen anzupacken war er wie ein amputierter einarmiger Krüppel. Je bewusster und augenfälliger mit jeder Bewegung und Handhabe seine selbst auferlegte Mühe wurde, umso fester klammerte sich seine Rechte um den Hammerstiel. Herzjagen begleitete ihn am Morgen in die Werkstätte. Die Schmiede lag wenige Meter hinter dem Haus und war mit diesem nicht unmittelbar verbunden. Trotz der Fenster machte die rußige Färbung der Wände sie dunkel und düster, besonders bei Dämmerlicht. Als er eintrat fand er alles anders vor. Obwohl sich das Werkzeug an den üblichen Orten befand erschien es von der gewohnten Stelle gerückt. Schwerfällig betrachtete er die unerledigten Arbeiten. Dann ging er hinüber zur Esse, holte etwas Holz und Kohle und entfachte nachdenklich das Feuer. Bert würde heute den reparierten Wagen abholen, hatte er doch schon am Morgen eine Fahrt. „Wenn er kommt, vielleicht sieht er ja gar nichts, oder soll ich es wie zufällig zeigen. Sieht er nichts, ist es gut, sieht er es ist es recht.“ Gust wurde gestachelt von seiner kleinlichen Ängstlichkeit. Schließlich kam Bert mit seinem Noriker um ihn vorzuspannen. Gust sagte ihm, dass nicht die Federplatten gebrochen waren, sondern die Halterungen, er jedoch auch zwei schlechte Platten ersetzt hatte, „damit hält es wieder bis zum jüngsten Tag“. Bert musste lachen und konnte es noch immer nicht fassen, dass gerade bei Blasers Marie das passieren musste, die doch kaum 100 Pfund wog und nicht bei einem gestandenen Mann, die ja nicht so selten gefahren wurden. Bert sah wie Gust ungelenk mit seiner rechten Hand hantierte, dabei den Hammer nicht aus der Hand legte und die Eisenringe gaben das Aussehen eines Schlagringes. Er machte jedoch keine Bemerkung, zahlte für die erbrachte Arbeit und nahm mit seinem schwarzen Gefährt Abschied. Wenn auch der Totengräber die Veränderung scheinbar übersehen hatte, machte doch schon bald die Veränderung im Dorf die Runde. Schrecken ist das Plötzliche, Unverstandene. In den ersten Tagen wurde der Schmied zu einer Jahrmarktskuriosität. Dorfbuben strichen verstohlen um die Schmiede und hofften das seltsame Geschöpf zu sehen, besonders mutige schlichen ans Fenster, hineinzugehen wagte keiner. Erwachsene kamen wie vom Zufall geführt vorbei, mieden aber die Schmiede aus Angst, oder um nicht in den Ruf zu kommen besonders wundrig zu sein. Selbst die neugierigsten Klatschbasen wagten nicht den Schritt hinein. Wie schnell konnte so ein Hammer statt auf Eisen auf einen Schädel schlagen. Jemand der das vollbracht hatte, dem musste alles zugetraut werden. Je weniger bekannt war um so mehr wurde gemutmaßt. Und es wurde geschwätzt, genuschelt, getratscht, je abwegiger umso wahrscheinlicher schienen die Gründe. Einige wollten es schon seit langem kommen sehen haben. Nicht unbedingt das, aber eine Tat, eine absonderliche, krankhafte.

Auch wenn zur Not die rechte Hand etwas halten konnte, die Aneisung zeigte das Unpraktische zu deutlich. Es waren nicht nur die arbeitsmäßigen Handhabungen, auch Essen und Notdurft. Die Linke nahm Löffel und Gabel, war reine und unreine Hand. Im menschlichen Umgang zeigte sich die Veränderung am offenbarsten im persönlichen Händegruß. Gust legte dabei den Hammerkopf in die linke leicht angewinkelte Ellenbeuge und reichte so seine rechte Hand. Der Gegrüßte teilte unwillkürlich die Wärme der Hand mit der Kälte des Metalls. Der harte Händedruck von Gust wurde durch das Metallische verstärkt und wirkte unwillkürlich abstoßend. Er hatte dies, wie vieles, nicht bedacht und diese Entfremdung kränkte ihn am meisten. Es schien als würde er bei diesem Anlass am liebsten den Hammer von der Hand reißen. Daher reichte er nach einiger Zeit die linke Hand zum Gruß wie ein versehrter Kriegsinvalide.

Der Pfarrer war ein großer schlanker Mann mit strengen asketischen Gesichtszügen. Seine klugen klaren Augen wurden umrandet von einer runden Nickelbrille. Die theologische Ausbildung hatte er an einem Priesterseminar absolviert, das für seine klare Ausrichtung nach Rom bekannt war und wurde so zu einem typischen Verfechter jener Richtung, die den Menschen vor den moralischen und politischen Gefährdungen der Zeit zu schützen suchte. Dies erforderte eine Strenge in jeder Beziehung und so war der freundliche Umgang mit Menschen nicht seine Stärke. Sein Umgang mit den Gläubigen war klar, korrekt, es könnte das Wort „mitleidlos“ fallen. Er betonte die Einhaltung der göttlichen und weltlichen Gebote und Gesetze. Sutane und Kruzifix waren die äußeren Merkmale seines Standes und solitären Ranges, Zeichen und Mittel seiner äußerlichen wie innerlichen Distanz. Er bevorzugte das Gespräch im Halbdunkeln des Beichtstuhles und zog es jeder anderen Unterhaltungsform vor. Das eindringliche und mehrfache Drängen des Gemeindevorstehers wie auch mehrerer Mitglieder der Jungfrauenkongregation veranlassten ihn schließlich mit Gust ein klärendes seelsorgerisches Gespräch zu führen. Er kam eines Abends ohne jede Voranmeldung. Wahrscheinlich hatte er das Licht in der Küche gesehen. Vom Besuch zutiefst überrascht bat Gust mit der gebotenen Erfurcht seinem Gast einen Platz in der Stube an. Alle Angebote nach Essen oder Trinken lehnte der Pfarrer freundlich aber entschieden ab. Ohne weitschweifenden Umweg kam er zum Grund seines Besuches. Er schaute auf Gusts rechten Arm der am Tisch gegenüber sitzend seine Hand auf den Oberschenkel gelegt hatte und fragte: „Warum?“ Gust zögerte kurz legte seine Rechte samt Hammer wieder auf den Tisch als seien sie Teil der Antwort und sagte halblaut. „Ich weiß nicht was Herr Hochwürden erwarten aber es gibt keine Antwort die es erklären kann. Ich wollte mein Leben verändern wie andere sich entscheiden ein anderes Leben anzufangen an einem fremden Ort in einem fremden Land. Mehr kann ich ihnen dazu nicht sagen.“ Der Pfarrer wusste, dass dies nicht alles war. Er beobachtete Gust scharf und fragte mit einer gewissen Zögerlichkeit: „Steht der Hammer in Verbindung zu politischen Ideen die sich in den letzten Jahren auch bei uns breit gemacht haben, Schwärmereien die den Menschen eine bessere, eine gottlose und selbstsüchtige Welt vorgaukeln?“ Mit einem Kopfschütteln war Gust seiner Antwort voraus und sagte entschieden. „Mit dem Politischen habe ich nichts im Sinn da können Herr Hochwürden völlig beruhigt sein.“ Etwas milder im Tonfall erwiderte der Pfarrer. „Und besteht vielleicht die Möglichkeit diese Kette, wenn ich es so nennen darf, einfach wieder zu entfernen um die Aufregung, die es im Dorf gegeben hat wieder zu beruhigen?“ „Das ist leider völlig ausgeschlossen. Das kann ich nicht rückgängig machen.“ Gusts Stimme hatte dabei etwas Lautes, Entschiedenes angenommen und ihn in Abwehrstellung gebracht. Der Pfarrer wollte es in einer fremden Stube nicht zu einer Konfrontation kommen lassen, denn offensichtlich standen sie an einem solchen Scheidepunkt. Er erhob sich langsam und sagte: „Gut, somit wäre das geklärt. Ich begrüße zwar die ganze Sache in keiner Weise aber aus Sicht der heiligen katholischen Kirche liegt kein Verstoß gegen ein geltendes Gebot vor.“ Der Pfarrer hatte mit seinem Besuch und Gespräch dem pastoralen Auftrag entsprochen, sah für sich die Angelegenheit als erledigt an, wünschte eine gute Nacht und ging. Gust war vom Besuch gleichermaßen erstaunt wie von der Kürze des Gesprächs.

Mit der Zeit erfolgte eine gewisse Gewöhnung wenn auch keine Selbstverständlichkeit und die Neigung von Kindern zu Kuriositäten machten Gust besonders interessant, aber den neugierigen kindlichen Blick auf sein Gestell ertrug er viel leichter als das Starren der Erwachsenen. Fast jeden Sonntagnachmittag ging er auf ein Bier in den „Bären“. Aus dem morgendlichen Frühschoppen, der von vielen Männern regelmäßiger gehalten wurde als der Kirchgang machte er sich nichts, besonders da er kein Kartenspieler war. Er trat mit einem kurzen, allseitigen Gruß ein und ging nach hinten, seine Rechte wie das Pendel im Uhrkasten schwingend. Er setzte sich wie immer an einen der kleinen Tische, wo in Ruhe getrunken werden konnte. Seit etwa einem halben Jahr arbeitete ein junges Serviermädchen hier. Sie war die Tochter von Hagens Franz. Er saß nie im „Bären“, gehörte aber zum Inventar des „Ochsen“. Sein Durst hatte das ganze Vieh und allen Grund gekostet. Schließlich blieb nur noch das Haus und ein kleiner Garten. Dort angelangt brachte er bei allem Unverstand genügend Vernunft, oder Selbsterhaltungstrieb auf, ein fragiles Gleichgewicht zwischen seiner Lebensart und den wirtschaftlichen Gegebenheiten zu finden. Ihre Mutter war schon vor Jahren gestorben. Das Mädchen war damals, kaum sieben Jahre alt, auf Drängen einer Tante, der Schwester der Mutter, von dieser aufgenommen worden. Als Julia herangewachsen war, forderte der Vater, sie müsse ins Haus zurückkommen und ihm den Haushalt machen. Franz hatte zwei Seiten. Betrunken zeigte er die andere. Dann reichte seine Hand weiter als ihre ausweichenden Bewegungen. Sie hieß Julia und war die einzige Julia im Dorf. Die Mädchen hießen ansonsten Maria oder Anna. Julia, das war kein Name, das war die Phantasterei einer Mutter, die eine romantische Liebesgeschichte nie gelesen hatte und nur in groben Zügen erzählt kannte. Sie sprach weder Gust noch einen der Männer mit Namen an, sondern ersetzt ihn mit einem selbstverständlichen Du. Sie schätzte die Distanz der Namenlosigkeit und nur der Pfarrer, der sich allerdings nur zu Hochzeiten und Beerdigungen gelegentlich einfand, wurde von dieser Regel ausgenommen. Ihr Schritt war fest und Lebenshaltung, der klare Blick und das mausgraue Aussehen setzten einen hohen Zaun, den keiner der Männer übersteigen wollte. Es gab gewiss Serviermädchen die besser waren, besonders für den Umsatz, aber tüchtiger als Julia konnte keine sein. Sie sah jeden neuen Gast, jedes leere Glas, kassierte nie sofort ab und wusste dennoch, auch bei steckvoller Wirtschaft, den Konsum jedes Gastes und vergaß nicht das kleinste Glas Schnaps. Wie immer brachte sie Gust ohne Bestellung ein großes Bier und als sie es aufsetzen wollte, nahm er seine Rechte vom Tisch, als habe diese und das Glas nicht genügend Platz. Nach einem kurzen Gruß stellte sie wie selbstverständlich das Glas vor seine linke Hand und ging wortlos zurück. Gust trank sein Bier geruhsam und im Takt einer gleichlaufenden Mechanik. Fast ausgetrunken rief er nach dem Mädchen, nahm nach dem Zahlen den letzten Schluck im Stehen, und da Julia noch mit dem abwischen des Tisches beschäftigt war, sagte er, wie nach dem Wetter fragend: „Hättest du neben der Arbeit im „Bären“ Zeit jemanden etwas den Haushalt zu machen. Sie schaute auf und fragte kurz: „Wem?“ „Mir. Zwei Stunden am Tag möchten reichen, am Wochenende brauche ich dich nicht.“ „Ich könnte schon, von fünf bis sieben, wenn dir das passen würde?“ „Gewiss. Also dann kommst morgen gegen fünf.“ Sie nickte kurz mit dem Kopf und ohne sie weiter zu beachten ging er. Als sie am Abend die Wirtschaft zusammenräumte und ihr der Wirt bei den letzten Handgriffen zur Hand ging, bemerkte er fast bittend: „Julia kannst du die Gäste nicht manchmal etwas anlächeln“, worauf sie mit einem übermütigen Blick aus den Augenwinkeln antwortete: „Ich lächle eh“, und lächelte dabei ganz sanft und doch wegen etwas völlig anderem.

Am folgenden Tag stand sie mit dem Fünf-Uhr Schlagen der Kirchenglocken vor Gust´s Haus. Hier im Dorf unterlag das Leben der öffentlichen Obsorge und nicht dem Empfinden des Einzelnen. Wäre sie fünf Minuten zu früh gekommen, hieße es, sie könne es nicht erwarten ihm den Haushalt zu führen, fünf Minuten zu spät, nicht einmal am ersten Tag kann sie die Arbeit pünktlich beginnen. Sie hörte seinen Hammerschlag aus der Schmiede, ging aber erst gar nicht nach hinten zur Werkstätte sondern direkt ins Haus und suchte sich in den Räumlichkeiten zurecht. Die Küche, wie das ganze Haus, war so, wie es sich ein Mädchen von einem allein stehenden Junggesellen erwartet. Die „grundsätzliche Ordnung“, die Gust einhielt entsprach in keiner Weise dem, was im Allgemeinen eine Frau unter Ordnung und Sauberkeit versteht. Da in der kurzen Zeit und am ersten Tag nicht das ganze Haus geputzt werden konnte, begann Julia Küche und Wohnzimmer abzustauben, zu kehren, wischen und die Dinge an ihren Platz zu bringen. Da montags und freitags das Essen am einfachsten war, setzte sie einige Kartoffeln zum Sieden auf und holte später aus der Speis etwas Butter und Käse. Gust kam wie immer nach sechs aus der Schmiede. Er grüßte Julia kurz und nachdem er Hände, Arme und Hammer ordentlich abgewaschen und abgebürstet hatte setzte er sich an den Küchentisch. Sie stellte ihm das Gedeck und das Essen hin und als sie ihm auch noch einige Kartoffeln schälte fühlte er sich richtig verwöhnt. Als Julia am Donnerstag das Haus verließ hatte sie es bereits aus seiner „grundsätzlichen Ordnung“ herausgehoben. Ins Schlafzimmer war sie bisher nicht gegangen und Gust konnte sich diese Nachlässigkeit nicht erklären, da dieser Raum wahrscheinlich als erster eine gründliche Reinigung verdient hätte. Die Bettenbezüge waren selbst für seine Einschätzung schmutzig, den Staub kehrte er um, jedoch nie unter dem Bett hervor und die alte Unterwäsche lag immer noch im Eck. Als er am Freitagabend beim Essen saß bemerkte er in einem völlig gleichmütigen Ton „Du bist wirklich ein tüchtiges Mädchen, wie du das Haus in einer Woche geputzt hast.“ Sie veränderte ihre Miene in keiner Weise, es war selbstverständlich die Arbeit nach bestem Wissen und Gewissen zu machen. Doch als Gust nach kurzem Absetzen anschloss, „aber das Schlafzimmer gehört auch zum Haus“, da setzte ihr Herzschlag für einen Augenblick aus und als er wieder einsetzte flammte er ihr Gesicht feuerrot an. Wortlos und mit abgewandtem Gesicht verließ sie die Küche und ging mit schnellem Schritt nach hinten ins Schlafzimmer und was sie in einer Woche nicht gewagt hatte verbrachte sie in der nächsten Stunde. Julias kurzer Gruß als sie ging erstaunte Gust etwas, doch da er keine offene Erklärung fand suchte er auch keine versteckte.

In den folgenden Wochen nähte, stopfte und flickte sie, brachte die Kleidung und Wäsche in Ordnung und riss die Fenster auf damit das Haus nicht nur nach Küche und Gust roch. Eines Abends, Julia stand halb gebückt beim Küchenkasten fragte sie im Suchen „Gustl, wo hast du denn die neue Schmierseife?“ Vom fremden Nachklang seines Namens getroffen fuhr Gust erschrocken zusammen. Seinen Namen hatte er seit seinen Kindertagen nicht mehr anders gehört als in der üblichen Form. Nun überschritt sie eine Grenze, vor der alle andern immer Halt gemacht hatten. Als sie sich umdrehte, um mit ihrem Blick die Frage zu erneuern, sah sie die Verstörung in seinem Gesicht. Ohne den Grund zu wissen, sich jedoch als Ursache erkennend, sagte sie mit erschrockener Zornigkeit in völlig ungewohnter Lautstärke „Dass man in diesem Haus aber schon gar nichts findet“, und schlug mit dem Putzlumpen nach einer Fliege wie nach einem schlechten Gedanken. Der Zwischenfall distanzierte die beiden in den nächsten Tagen. Sie verbarg sich hinter einer geschäftigen Sachlichkeit, er hatte nach dem Essen noch Kleinigkeiten in der Werkstatt zu erledigen. Der Schrecken legte sich und das Verhältnis der beiden wurde mit der Zeit zunehmend vertrauter. Es war eine gute Woche vergangen als Gust abends Julia aufforderte, sich zu setzen und etwas zu essen. Sie lehnte aber mit der Begründung ab, schon zu Hause gegessen zu haben. Als er jedoch die Einladung wiederholte und sein Ton Bestimmtheit und Beharrlichkeit hatte, holte sie einen Teller und aß. Kaum war sie mit der kleinen Portion fertig und wollte aufstehen, forderte er sie auf, sich nochmals etwas zu nehmen. Sie lehnte lachend ab mit dem Hinweis, sie könne ihm ja nicht die Haare vom Kopf fressen. Es war bereits kurz nach sieben, sie wollte gerade gehen und stand bereits in der Tür als Gust wie zum Abschied sagte, „wenn du willst kannst am Abend immer mit mir essen“, doch sie ließ ihn mit einem kurzen Gruß und ohne Antwort zurück. Am nächsten Abend war seine Überraschung nicht gering als er von der Werkstatt in die Küche kam. Auf dem Tisch standen zwei Gedecke. Als wäre dies alltäglich setzte er sich und auf seine Frage was es heute gäbe, antwortete sie: „Riebel, du weißt doch, am Freitag gibt es immer Riebel.“ Wenn es auch mehr ein Karfreitagsessen als ein Festmahl war, so war es diesen Abend doch ein Festessen. Während des Essens wurde kein Wort gewechselt, der Riebel schien jede Unterhaltung zu verbieten. Als sie ging lag in ihrem „Gute Nacht“ ein Klang, an dem er sich wärmen konnte. Sie aßen nun jeden Tag gemeinsam zu Abend und es war, als säßen Mann und Frau am gemeinsamen Tisch. Julia stand stets schon auf, wenn Gust noch lange nicht sein Essen beendet hatte und holte die durch das gemeinsame Essen versäumte Viertelstunde durch ihre übermäßige Betriebsamkeit ein. Um sich nicht dem Vorwurf auszusetzen, das Geld beim Essen zu verdienen, nahm sie auch immer wieder kleinere Näharbeiten mit nach Hause. Der Vater durfte davon aber nichts erfahren. Die Unterhosen eines fremden Mannes in seinem Haus, das hätte ihm gerade noch gefehlt.

Gust kam nun oft etwas früher aus der Schmiede als sonst. Anfangs begründete er sein frühes Erscheinen. Gerade mit der Arbeit fertig geworden, mit einem Mordshunger, etwas Neues anzufangen lohnt nicht, und was ihm sonst noch in seiner Verlegenheit einfiel. Er saß gerne in der Küche am Tisch, beobachte Julia beim Kochen und unterhielt sich mit ihr. Die Unterhaltung war zu Beginn schon etwas holprig, fachlich, und Julia lernte einiges über das Schmiedehandwerk und seine Schwierigkeiten. Nachdem ihre Befangenheit sich langsam gelegt hatte versuchte sie die Gespräche behutsam auf andere Themen zu lenken. Sie las etwas, und wenn auch ihre Literatur nur im Romantischen kreiste verstand sie doch, dass zwischen einem Blatt Papier und einem Leben ein Spalt war, über den mit Träumen kein Steg führte. Dass er kaum las wusste sie. Sie hatte im ganzen Haus keine drei Bücher gefunden, doch Gust schien sich beim monotonen Schlag seines Schmiedehammers seine Gedanken zu machen und in Gestalt einer dürftigen Bildung war etwas Philosophisches am Werk. Bei seinen Überlegungen betonte er besonders die Arbeit des Schmiedes, der die Welt in so entscheidendem Maß verändert hatte. Er bemerkte den Ritter in seiner eisernen Rüstung, das Gewehr und seine Kugel, die eine neue Reichweite und Tödlichkeit in der Schlacht einführten, die Kanonen mit ihrer unheimlichen Wucht und Weite und die modernen Artillerien und Geschütze, die ganzen Kompanien standhalten können. Er bedauerte dabei, wie der Mut des Einzelnen bedeutungslos wird im Kampf gegen diese technischen Gewalten. Im Feuer und Eisen lagen jene Kräfte, die eine Welt verändern konnten und der Schmied war der verlängerte Arm dieser Technik. Was aber auf dem Schlachtfeld so offensichtlich ist würde auch auf andere Bereiche der Menschen übergreifen. Dieser mechanischen Wirkung des Metalls könne sich künftig nichts und niemand entziehen. Julia war dieses Thema zu hart und spröde, und sie verstand auch nicht genau was er damit sagen wollte. In ihren Überlegungen standen vielmehr Mann, Frau und Familie, und ihr Verhältnis zueinander. Sie wollte einen guten Mann, keinen der sie ständig schlägt und gemein ist. Was sie aber noch ungeheurer fand, der Kaufmann in der Kirchstraße hatte sich von seiner Frau getrennt und lebte jetzt mit einer anderen, einer Auswärtigen, zusammen. Wenn auch die Liebe nicht immer so groß sei wie zu Anfang, müsse doch der Mann zu seinem Eheversprechen stehen, da auch die Frau nicht nur ihren Gefühlen folge, sondern aus Verantwortung für Haus und Familie handle. Diese und ähnliche Themen waren Inhalt ihrer Gespräche, jedoch immer im Allgemeinen, nie konkret und persönlich.

Julia führte ihm schon seit einem dreiviertel Jahr den Haushalt und es schien, Gust wolle die Beziehung einer Entscheidung zuführen. Am Freitagabend, als habe er die ganze Woche Anlauf für dieses Gespräch genommen, kam er kurz nach fünf ins Haus. Julia war erst wenige Minuten vorher gekommen und wunderte sich, dass Gust schon so früh aus der Schmiede kam. Er wusch sich kurz, sagte Julia sie möge den Besen zur Seite stellen und sich zu ihm an den Tisch setzen. Mit einem Huster holte er Luft und erklärte ihr, dass sie ihm nun schon eine recht lange Zeit den Haushalt führe und er mit ihr äußerst zufrieden sei. Was aber noch wichtiger sei, sie sei ein nettes Mädchen und er möge sie sehr gerne. Sie errötete und erklärte, dass sie ihn einen netten Mann finde und auch sehr gern habe. Nach diesem gegenseitigen Eingeständnis trat eine verlegene Stille ein. Gust verstand, es lag an ihm das Gespräch weiterzuführen. „Könntest du dir vorstellen, hier bei mir zu wohnen und mit mir leben? Dabei schaute er Julia nur kurz an, dann wieder hinüber zur Wand, als stehe sein Text dort. „Aber ich muss dir auch sagen ein Ring hat an meiner rechten Hand keinen Platz mehr.“ Fassungslos fragte sie: „Was willst du damit sagen?“ „Eine Heirat ist nicht möglich.“ „Was?“ Zur Fassungslosigkeit kam jetzt noch die Entrüstung. Das Energische in ihrer Frage zwang ihn in die Demut. Halblaut antwortete er: „Der Hammer an meiner Hand ist Teil einer Idee und beide sind untrennbar verbunden. Auch einer Frau zuliebe kann ich den Hammer nicht abnehmen und durch einen Ring ersetzten.“ Julia verstand, in der Idee, diesem Wort, lag die größte Bedrohung für ihr Glück. Gust musste das Wort irgendwo aufgeschnappt haben und es mit einem eigenen Inhalt gefüllt haben. Aber sie konnte die Gemeinschaft mit einem Mann nicht unter diesen Bedingungen eingehen. Es wäre gegen das Gesetz und die guten Sitten. Ihre Liebe wäre unendlich, wie würde sie Mauern einreißen, vor denen Samson zusammen gesunken wäre, wenn er nur den Eisenhammer ablegen könnte. Alles darf Liebe bewirken, doch nicht sich selbst aufzugeben, niemals. Sie war kraftvoll doch nicht maßlos. Gust war maßlos. Wie sollte neben diesem Grenzenlosen, das nirgends beginnt und nirgends endet, das er seine Idee nannte, auch nur der geringste Raum sein. Wäre der Eisenhammer Werkzeug, wie leicht wäre Platz im Bett gewesen. In der tiefsten Nacht scheinen die Sterne am hellsten und so erkannte sie dies mit abscheulicher Klarheit. Ihre Liebe wäre unendlich. Was wäre die metallische Härte gegen die Sanftheit seiner Stimme, was die schwielige Rauheit seiner Linken gegen die Zartheit seiner Berührungen. Wie laut wäre ihr Ja gegen jede Not, gegen jeden Schlag des Schicksals hätte sich dieses Ja gestellt, dessen Kraft nur im Ja einer Frau wohnt. Doch ihr Ja war auch ein Ja zu einem schlichten weißen Kleid, der Trauungszeremonie, und klang im Läuten der Glocken mit. Sie stand auf, drehte sich zur Tür und sagte im Ton an einen, dem nicht mehr zu helfen ist: „Ich kann dich nicht mehr sehen“. Im Türstock schaute sie nochmals zurück, mit einem bitteren und zutiefst traurigen: „Leb wohl.“ Gust stockte das Wort im Hals. Und so blieb nur ein wortloses Nicken.

Von da an ging er sonntags nicht mehr in den „Bären“, wich aber auch in keine andere Wirtschaft aus. Er verbrachte die Sonntagnachmittage, wenn es das Wetter irgendwie zuließ, bei einem Spaziergang ins Ried. Dabei hatte er seine Linke zumeist im Hosensack, seine Rechte schwang zum bedächtigen Schritt mit. In den Haushalt suchte er keinen Ersatz, er hatte genug Komplikationen hinter sich. Und Julia, sie heiratete wenige Jahre später einen braven Bauer aus dem Nachbarort. Wie die Dinge der Natur ihre objektiven Formen haben durch die Gegebenheiten der Umwelt, so auch die Menschen. Gust blieb unverheiratet und ungebunden und durch sein ständiges Alleinsein war er eben kein Flusskieselstein, der durch den ständigen Fluss des Wassers seine scharfen Kanten verliert und sich abrundet. Zudem ließ der Schmerz über seine Unfähigkeit, die Idee und das Bedürfnis nach der Nähe einer Frau zu vereinbaren ihn metallischer werden. Aus Resignation oder Melancholie, einige Monate später ging Gust zum Steinmetz um ihm Anweisungen für seinen Grabstein zu geben. Der Mann, darüber verwunderte, begann aber bei Zeiten mit dem Stein und führte ihn gemäß den Anweisungen aus, fügte dem Geburtsdatum einen Bindestrich an und ließ den Tag der letzten Ungewissheit offen. Gust hatte nie ein Testament oder einen letzten Willen verfasst, doch Hans, seinem besten Freund, formlos und umso bedeutsamer einige unabdingbare Punkte in dieser Angelegenheit mitgeteilt. Hans sagte die Erfüllung der gewünschten Punkte zu, falls sich das Schicksal an die dafür notwendige Reihenfolge halte. Die beiden kannten sich schon von Kindesbeinen an. Hans war Bauer, hatte eine Frau und vier Kinder. Da sein Vater kränkelte hatte er den Hof früh übernommen und jung geheiratet. Er hatte ein lebhafteres Temperament, aber ihre Wesen trafen sich in einer gewissen Gelassenheit und der Bescheidenheit, die sich mit dem begnügt, was durch Fleiß in geordneten Verhältnissen erwirtschaftet werden kann.

So vergingen die nächsten Jahre. Gust lebte wieder den monotonen Alltag, der in seinem Äußeren kein Erlebnis erkennen lässt. Wer entscheidet, ob sich in dieser beständigen Wiederholung des Gleichen auch ein erfülltes Leben spiegeln kann. So gleichförmig sich das Leben nach außen gab bewegte sich doch etwas unerkannt unter der Oberfläche, denn unerwartet wie die Anschmiedung seinerzeit, entfernte Gust den Schmiedehammer von seiner Hand. Wie ein Experiment, das an sich scheitert oder eine Idee, die ihren Wert verloren hat. Er löste aber die Hülse mit den Fingerringen nicht vom Hammer, sondern schob ihn in die Werkzeuglade ganz nach hinten, beließ ihn dort und verwendete ihn nie wieder. Hatten sich die Dorfbewohner im Laufe der Jahre mehr oder weniger an den angeeisten Gust gewöhnt, so blieb doch immer ein ungewisses Befremden. Als nun Gust im Dorf plötzlich wieder wie ein richtiger Mensch erschien, war einigen als sei ein verlorener Sohn zurückgekehrt. Wie schon damals blieben auch jetzt die Gründe im Dunkeln. Gust war nie der große Redner aber über diese Sache schwieg er sich völlig aus. Es war sein unteilbares Geheimnis oder er konnte in sich keine entsprechenden Worte auffindenden, und so wäre alles nur eine grobe Annäherung an etwas Heiliges. Hier stand eine innere Zartheit als Gegenstück zur äußeren Rauheit seiner Hände. Näheres hätte möglicherweise ein Heft sagen können. Gegenüber Hans erwähnte er, dass er seit einiger Zeit ein „Sinnheft“ habe. Auf dessen Frage was das sei, antwortete er, abends schreibe er gelegentlich in das Heft was ihm so alles durch den Sinn gehe. Das Heft wurde später aber nicht mehr gefunden.

Die Fliegen fanden Gust zuerst. Doch sie meldeten ihren Fund nicht sondern machten sich über die Folgen der letzten Erschlaffung her. Er mochte dort fast einen Tag gelegen sein. Nachdem er den ganzen Tag keinen Schlag aus der Schmiede gehört hatte und auch sonst Gust nicht gesehen hatte schaute der Nachbar nach dem Rechten. Er fand die Werkstatt leer und ging ins Haus. Als sich auf sein Rufen niemand meldete wollte er bereits wieder gehen als er einen leichten aber üblen Geruch wahrnahm. Nach kurzem Zögern folgte er unter mehrmaligen Anruf dem Geruch und ging den Gang hinunter. Die Klotüre war leicht geöffnete. Er rief nochmals Gust an und als niemand antwortete wollte er die Türe etwas öffnen. Seinem sachten Druck stelle sich jedoch bereits nach wenigen Zentimetern ein Widerstand entgegen. Mit der Schulter drängte er die Türe soweit auf bis zumindest sein Kopf Eingang ins Klo fand. Dort sah er Gust in seiner gottserbärmlichen Lage. Der Oberkörper lag auf dem Klositz, der Kopf hing nach hinten hinunter. Die Beine waren zur Türe hin gestreckt als wollten sie den Eintritt verwehren um diesen Anblick zu vermeiden. Der herbeigerufene Dorfarzt stellt den Tod fest, die genaue Todesursache blieb unbekannt, eine Obduktion wurde nicht vorgenommen. Im Totenschein wurde akutes Herzversagen vermerkte. Dieser plötzliche Herztod schien Gust im Blut zu liegen, schon sein Vater war mit der gleichen Diagnose im besten Alter verstorben. Da sich das Schicksal an die notwendige Reihenfolge gehalten hatte, war es an Hans dem letzten Willen von Gust zu entsprechen. Beim Tischler gab er einen Sarg in Auftrag, der ihn und die gewünschten Grabbeigaben fassen konnte und den Steinmetz ließ er das fehlende Datum in den Grabstein schlagen. Gust wurde für zwei Tage in seinem Schlafzimmer aufgebahrt. Am Morgen der Beerdigung kamen Hans, Bert und zwei weitere Männer um ihn abzuholen. Sie legten ihn andächtig in den bereitgestellten Sarg und gaben die gewünschten Grabbeigaben hinein. Hans legte den alten Schmiedhammer mit den Fingerringen auf die Brust und gemeinsam nahmen sie den kleineren der beiden Ambosse. Doch auch dieser hatte an die 100 Pfund. Als sie dem Toten den Amboss längs auf den Bauch und die kräftige Brust legten, entwich aus Mund und Darm ein ekliger Fäulnisgeruch und einer der Männer kotzte in einem heftigen Schwall auf den Boden. Es war nicht außergewöhnlich einem Verstorbenen ein Utensil seines Gewerbes ins Grab mitzugeben, damit er in der Ewigkeit nicht zu ewigem Nichtstun verurteilt ist. Einem Schneider Nadel und Faden im Rocksack, einem Schuster einen alten Leisten oder einem Pfarrer eine alte ledergebundene Bibel. Doch Hammer und Amboss beizulegen. Der Trauerzug folgte dem Leichenwagen zur Kirche. In der Totenmesse würdigte der Pfarrer Gust, wie jeden Verstorbenen, als guten Christen und Menschen, erwähnte mit keinem Wort das Vorgefallene und gab die Beigaben mit einem Schweigen mit ins Grab. Einige Wochen nach der Beerdigung wurde der Grabstein gesetzt. In der Mitte waren ein Kreuz mit Name und Lebenszeit, etwas weiter unten Hammer und Amboss eingemeißelt. Darunter verschwammen im dunklen Grau des ungeschliffenen Granits beinahe die Worte „als ob“.

 

Hallo Huber!

Willkommen unter den schreibenden Wortkriegern.

5.600 Worte Text bietest du uns zum Einstand. Ich habe nicht sehr weit in deinem Text gelesen, denn ich fand ihn sehr ermüdend. Du hast sicher schon mal "show, don't tell" gehört? Das rate ich dir, das würde deinem Text gut tun.
In anderen Worten: Berichte nicht so distanziert, sondern lasse den Leser teilhaben am Geschehen, mitfühlen, mitfiebern.

Noch ein paar Punkte:

Lockere deine Textblöcke durch Zeilenumbrüche auf. Das würde das Lesen gleich angenehmer machen. Im Dialog immer, wenn der Sprecher wechselt. Aber nicht nur da. Sieh in Bücher/Romane, wie die Autoren das da machen.

Textaufbau: Du willst doch die Geschichte vom Gust erzählen? Dann weg mit der Oma und dem Ich. Die spielen für die Geschichte vom Gust doch keine Rolle.

Der zweite Absatz, der Fluss. Am besten auch weg mit dem. Das ist nur ein Bericht über einen Fluss. Langweilig. Wenn du was über die Überschwemmungen erzählen willst, dann baue das in deine Geschichte vom Gust ein, stelle es nicht davor.

Soviel erstmal von mir.

Grüße,
Chris

 

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