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Ich hoffe, du kannst mich hören
Sie saßen sich am Küchentisch gegenüber. Im Aschenbecher glühten zwei Zigaretten.
Möchten Sie noch Kaffee?
Der Mann schüttelte den Kopf. Nein, nein danke.
Sie blickte aus dem Fenster, dann auf die Digitaluhr am Herd.
Der kommt nicht mehr, oder was meinen Sie?
Sie schüttelte den Kopf. Ich weiß es nicht, keine Ahnung, ich meine …
Ja, sagte der Mann. Sehen wir, sehen wir dann ja. Er holte die Zigarette aus dem Aschenbecher und nahm einen Zug. Aber ich glaub, der kommt noch. Da bin ich mir fast sicher. Wer schon so weit gegangen ist, der …
Ich glaub auch, sagte sie. Sie führte ihre Tasse an die Lippen. Wohnen Sie denn schon lange hier?
Paar Jahre.
Ist wirklich sehr nett, dass Sie mir helfen, ich hätte nicht gewusst … und zur Polizei, ich meine, was sagt man denen?
Tja. Was sagt man denen? Was soll man denen da jetzt sagen? Und ob die kommen, und ob die auch was machen, das ist ja die andere Frage.
Das habe ich auch gedacht, und nachher … wenn der jetzt doch nicht kommt, dann steht man da und … wie sieht das denn aus? Der ganze Wirbel und dann? Aber ich wollte jetzt auch nicht alleine in der Wohnung sein, ich meine … wenn der nachher doch kommt, einfach so, wenn der dann hier vor der Tür steht oder sonstwas … da wollte ich nicht alleine sein. Und Sie, jetzt als direkter Nachbar, da dachte ich …
Aber kennen tun Sie den ja nicht, oder? Ich meine persönlich.
Sie hob die Augenbrauen. Nein, aber ich denke, ist gut möglich, dass das irgendeiner aus der Nachbarschaft ist - hier, aus dem Haus oder so. Klang auf jeden Fall jung, sehr jung, sowas hört man ja, oder? Ich meine, an der Stimme.
Er nahm noch einen letzten Zug und drückte die Zigarette im Aschenbecher aus. Wie kommt einer nur auf so eine Idee? Wie kann man nur auf so Ideen kommen?
Ich weiß nicht, ich weiß es wirklich nicht … ich meine, keine Ahnung. Ist doch an sich eine gute Gegend, oder? Hätte ich jedenfalls nicht erwartet, so was.
Ja, ist an sich eine gute Gegend. Er lächelte. An sich ist es eine gute Gegend.
Das dachte ich ja auch, und jetzt das … aber steckt man nicht drin, oder?
Nein, sagte. Da steckt man nicht drin.
Sie sahen beide auf die Uhr.
Kurz nach Halb, sagte der Mann. Ich denke, der hat vielleicht doch Muffensausen bekommen.
Aber was ich nicht verstehe, sagte sie. Wie ist der an meine Nummer gekommen? Ich meine, das ist ja die eine Sache … Wissen Sie, ich verstehe das ja. Vielleicht, na ja, vielleicht steht der eben auf … Sie wissen, was ich meine, ja? Das verstehe ich ja alles, nur dann so? Ich meine, wenn man dafür Geld bezahlen will, alles gut, aber das kann man doch anders machen, oder?
Also, nach allem, was Sie mir erzählt haben, nun, ich sag mal so: Das war wahrscheinlich einfach eine Art Mutprobe. Die haben Sie irgendwo gesehen, wasweißich, beim Einkaufen oder draußen auf dem Hof, und dann … ich meine, ich war auch mal jung, so ist das nicht, und gucken, ja, das ist das Eine, aber dann anrufen, einfach anrufen und fragen, ob Sie nicht … also, nein, das wäre mir ja im Traum nicht eingefallen. Nie!, wäre mir das eingefallen.
Sie lachte. Ach, das ist doch schon verrückt irgendwie, oder?
Na ja, verrückt … ich weiß nicht, ich finde das eher … ich, ach, ich kanns gar nicht sagen. Mir würde sowas nie einfallen.
Ja, sagte sie. Das glaube ich, das glaube ich gerne.
Er lächelte. Wo haben Sie denn vorher gewohnt, ich meine, auch hier, in der Stadt?
In Kaldauen, Lendersbergstraße, ist auch schön da, kennen Sie die Gegend?
Mein Bruder wohnt im Donnerschlag, über der Kneipe da.
Ach ja, so klein ist die Welt, sehen Sie mal!
Ja, manchmal ist das so, ich meine, ist auch keine große Stadt, oder?
Nein, Provinz, aber das hat ja auch was für sich, finde ich, ist nicht so groß, überschaubar, und man hat direkt alles fußläufig, alles was man so braucht, einkaufen, Ämter und alles, oder?
Er nickte.
Und ich könnt nicht in einer Stadt wie Köln leben, einfach zu groß, zu voll, zu viele Menschen, ich weiß nicht. Zu dreckig auch.
Nein, sagte er. Nein, ich auch nicht.
Und trotzdem, sagt sie, trotzdem passiert das gerade hier, in dieser kleinen Stadt.
Spinner gibt es ja überall.
Da haben Sie wohl Recht, stimmt. Leider ist das so.
Aber schön haben sie es hier, sagte er. Wirklich.
Na ja, sagte sie und winkte ab. Musste alles schnell gehen, hab nicht viel Zeit gehabt, ich musste schnell aus der alten Wohnung raus, das war sowieso alles Wahnsinn, was da gelaufen ist, und ich hab halt eben das Beste draus gemacht.
Kann man nicht anders sagen, ist wirklich schön geworden, gemütlich. Ich mag das ja, wenn die Wände ein bisschen Farbe haben, nicht nur einfach weiß.
Ja, ich auch, also nur Weiß, das ist so … unpersönlich, finde ich.
Stimmt, sagte er. Unpersönlich. Unpersönlich ist das richtige Wort.
Oder?
Er nickte. Ich glaub, der hat wirklich kalte Füße bekommen. Der taucht nicht mehr auf.
Das glaube ich langsam auch … der kleine Bastard.
Er lachte.
Ja, oder nicht? Wirklich.
Ist die Frage, ob der jetzt nicht einfach irgendwo auf Sie wartet. Draußen, meine ich. Sollten Sie vielleicht etwas aufpassen in der nächsten Zeit, ich mein ja nur.
Sie haben Recht, stimmt, das könnte schon sein. Und das mit der Nummer, das stört mich immer noch. Woher hat er die? Das frage ich mich. Wie kommt man einfach so an die Handynummer von jemandem?
Vielleicht war es ja doch einer, der Sie kennt? Weiß man ja nie. Manchmal … Haben Sie sich denn irgendwo neu angemeldet, wo die ihre Nummer brauchten?
Also, die Nummer hier, die gebe ich keinem, die hat ja noch fast niemand, die habe ich ganz neu erst, deswegen kann ich mir das eigentlich nicht vorstellen, aber …
Okay, sagte er. Dann …
… aber naja, vielleicht hat der Frank, das ist mein Ex …
Ich mein, hat er diese ganz neue?
Ich bin mir nicht mehr sicher, sagte sie und nahm eine Zigarette aus der Schachtel. Ich weiß es einfach nicht mehr. Das ging ja alles so schnell! Aber das könnte schon sein, dass der die Nummer hat. Kennen Sie das auch, wenn man sich an manche Dinge einfach nicht mehr erinnern kann?
Manchmal ist das eben so. Macht man nix.
Ja, da haben Sie wahrscheinlich Recht, manchmal ist das so. Sie zündete die Zigarette an. Nein, ich glaube, er hat die Nummer tatsächlich. Er hat diese Nummer, die neue Nummer. Ich habe sie ihm gegeben, doch, ich habe sie ihm gegeben … weil, es ging da um ein paar Kleinigkeiten, Sachen, die er noch in der Wohnung hatte undsoweiter, und … jetzt, ja, jetzt erinnere ich mich, ich erinnere mich wieder …
Er atmete aus.
Das, nein, das glaube ich jetzt aber nicht, sagte sie. Dass der … nein, also das traue ich ihm nicht zu, dass der sowas macht. So ist der auch wieder nicht. Vielleicht hat er die irgendwem weitergegeben, oder dem gesagt, der soll mal hier, und so, Sie wissen, was ich meine?
Haben Sie denn mit dem, also mit ihrem Ex, haben Sie mit dem zusammen in der Wohnung in Kaldauen gelebt?
Sie nickte.
Ich meine … ich will ihnen ja nicht zu nahe treten, auf keinen Fall, oder mich da jetzt in irgendetwas einmischen, das steht mir überhaupt nicht zu, nur … aber ich denke, vielleicht … wegen der Trennung? Manche Männer sind so, die verkraften das nicht so gut, und dann …
Nein, also … ich sag mal, wir haben uns einfach getrennt. Wie das halt bei so einer Trennung ist. Kennt man ja. Sie blickte aus dem Fenster.
Ja, sagte er. Klar.
Ist schon in Ordnung, sagte sie und machte eine Handbewegung. War nicht alles schlecht.
Ich verstehe, sagte er.
Die Kinder im Hof hatten aufgehört zu spielen. Draußen dämmerte es bereits.
Vier Jahre, sagte sie dann und strich die Asche ihrer Zigarette ab.
Er nickte.
Jetzt, sagte sie. Diese Ruhe, ja? Das mag ich. Ich mag, dass es hier so ruhig ist.
Ist ja nicht immer so ruhig, die Kinder und die Autos, tagsüber …
Ja, aber jetzt, um diese Zeit.
Ja, sagte er. Ich sitze sonst immer auf dem Balkon drüben bei mir, ich rauche ja nur draußen.
Der Balkon, ja. Der ist super. In Kaldauen hatte ich ja keinen, das ist also echt ein großes Plus hier, der Balkon, vor allem jetzt, wenn es so warm wird wieder.
Ich sitze auch gern aufm Balkon, sagte er. Ich kann sogar die Abtei sehen von da aus, und wenns dann dämmert, schalten sie die Beleuchtung an. Ist dann wie auf ner Postkarte, die Ansicht, wirklich.
Der hat mir noch Geld geschuldet, deswegen … sagt sie leise. Wissen Sie? Mein Ex. Ich habe ein paar Sachen von ihm behalten, Möbel und so, Kleinigkeiten, weil ich wusste, oder eher, weil ich geahnt hab, dass der das nicht so genau nimmt, mit dem Geld, meine ich. Hatte auch keine Schlüssel mehr von der Wohnung, die hat ihm der Vermieter vorher abgenommen. Ich hab ihn drum gebeten, der hätte mir sonst die Bude leer geräumt … und, na ja, war sicher ein Fehler von mir, ihm die Nummer zu geben, das hab ich von vornherein gedacht. Eigentlich wars nur, um noch die Sachen zu regeln, Verträge und all das … aber dann dachte ich, der lässt mich jetzt nicht mehr in Ruhe, wenn er die neue Nummer hat, dann ruft der ständig an und so, ob wir es nicht doch noch mal versuchen sollen, aber ich muss sagen, bis jetzt, also bis jetzt …
Die Stimme, also am Telefon, bei dem Anruf, da hatten Sie ja gesagt, also die hätten Sie doch auch sicher wiedererkannt, denk ich … die Stimme von ihrem Ex.
Sicher, sagte sie. Klar, sicher.
Ist schon zehn, zehn durch, ich glaub, ich muss so langsam los.
Fünf Minuten noch, ja? Nur damit ich sicher gehen kann, jetzt wo es dunkel draußen ist, also … okay?
Okay.
Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll: Ist wirklich, wirklich sehr nett von Ihnen, vielen Dank, dass Sie mich nicht alleine lassen, jetzt, hier so …
Ist ja kein Problem, gar kein Problem.
Sie lächelte. Und Sie?
Was ich?
Ich meine, Sie leben alleine, oder … leben sie alleine?
Ja, sagte er. Ich lebe alleine, das ist richtig.
Sie schwiegen für einen Moment.
Ich war dreimal verheiratet, sagte er dann und lachte. Also, ich kenn mich aus mit Trennungen.
Manchmal passt es einfach nicht, sagte sie. Da kann man nichts machen. Meine Mutter hat immer zu mir gesagt, jeder Topf findet seinen Deckel, na ja … ich suche noch.
Er schüttelte den Kopf. Also, ich, ich suche nicht mehr. Wenn etwas dreimal nicht funktioniert, dann … liegt ja nicht immer an den anderen, oder?
Doch, natürlich sinds immer die Anderen Schuld, sagte sie und lachte. Das ist doch sowieso klar!
Nein, ich war Versicherungsvertreter bei der Karlsruher, dreißig Jahre lang … mir war die Arbeit immer wichtig, und manchmal verliert man den Blick aufs Ganze, dann passiert sowas.
Ja, das verstehe ich. Ist auch nicht immer einfach, alles unter einen Hut zu bekommen, ich kenne das … Beruf, Kind, Beziehung, da bleibt so einiges auf der Strecke, und dann … Sie zuckte mit der Schulter.
Haben Sie Kinder?
Eine Tochter, schon erwachsen. Also, ich meine, was heißt hier erwachsen - jedenfalls alt genug, um auszuziehen. Sie strich sich mit einer langsamen Bewegung die Haare glatt. Na ja, auch so ist das eben, irgendwannd sindse flügge und dann leben die ihr eigenes Leben. Und Sie? Haben Sie denn Kinder?
Hat sich nie ergeben. Ist nicht, dass ich nicht gewollt hätte, aber … braucht man eben auch die richtige Frau dazu.
Ich glaub, wenn ich das alles vorher gewusst hätt, dann … sagte sie und schüttelte den Kopf. Der Vater war ja gleich weg, dem ist dann plötzlich eingefallen, dass er doch lieber seine Freiheit hat … na ja, hat sowieso nicht getaugt, aber weiß man das vorher? Was weiß man denn schon vorher? Ich war jung und dumm und er fuhr einen Corado! Sie lachte. Aber ich will mich gar nicht beschweren. Ist immer irgendwie gut gegangen. Kinder werden von alleine groß, oder? Und jetzt, jetzt wohnt sie in Köln und hat alle sechs Wochen fünf Minuten Zeit für ihre Mutter. So ist das eben.
Ja, sagte er. Ist sicher nicht einfach.
Was heißt einfach? Man findet sich damit ab, wohl oder übel. Man hat ja schließlich keine Wahl, oder?
Nein, nein, das stimmt. Man hat keine Wahl.
Sie schnalzte mit der Zunge. Ich kümmere mich nur noch um mich selbst, ich will einfach mal irgendwo ankommen …
Draußen auf dem Gang knallte eine Tür. Jemand hustete.
Ist der Luwi aus dem Apartment vorne rechts … Freitagabends, da lädt der sich ganz gerne mal einen rein. Den werden Sie sicher noch öfter hören …
Ach ja, sagte sie und winkte ab. Mit besoffenen Männern kenn ich mich aus, das können Sie mir glauben. Manchmal denk ich schon, es gibt keinen mehr, der nicht an der Flasche nuckelt.
Trink seit Jahren nix mehr, sagte er und lächelte.
Ach ja? Wieso denn das? Schlechte Erfahrungen?
War, als hätt ich den Geschmack dafür verloren, für Alkohol, meine ich. Irgendwann hats einfach nicht mehr geschmeckt, da hats nur noch gebrannt im Mund. Und dann? Warum noch weiter trinken, wenns einem nicht mehr schmeckt?
Manchmal hat man das. Man verändert sich eben.
Ja, nichts bleibt, wie es ist.
Sie nickte und sah ihn an. Er senkte den Blick und betrachtete seine Fingernägel.
Als der sie angerufen hat, vorhin, sagte er und strich sich mit dem Daumen über die Unterlippe. Da haben Sie doch sofort Nein gesagt zu diesem … zu diesem Angebot, oder?
Ja, aber natürlich, was denken Sie denn? Sofort hab ich das, und was der sich überhaupt dabei denkt. Ordentlich Bescheid gesagt habe ich dem. Nein, sicher, ich habe sofort Nein gesagt.
Ist gut gewesen, sagte er.
Bei so was, also nein, niemals. Nachher denkt der noch, ich hätte, ich würde da, also nee …
Da darf man nicht zögern …
Sie schüttelte den Kopf. Sie sahen gleichzeitig zur Uhr. Es war halb elf.
Ich weiß nicht, aber ist es für Sie in Ordnung, wenn ich jetzt … Er richtete sich auf, nahm das Feuerzeug vom Tisch und steckte es in seine Jackentasche.
Ja, sagte sie. Ja, klar, natürlich. Ich halte Sie hier ja schon viel zu lange auf, das wollte ich gar nicht, Entschuldigung. Und danke, danke nochmals. Ich weiß gar nicht, was ich ohne Sie jetzt gemacht hätte, ich … ich war ja richtig durch den Wind und ich kenne ja hier auch noch niemanden.
Na ja, jedenfalls kennen Sie ja jetzt mich.
Sie lächelte. Ja, ja, das stimmt. Wir sind ja nun auch Nachbarn … das ist gut, wenn man weiß, dass man sich auf jemanden verlassen kann, finde ich. Wissen Sie, was ich meine? Das jemand da ist, dem man auch mal den Schlüssel geben kann und dem man, ja, dem man … vertraut.
Er nickte. Ich hab das gesehen - wie Sie hier eingezogen sind, meine ich, vor ein paar Tagen, da haben Sie gerade eine kleine Kommode die Treppen hochgeschleppt. War viel los, da, also hier, in der Wohnung … vorher die waren ja nie lange drin, vielleicht mal ein halbes Jahr, der eine nur ein paar Wochen, dann so Mietnomaden, die haben irgendwann einfach nicht mehr gezahlt, oder zahlen wollen viel mehr … das war ja ein Aufriss nachher, mit Ordnungsamt und Schmier und laut.
Nein, sagte sie. Ich wollt schon was länger bleiben, also das ist der Plan jedenfalls. Man weiß es ja nie vorher, kann so viel passieren, geht ja so schnell im Leben.
Klar, kann viel passieren. So ist das eben. Er stand auf und schob den Stuhl unter den Tisch.
Ich hab Sie auch gesehen, sagte sie dann. Unten bei den Mülltonnen … ich glaub, gestern war das. Und, ich muss ehrlich sagen, ich war irgendwie froh, dass Sie dann hier auf dem Gang wohnen, also gleich in der Nähe, gleich nebenan, das ist … ich weiß nicht.
Also sicher ist, der kommt nicht mehr, und wenn nochmal was sein sollte, dann …
Ja, sagte sie. Das ist wirklich nett. Ich hoffe ja nicht, aber …
Man weiß nie, oder? sagte er.
Nein, nein, man weiß nie.
Ich geh dann mal rüber, ja?
Ja, ja klar.
Sie stand auf und ging voraus, durch den schmalen Flur, der noch nach frischer Farbe roch.
Er blieb in der geöffneten Tür stehen.
Ja, sagte er. Also …
Danke, sagte sie. Ich hätte Sie nicht gefragt, nicht darum gebeten … aber Sie wirken einfach wie jemand, der weiß, was man tut, wenn einem das passiert, wenn einem sowas passiert.
Na ja, Sie wissen ja, wo Sie mich finden, also …
Sie atmete aus. Trotzdem. Einen schönen Abend wünsche ich Ihnen, auch … auch wenn nicht mehr viel davon übrig ist, tut mir ja leid.
Muss Ihnen nicht leid tun, alles gut. Er lächelte. Na dann.
Ja, sagte sie leise. Vielleicht ... vielleicht sieht man sich ja mal wieder, ich meine, unter anderen Umständen, angenehmeren.
Ja, ich denke ... wir sind ja jetzt Nachbarn, oder?
Sie nickte.
Er blieb noch vor der geschlossenen Tür stehen, bis das Licht im Spion erlosch.
Um diese Uhrzeit war es ruhig und dunkel im Gebäude. Nur seine Schritte auf dem Flur. Wie viel, fragte er sich. Fünfzig? Hundert? Er konnte die Worte in seinem Kopf so laut hören, als würde er sie laut aussprechen. Er versuchte, sie mit seinen Augen zu sehen, mit den Augen dieses anderen Mannes. Sie lebte jetzt neben ihm. Er schüttelte den Kopf. Er dachte darüber nach, bei ihrer nächsten Begegnung so zu tun, als würde er sie nicht kennen. Vielleicht würde er sie auch zu einer Tasse Kaffee einladen, sie noch mehr Geschichten aus ihrem Leben erzählen lassen, ihr im Gegenzug Geschichten aus seinem erzählen. Kleine Geschichten, die nirgendwo hinführen und die keinen tieferen Sinn besaßen. Er sah noch einmal in den dunklen, stillen Gang. Dann drehte er sich um und steckte den Schlüssel in das Schloss.