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Heiligabend

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Heiligabend

Heiligabend

Michelle schaute wieder einmal durch die Räume und auf die Uhr. Sie war vorbereitet. Eigentlich war sie schon längst vorbereitet, und geplant hatte sie Monate vorher. Wie oft war sie diesen Tag schon gedanklich durchgegangen?! Wie oft hatte sie sich diesen Tag herbeigesehnt?! Heute ist der Zeitpunkt da, in dem sie erlöst werden würde. Erlöst von der Ungewißheit und erlöst von der Sehnsucht. So hoffte sie es zumindest.

Im Wohnzimmer brannten die auf dem Tisch stehenden Kerzen. Michelle blickte wieder in die Schublade und kontrollierte, ob die Ersatzkerzen darin lagen. Natürlich lagen sie noch dort, und natürlich wußte sie es auch. Aber die junge Frau mußte einfach irgendetwas tun, das Warten zerrte an ihre Nerven.
Sie schaute in die Ecke, dort stand der Weihnachtsbaum. Sie hatte Tage damit verbracht, ihn zu schmücken, nie war er ihr schön genug. Unter dem Baum lag ein kleines Päckchen. In ihm war ein Ring, und in dem Ring war eine Gravur. "Willkommen Zuhause" Eigentlich hätte sie gerne da stehen gehabt "Ich danke Gott für mein Vertrauen zu dir", aber sie entschied, ihn mit dem Ring lieber willkommen zu heißen. Der Ring war aus Gold, er war teuer, und für ihn hatte sie fast ein Jahr lang gespart. Ein paar Näharbeiten brachten sehr wenig Geld, aber es langte für diesen Abend und für diesen Ring. Michelle ging ans Fenster. Es dämmerte schon und leicht fiel der Schnee auf die verschneite Landschaft. Er blieb dort liegen und glitzerte etwas im Laternenschein.

"Und wenn er nicht kommt", fragte sie sich wieder. Diese Frage fragte sie sich fast seit einem ganzen Jahr, und immer bekam sie dann diese panische Angst vor diesem Tag, den sie sich so sehr herbeigewünscht hatte. Und wie so oft weinte sie auch diesmal und blickte in die unendliche Ferne.

Michelle ging in die Küche. Es duftete nach den Weihnachtskeksen, die sie gebacken hatte. Sie hatte hier auf Weihnachtsdekoration verzichtet. Die Frau schaute sich wieder um, als hoffte sie, noch etwas zu finden, was nicht aufgeräumt war. Es war auch nirgends etwas Staub zu finden, sie war wirklich fertig, so ging sie ins Schlafzimmer. Es war kalt dort, denn sie hatte gut durchgelüftet. Das Doppelbett war frischbezogen, und es roch auch da nach. Michelle huschte ein winziges Lächeln durch ihr Gesicht. Ja, sie war wirklich fertig. Auf dem Nachttischchen auf ihrer Seite lag ein Buch mit vielen kleinen Liebesgeschichten. Michelle las in der letzten Zeit viel, sie konnte so in ihren Träumen versinken.

Sie griff nach dem Buch und schlug es auf. Ihr Lesezeichen flatterte dabei wieder einmal auf den Boden. Sie hob es auf; es war der aktuelle Kontoauszug. Er war die Nahrung ihrer Hoffnung. Michelle erinnerte sich, wie sie sich so oft an den letzten Silvesterabend erinnert hatte. Sie war mit Jochen gerade drei Jahre glücklich verheiratet. Ja, es war glücklich, auch wenn ihre finanziellen Probleme sie fast erdrückten. Jochen hatte sein Glück in der Selbstständigkeit versucht, aber seine Idee hatte sich nicht schnell genug durchgesetzt. Ehe sie sich versahen, waren sie hoch verschuldet gewesen. Ihr junges Glück hatte keine gute Zukunft mehr gehabt. Michelle schaute auf den Auszug. Vor einem Jahr hatte dort eine hohe negative Zahl gestanden. "Ich muß gehen", hatte Jochen am Silvesterabend gesagt, und er hatte einen kleinen Koffer gepackt. Michelle würde diesen Moment niemals vergessen. Sie hatte nur fassungslos zugesehen, was ihr Mann dort tat. "Wo gehst du hin", hatte sie noch fragen können, aber Jochen hatte sie nur an den Schultern gefaßt und ihr dabei fest in die Augen gesehen. "Vertraue mir, alles wird gut", das war seine Erklärung gewesen, und damit war er zur Wohnungstür gegangen, wo er sich ein letztes mal umgedreht und gesagt hatte, "vertraue mir, wie du mir immer vertraut hattest, ein Jahr lang." Michelle war ihm noch in seine Arme gelaufen, sie hatte ihn festhalten wollen. Er hatte sie aber nur ganz zärtlich auf die Stirn geküßt, als er abschließend ihr verkündet hatte, "bereite alles vor am heiligen Abend, ich werde zurückkehren." Dann war er verschwunden. Michelle würde niemals vergessen, wie unglaublich ohnmächtig sie sich an jenem Abend gefühlt hatte.

Gleich am zweiten Januar war ein hoher Geldbetrag überwiesen worden, der die Schulden gedeckt und ihr den Unterhalt für ein Jahr zugesichert hatte. Die Frau schaute immer noch auf den aktuellen Kontoauszug. Sie war über das Jahr sehr sparsam gewesen und hatte so noch etwas Guthaben übrigbehalten können. Sie legte den Beleg wieder zurück ins Buch und schlug es zu. Ihr war nicht nach lesen zumute. Michelle ging zurück ins Wohnzimmer, die Kerzen waren schon ziemlich heruntergebrannt, Und es war nun schon sehr spät. Traurig setzte sie sich in den Sessel und blies die Kerzen aus. Im Dunkeln weinte sie die Tränen ihres Schmerzes. Sie hatte ein ganzes Jahr lang vertraut. Sie hatte ein ganzes Jahr lang gehofft und geweint. Sie hatte ein ganzes Jahr lang in Ungewißheit gelebt. So im Dunkeln dachte sie über Jochen nach. Sie erinnerte sich, wie sie ihn kennen gelernt hatte, wie sie ihn lieben gelernt hatte. Er war immer da, er kümmerte sich liebevoll um sie. Sie hatte sich immer auf ihn verlassen können. Immer! Michelle stand ruckartig auf, öffnete eiligst die Schublade und holte vier frische Kerzen heraus, die sie mit den heruntergebrannten auswechselte. Schnell zündete sie alle vier Kerzen an. Und in dem Moment, wo endlich die vierte Kerze brannte, hörte sie, wie sich der Schlüssel im Schloß drehte, und ein magergewordener, mit Blumen bewaffneter und strahlend lächelnder Mann erschien in der Wohnungstür. "Jochen", rief Michelle, und sie rannte ihm in seine Arme.

[ 05.06.2002, 11:58: Beitrag editiert von: Barde ]

 

Hallo Barde!
Du beschreibst die Einsamkeit einer Frau am Heiligen Abend, die die ganze Zeit auf ihren verschwundenen Mann wartet. So weit so gut, allerdings bleibt vieles im unklaren, was gewisse Sachverhalte unglaubwürdig erscheinen lässt. Zum Beispiel stelle ich mir dir Frage, warum der Mann einfach ein Jahr verschwindet, ohne einen Grund anzugeben, woher kommt das Geld, warum macht die Frau das mit? Vielleicht ist es so gewollt, aber mE fehlt dadurch der Story auch eine gewissen Geschlossenheit! Desweiteren sind mir noch ein paar unglückliche Formulierungen aufgefallen!

Ein Beispiel:

Eigentlich war sie schon seit Tagen vorbereitet, und geplant hatte sie Monate vorher. Tag für Tag ist sie diesen Tag gedanklich durchgegangen. Jeden Tag hatte sie sich diesen Tag herbeigesehnt. Heute ist der Tag, in der sie erlöst werden würde
Sieben Mal das Wort "Tag" in zwei Sätzen ist eindeutig zu viel und klingt auch, als ob du hier nicht wüßtest, welches andere Wort du verwenden sollst.

Ansonsten lässt es sich ganz gut lesen, wobei die Spannung ein Wenig hintendran bleibt. Eine akzeptable Beschreibung gelingt dir hier, allerdings auch nicht mehr.

Saludo, Gam.

 

auha - jau - du hast recht! da sind echt ein paar tage zu viel!

 

Hi Barde,
die Idee mit dem Kontoauszug als Lesezeichen merke ich mir. Vielleicht gehe ich dann was bewusster mit meiner Kohle um ;-)

Ich mag Deinen Schreibstil, der sehr emotional aufgebaut ist und mit kleinen Details bestückt ist.

Im Wohnzimmer brannten die auf den Tisch stehenden Kerzen den

Michelle blickte wieder in die Schublade und kontrollierte, ob die Ersatzkerzen darin liegten. lagen

das Warten zerrte an ihre Nerven. ihren
würde ich als eigenständigen Satz schreiben.

Es war auch niergends etwas Staub zu finden, sie nirgends

Er bliebt dort liegen und glitzerte etwas im Laternenschein.
blieb

Das nur ein paar Fehler, die ich gefunden habe...

Gruß, AZAD

 

@Gamdschie69 - ich habe fast alle tage eliminiert *g* - bitte schau mal!
@ azad - fehler gleichzeitig mitbehoben, danke für den hinweis :) +
barde

 

Wie oft war sie diesen Tag schon gedanklich durchgegangen?! Wie oft hatte sie sich diesen Tag herbeigesehnt?!
Vielleicht besser: Wie oft hatte sie sich diesen Moment schon herbeigesehnt?!
Ist vielleicht wieder mal kleinlich, aber sonst ist ja in Ordnung! :D

[ 05.06.2002, 16:12: Beitrag editiert von: Gamdschie69 ]

 

hehe - *unglaublich* - Gamdschie69 - lies das doch einfach mal mit einer anderen (nachdrücklicheren) betonung - manche doppelnennungen sind sicherlich geeignet :-)!

nachtrag: bin froh, dass es ein scherz war *g* - ich war der verzweiflung nahe :sconf:

:D :D :D Barde

[ 05.06.2002, 17:07: Beitrag editiert von: Barde ]

 

Hallo Barde,

Du hast die Geschichte im Juni gepostet, da brauche ich dann auch keine Sorgen zu haben, wenn ich die Weihnachtsgeschichte im März lese. *g*

Der Anfang gefällt mir sehr gut. Die wartende Protagonistin beschreibst Du so, daß man sie sich gut vorstellen kann. Im letzten Drittel aber verliert die Geschichte leider etwas. Es beginnt damit, daß ihre Hoffnung im Kontoauszug liegt, der zwar sicherlich ein Lebenszeichen darstellt, aber in dem personenbezogenen Kontext zu pragmatisch wirkt. Sie macht sich liebevoll Gedanken um jedes Detail, die Wohnung ist picobello aufgeräumt, aber dann dient der Auszug als Lesezeichen, das ihr schon wiederholt heruntergefallen ist. Zudem ist es der aktuelle, nicht einmal der mit der Überweisung vom zweiten Januar.

Dann hast Du dem Schluß der Geschichte die Spannung genommen. Hätte sie die abgebrannten Kerzen einfach gelassen, weil sie schon nicht mehr mit ihem Jochen gerechnet hat, wäre die Spännung größer gewesen. So aber geht es zu glatt und vorbereitet in das Ende über. Da hätte man die Spannung mehr auskosten können und auch die Freude, bzw. das glückliche Erstaunen noch besser in Szene setzen können, vielleicht sogar, ohne es selbst explizit zu beschreiben.

Gruß

Gregor

 

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