Ich bin Gott
Ein Mann, der einen weißen Spitzbart zu gelocktem weißen Haar trug und von kleiner Statur und hohem Alter war, sprach mit einem Mann, der nicht minder alt zu sein schien.
„Ich bin Gott.“, sagte Ersterer.
Der andere musterte ihn und brach in Gelächter aus.
„Dann muss ich euch sagen: ‚Gott ist tot und wir haben ihn getötet.’“
„Das ist wahr, auch ich habe ihn getötet, doch schuf ich ihn in mir erneut.“
Der Andere belächelte ihn und klopfte ihm auf die Schulter.
„So seid fruchtbar und mehret euch, auf dass es viele von euch gebe.“, mit diesen Worten ging er fort.
Ein anderer Mann trat an seine Stelle.
„Ich hörte euch reden und auch ich schenke euren Worten keinen Glauben.“
Der Alte seufzte und wies ihn an ihm zu folgen.
Sie liefen durch die bevölkerten Straßen und traten in einen kleinen Raum eines Hauses ein.
Der Alte schloss die Tür hinter sich und wies den anderen an, nach links zu sehen.
Es hing eine Zeichnung von Stonehenge an der Wand.
„Für die Menschen, die dies erbauten, waren Sonne und Mond ihre Götter. Würdet ihr heute an sie glauben?“
„Nein, denn man weiß, dass Sonne und Mond zwar existent, aber nicht göttlich sind.“
„Gut soweit.“
Der Alte schwieg für einen Moment und wies ihn darauf an seinen Blick nach vorne zu richten.
An der Wand hing ein Gemälde der Akropolis.
„Seht ihr diesen Tempel? Jenen, der so verfallen ist?“
„Ja, ich sehe ihn und erkenne ihn wieder.“
„Gut, diese Götter, denen man dort Tribut und Opfer zollte, glaubt ihr an sie?“
Der andere runzelte die Stirn und sagte darauf:
„Natürlich nicht, schließlich gibt es sie nicht.“
Der Alte nickte und fuhr fort.
„Das ist richtig, denn sie sind tote Götter. Aber waren die Griechen dann verblendet von einem Wahn, der sie an falsche Götter glauben ließ und der sie Mythen erfinden ließ, die einer Wahrheit vollends entbehren?“
Bevor der andere etwas erwidern konnte, fuhr der Alte fort:
„Nein, sie waren es nicht, denn sie haben diese Götter geschaffen und sie selbst haben sie auch getötet, indem sie von ihrem Glauben abfielen. “
„Man kann Götter nicht töten, entweder es gibt sie, oder sie sind Hirngespinste.“, warf der andere sehr entschieden ein.
Der Alte wies ihn an nach rechts zu sehen.
Dort war ein Gemälde einer Kathedrale angebracht.
„Nun, das ist wahr. Ist der christliche Gott nun also existent oder doch nur ein Hirngespinst?“, fragte der Alte.
„Er ist existent und wahrhaftig, denn sein Sohn war auf Erden.“
„So? War er das? Wisst ihr nicht, dass auch die Juden diesem Gott glauben und trotzdem noch auf den Erlöser hoffen, der für die Christen schon erschienen sein soll? Und wisst ihr nicht, dass auch die Muslime eurem Gott huldigen, aber auch sie nicht an euren Messias glauben?“
Die beiden verweilten kurz in Schweigen.
„Alle drei glauben an denselben Gott, teilen ähnliche Werte, und sind doch in ihrem Glauben unterschiedlich.“, sagte der Alte.
„Beweist dies nicht, dass er der wahre Gott ist? Schließlich vermag er alle Menschen für sich zu vereinen.“, sagte der andere.
„Und wenn ich nun nicht an jenen Gott glaube? Gibt es ihn trotzdem?“
„Natürlich.“
Der Alte seufzte.
„Erkennt ihr nicht, was ich euch sagen möchte? So wie sich die Menschen verändern, verändert sich auch ihr Glaube. Aber jene, die an Götter glaubten, die es für uns nicht mehr gibt, waren ebenso verblendet wie wir es heute sind.“
Er machte eine kurze Pause und fuhr fort.
„Dreht euch nun gleich um und ihr werdet den einzigen Gott sehen, der immer existieren wird, den einzigen, der wahrhaftig ist, und den einzigen, an den nie jemand glauben wird.“
Der andere seufzte und sah sich um. Er erblickte sich selbst in einem Spiegel. Er schien es nicht zu begreifen.
„Ja, auch ihr seid Gott, denn ihr könnt ihn erschaffen.“
Der andere erwiderte:
„Niemals könnte ich Gott sein, niemals könntet ihr Gott sein. Wir besitzen nicht die Macht dazu.“
„Oh doch, denn wir töten und erschaffen ihn stets aufs Neue.“
„Ihr seid verrückt, alter Mann, euch wird niemals jemand glauben.“, so sprach er und trat wieder auf die Straße und so gab es einen Gott weniger auf der Welt, ganz so wie der Alte es prophezeite.