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Happy End fuer H.

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26.03.2003
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Happy End fuer H.

H. war sauer.

Und zwar so richtig sauer.

Was er fuehlte, war nicht etwa diese voruebergehende Wut, die man auf etwas
oder jemanden bestimmtes haben kann, die kommt und dann auch wieder geht.
Es war auch nicht diese Art Zorn, der einen ganz ploetzlich befaellt und dann
nach kurzer oder manchmal vielleicht auch laengerer Zeit wieder
verschwindet. Und ganz sicher war es nicht eins von diesen fluechtigen
Gefuehlen, deren Ursachen man ab und zu nicht einmal genau bestimmen kann.
Nein, H. war sich ausgesprochen klar ueber das, was im Moment in ihm
vorging. Auch, wenn Wut oder Zorn nicht genau seine jetzigen Gefuehle waren,
so kamen diese beiden Worte der Sache doch am naechsten.

H. sass bei sich zu Hause. Genaugenommen sass er an seinem Kuechentisch.
Wollte man penibel sein, koennte man auch noch erwaehnen, dass er nichts
anderes tat, als seine rechte Faust immer und immer wieder auf die
Tischplatte zu schlagen. Er selbst bemerkte das aber gar nicht. Fuer ihn gab
es im Moment einzig und allein diesen Zorn, diese rasende Wut, die ihn
ausfuellte, wie noch nichts ihn in seinem ganzen Leben je ausgefuellt hatte.
Immer wieder knallte seine geballte Faust auf den Kuechentisch. H. aergerte
sich schwarz. Haette jemand, der ihn zufaellig kannte, ihn in diesem
Augenblick gesehen, sicher haette er nicht glauben koennen, was dort in der
kleinen, spaerlich und alles andere als gemuetlich eingerichteten Kueche vor
sich ging. Niemand hielt H. naemlich fuer agressiv. Allerdings muss man dazu
auch sagen, dass niemand H. so richtig kannte. Genaugenommen hatte er sich
ja selbst nie so richtig gekannt - bis heute natuerlich. Heute war ihm
naemlich klargeworden, was eigentlich in seinem Leben schiefgelaufen war.
Aber schiefgelaufen war eigentlich auch nicht der beste Ausdruck, denn
damit etwas schieflaufen kann, muss es ja erst einmal etwas gegeben haben,
was gut gelaufen war, und das gab es in H.s Leben eindeutig nicht.

Als H. an diesem Morgen aufgewacht war, fiel es ihm wie Schuppen von den
Augen. Nichts, nein, alsolut NICHTS, war in seinem Leben jemals einfach nur
gut gewesen.

H. war Koch. Er war Koch geworden, weil seine Mutter es damals so gewollt
hatte. Viel lieber waere er ja etwas Anderes geworden, etwas, naja, nicht
ganz so Langweiliges. Damals hatte er auch eine ganz bestimmte Vorstellung
davon gehabt, was das fuer ein Beruf sein sollte. H. waere gerne Tauchlehrer
geworden. Er waere gerne um die Welt gereist, haette viele Abenteuer erlebt,
viele Frauen gehabt, sein Leben genossen. Aber so (er hatte eine sehr
dominante Mutter) war er eben Koch geworden. Statt toller Frauen lernte er
eben schmierige, muffig riechende Hotelkuechen kennen, statt Liebesbriefen
musste er immerzu nur Rezepte lesen. Waehrend seiner Ausbildungszeit musste er
wochenlang Schweine und Rinder ausnehmen. Er hatte in seinem Leben mehr
Schweinshaxen als Frauenbeine gesehen. Aber all das trug er mit Fassung. Er
vertraute auf eine bessere Zukunft. Vielleicht, so dachte er immer, wuerde
er eines Tages mit seiner Mutter zusammen fortziehen, in ein fernes Land,
vielleicht ans Meer. Vielleicht wuerde sein Berufswunsch ja doch noch in
Erfuellung gehen.
Aber H. liess sich nie etwas von seiner Unzufriedenheit anmerken. Er war
noch nie ein Mann gewesen, der seine Gefuehle so offen zeigen konnte.
Stattdessen trug er es mit Humor, machte Witze ueber alles und jeden. Ja,
mit der Zeit war er ein richtiger Spassvogel geworden. Dass die Leute ihn
nicht lustig, sondern laecherlich fanden, gehoerte ebenfalls zu den Dingen,
die ihm erst heute morgen klargeworden waren. Man lachte nicht mit, sondern
ueber ihn. Was genau die Leute dazu bewog, ueber H. zu lachen, war eigentlich
nichts Bestimmtes, es war vielmehr seine ganze Erscheinung. Zu ihrer
Verteidigung muss man allerdings zugeben, dass er auch wirklich ein Bild fuer
die Goetter war, wie er immer in der Kueche stand (ein Privatleben hatte er
ja nicht), in seinem viel zu kleinen, fleckigen Hemd, das stets falsch
geknoepft war, die Brille, die schon seit Jahren leicht beschaedigt war und
so immer ein wenig schief auf seiner Nase sass, das knallrote Tuch, das er
staendig um den Hals gebunden trug (niemand wusste so genau, wozu es
eigentlich gut war) und im Gesicht die zahlreichen kleinen Schnittwunden,
die von den allmorgendlichen Versuchen herruehrten, seine so gut wie
ueberhaupt nicht vorhandenen Barthaare zu rasieren. Man konnte ihn einfach
nicht ernst nehmen. Hinzu kamen dann auch die Momente, in denen sein Blick
ganz ploetzlich leer wurde (das waren stets die Momente, in denen er von der
besseren Zukunft traeumte), sein Mund sich halb oeffnete und ein schmaler
Speichelfaden langsam aus seinem Mundwinkel heraus und sein Kinn hinabfloss.
Manche Leute uebrigens spekulierten, dass er das knallrote Halstuch aus sem
Grunde trug, damit wenigstens sein Hemd von jenen Speichelfaeden verschont
bliebe. Ach ja, H. wirkte schon ab und zu ein wenig psychopathisch. Nicht
einmal gut kochen konnte er. Deshalb war es ihm auch nie vergoennt gewesen,
in einem richtig guten Restaurant zu arbeiten. H. kochte in einer der
allerletzten Hafenkneipen, wo es nichts Anderes als Fisch zu essen gab.
Selbst ,wenn er sich bemueht haette, waere es ihm nicht gelungen, den
Fischgeruch loszuwerden, der in wie eine Wolke billigen Parfuems staendig
umgab. H. selbst machte dieser Geruch, wenn er ihn denn einmal bemekte,
allerdings nicht viel aus, denn zu Fischen (er wollte ja eigentlich
tauchen) fuehlte er sich immer schon hingezogen.

So ging er durch das Leben, staendig scherzend und Witze machend ueber Gott
und die Welt. Nie bemerkte er, dass die Leute eigentlich immer nur aus
Mitleid ueber seine unbeholfenen Scherze lachteno.
So haette es sein ganzes Leben weitergehen koennen, waere ihm heute morgen
nicht urploetzlich, wie aus dem Nichts kommend, klargeworden, was ihm so
lange verborgen gewesen war. Mit einem Schlag wurde er sich der
Laecherlichkeit seiner ganzen Person bewusst, und zwar der Laecherlichkeit in
ihrem vollen Ausmass. Das haette auch den staerksten Mann aus der Bahn
geworfen. Mit einem Mal war H. in der Lage, sich durch die Augen der
anderen Menschen zu betrachten. Zuerst musste er unwillkuerlich lachen, und
zwar aus vollem Halse heraus, denn er verstand nicht sofort, dass er dort,
vor seinem geistigen Auge, keinen fremden Menschen, sondern sich selber
sah. Als es ihm schliesslich klar wurde, blieb ihm sein Lachen im Halse
stecken, und zum ersten Mal ueberhaupt in seinem Leben bemerkte er den
Speichelfaden, der an seinem Kinn hinabfloss. Mit einer ruckartigen Bewegung
wischte er ihn weg, dann zog er sich sein rotes Halstuch aus. Das naechste,
das ihm auffiel, war der permanente Fischgeruch, der aus all seinen Poren
ausstroemte. Sofort riss H. sich die Kleider vom Leib und sprang unter die
Dusche. Ueber eine Stunde verbrachte er dort, doch als er fertig war, war
der Fischgeruch noch immer nicht verschwunden. Er gehoerte einfach zu ihm,
musste er jetzt feststellen; jeder Versuch, ihn zu entfernen, waere absolut
sinnlos gewesen. Es waere einfacher, einem Zebra die Streifen zu nehmen,
oder einem Fluss das Wasser. Also fand H. sich damit ab, was blieb ihm auch
anderes uebrig?

.Als naechstes zog er sich an, und dabei fiel ihm auf, dass er keine anderen
Kleidungsstuecke besass, als seine Arbeitssachen. Ob er wollte oder nicht, H.
war verdammt, in weiss durch�s Leben zu gehen. Aber, es blieb ihm ja
wirklich nichts Anderes uebrig, auch damit fand er sich ab. Er nahm am
Kuechentisch Platz und ueberwaeltigt von seiner neugewonnenen Erkenntnis liess
er sich ganz von seinen Gedanken und Gefuehlen treiben. Deshalb bemerkte er
auch nicht, dass seine Faust von dem staendigen Auf-den-Tisch-Schlagen schon
ganz blutig geworden war. Er vergass seinen Koerper und gab sich ganz dem Hass
hin, der in ihm wuetete. H. hasste alles und jeden. Seine schmutzige Arbeit,
seine Kollegen, seine kleine Wohnung, die seine Mutter fuer ihn gemietet
hatte, seinen Chef, seine fluechtigen Bekannten, all die Gaeste, fuer die er
je hatte kochen muessen. Im Nachhinein gab es ihm ein Gefuehl der Genugtuung,
dass ihnen seine Gerichte nie geschmeckt hatten. Selbst seine Mutter, die er
doch immer ueber alles geliebt hatte (schliesslich war sie die einzige Frau
gewesen, die ihm je ein wenig Aufmerksamkeit geschenkt hatte) reihte sich
nahtlos in diese Aufzaehlung mit ein. Aber H. war nicht interessiert daran,
sein Leben zu verbessern. Nichts lag ihm ferner, als nach Moeglichkeiten zu
suchen, sich bei seinen Mitmenschen beliebter zu machen. H. wollte keine
Freunde finden. Es gab nur eines, was er jetzt wollte, und das war Rache.
Er wollte Rache fuer all die Witze, die ueber ihn im Umlauf waren, fuer all
die Blicke, die heimlich hinter seinem Ruecken ausgetauscht worden waren,
fuer all die Andeutungen, die er frueher nie hatte begreifen koennen. H.
wollte Rache fuer sein verpfuschtes Leben. Alles in ihm verlangte nach
Entschaedigung fuer all die Frauen, mit denen er nie ausgegangen war, fuer
all die gemuetlichen Abende, die ohne ihn stattgefunden hatte, fuer all die
fernen Laender, die er nie gesehen hatte, fuer das Leben, das er haette fuehren
koennen. Aber H. war auch so ueberwaeltigt von seinen Gefuehlen, dass es ihm
nicht moeglich war, einen klaren Plan zu fassen. Sicher, er haette sich jetzt
in Ruhe einen wahren Rachefeldzug ausdenken koennen, ein raffiniertes,
ausgekluegeltes Vorhaben, um es allen Menschen heimzuzahlen, die nie nett zu
ihm gewesen waren (und das waren eigentlich alle Menschen, mit denen er je
zu tun gehabt hatte). Aber der Orkan, der in ihm wuetete, liess das nicht zu.
Als H. nach einer gewissen Zeit wieder zu sich kam, (die Tischplatte war
inzwischen restlos zerstoert und lag zertruemmert auf dem Fussboden), stand er
auf, warf sich seine weisse Leinenjacke ueber die Schultern und machte sich
auf den Weg zum Hafen. Die ungebaendigte Kraft, die in ihm tobte, wusste er
nicht anders anzuwenden, als durch blinde Zerstoerung. Deshalb schlug er
unterwegs zwei Schaufensterscheiben ein, fuenf Strassenschilder, und mehr als
zehn Gartenzaeune. Des weiteren fielen ihm zahlreiche Autoreifen (er hatte
zum Glueck daran gedacht, ein Messer mitzunehmen), Telefonzellen, Ampeln,
Zigarettenautomaten, Plakatwaende, Gullideckel, Parkbaenke, Haustueren,
Briefkaesten und Glascontainer zum Opfer. Sogar ein ganzer Kinderspielplatz
musste dran glauben. Und schliesslich war�s soweit: H. stand vor dem
Fischrestaurant, in dem er arbeitete. Entschlossen oeffnete er die Tuer. Es
schien eine Aura von Kraft ihn zu umgeben, denn alle Augenpaare waren
ploetzlich auf ihn gerichtet. Soviel Aufmerksamkeit hatte H. noch nie
erregt. Kurzerhand packte er den naechstbesten Stuhl, der ihm in die Finger
kam, und zertruemmerte damit die einzige Fensterscheibe, die es in dem Laden
gab. Mit seiner rechten Hand (die uebrigens immernoch blutete) fegte er die
Glaeser von dem Tisch, der neben ihm stand, waehrend er mit der linken sein
Messer zueckte. Ein paar der anwesenden Gaeste schrien vor Schreck auf. Das
naechste, was zwischen ihm und der Theke lag, war das Muenztelefon. Mit dem
Messer durchtrennte er das Kabel und schleuderte den Hoerer gegen die
Deckenlampe, die sofort in tausend Teile zersprang. Ein Teppich von feinen
Glasscherben legte sich ueber den Fussboden. Dann hob H. einen der schweren
Eichentische ueber seinen Kopf und schmiss ihn gegen die Wand, die unter
diesem Gewicht nachgab, so dass ein grosses Loch entstand, durch das H.,
haette er es gewollt, auf die Strasse haette blicken koennen. Aber er war zu
sehr mit anderen Dingen beschaeftigt. Mit seinem rechten Fuss trat er das in
einem Fischrestaurant obligatorische Aquarium ein, die Glasscheiben
zersprangen sofort und die Fische, die in dem trueben Wasser herumgeschwom-
men waren, landeten auf dem Fussboden, wo sie noch bisschen ein zappelten,
ehe sie erstickten. H. hatte die Theke, hinter der sein Chef stand und ihn
mit unglaeubigen Augen anstarrte, schon fast erreicht. Als naechstes fiel
sein Blick auf die kleine Yucca-Palme, die schon immer in einem Blumentopf
die einzige Dekoration der Kneipe dargestellt hatte. Er nahm sie und warf
sie in die Glasvitrine, in der die Sektglaeser aufbewahrt wurden. Erneut
fielen Scherben auf den Boden. Die zwei Barhocker, die ihn jetzt noch von
der Theke trennten, schmiss er hinter sich, sie fielen genau durch das Loch
in der Wand und blieben auf dem Buergersteig liegen. Alle Gaeste hatten das
Restaurant bereits fluchtartig verlassen, nur hinter der Theke stand H.s
Chef und glotzte ihn an. H. spuerte ganz deutlich das Messer in seiner Hand.
Sein Griff verstaerkte sich, als er es genau vor das Gesicht seines Chefs
hob. Ein leises Lachen drang aus seiner Kehle hervor, als er mit dem Messer
ein wenig herumwedelte. Diesen kurzen Moment der Unaufmerksamkeit nutzte
der Chef, er sprang an H. vorbei ins Freie, von wo aus er ohne Zoegern
schreiend die Strasse hinunterlief. Die anderen Gaeste, die bislang draussen
darauf gewartet hatten, dass irgendetwas passierte, folgten ihm nicht
weniger schnell.
Nun war H. alleine, und zufrieden betrachtete er das Werk seiner
Zerstoerung. Er oeffnete die Flaschen, die in den Regalen standen, und goss
deren hochprozentigen Inhalt ueber die Theke, die Tische, die Stuehle und die
Barhocker, ueber die zertruemmerten als auch ueber die noch intakten. Laessig
zuendete H. sich eine Zigarette an (das hatte er noch nie getan; einer der
Gaeste hatte eine halbvolle Packung auf einem der Tische liegengelassen),
nahm ein paar Zuege und warf sie dann in die Pfuetzen, die der Alkohol auf
dem Boden gebildet hatte. Das Feuer breitet sich rasch aus und H. verliess
die Kneipe. Er trat nach draussen und atmete gierig die frische Luft ein
(die Luft war so frisch, wie Hafenluft eben sein konnte). Er drehte sich um
und betrachtete sein Werk. Dann fing er an zu lachen, zuerst ganz leise,
doch dann immer lauter, bis es schliesslich wie ein Kreischen klang.

Unter irrem Gelaechter machte er sich auf den Weg, es gab noch so viele
Fischrestaurants auf der Welt.

 

Hmmm... sorry, aber das ist alles, nur keine Satire...

Das Thema ist nicht schlecht - gesellschaftskritisch auf jeden Fall -, aber irgendwie zuwenig Handlung. Die Beschreibung der Gründe für H.'s Durchdrehen sind gut beschrieben, aber dann einfach beschreiben, wie er alles kurz und klein schlägt, was ihm in die Quere kommt, ist wenig interessant. Aus dem Thema hätte man einiges mehr machen können - durch die Handlung kommt einfach keine Spannung auf. Wie wär's mit einem offenen Ende? Oder du setzt eine Pointe ein, z.B. eine überraschende Wendung... dir fällt da bestimmt was ein. Viel Glück!

 

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