Was ist neu

Illertissen

Mitglied
Beitritt
21.06.2008
Beiträge
7

Illertissen

Am Sonntag, dem 12. Mai 1919, wurde Vreni Laiplmayr kirchlich getraut.
Noch am selben Tag brachen sie und ihr Ehemann auf, um auf dem Hof des Gatten fortan zu leben.
Vreni war das einzige Kind der Laiplmayrs und ihr Vater besaß große Ländereien in Bayern. Der Krieg hatte ihn nicht sonderlich schwer getroffen. Er war steinreich und seine Tochter somit eine sogenannte gute Partie. Vreni war auf den Tag 17 Jahre alt und ihren Mann hatte sie erst vor wenigen Monaten kennengelernt. Sie half; Kriegsveteranen zu versorgen, die noch in ärztlicher Behandlung waren oder in Oberbayern wieder zu Kräften kommen sollten. Ihr Mann war weder verletzt, noch mußte er sich besonders schonen, trotzdem befand er sich unter den Patienten. Er war Bauer, sein Hof lag irgendwo in Thüringen.
Von der Hochzeitsfeier, die Laiplmayr prächtig ausgerichtet hatte, verabschiedete sich das junge Paar und fuhr mit dem Automobil, das Laiplmayr seinem Schwiegersohn geschenkt hatte, davon.
In Illertissen machte man Halt und suchte im ersten Haus am Platze eine Unterkunft für die Nacht. Nächtens stellte Vreni fest, daß ihr Mann die gerade eingeweihte eheliche Schlafstatt verlassen hatte. Als er nach etwa einer Stunde noch immer nicht aufgetaucht war, entschloß sie sich, nach ihm zu suchen. Die Suche war alsbald von Erfolg gekrönt, da sie nur dem ihr noch wohlbekannten Stöhnen nachzugehen brauchte. Sie fand ihren Mann bei der Beglückung einer Magd des Gasthofes.
Nur Minuten später verließ sie den Gasthof mit ihrem Gepäck und ihren reichlich von den Eltern ausgehändigten Wertsachen in dem Automobil ihres Gatten. Einen Tag später traf sie in Berlin ein, wo sie eine Stube bei einer Offizierswitwe mietete und sich in später zu erläuternde Geschäfte stürzte. Zu ihren Eltern nahm sie erst einige Zeit später Kontakt wieder auf, verbot aber Laiplmayr jedwede Nachforschung über den Verbleib seines Schwiegersohnes anzustellen.
Vreni hatte die Zeichen der Zeit erkannt. Sie hatte festgestellt, daß es einfacher war Geld zu verleihen, um andere Leute Geschäfte versuchen zu lassen, als sich selbst unüberschaubaren Risiken auszusetzen. Getreu dem Spruch: „Was ist ein Einbruch in eine Bank, gegen die Gründung einer Bank“, wurde sie Gesellschafterin und einige Zeit später Direktorin der Oberbayerischen Alpenbank. Die Geschäfte gingen prächtig, die Inflation konnte ihr nichts anhaben, da sie rechtzeitig ihre Werte in Gold angelegt hatte. Vreni war zu einer beeindruckenden Persönlichkeit herangereift. An eine erneute Heirat dachte sie nicht, sie hatte sich zwar scheiden lassen, war jedoch nicht gewillt, sich noch einmal von einem Mannsbild betrügen zu lassen.
Die Jahre der Weimarer Demokratie gingen dahin und das Terrorregime der Nazis begann.
Vreni tat alles in ihrer Macht stehende, um sich nicht an ausreisenden Juden zu bereichern. Schließlich spitzte sich die Situation immer mehr zu. Man trieb die Juden zusammen, um sie in Sammeltransporten für immer aus deutschen Augen zu verbringen.
In Vrenis Leben tritt ganz plötzlich Jakob. Er war vor den Nazis geflüchtet, er mußte sich verstecken und Vreni bot ihm Unterschlupf. Doch Nachbarn oder mißliebige, mißgünstige Mitmenschen denunzierten Vreni. Ihr Anwesen wurde umstellt und durchsucht. Die Aktion wurde von ihrem früheren Ehemann geleitet; er war überrascht und verlegen, Vreni gegenüberzutreten. Er wußte nicht, daß ihr dieses Anwesen gehörte, daß sie Direktorin dieser bedeutenden Bank geworden war. Er war ein Nazi-Scherge geworden, ein Schwein war er schon immer gewesen. Vreni blickte ihn eiskalt an, sie ließ sich nichts anmerken. Nach Stunden der Durchsuchung zogen die Nazis unverrichteter Dinge ab. Vreni hatte Jakob im Stall vergraben, er würde ihr diese Rettung nie vergessen.
Der Ex-Gatte wurde verhaftet und vor Gericht gestellt. Vreni stellte sich als Zeugin zur Verfügung und trug dazu bei, daß er zum Tode verurteilt wurde. Sie war bei ihrer Aussage ruhig und gefaßt, so wie man sie als Direktorin einer bedeutenden Bank kannte.
Jakob hielt um Vrenis Hand an.
Vreni willigte ein, man heiratete in Illertissen.

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom