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Ich werde, ich werde...

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15.12.2014
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Ich werde, ich werde...

"Wenn ich mal groß bin, werde ich Pilot. Nein, ich werde Cowboy oder doch lieber Indianer. Alles ist möglich, die Welt ist groß und bietet Möglichkeiten. Ich werde, ich werde...", denkt er. Er liegt in seinem Bett, eingekuschelt in seinen Lieblingsschlafanzug. Er ist acht Jahre alt und er denkt an die Möglichkeiten. Ungewöhnlich für einen achtjährigen an Möglichkeiten zu denken, aber als seine Mutter ihn heute gebadet hat und ihn fragte, welchen Schlafanzug er gerne tragen würde - den mit den Astronauten oder doch den mit den Cowboys - hat er daran gedacht, dass er vielleicht gar nichts von beiden wollte. Er wollte vielleicht doch lieber forschen, "ja, Forscher möchte ich sein", denkt er, eingekuschelt in sein warmig wohliges Bett. Reisen und forschen und entdecken, so ungenfähr stellt er sich sein Leben vor. Aber im Moment ist das Bett auch ganz nett und Mutter kommt, um ihn zu zudecken. Sie streichelt ihm sanft die Haare aus der Stirn und liest ihm seine Lieblingsgeschichte vor - "Robinson Crusoe". Langsam schlummert er ein, während seine Mutter ihm liebevoll einen Kuss auf die Stirn gibt.

Sie denkt: "Wie friedlich er doch aussieht. Welche Möglichkeiten er haben wird. Ihm gehört die Zukunft, mir gehört seine Gegenwart." Er soll alles erleben können, was ich nicht erlebt habe, sehen, was ich nie gesehen habe, seinen Horizont in fremden Ländern erweitern, wo ich zu Hause geblieben bin. Meine Freiheit liegt in meinem Kind; in den Möglichkeiten, die er haben wird, die mir verwehrt blieben. Sie schaut aus dem Fenster und findet Frieden. Den Frieden einer Generation, die für sich lebt, aber vor allem für ihre Kinder. Sie geht in die Küche und hört die Nachrichten.

Es ist der 9.November 1989 und sie hört Teile der Pressekonferenz von Günter Schabowski und die beiläufige Verkündung der Öffnung der Grenzen zum Westen. In der Prenzelstraße in Ostberlin steht eine Mutter, die ihr Kind gerade zu Bett gebracht hat und alles was sie denken kann, während sie sich leise eine Träne von der Wange streicht, ist, die Wünsche meines Sohnes könnten wahr werden...

 

Hallo lockenkopf 156

"Wenn ich mal groß bin, werde ich Pilot. Nein, ich werde Cowboy oder doch lieber Indianer. Alles ist möglich, die Welt ist groß und bietet Möglichkeiten. Ich werde, ich werde...",

Mir kommt das nicht wie die Sprache eines Achtjährigen vor. Denkt er wirklich "die Welt ist groß und bietet Möglichkeiten"? Keine Ahnung. Ich denke aber eher nicht.

Mir kommt zu Beginn auch zu oft "möglich" und "Möglichkeiten" vor. Klingt dann nicht gut:

"Wenn ich mal groß bin, werde ich Pilot. Nein, ich werde Cowboy oder doch lieber Indianer. Alles ist möglich, die Welt ist groß und bietet Möglichkeiten. Ich werde, ich werde...", denkt er. Er liegt in seinem Bett, eingekuschelt in seinen Lieblingsschlafanzug. Er ist acht Jahre alt und er denkt an die Möglichkeiten. Ungewöhnlich für einen achtjährigen an Möglichkeiten zu denken,

Auch der letzte Satz: warum ist es ungewöhnlich für einen Achtjährigen, an Möglichkeiten zu denken? Das finde ich überhaupt nicht ungewöhnlich, aber ich denke eben, man sollte es anders ausdrücken.

Den zweiten Teil, wenn die Frau denkt, finde ich dann besser.

Meine Freiheit liegt in meinem Kind; in den Möglichkeiten, die er haben wird, die mir verwehrt blieben.

Du musst echt mal zählen, wie oft da "Möglichkeiten" im Text vorkommt :)

Ich denke, hier könntest du vielleicht tiefer eintauchen, mir scheint, es ist einfacher für dich, die Gedanken der Frau auszudrücken als die des Jungen. Auf der einen Seite freut sie sich natürlich über all die Möglichkeiten ihres Sohnes, aber auf der anderen Seite stehen ja auch ihre Entbehrungen, das ist also ein zweischneidiges Schwert. Das klingt an im Text, aber ich denke, da kann man wirklich noch mehr draus machen.

Ja, so als Fazit, mir ist das insgesamt viel zu wenig. Das ist höchstens eine Ausgangslage, eine Art Skizze, aber da fehlt viel Fleisch drumherum. Wenn man mal von den wiederholten "Möglichkeiten" und den etwas unpassenden Formulierungen bei den Gedanken des Jungen absieht, finde ich das ganz ordentlich geschrieben. Aber es ist halt nur ein Bild, eine Art Momentaufnahme, die Figuren bleiben blass. Deshalb kann ich auch gar nicht viel mehr zu dem Text sagen.

Dir noch viel Spaß hier & viele Grüsse
Schwups

 

Hallo Schwups,
vielen Dank für die am Ende doch noch ganz versöhnlichen Worte:

finde ich das ganz ordentlich geschrieben.

In der Tat scheint es sich bei der KG eher um eine Skizze zu handeln. Ich werde an den Charakteren noch ein wenig rumfeilen und die Sprache des Jungen modifizieren.

"Möglichkeiten" wird deshalb so oft verwendet, weil eine Metapher für die Freiheit des Jungen und der Mutter darstellt. Beim Jungen ist es die tatsächlich eintretende Freiheit, da er sehr jung ist und von nun an keine Mauer mehr seine Lebenswege beschneiden wird, die Mutter findet die Freiheit im neuen Schicksal des Jungen. Die permanente Wiederholung des Wortes "Möglichkeiten" unterstreicht die Bedeutung für beide Figuren.

Vielen Dank, dass du dir die Mühe gemacht hast so ausführlich auf meine KG einzugehen.

Lg Lockenkopf

 

Hallo Lockenkopf,

aus irgendeinem Grund bin ich aus der Antwort rausgefallen und muss nochmal anfangen...

Also, zu Deinem Text: Am Anfang erging es mir ein bisschen wie Schwups, ich dachte mir, das sind nicht die Gedanken eines Achtjährigen in personaler Beschreibung, und deshalb erlebe ich Distanz zu dem dargestellten Protagonisten. Insgesamt wirkt die Erzählperspektive auktorial - und doch gelingt es Dir, mich den beiden Figuren immer näher zu bringen.

Wundervoll ist der Satz:

"Ihm gehört die Zukunft und mir seine Gegenwart."

Ab hier, finde ich, hast Du Deinen Leser endgültig für die Mutter, ihren Sohn und die gesamte Geschichte eingenommen. Du greifst ein altbekanntes, allgegenwärtiges Thema auf: Die Traumgeborgenheit des Kindes, die vorausgehenden Gedanken, Wünsche und Sorgen der Eltern, aber gerade etwas auf den ersten Blick vermeintlich so Banales hat das Potenzial, den Leser in eine neue Vertrautheit mit seinen eigenen Gefühlen zu führen. Dann ist die Szene noch in eine historische Wende eingebunden, die nur kurz, aber meines Erachtens vollkommen hinreichend skizziert wird. Die Geschichte ist ja bekannt.

Eine Skizze ist für eine Kurzgeschichte dieser Länge durchaus in Ordnung, sie könnte meines Erachtens nur noch etwas mehr Darstellung als Erzählung vertragen. Wenn sie noch szenischer verfasst wäre, hätte sie noch mehr Dynamik, die durchaus einer Handlung gleichzusetzen ist. Das ewige Thema "Show, don´t tell", ich weiß - auch ich muss immer wieder daran feilen, gewinne manchmal aber auch den Eindruck, dass dies (wenn man noch nicht so viel Profi-Erfahrung hat, wie ich) nicht in jedem Abschnitt gelingt. Erst ein fremder Blick zeigt auf, wo, wiederum in der Ansicht des Beta-Lesers, die Geschichte zu wenig szenisch verfasst ist. Gegenseitiges Korrigieren ist sowohl für den Kollegen wie auch für die eigene Schreibe oft sehr lehrreich.

Beispielsweise könnte ich mir vorstellen, die Perspektiven noch besser aufzuteilen. Kleide die Gedanken und Träume des Jungen in eine kindlichere Sprache und Darstellungsweise. Es verstärkt sicherlich die Spannung, wenn Du die beiden Perspektiven deutlicher voneinander absetzt und so die Leser noch mehr an den Gefühlen der jeweiligen Figur teilhaben lässt. Geh hier ruhig noch ein bisschen mehr "in sie hinein". Das heißt z.B., Verben des Sprechens oder Denkens durch Beschreibungen und Handlungen zu ersetzen.

"Wie friedlich er doch aussieht." Sie blickt in das sanfte blaue Leuchten seiner Nachttischlampe. "Ihm gehört die Zukunft..."

Und so weiter. Das ist nur ein Beispiel, das mir spontan einfällt, Formulierungsvorschläge aus meiner Sicht will ich Dir ja nicht aufdrängen, sondern höchstens Anregungen geben;). Lass den Leser mehr von der Atmosphäre des Kinderzimmers aufnehmen - gib ihm das Gefühl, er oder sie selbst sitzt an diesem Bettchen und es ist das eigene Kind. Dann diese wundervollen Beschreibungen, und es entsteht Spannung und Gefühl.

Ja, ein Beispiel für "Show, don´t tell" finde ich noch im letzten Absatz: Sie hört nicht die Pressekonferenz - sage ich jetzt mal ein bisschen provokant - sondern sie dreht den Fernseher an, das Logo der Tagesschau spielt sich ein (das wäre doch nochmal eine nostalgische Darstellung, die gleich das historische Element des Textes unterstreicht), und dann kommt: der doch ziemlich große Knall. Zitiere Nachrichtensprechtexte von damals. Wenn Du keine entsprechende Primärquelle hast (hätte ich auch nicht), spiegle, noch besser, die Information in den Gedanken der Frau wieder. Wie sind ihre Gefühle? Geht ein Schrecken durch sie? Ein freudiger? Oder erst einmal Fassungslosigkeit? Wie gesagt, da sind noch etliche Möglichkeiten, Deine Geschichte auszubauen, aber jede Geschichte kann theoretisch gar nicht oft genug überarbeitet werden.

Zu wenig ist mir Deine Erzählung jedenfalls nicht, es muss ja nicht immer großes Kino sein:D. Ich habe sie gerne gelesen und sie hat mich sehr berührt. Aber gerade in solcher Kürze liegen natürlich auch hohe Anforderungen an eine überzeugende Darstellung. Meiner Ansicht nach hast Du aber schon eine gute Umsetzung, an der Du lediglich noch feilen könntest.

Viel Spaß beim Schreiben und Kommentieren wünscht Dir
Roger

 

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